TURBONEGRO

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It’s good to be back

Es gibt keine absolute Wahrheit – nie ist mir das so klar geworden wie in Gesprächen über das neue Album von TURBONEGRO und in den Beurteilungen ihrer Auftritte nach dem Comeback. Der erste Instinkt war: Finger weg von der Band, sich seine schönen Erinnerungen nicht, na ja, kaputt machen zu lassen. Das neue Album: Auch so ein „Na ja“-Fall. Und doch das Bedürfnis, sich in echt anzuschauen, was und wie TURBONEGRO anno 2003 so sind, was die Jungs zu sagen zu haben. Und wie so oft sieht die Welt immer anders aus, wenn man mit den Leuten redet statt nur über sie. Und so saßen André, Abel und ich am Nachmittag nach der ersten Hamburg-Show in der Lobby des SAS Radisson-Hotels erst Chris Summers und dann auch Happy Tom und Rune Rebellion gegenüber.

Wie ist es, wieder in Hamburg zu sein?


Chris: Großartig! Es ist einfach ein sehr gutes Gefühl. Ich war schon so oft in Hamburg, aber noch nie waren so viele Leute auf einem Konzert von uns.

Es war auch ein unglaublicher Anblick, als wir gestern bei der „Großen Freiheit“ um die Ecke bogen und all diese Typen sahen mit ihren „Turbojugend“-Jeansjacken und den Matrosenkäppis auf dem Kopf.

Chris:
Das war echt unglaublich, und so viele Leute in diesem Aufzug habe ich auch noch nicht gesehen – aber es war auch die größte Show, die wir bisher auf der Tour gespielt haben. Also da war schon eine Menge Merchandise unterwegs. In anderen Städten war das auch schon so, und auch wenn das eigentlich sehr cool ist, ist es doch auch etwas beängstigend, so viele Leute mit diesen blöden Hütchen zu sehen.

Hast du auch so eins?

Chris:
Nein. Und ich würde auch freiwillig keins tragen.

Und kennst du Leute, die so was tragen?

Chris:
Na ja, ein paar meiner Freunde haben eins. Aber meiner Freundin würde ich nicht erlauben, eins zu tragen.

Apropos Freunde. Wie haben eure Freunde in Oslo reagiert, als klar war, dass ihr wieder spielt?

Chris:
Die waren eigentlich alle begeistert, hatten das Gefühl, das wir fortsetzen, was wir damals nicht zu Ende gebracht hatten. Wir lösten uns ja damals auf, bevor wir eine ausverkaufte Tour in Deutschland spielen konnten. Anfangs ging es ja nur darum, ein paar Shows zu spielen, und dann war auch schon die Rede davon ein Album zu machen – und ich finde, das ist sehr gut geworden. Und die meisten Leute, die wir in Oslo kennen, haben uns auch wirklich unterstützt. Klar, es gibt auch ein paar Journalisten, die das nicht so gut finden, und andere Bands sind neidisch, aber damit kommen wir klar, da kümmern wir uns nicht weiter darum.

Nun, auch hierzulande gibt es Leute, die eure Reunion mit gemischten Gefühlen sehen ...

Chris:
Ja ja, dieses Geschwätz, dass wir uns damals nur aufgelöst hätten, um diesen mysteriösen Ruf aufzubauen. Aber mal ehrlich, wie schlau wäre das gewesen: Sich auf dem Höhepunkt seines Erfolges auflösen, vier Jahre herumsitzen und dann erwarten, größer zu sein als vorher?

Wie waren diese drei, vier Jahre für dich?

Chris:
In den ersten zwei Jahren war das schon schwer, ich hätte so gerne wieder gespielt, aber keiner von uns konnte sich das vorstellen, wegen Hanks Zustand. Und mein Gedanke war, dass wir, selbst wenn wir wieder zusammen wären, wieder von ganz unten anfangen würden. Aber dann vergingen noch zwei Jahre, es gab die Band wieder, und es war ganz anders: Die Band war plötzlich größer, als jemals zuvor. Wir haben es immer bedauert, dass wir uns auflösen mussten, denn es war ja keine freiwillige Entscheidung. Wir mussten aufhören, weil Hank ein Junkie war.

