TERROR

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Götter des Gemetzels

Shows von TERROR sind immer ein riesiges Kuddelmuddel. Füße in der Luft, Backen auf dem Boden, Bewegung in allen Gliedmaßen. Die Jungs aus Los Angeles sind bekannt für wilde Oldschool-Hardcore-Shows, die ihren Besuchern alles abverlangen und sie mit einem erschöpften Lächeln im Gesicht entlassen. Mit „Total Retaliation“ haben TERROR im September 2018 ihr siebtes Studioalbum veröffentlicht. Das wurde natürlich mit einer ausgiebigen Europatour gewürdigt und im Schweinfurter Stattbahnhof fand Gründungsmitglied und Schlagzeuger Nick Jett die nötige Zeit für ein ausführliches Ox-Interview. Auch weil Sänger Scott Vogel direkt vor der Show seine Stimme schonen wollte.

Nick, ihr seid in einem ziemlich umfangreichen Paket unterwegs. Ihr und noch drei weitere Bands. Wie kam es dazu?


Das sind alles gute Freunde von uns. Wir waren mit diesen Bands auch schon früher unterwegs. RISK IT! aus Deutschland, BACKTRACK aus New York und DEEZ NUTS aus Australien. Das war einer der Gründe, mit allen zusammen wieder auf Tour zu gehen. Jeder leistet seinen eigenen kleinen Beitrag zu diesen Abenden. Jeder von ihnen ist in Europa gerade sehr erfolgreich, also genießen die Besucher jede einzelne Band bei den Shows. Und keine von ihnen ist wahnsinnig weit von unserem Sound entfernt. Das ergibt in der Summe also ein besseres Komplettpaket für unser Publikum.

Nach jedem Abend quetschen sich 26 Musiker und Crew-Mitglieder in einen gemeinsamen Nightliner und reisen weiter. Das ist nicht so einfach im Umgang, oder?

Das ist wirklich nicht einfach, wenn wir uns alle einen Bus teilen. Es ist die Aufgabe des Tourmanagers, dafür zu sorgen, dass vor der nächsten Abfahrt alle rechtzeitig an Bord sind. Solange also alle mit zur nächsten Show fahren, ist alles okay und prima organisiert. Sie verhalten sich aber auch alle sehr verantwortungsvoll. Keiner verpasst die Abfahrt, weil er zu betrunken ist oder Ähnliches. Momentan läuft alles sehr gut. Das sind alles professionelle Bands. Diese Jungs machen das alle schon viele Jahre.

„Total Retaliation“ heißt euer aktuelles Album, mit dem ihr gerade auf Tour seid. Übersetzt heißt das „totale Vergeltung“. Vergeltung wofür?

Dieses Album ist inhaltlich deutlich aggressiver geraten. Deshalb sind einige Texte konfrontativer und wütender als sonst. Eigentlich ist TERROR ja eine positive Hardcore-Band und die meisten unserer Texte sind aufmunternd und konstruktiv. Wir schaffen das gemeinsam! Lasst uns zusammenhalten! Wir machen aus der Erde einen besseren Ort! Aber in Zeiten des Aufruhrs, wenn es nicht besonders gut läuft allgemein, kann Zorn dazu beitragen, etwas zu verändern. Deshalb ist der grundsätzliche Vibe dieser Platte die gesteigerte Aggressivität. Deshalb klingt Scotts Gesang diesmal auch deutlich angepisster. Daher heißt das Album und auch einer der Songs „Total Retaliation“. Wir dachten einfach, das klingt richtig gut und harmoniert bestens mit dem Vibe der Platte. Es ist nicht unbedingt ein typischer Titel für eine TERROR-Platte.

Woher kommt dieser Zorn? Warum seid ihr gerade so angepisst? Ist die Ursache die persönliche Situation von Scott oder geht es um die allgemeine politische Lage in den Staaten oder ist es gar der Klimawandel?

