„In der Hölle steht geschrieben, dass das nie was werden kann. Die bleiben viel zu echt, um einfach, real‘ zu sein. Und der Hit, den sie jetzt schreiben, geht auch morgen nicht On Air, wird nur für mich und ein paar andere Spinner sein“, heißt es in „The strongest of the strange“, dem ersten Song auf „Alles muss kaputt sein!“ und einer dieser Spinner bin wohl auch ich. Aber ich bin gerne einer von denen, die sich von dem melodischen, so aggressivem wie melancholischen Punkrock der sympathischen Saarländer begeistern lassen; jedes Mal aufs Neue und immer wieder erstaunt, dass es PASCOW gelingt, mit neuen Songs die alten zwar nicht vergessen, aber etwas in den Hintergrund treten zu lassen – bei anderen Bands ist es ja meist umgekehrt. Mit ihrem vierten Album sind PASCOW von Plastic Bomb zu Rookie Records gewechselt, haben zudem mit Flo einen neuen Bassisten in der Band und dieser möge es mir verzeihen, dass ich das gar nicht zur Sprache brachte, als ich das PASCOW-Brüderpaar – Sänger und Gitarrist Alex, Schlagzeuger Ollo – mit Auszügen aus den Texten ihres neuen Albums konfrontierte und dazu Fragen formulierte, mal absichtlich am ursprünglichen Sinn vorbei, mal ihn eventuell genau treffend. Gitarrist Swen soll mir ebenso nicht böse sein, dass er kaum erwähnt wurde.
„Kleine Band auf großer Fahrt? [...] Da gibt es Schatten im Vertrag“ (aus „The strongest of the strange“). Wie gut ist der Vertrag, den ihr mit Jürgen von Rookie Records geschlossen habt, dass ihr Plastic Bomb Records dafür verlassen habt?
Alex: Wir haben die letzten drei Platten bei Plastic Bomb veröffentlicht, der „Vertrag“ dort wurde per Handschlag vereinbart und alles lief immer sehr korrekt und auf freundschaftlicher Basis. Wir haben also keinen Grund zur Klage und sind Swen und Micha sehr dankbar für alles, was sie für uns getan haben. Jetzt sind wir bei Rookie gelandet und wir warten nur noch auf den neuen Benz, sind uns aber ganz sicher, dass Jürgen bereits alles dafür veranlasst hat. Wir vertrauen Jürgen voll und ganz, nicht nur wenn es um Autos geht.
Ollo: Die Absprachen mit Jürgen sind ebenso fair, wie die, die es zwischen uns und Plastic Bomb gab und auch immer noch gibt. Wir wollten diesbezüglich aber mal einen Tapetenwechsel. Ein Label zu finden, das zu uns und zu dem wir passen, war gar nicht so einfach. Bis ich mal mit Jürgen telefoniert hatte, ab da ging alles relativ schnell und unkompliziert. Auch wenn Rookie und Plastic Bomb sich von der Struktur her unterscheiden, sind beide Überzeugungstäter und das war uns sehr wichtig. Jetzt sind wir halt Labelmates von AERONAUTEN und den SPERMBIRDS, passt doch.
„Gone tomorrow, here today. Vom Zweifeln und vom Zögern, vielleicht ein ganzes Leben. Das ist Gimbweiler ... und nicht LA“ (aus: „Das ist Gimbweiler nicht LA“). PASCOW sind keine Vollzeit-Band und über den deutschen Punkrock hinaus auch nicht präsent. Wie groß könnten PASCOW sein, wenn ihr das wolltet?
Alex: Müsste das nicht ein Außenstehender besser beantworten können? Um ganz ehrlich zu sein, ich glaube, wir haben uns diese Frage nie ernsthaft gestellt. Vielleicht sind wir zu bescheiden, aber ich denke eher, wir sind zu realistisch, um anzunehmen, wir könnten ganz groß werden. Dafür sind wir nicht gemacht und wir wollen es auch gar nicht. Manchmal tut es gut, „Nein“ zu sagen und nicht alles mitzumachen. Wir gehören nicht auf die ganz großen Bühnen und die großen Bühnen gehören nicht zu uns. Genau sowenig sind wir fürs Musik-TV oder die Musikrubrik der Bäckerblume gemacht. Ich finde es echt gut, wenn sich Bands in allen Situationen gut und interessant darstellen und präsentieren können. Wir könnten das nicht. Aber auch dort, wo wir jetzt sind, ist es super und es ist ein Luxus, nicht wachsen zu müssen.
