Zugegeben, ein komische Gefühl war das ja schon, als ich am Freitag des diesjährigen Pfingstwochenendes gegen 21:30 Uhr vor der Bühne des Gelsenkirchener Amphitheaters stand, auf welcher gerade der bevorstehende Auftritt der norwegischen „Deathpunks“ TURBONEGRO angekündigt wurde.
Da war zum einen die Vorfreude darauf, eine der wahrscheinlich besten Livebands, die ich je gesehen habe wieder erleben zu dürfen, zum anderen aber auch eine gewisse Angst, ob besagte Band nicht vielleicht gerade mit großen Schritten in Richtung Selbstdemontage unterwegs ist, denn schließlich musste man mit Hank von Helvete einen charismatischen, wenn auch ungemein exzentrischen Frontmann ersetzen, der sich seit jeher durch eine überragende Bühnenpräsenz auszeichnete und, zumindest für mich, über die perfekte Stimme für den Sound TURBONEGROs verfügte.
Noch in den Minuten vor dem Auftritt in Gelsenkirchen schwelgte ich in Erinnerungen an meine erste richtige TURBO-Erfahrung im Sommer 1998, als ich die Band im Sojus 7 in Monheim zum ersten Mal live sah und von der ersten Minute an wie elektrisiert war von deren Show und insbesondere von diesem komplett wahnsinnigen Sänger, der mit Zylinder, Satin-Cape und Spazierstock auf die Bühne stakste und durch seine KISS-Gedächtnis-Tunke um die Augen erst recht vollkommen irre wirkte.
Ab da war ich Fan der Band und bin es, auch wenn ich keine der schicken Turbojugend-Jacken in meinem Besitz habe, bis heute geblieben. Umso erschreckender waren für mich die Nachrichten, dass Mr.
von Helvete sich auf einer psychischen Achterbahnfahrt befindet, sich neben Alkohol und Drogen offenbar auch gerne den geistigen Murks von Scientology reinzieht und letztlich der Band den Rücken zukehrte.
Um ehrlich zu sein habe ich TURBONEGRO zu diesem Zeitpunkt abgeschrieben, denn wie wollte man diese Lücke bitte schön füllen? Die Antwort marschierte an besagtem Freitagabend mit Melone auf dem Kopf auf die Bühne, hört auf den Namen Tony „The Duke Of Nothing“ Sylvester und macht von der ersten Sekunde an klar, dass er der Mann ist, den eine Band wie TURBONEGRO braucht.
Er ist zum einen ein hervorragender Entertainer, zum anderen besitzt der Mann eine der im positiven Sinne asozialsten Reibeisen-Stimmen, die man sich überhaupt vorstellen kann. Er ist also keine bloße Hank-Kopie (was mich enorm beruhigte, gelang es Happy Tom und Co.
durch diese Personalentscheidung schließlich, sich ihre „Glaubwürdigkeit“ zu bewahren und den eventuellen Vorwurf, bloß noch mal ’nen schnellen Euro machen zu wollen, geschickt zu umschiffen) und schafft es mit seinem Organ, dass die Band so absolut vertraut und dennoch vollkommen anders klingt.
Bezogen auf die neue Platte „Sexual Harassment“ bedeutet das: Es gibt wieder Hits am laufenden Band und vor allem wieder die bandtypischen, unglaublich schmissigen Melodien. Egal, ob man klassische Brecher wie „The nihilistic army“ und „Hello darkness“ raushaut, oder mit „Tight jeans loose leash“ in ruppigen Bluesrock-Gefilden der Marke AC/DC wildert, es funktioniert in dieser Besetzung alles und macht erstmals seit „Party Animals“ wieder Spaß.
TURBONEGRO haben also die Kurve gekriegt.
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