Es ist wieder so weit: Nachdem erst vor einigen Monaten dank der vierten Staffel „Stranger Things“ und dem darin erscheinenden Metal-Fan Eddie Munson alle im DIY-Kutte-Fieber waren, geht es nun weiter mit der Kommerzialisierung von Gothic-Mode. Und wieder steckt eine Netflix-Hitserie dahinter.
Ende November erschien auf dem Streaming-Riesen nämlich die Comedy-Horror-Serie „Wednesday“, die sich – wie der Name schon vermuten lässt – um Wednesday Addams von der Addams Family dreht. Executive Producer war dabei niemand Geringeres als Tim Burton, der etwa für Filme wie „Corpse Bride“, „Nightmare before Christmas“ oder „Edward mit den Scherenhänden“ bekannt ist. Die Erwartungen an die Serie waren also hoch – und konnten sogar noch übertroffen werden. Bereits Mitte Dezember hatten mehr als eine Milliarde Netflix-User:innen die Serie geschaut. Diesen Rekord konnten bisher nur zwei andere Netflix-Serien aufstellen: „Squid Game“ sowie die vierte Staffel von „Stranger Things“. Außerdem wurde „Wednesday“ für einen Golden Globe als „Beste Serie – Komödie/Musical“ nominiert.
Und mit dem Streaming-Erfolg kam auch die rasante Popularität auf TikTok. Auf der Kurzvideo-Plattform ging kurzerhand der „Wednesday Tanz“ viral. In der Serie gibt es eine Tanzszene, in der Wednesday auf ihre ganz eigene, kuriose Art und Weise tanzt – und das wurde von etlichen TikTok-User:innen nachgemacht, aufgenommen und auf TikTok gestellt, wo die Videos durch die Decke gingen. Während Wednesday in der Serie allerdings zum 1981 erschienenen Song „Goo goo muck“ von THE CRAMPS tanzt, sieht das auf TikTok anders aus. Für den „Wednesday Tanz“ musste Lady Gagas über zehn Jahre alter Song „Bloody Mary“ herhalten – in der „Sped Up“-Version natürlich. Ganz von der Masse abheben will man sich ja schließlich auch nicht.
Eine vertane Chance für Gen Z, Punk der 80er kennen zu lernen, für Lady Gaga allerdings ein Jackpot. Dank des TikTok-Trends schaffte es ihr Song „Bloody Mary“, auf Streaming-Plattformen wie Spotify stark zuzulegen. Zum ersten Mal seit Erscheinen schaffte der Titel es außerdem in die Top 50 Global Playlist von Spotify. Sogar ihren bisher populärsten Track „Shallow“ konnte „Bloody Mary“ auf Spotify vom Thron stürzen. Lady Gaga feiert also Streaming-Erfolge und das, obwohl ihr Song nicht einmal in der Serie vorkommt. THE CRAMPS konnten die Gen Z mit „Goo goo muck“ (vom Album „Psychedelic Jungle“) leider nicht überzeugen.
Punk ist also out, Gothic dafür in: Denn dank Wednesday Addams gab es auch einen kurzen Hype um alles, was schwarz, Spitze und Düsternis beinhaltet. Schluss mit „clean girl aesthetic“ (ein Trend, der mehr basic und unrealistisch gar nicht sein konnte) und her mit allem, was mich von der Masse abhebt. Also nicht zu viel natürlich. Es muss ja schließlich immer noch zum Mainstream passen. Und was gibt es da Besseres, als Online-Shops wie Killstar und Co., die Gothic-Kleidung und Ästhetik versprechen, das Ganze für viel Geld anbieten und dann qualitativ nicht mal besonders hochwertig sind? Besonders viel mit Gothic hat das nicht zu tun – es ist kein Geheimnis, dass Killstar unter Goths für wenig Begeisterung sorgt.
Es können aber alle beruhigt sein: Der schlagartige Hype um Wednesday und damit auch um ihren Gothic-inspirierten Look hat wenig mit Subkultur zu tun, und so schnell wie Trends auf TikTok starten, sind sie auch wieder vorbei. Der beste Beweis ist dafür ein kürzlich viral gegangenes Video auf TikTok. Darin verkündete eine Userin, sie sei froh, dass sie nicht mehr in ihrer „indie, wannabe witch, eyeliner, dying my hair, chunky mushroom necklaces phase“ ist, sondern wieder zu ihrer „‚Basic‘, dressing more minimal and not being straight up fucking musty“-Ästhetik zurückgekehrt ist. Der Mainstream bleibt also Mainstream und auch die Popularität von Wednesday wird nichts daran ändern, dass Kinder in der Schule gemobbt werden, sobald sie von der Norm abweichen.
Und zu Gothic gehört am Ende eben doch deutlich mehr als nur schwarze Klamotten, dunkles Make-up und eine Möchtegern-„Fuck you“-Einstellung zur Welt. Auf TikTok ist man sowieso immer nur einen Wimpernschlag vom nächsten Modetrend entfernt. Schön wäre es nur, wenn nicht ein Großteil von Gen Z für jeden neuen Hype einen Großeinkauf beim absoluten Kapitalismus-Endgegner Shein machen würde ...
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