Ollo: Ich sehe das ein bisschen anders als mein Bruderherz. Ob eine Band kommerziell erfolgreich wird, hängt nicht nur von ihr selbst ab. Wie „groß“ eine Band werden kann, entscheidet final das Publikum und nicht nur ein ausgeklügeltes Konzept. Wenn eine Platte auf einmal „durch die Decke geht“, muss man als Band irgendwie darauf reagieren, entweder mitwachsen, sich dem Ganzen verweigern oder die Band auf Eis legen. Wenn man in eine solche Rolle hineinwächst, wie es zum Beispiel DIE TOTEN HOSEN oder DIE ÄRZTE getan haben, ist das ja auch okay. Schlimm finde ich, wenn Bands sich selbst am Reißbrett konstruieren und ein Konzept verfolgen, dass nicht zu den Musikern passt. Authentizität ist gerade in unserer Szene wichtiger als Technik. PASCOW sind auch jetzt schon viel „größer“ geworden, als wir uns das zu Beginn vorstellen konnten. Wir kommen aus Gimbweiler, der absoluten Provinz, hatten keine größere Band, die uns gefördert hatte, noch den Ruf einer coolen Stadt im Nacken und unser Szenebezug bestand aus Kidnap Music, was zu dieser Zeit auch komplett in den Kinderschuhen steckte. Wir dachten damals, wir wären oben angekommen, als wir das erste Mal vor 25 Punks im AZ Homburg gespielt haben. Und als absolute Außenseiter war es nicht gerade ein Spaziergang bis hierhin. Darüber hinaus haben wir auf der ein oder anderen großen Bühne schon eine schicke Figur gemacht. Eine Erfahrung, die ich in keinem Fall missen wollte. Alex hat sich nur nicht wohl gefühlt, weil sein Gitarrenkabel immer viel zu kurz war.
„Denn sie bleiben gern unter sich und reden, während tausend Hände beten“ (aus: „Mond über Moskau“). Parolen gibt es bei PASCOW nicht, wohl aber Gesellschaftskritik. Eine bewusste Entscheidung, da das Aufzeigen von Problemen leicht, Lösungsvorschläge aber schwer sind?
Alex: Das ist auf jeden Fall so. Aber „je ne sais pas wo’s lang geht“, ich habe den goldenen Weg nicht gefunden und kann daher Lösungen nicht anbieten. Trotzdem haben wir dieses Mal bei den Texten darauf geachtet, dass sie klarer und direkter sind. So schön die kryptische Scheiße auch sein mag, oft versteckt man sich hinter Codes und vertrackten Aussagen. Man äußert sich, lässt aber immer noch eine Hintertür, um abzuhauen, wenn es eng wird. Ich finde das grundsätzlich auch nicht schlimm, Bands sind ja keine Politiker, ich hatte dieses Mal aber keine Lust mehr darauf.
„Die BBC zeigt, wer wir waren, Peking brennt seit hundert Tagen. Die Hoffnung auf ein Klimalogo. Den gleichen Weg kennen wir vom Dodo“ (aus: „Äthiopien die Bombe“). Den momentan so gern prognostizierten Weltuntergang vor Augen: Wie korrekt lebt ihr? Esst ihr klimaneutral? Bewegt ihr euch vegan – also Autolenkrad oder Fahrradsattel ohne Leder?