Wie hat die lange Pause das Verhältnis der Leute in der Band zueinander beeinflusst?

Chris:
Die Chemie zwischen uns ist besser als je zuvor. Aber wir haben uns während der Pause auch beinahe täglich gesehen, wir blieben Freunde. Einzige Ausnahme war Hank, denn er war weit weg in Rehabilitation. Ich hatte ihn bis zur ersten Probe seit dem Abschiedskonzert nicht mehr gesehen! Nur einmal zwischendurch am Telefon, als er mich ganz überraschend anrief, einfach um zu plaudern.

Und wie war die erste Probe, hat es sofort wieder gefunkt zwischen euch?

Chris:
Wir waren zwar etwas eingerostet, aber es hat sofort wieder gefunkt, als ob nie etwas gewesen wäre. Wir hatten einfach ein gutes Gefühl, es machte mir Spaß, denn ich spiele einfach gern mit diesen Jungs.

Du hast in der Zwischenzeit bei den EUROBOYS gespielt.“

Chris:
Ja, Percussion, und dann spielte ich auch bei den OSLO MOTHERFUCKERS, mit Happy Tom. Wir hatten da zwar nur zehn Mal oder so geprobt und dann ein paar Songs aufgenommen – das war dann auch schon wieder das Ende der Geschichte.

Habt ihr eigentlich lange diskutiert, bevor ihr die Entscheidung zur Reunion fiel?

Chris:
Also, über die drei Konzerte letzten Sommer wurde nicht lange diskutiert, da sagten wir uns einfach, wir probieren mal aus, ob es noch funktioniert. Es hat funktioniert, wir bekamen etwas Geld. Unsere Maxime war, wenn wir so gut klingen wie vorher, machen wir weiter und nehmen ein neues Album auf. Es ging also erstmal nur um diese drei Shows, und die Band war besser als je zuvor, Hank in guter Form, und wir hatten einfach das Gefühl, das Richtige zu tun.

(An dieser Stelle kommen Happy Tom und Rune dazu.)

Tom: Joachim, du hast ja Gewicht verloren. Haha, kleiner Scherz.

Ich wünschte, ich könnte das Gleiche über dich sagen. Haha, kleiner Scherz. Wir haben uns gerade darüber unterhalten, was das für ein Gefühl war, wieder zusammen zu spielen. Meine nächste Frage wäre die nach dem Masterplan gewesen, von daher passt es ganz gut, dass du jetzt zu uns gestoßen bist.

Tom:
Schön gesagt, das mit dem Masterplan. Das hat die norwegische Presse auch geschrieben. Aber welchen Plan meinen die? Es ist alles nur Chaos.

Komm, komm! Beim ersten Mal war es vielleicht Chaos, diesmal scheint die ganze Sache doch recht gut organisiert zu sein.

Tom:
In der Hinsicht, dass wir eine Platte gemacht haben? Die norwegische Presse hat auch geschrieben, es sei Teil unserer Strategie, gute Platten zu machen. Was für ein Scheiß! Der Masterplan! Ha!

Wie bezeichnet ihr denn das, was passiert ist – als Reunion oder als Comeback?

Tom:
Hank hat gesagt, das im Sommer sei eine Reunion gewesen, aber jetzt seien wir wieder eine richtige Band. Klar, bei uns ist es nicht so cool wie die MC5-Reunion, haha, aber was soll’s.

Dafür seid ihr aber auch alle noch am Leben.

Tom:
Weißt du, wir hätten 1998 einfach weitermachen können, aber dann wären wir wohl eine schlechte Band geworden. Da habe ich lieber ein paar Jahre einen Bürojob gemacht. Letzten Sommer beschlossen wir dann, drei Festivals zu spielen, und wir sagten uns, wenn wir besser sind als zuvor, oder zumindest so gut wie Anfang ’98, dann machen wir weiter.