Eigentlich ein bisschen von allem. Die politische Atmosphäre in den Staaten, aber auch in vielen anderen Ländern auf der Welt ist aktuell ziemlich abgefuckt. Die Leute wissen nicht genau, was gerade abgeht, und sind deswegen wütend. Uns stört aber auch der Zustand der Hardcore-Szene. Es gibt definitiv Band und Kids, die aus dem richtigen Grund darin unterwegs sind. Es gibt aber aber auch Kids, die keinen Bock mehr auf Hardcore haben und sich nach anderen Subgenres umschauen. Oder sie sind der Ansicht, dass Hardcore nicht mehr cool sei. Meiner Meinung nach gibt es also gerade einen negativen Vibe, der die Hardcore-Szene durchzieht. Zumindest ein Teil von uns reagiert dann mit Trotz. Okay, wir brauchen euch nicht, wir bleiben trotzdem. Ein Teil der Songs auf dem Album ist aber auch eine Verarbeitung der persönlichen Probleme, die Scott momentan durchmacht. Und diese Songs gehören auch zu meinen Favoriten. Das sind wirklich sehr persönlichen Dinge, die man nicht mit Politik erklären kann. Scott ist da gnadenlos ehrlich.

Woher kommt dieser negative Vibe in der Hardcore-Szene?

Wir sind schon lange genug dabei, um die verschiedenen Phasen in der Szene beurteilen zu können. Alle paar Jahre ist Hardcore plötzlich out und nicht mehr so interessant. Dabei ist echter Hardcore keine Modeerscheinung. Deshalb bekommt man mit, dass Kids, die sonst zu unseren Shows kommen, zu anderen Bands gehen und schlecht über die Hardcore-Szene reden. Das fällt vor allem bei kleineren Konzerten oder auch bei dem Verhalten neuer Hardcore-Bands auf. Viele junge Bands wollen nicht mehr diesen traditionellen Oldschool-Style spielen. Sie müssen ihrem Sound einen komischen Geschmack beimischen oder Musik spielen, die nicht nur nach Hardcore klingt, weil es eben nicht mehr so cool ist. Aber das passiert eben in Wellen, in ein oder zwei Jahren könnte es schon wieder extrem angesagt sein, wie eine straighte Hardcore-Band zu klingen. Die Shows werden wieder größer und noch ein paar Jahre später läuft es dann wieder umgekehrt. Diese Entwicklungen kennen wir schon eine ganze Weile. Es frustriert uns also nicht total, aber es nervt irgendwie. Es würde der Szene guttun, ein paar frische, unverbrauchte Gesichter zu bekommen. Die Kids, denen das Ganze egal ist, können gerne abhauen. Wenn es ihnen nichts bedeutet, brauchen wir sie nicht. Wir werden immer noch da sein.

Das Besondere an euren Konzerten ist, dass im Publikum und auf der Bühne immer jede Menge Bewegung ist. Scott fordert das Publikum auch pausenlos auf, auf die Bühne zu kommen. Warum ist euch das wichtig?

Uns ist es immer wichtig, eine intensive Verbindung zu unserem Publikum herzustellen. Wir beziehen jeden in die Show ein. Es geht nicht darum, dass wir auf der Bühne stehen und für die Leute performen. Die Show beinhaltet die Interaktion von allen Beteiligten. Egal, ob die Leute auf die Bühne klettern und Scott dabei helfen, einen Song zu singen, einfach nur herummoshen oder von der Bühne in die Menge springen. Wir finden, es ist für jeden wichtig, selbst Teil der Show zu sein. Für uns gibt es keine Trennung zwischen Band und Publikum. Für uns sind alle Menschen gleich, wir sind nichts Besonderes, nur weil wir in einer Band spielen oder unsere Instrumente gut beherrschen. Wir sind zugänglich, so wie alle anderen. Außerdem hat die Live-Show für uns immer höchste Priorität. Das ist der Eindruck, den wir vermitteln wollen. Es ist cool, neue Songs zu schreiben und aufzunehmen, aber am Ende des Tages ist das Bühnenerlebnis das Allerwichtigste. Rausgehen und die Leute die Energie spüren lassen, die bei einer Hardcore-Show freigesetzt wird. Damit sie nach der Show nach Hause gehen können und sich besser fühlen. Wie ein kurzzeitiger Ausweg von all dem Bullshit in ihrem Leben. Darum geht es uns. Aber auch um das Zusammengehörigkeitsgefühl und den Sinn für Zuversicht. Das bekommst du nicht bei einem Konzert von Christina Aguilera oder METALLICA. Bei einem Hardcore-Konzert kannst du die Energie fühlen und bist ein aktiver Teil der Show. Und du triffst dort Menschen, die positiv denken und ihr Leben besser gestalten wollen. Du kannst da wirklich was mitnehmen, was dir hilft und vielleicht dein Leben verändert. Und du bist Teil einer Gemeinschaft, dich verbindet mit dem, der neben dir steht, nicht nur der Konzertbesuch.

