TERROR sind ein Schwergewicht des Hardcore. Mit Authentizität, Ehrlichkeit und einer enormen Leidenschaft begeistern sie seit 2002 Szene-Neulinge und alte Hasen gleichermaßen. Am 28. September erscheint ihr neues Album „Total Retaliation“ – und das klingt wütender denn je. Wir sprechen mit Frontmann Scott Vogel über seine Sicht auf die Musik, die Hardcore-Szene und die Welt.
Bald erscheint euer siebtes Studioalbum „Total Retaliation“. Wie fühlt man sich kurz vor dem Release? Ist man nach über 16 Jahren Bandgeschichte noch aufgeregt?
Ach, ich versuche gar nicht so viel darüber nachzudenken. Wir sind uns seit 2002 treu, TERROR ist auch auf der neuen Platte geblieben, was wir schon immer waren. Es gibt keine drastischen Veränderungen. Ich freue mich einfach, dass wir ein kraftvolles, berührendes Album produziert haben, vielleicht das intensivste und härteste unserer Bandgeschichte. Und die Lyrics bringen auf den Punkt, wie sehr unsere Welt am Boden liegt. Ich bin insgesamt zufrieden, vielleicht beschreibt es das am besten.
Du sagst, es gibt keine drastischen Veränderungen, aber ihr habt nach vielen Jahren das Label gewechselt ...
Ja, da hast du recht! Nachdem vier Alben bei Century Media erschienen waren, stehen wir jetzt bei Pure Noise Records beziehungsweise Nuclear Blast unter Vertrag. Neues Album, neues Label, das zusammen ist zwar schon aufregend, aber ich pflege meine Nervosität in Schach zu halten und keine zu hohen Erwartungen schüren. Wir haben eine gute Platte gemacht, aber ich stelle mir jetzt nicht vor, mich bald auf dem Cover des Rolling Stone zu sehen.
Kommt nach all den Jahren eine Routine auf?
Unser Bandleben ist definitiv eine Art Routine, das ist etwas traurig. Manchmal sitzen wir ein bisschen deprimiert im Backstage-Bereich und denken: Och nee, ich will das nicht mehr, das ist die zwanzigste Show hintereinander. Aber dann wird uns bewusst, dass dort draußen vor der Bühne Menschen stehen, die sich freuen, uns zu sehen. Du musst dir immer vor Augen führen, dass selbst, wenn dein Tun und Handeln für dich Routine ist, es für andere Leute die Welt bedeutet. Und das treibt mich an.
Versuchst du, diese Routine manchmal zu durchbrechen?
Ja, aber es ist nicht einfach. Du spielst eine Show, fährst in die nächste Stadt, dort die nächste Show, nächste Stadt ... Und beim Songwriting ist es dasselbe: neues Material schreiben, aufnehmen, veröffentlichen, wieder neue Songs produzieren. Aber bei allem, was wir erleben, schwingt immer dieser dezente Wahnsinn mit: Es kann alles passieren. Zum Beispiel steht plötzlich eines Abends bei einem Konzert jemand, den du lange nicht gesehen hast, in der ersten Reihe. Oder dein Van hat eine Panne, bleibt mitten im Nirgendwo liegen, fängt Feuer – die Existenz dieser Möglichkeiten hält dich bodenständig. Die Balance zwischen der Routine und dem Unvorhersehbaren macht den Reiz aus.
Gab es bei der Entstehung eurer neuen Platte Überraschungen?
Hm, ich würde sagen, dass uns nichts so richtig überraschen kann. Am meisten hat mich verwundert, wie reibungslos der Prozess hinter der neuen Platte und der Planung für die anstehende Tour verlief. Seit neun Jahren hatten wir das gleiche Set-up in der Band, die gleichen Leute. Und dann verließ uns unser Bassist, David Wood. Wir haben uns Sorgen gemacht, wie es ohne ihn weitergehen würde, aber der Übergang mit unserem neuen Bassisten Chris Linkovich war einfach stimmig. Dieses Unkomplizierte überrascht mich im Nachgang sehr. Auch das Zusammenspiel innerhalb der Band funktionierte gut wie nie. Nick Jett, unser Drummer, und unser Gitarrist Jordan Posner schreiben viel und da ich ein kleiner Kontrollfreak bin, will ich immer überall mit einbezogen sein. Aber es war niemand wütend oder genervt, auch nicht bei den Aufnahmen im Studio. In den vergangenen Jahren gab es sehr viel Chaos oder kleine Eskalationen bei unseren Shows. Wenn man früher von außen auf uns und unsere Konzerte geblickt hat, fragten sich sicherlich viele: Wie können die Jungs so leben und über die Runden kommen? Aber jetzt ist es ruhiger geworden, es läuft einfach gut.