Wie definierst du „besser“?

Tom:
Also, mit unserem Auftritt beim Bizarre-Festival war ich überhaupt nicht zufrieden, aber die Liveaufnahmen von den beiden anderen Festivals, die vom schwedischen und norwegischen Rundfunk gemacht worden waren, klangen einfach erstaunlich.

Nun war aber nicht jeder vorbehaltlos begeistert von euren Reunion-Plänen.

Tom:
Ja klar, dieses Getue von wegen ‚Keine Reunion, lass uns die Legende pflegen’. Aber was soll das, wir hatten noch nie was mit der ganzen Rock’n’Roll-Romantik am Hut. Wir wollen eine Band sein, keine Legende! Und sogar gute Freunde kamen an und meinten, wir sollten besser keine neue Platte machen. Aber warum denn nicht? Nur um den Mythos weiter zu spinnen? Was für ein Bullshit! Und so haben wir unsere bisher beste Platte gemacht. Und das würde ich nicht sagen, wenn ich es nicht auch meinte, denn das haben wir nicht nötig.

Warum ist das neue Album besser als „Apocalypse Dudes“?

Tom:
Es kommt mehr auf den Punkt, es ist härter, es ist düsterer, die Songs sind gut und es klingt auch gut. Und das Problem, das manche damit haben, ist, dass sie zu viel ‚Apocalypse Dudes’ gehört haben, dass ihnen bei der neuen Platte ganz schwindelig wird, weil sie hören, dass es die gleiche Band ist, aber mit ganz anderen Songs. Der Rezensent des NME schrieb, er habe es anfangs kaum ertragen, die Platte zu hören, ihm sei wirklich schlecht geworden.

Das Problem kenne ich: Man hat ein Bild von TURBONEGRO vor seinem inneren Auge, das aus Shows wie denen im „Kotten“ in Solingen besteht, und eben „Ass Cobra“ und „Apocalypse Dudes“. Und jetzt ist diese Band wieder da, aber alles ist anders, eine ganze Menge neue Leute haben die „Legende“ entdeckt, und jetzt soll man sich die Band plötzlich mit all diesen Leuten teilen ...

Tom: Ich weiß, was du meinst, aber Quantität war noch nie eine relevante Kategorie für uns, sondern nur Qualität. Und wenn wir mal ehrlich sind, sind nicht alle super raren Punk-Singles auch wirklich gut. AC/DC dagegen sind großartig. Wen interessiert das also?
Rune: Das ist der alte Gegensatz zwischen den Mechanismen der Indie-Szene und der Notwendigkeit, als Band auch irgendwie überleben zu können.
Tom: Und vor allem ist es elitäres Denken: Die Massen von etwas fern halten. Wer so denkt, der verdient es, unter einem faschistischen Regime zu leben. Das ist die Konsequenz dieser Logik.

Trotzdem bin ich mit eurem neuen Album noch nicht warm geworden.

Tom:
Es ist bei den ersten paar Durchgängen einfach unhörbar, ich weiß. Ab dem fünften Mal geht es dann allmählich.

Wie sehr habt ihr bei diesem Album unter Druck gestanden? Die Erwartungen seitens des Label und der Fans waren ja sicher immens.

Tom:
Klar, der Druck war schon groß, aber da mussten wir eben durch. Wir standen quasi im Wettbewerb mit uns selbst, während eine Band mit ihrem neuen Album normalerweise gegen all die anderen Platten antritt, die in diesem Monat erscheinen. Aber da mussten wir eben durch. Sowieso ist das jetzt eine komische Zeit, es kommt mir vor, als sei die Rockszene in der gleichen Situation wie Hardcore 1987. Damals klangen alle Bands gleich, es herrschte Stagnation.