Mich persönlich nervt die zunehmende Aggressivität und die Gewalt auf der Tanzfläche. Wie geht ihr als Band damit um?

Bei jeder Show macht Scott die Ansage: Wir wollen, dass niemand verletzt wird. Wir sind eine positive Hardcore-Band. Alles, was in der Menge passiert, sollte Ausdruck positiver Aggression sein. Keiner sollte zu unserem Konzert kommen, um andere zu verletzen. Wann immer wir eine Auseinandersetzung beobachten, versuchen wir das sofort zu stoppen.Wir versuchen das immer mit Worten zu lösen. Das ist uns wichtig. Besonders für Leute, die zum ersten Mal bei einem Konzert von uns sind und vielleicht dadurch verschreckt werden und denken, da können sie nie mehr hin. Keiner will zu einem Hardcore-Konzert gehen und zusammengeschlagen oder verletzt werden. Natürlich gibt es immer wieder schwarze Schafe. Jungs, die auf Schlägereien aus sind, oder sich besonders brutal verhalten. Wir lehnen das strikt ab. Und wir lassen das diese Leute auch wissen. Ich denke, wenn du derart aggressive Musik machst, gehört es einfach dazu, ein bisschen gewalttätig zu sein. Aber man kann auch gewalttätig sein, ohne andere zu verletzen. Und wenn du jemandem wehtust aus Versehen, vergewissere dich, dass der Betroffene okay ist.

Ich kenne nicht so viele Oldschool-Hardcore-Bands aus Kalifornien. Neben euch noch FIRST BLOOD aus San Francisco. Die meisten Bands, die nach Deutschland kommen, stammen von der Ostküste. Aus New York oder Boston. Wie ist das Verhältnis zwischen den Bands von der Ost- und der Westküste?

Wir sind mit vielen Bands aus New York gut befreundet. MADBALL, AGNOSTIC FRONT, SICK OF IT ALL. Zu diesen Bands haben wir jahrelang aufgeschaut. Wir sind also große Fans und bewundern sie für das, was sie für die Hardcore-Szene geleistet haben. Im Laufe der Jahre sind wir auch wirklich gute Freunde geworden. Dieses Eastcoast-Westcoast-Ding wie in der Rap-Szene gibt es bei uns nicht. Die Wurzeln unserer Musik liegen schließlich auch im New York Hardcore. Das war ein riesiger Einfluss für uns, als wir angefangen haben. Abgesehen davon stammt unser Sänger Scott aus New York. Er ist unmittelbar vor der Bandgründung nach Los Angeles gezogen. Ich selbst bin in Kalifornien geboren und aufgewachsen, aber er ist ein waschechter Ostküsten-Junge. Unsere Band ist also eine Mischung aus beidem.

Kalifornien hat ja eine sehr populäre Punkszene. Gibt es dort für Hardcore-Bands gute Auftrittsmöglichkeiten oder ist das an der Ostküste besser?

Da gibt es keinen großen Unterschied. Generell wird es aber immer schwieriger, einen Laden zu finden, der allen Schwierigkeiten standhält. Legendäre Läden wie das CBGB’s existieren nicht mehr. Viele Clubs mussten aufgeben oder wollen keine Hardcore-Shows mehr buchen, weil es ihnen zu unberechenbar ist. Es spielt keine Rolle, ob Ost- oder Westküste, es ist allgemein nicht einfach, Läden zu finden, die kontinuierlich Hardcore-Shows veranstalten. Das ist in Ländern wie Deutschland viel einfacher. Im Stattbahnhof in Schweinfurt zum Beispiel haben wir bestimmt schon zwanzig Mal gespielt. In den Staaten gibt es vielleicht maximal ein oder zwei Läden, in denen wir so oft aufgetreten sind.

Bis Mitte November wüteten furchtbare Waldbrände in Kalifornien. Wart ihr als Band davon betroffen oder Familienmitglieder von euch?