Ihr habt schon neue Songs von „Total Retaliation“ live gespielt, wie waren die Reaktionen?
Wir waren für elf Shows in Europa, um dort ein Video zum Song „Spirit of sacrifice“ aufzunehmen. Es ist nicht so leicht, die Reaktionen zu definieren, denn in dem Moment des Live-Spielens beurteile ich nicht, wie die Menge reagiert, ich gebe einfach alles. Aber als wir uns dann das Videomaterial anschauten, mochte ich sehr, was ich da gesehen habe. Ich glaube, die Leute mögen den Song. Und jetzt müssen wir unsere neue Setlist zusammenstellen. Wir haben so viele alte Songs, die die Leute erwarten, das macht die Auswahl unfassbar schwierig.
Du sprachst eingangs davon, dass die Lyrics auf „Total Retaliation“ sehr aktuell und intensiv sind. Ihr wirkt insgesamt wütender denn je. Stimmt der Eindruck?
Danke, ja! Wir leben in Zeiten, in denen man als aufgeschlossener Bürger Amerikas unglaublich traurig wird. Ich bin kein überpolitischer Mensch, aber ich versuche, up to date zu bleiben. Jeden Morgen schalte ich CNN ein und schaue mir die News an. Ich meine, jeder auf der Welt, egal welche Nationalität, egal welches Alter, hat seine kleineren oder größeren Kämpfe zu meistern. Es gibt überall Leute, die versuchen, andere klein zu halten, man kennt das doch. Ich will nicht sagen, dass man den Baseballschläger zur Hand nehmen soll, aber das Mindset einer totalen Vergeltung bringt oftmals mehr Effektivität. Nur reden ändert nichts, verdammt nochmal! Dinge werden schlimmer, die Zeiten werden düsterer, die Menschheit driftet mehr und mehr auseinander. Manchmal muss man sagen: Genug mit dem Lächeln, es ist Zeit, etwas ungemütlich zu werden.
Siehst du irgendwo Hoffnung? Gibt es noch Dinge, die dich glücklich machen?
Ich gehe gerade die Straßen in Kalifornien hinunter, das Wetter ist wundervoll. Ich bin gesund und sehr dankbar, das sagen zu können. Wenn jemand mit seinem Hund an mir vorbeiläuft, muss ich einfach grinsen. Hunde sind mega cool! Es gibt immer Momente im Leben, in denen man gute Dinge finden kann. Aber wenn man einen Schritt zurück tritt und versucht, auf die Welt zu blicken und zu verstehen, was dort geschieht, dann wird schnell klar: Die Welt ist ein beschissener Ort. Die Leute sind so selbstsüchtig, lügen sich gegenseitig an, tun anderen weh. An manchen Tagen kannst du versuchen, mit all den kleinen, schönen Dingen positiv zu bleiben, aber an anderen Tagen funktioniert das nicht, dann reißt dich der ganze Scheiß da draußen von den Füßen und du findest dich an einem sehr dunklen Ort wieder. Ich habe beide Phasen.
Gibt es diese Phasen für dich nur beim Weltgeschehen oder auch in der Musik?
Bei beidem. Manchmal entdecke ich Musik, die mich wieder an meine erste Berührung mit Hardcore zurückerinnert, dann werde ich ganz aufgeregt. An anderen Tagen frage ich mich, wie gut ich überhaupt noch in die Szene passe und wie wichtig mir das Ganze noch ist. Egal, welchen Weg du in deinem Leben einschlägst, du bist alleine dafür verantwortlich. Es ist deine Entscheidung, aus welcher Perspektive du die Welt siehst. Ich bewahre mir beide Perspektiven, denn ich habe für mich beschlossen, immer nach der Wahrheit zu suchen. Die Wahrheit ist nicht immer schön, aber es ist besser, sie zu erkennen und mit ihr umzugehen als seine Welt zu faken.
Und wie denkst du über die Hardcore-Szene?
Ich habe weit über die Hälfte meines Lebens in dieser Szene verbracht. Wir leben in anderen Zeiten, das fängt schon bei der technischen Entwicklung an: Du und ich, wir sitzen gerade jeder an einem anderen Ende der Welt, unterhalten uns quasi kostenlos am Telefon. Du kannst mit deinem Handy Musik aufnehmen und dank GPS einfacher Reisen. Das ist neu. Aber das Herz der Szene ist dasselbe wie früher: Kids entdecken Musik, die sie gefangen nimmt. Sie wollen diese Musik leben, Lyrics schreiben, mit denen sie Herzen berühren. Dann springen sie in ihren alten Van, spielen eine Show vor zwanzig Leuten, dann vor hundert, irgendwann vielleicht fünfhundert. Wenn sie dann denken, am Gipfel der Welt angekommen zu sein, schaut eben diese Welt nur zu und fragt sich: Was ist das für ein Lärm? Im Kern ist es genau wie früher. Nur die Vernetzung ist enger und die Abläufe sind schneller geworden.