Nach eurem Ende schossen ja allenthalben Bands aus dem Boden, die mehr oder weniger offen bei euch geklaut haben.

Tom:
Haha, wir sind ja eine der am meisten gecoverten Bands der Welt geworden, aber das ist doch okay. Und am besten finde ich die, die sogar noch versuchen, unseren Look nachzuahmen. Nur haben die dann nicht genug dicke oder dünne Typen, so dass das dann etwas blöd aussieht, wenn ein schlanker Hank singt und ein dicker Chris trommelt, hehe.

Ihr habt eure Platte über Burning Heart in Europa und Epitaph im Rest der Welt veröffentlicht. Warum diese Entscheidung, es gab doch auch sicher massig Major-Angebote?

Tom:
Wir sind derzeit die einzige größere skandinavische Band, die nicht auf einem Majorlabel ist. Dahinter steckt keine rein ideologische Entscheidung, sondern auch Pragmatismus. So viele Bands sagen, sie seien von ihrem Indie-Label schlecht behandelt worden und deshalb zum Major gegangen und so weiter. Aber warum haben sie sich kein Indie-Label gesucht, von dem sie okay behandelt werden? Wir haben von überall her Angebote bekommen, aber das Problem ist, dass die A&R-Typen bei den Majors ihren Job immer nur für ein halbes Jahr haben, dann sind sie wieder weg und du als Band hast keinen Ansprechpartner mehr. Dann hast du als Band zwar gutes Geld bekommen, aber die Zusammenarbeit mit dem Label funktioniert nicht mehr und du hast ein Problem. Bei Burning Heart fühlen wir uns gut aufgehoben, ich kenne Peter schon, seit er damals einen ganz kleinen Mailorder gemacht hat. Und wir wissen auch, dass sie in fünf Jahren noch da sein werden.

Und wie ist das Verhältnis zu eurem alten Label Bitzcore?

Tom:
Jürgen macht weiterhin die Vinylversionen unserer Alben und natürlich das Merchandise.

Was habt ihr eigentlich in der Zeit eurer „Pause“ gemacht?

Tom:
Ich arbeitete zwölf Stunden am Tag als Marktanalyst, aber den Job hatte ich auch vorher schon gemacht. Vorletztes Jahr bekam ich dann das Angebot, für die beiden bekanntesten norwegischen TV-Comedians als Schreiber zu arbeiten, beim staatlichen norwegischen Fernsehen, und das war richtig klasse. Und auf jeden Fall habe ich da viel mehr Geld verdient als mit der Band, von daher: finanzielle Gründe hat die Reunion sicher nicht.
Rune: „Ich habe für verschiedene norwegische Bands das Management gemacht, unter anderem AMULET und EUROBOYS. Und seit einiger Zeit arbeite ich für Universal Norway, kümmere mich dort darum, für Indie-Labels die Vertriebsstrukturen eines Majors nutzbar zu machen.“
Tom: Euroboy hat natürlich die EUROBOYS und arbeitet als Musiker und Produzent, so hat er gerade das neue AMULET-Album produziert, und es ist wirklich unglaublich geworden. Pøl hatte damals ja seine Pizzeria verkauft und war für zwei Jahre nach Neuseeland gezogen, um dort die Fillmhochschule zu besuchen. Jetzt arbeitet er für die allerschlimmsten Reality-TV-Shows im norwegischen Fernsehen als Editor. Er sagt immer, er mache schreckliches Fernsehen über schreckliche Leute.

War es denn für euch eine Frage, dass jeder von der alten Band dabei sein muss, um einen Neuanfang zu machen?

Tom:
Absolut. Und der Break machte auch jedem von uns klar, wie langweilig unser Leben ohne die Band ist. Und in der Hinsicht war der Break auch okay für uns, denn er zeigte uns, wie wichtig uns die Band ist.

Jungs, wir danken euch für das Interview.

Joachim Hiller, Abel, André Bohnensack
Fotos: Joachim Hiller