Es war wirklich beängstigend. Es gab zwei Brände, die nicht weit von Los Angeles waren. Zum Glück wurde keiner aus meiner Familie oder meinem Freundeskreis verletzt oder hat sein Haus verloren. Aber meine Großmutter und einige von meinen Onkeln und Tanten leben in den Gebieten, die vom Feuer betroffen waren. Also mussten sie evakuiert werden. Und zwar mitten in der Nacht. Um drei Uhr morgens haben die Feuerwehrleute an der Tür geklopft und sie herausgeholt. Sie konnten nur das Nötigste mitnehmen und sind im Haus meiner Mutter untergekommen, die etwa eine Stunde entfernt lebt. Zum Glück ist nicht mehr passiert, aber das ist alles ziemlich niederschmetternd. In den letzten Jahren kommen diese Waldbrände immer häufiger vor. Vermutlich durch den Klimawandel. Durch die anhaltende Dürre in Kalifornien ist alles so trocken und der kleinste Funke entwickelt sich sofort zu einem riesigen Feuer. Es gibt einfach nicht genügend Feuerwehrleute, um all diese Brandherde einzudämmen. Solange es also nicht regnet oder der Wind nachlässt, ist es praktisch unmöglich, diese Brände zu löschen. Echt scheiße.

Donald Trump hat ja behauptet, verantwortlich für die Waldbrände sei Missmanagement in der Forstverwaltung. Diese Leute würden ihre Wälder nicht so gut pflegen wie zum Beispiel in Finnland. Was sagst du dazu?

Wenn man irgendwas aus dem Weißen Haus hört, wirkt es fast schon wie Comedy. Gleichzeitig ist es aber beängstigend, wenn man sich vor Augen führt, dass diese Person verantwortlich für das ganze Land ist. Es ist eine sehr merkwürdige Zeit. Hoffentlich wachen die Amerikaner bald endlich auf und treffen bei der nächsten Wahl die richtige Entscheidung. Damit diese Verrückten aus der Regierung verschwinden. Das ist einfach nur total durchgedreht.

Beschäftigt es dich als Amerikaner, wie die Europäer über euren Präsidenten denken?

Nach dem, was ich so mitbekomme, erkennen die meisten Menschen hier in Europa, dass Amerika tief gespalten ist. Zumindest was Politik betrifft. Die wenigsten denken, dass ich, nur weil ich Amerikaner bin, automatisch Donald Trump unterstütze. Vor allem wenn du in einer Punk- oder Hardcore-Band spielst, ist meistens klar, dass du sehr wahrscheinlich auf der anderen Seite stehst. Ich habe jedenfalls noch kein negatives Feedback bekommen außerhalb von Amerika. Die meisten Kommentare gehen in die Richtung: Wir wissen, du magst Donald Trump auch nicht. Aber es ist natürlich total seltsam, so einen Reality-TV-Typen als Präsidenten zu haben. Das Schlimme an der Sache ist, dass sein Verhalten mittlerweile auch etliche Politiker in anderen Ländern beeinflusst. Dadurch kriechen überall auf der Welt die Nationalisten und Populisten aus ihren Löchern und sind plötzlich sehr erfolgreich. Es ist also irgendwie lächerlich und sehr ernst zugleich. Hoffentlich dreht sich der Wind bald wieder.

Habt ihr aktuell eigentlich mehr Probleme mit eurem Bandnamen? Ihr seid ja viel unterwegs und kommt ständig durch Grenzkontrollen und Sicherheitsbereiche.

Überraschenderweise war das nie ein Problem. Man bekommt vielleicht mal einen verstörten Blick von einem Zollbeamten. Mir war es noch peinlicher, als wir mit der Band noch ganz am Anfang standen. Damals, 2002, das war gerade mal ein Jahr nach den Anschlägen vom 11. September. Das war eine ganz ungünstige Zeit für Witze über Terror. Damals wirkte unser Bandname noch viel schockierender als heute. Aber echte Probleme hatten wir deshalb nie. Bis jetzt haben wir vor allem Erstaunen oder Verwunderung geerntet. Durch einen Flughafen zu laufen mit Gitarren und Drumkoffern, auf denen riesengroß TERROR steht, sieht natürlich extrem komisch aus. Es könnte ja auch locker eine Bombe darin sein.