Meinst du nicht, dass sich die Szene unter der zunehmenden Popularität verändert hat?
Ja, doch. Es gibt heute diese großen Konzerte mit Barrieren. Die Bands, die dort auf der Bühne stehen, machen sich in erster Linie Sorgen um ihre Zahlen. Es ist nicht falsch, möglichst viel Geld verdienen zu wollen, was in unserem Genre nicht ganz einfach ist. Du kannst in diesen großen, klimatisierten Hallen ein Konzert besuchen und bist trotzdem ein Hardcore-Kid. Aber du kannst auch in einem kleinen Club mit sechzig Besuchern schwitzend in der Ecke stehen. Bühnen ohne Absperrung und Bands, die sich einfach nur durch ihre Musik mitteilen möchten. So bin ich aufgewachsen. Es gibt auch heute noch diese DIY-Mentalität. Das sind einfach zwei unterschiedliche Zweige.
Du gehst noch immer viel auf Konzerte. Wie erlebst du sie heute als Besucher?
Ich liebe Shows, die ich nicht selber spielen muss. Man kann sich einfach entspannen, muss nicht auf die Uhr schauen oder sich sonstige Gedanken machen. Ich finde, es gehört zur Verantwortung eines Mitglieds der Hardcore-Community, Bands zu unterstützen, jungen Bands zu zeigen, dass sie wertvoll sind und geschätzt werden. Aber ich will nicht lügen: Ich besuche seit dreißig Jahren Hardcore-Shows, ich stehe nicht mehr jedes Mal in der ersten Reihe und lasse mich von den Teenies anrempeln, die sowieso viel stärker sind als ich. Haha! Wenn es zu voll, laut und warm wird, ist das echt anstrengend. Dann gehe ich kurz vor die Türe. Ich bin eben ein Mann im mittleren Alter und kann diesen Wahnsinn bei Hardcore-Shows nicht mehr in vollem Umfang mitmachen. Das ist aber auch okay. Hauptsache man nimmt teil und zeigt seinen Support.
Siehst du viele neue, talentierte Bands?
Ich kann dir neue Bands nennen, die ich mag. Ich weiß nicht, wie talentiert die sind. Haha! Spaß beiseite, DARE sind eine Straight-Edge-Band aus Orange County, Kalifornien – großartig! Außerdem feiere ich COMBOSSED aus New York und ABSOLVE aus Belgien. Dann gibt es da noch FREEDOM aus Detroit, zwar nicht wirklich neu, aber unter den neueren Bands mein Favorit.
Apropos FREEDOM: Sänger Dennis hat einen Gastauftritt auf „Total Retaliation“. Ihr habt einige Gäste dabei, magst du dazu etwas sagen?
Ja, TERROR-Platten leben von Gastauftritten. Wir haben einen markanten, gefestigten Sound, man kennt meine Stimme, der Hörer weiß, was er bekommt – Überraschungen jedenfalls nicht. Das ist auch nicht schlimm, aber ich mag, wenn es neue Impulse gibt. Dennis von FREEDOM musste ich unbedingt dabei haben. Er hat auch das Artwork für das Albumcover gezeichnet. Außerdem ist unser alter Bassist David Wood mit DOWN TO NOTHING dabei und Stéphane Bessac von KICKBACK. Diese Band polarisiert seit den Neunzigern, entweder die Menschen mögen oder hassen sie. Stéphane macht kaum Guestspots, aber ich denke, er wusste, dass wir auch etwas crazy sind, genau wie er. Wir hatten verrückte Zeiten miteinander. Spannend war auch die Zusammenarbeit mit JEDI MIND TRICKS. HipHop und Hardcore ergänzen sich so gut.
Und wie sieht die Zukunft von TERROR aus?
Wenn die Platte draußen ist, gibt es wieder viele Touren. Im Dezember kommen wir nach Europa mit DEEZ NUTS, BACKTRACK und RISK IT. Dann geht es weiter mit der Routine. Touren und TERROR am Leben erhalten, hegen und pflegen und positive Vibes in der Band fördern. Vielleicht werden wir auch einen Gang zurückschalten, ein bisschen Abstand nehmen und realisieren, dass wir unsere Zwanziger hinter uns gelassen haben. Wir müssen unser Privatleben mehr schätzen, damit wir mit TERROR noch lange so weitermachen können – mit Spaß und Enthusiasmus und jeder Menge Power.
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