Alex: Der Song und der Text sind eine kleine Hommage an die Dark-Future-Haltung in den Achtzigern, die vielleicht durch die Wirtschaftskrise und den Klimawandel eine Art Revival erfährt. Dark-Future-Revival? Hört sich irgendwie pervers an ... egal. Wir leben so bewusst es geht, fahren dabei aber keine gemeinsame Linie. Jeder geht mit dem, was er weiß, anders um. Wir sind drei Vegetarier in der Band, verkaufen Fair-Trade-Merch und versuchen die Touren so zu planen, dass wir unnötige Kilometer vermeiden. Und das hat wahrscheinlich noch nicht einmal viel mit dem Klima zu tun. Aber ansonsten ist das Leben einer Band wohl nicht das korrekteste. Wir verbrauchen viel Strom, viel Benzin, leben unterwegs auch teilweise sehr ungesund und sicher nicht klimaneutral. Dinge beim Namen zu nennen, von denen man glaubt, dass sie schief laufen, macht einen ja noch nicht zur moralischen Instanz oder zum moralischen Wächter. Wie gesagt, wir fahren schon innerhalb der Band keine einheitliche Linie und da wäre es ja schon frech, anderen sagen zu wollen, wie sie zu leben haben. Noch ein Beispiel zum Thema korrekte Konsequenz. Es gibt genügend Gründe, auf Microsoft-Produkte zu verzichten und die „Giving Pledge“-Spendennummer, die Bill Gates und andere Milliardäre derzeit durchziehen, ist ein weiterer Grund dafür. Diese Aktion dient vor allem darum, den unfassbaren Reichtum weniger Menschen zu legitimieren, ähnlich wie bei Aristokraten im Mittelalter. Durch großzügige Spenden wird der Reichtum gerechtfertigt und nicht mehr gefragt, wieso diese Menschen zu einem solch unglaublichen Besitz kommen konnten. Ich bin mir dieser Sache durchaus bewusst, benutze aber täglich Software von Microsoft und habe es bisher auch nicht geschafft, mich in ein anderes System wie Linux einzuarbeiten. Vielleicht bin ich dafür zu faul, kann sein. Ich fühle mich deswegen aber nicht schlecht oder „unkorrekt“ und der springende Punkt ist, dass letztlich jeder selbst entscheiden muss, wie er mit seinen Infos umgeht.
„Alles muss kaputt sein, all der Quatsch, der nervt“ (aus: „Wir glauben an gar nichts und sind nur hier wegen der Gewalt“). Wie geht man damit um, wenn sich Menschen, die man vielleicht gar nicht dabei haben will, breit machen in der kleinen Szene-Nische, die man sich gebaut hat?
Alex: Das kommt natürlich schon mal vor und lässt sich auch nicht vermeiden, aber wie geht man damit um? Schwer zu sagen. Wir können ja keine Regeln aufstellen, um zu entscheiden, wer dazugehören darf und wer nicht. Wenn dies so wäre, müssten wir als Band bei der einen oder anderen Veranstaltung wohl auch draußen bleiben. Wenn mir jemand auf den Nerv geht, sage ich es, und wenn das bei einem Konzert mal zu heftig wird, unterbrechen wir auch mal unser Set, wenn es sein muss.
Ollo: Finde ich auch sehr schwierig. Inwieweit ist man tolerant, inwieweit möchte man eine gewisse Exklusivität wahren? Szenen können ja auch durchaus eine Eigendynamik entwickeln, die man selbst nicht gutheißt. Manchmal können äußere Einflüsse aber auch eine Bereicherung sein.
„Ich bin sicher uns wird nichts passieren, nicht bei H und nicht bei M. Shoppen können wir, wenn wir tot sind, gehen“ (aus: „An die Maulwürfe“). Der Mailorder und die beiden Tante Guerilla-Läden als Teil des PASCOW-Imperiums helfen mit bei der Ausstattung junger und alter Punkrocker. Wie uniformiert ist dabei euer Publikum, sei es Kleidung, Musikgeschmack, aber vor allem Lebensentwurf?
Alex: Tante Guerilla und die Band arbeiten in vielen Dingen sehr eng zusammen, sind aber nicht identisch. Genau genommen arbeite nur ich auf beiden Seiten und ich bin froh, diese beiden Bereiche voneinander trennen zu können. Wir müssen von der Band nicht leben und daher nichts machen, was wir nicht wollen oder nicht für richtig halten. Wir stehen als Band unter keinem finanziellen Druck. Bei Tante Guerilla ist das ganz anders. Wir müssen monatlich einen gewissen Umsatz machen und wir können nicht ausschließlich machen, worauf wir gerade Lust haben. Wenn wir das täten, würden wir wahrscheinlich nur noch Platten an unseren direkten Freundeskreis verkaufen. Das würde nicht lange gut gehen. Zur Uniformität: Was Äußerlichkeiten angeht, ist unser Publikum sehr gemischt. Wenn überhaupt, sind die Lebensentwürfe oder die Einstellungen ähnlich. Das merken wir, wenn wir nach den Konzerten mit den Besuchern ins Gespräch kommen.
Ollo: PASCOW und Tante Guerilla sind eng miteinander verbunden und unterstützen sich gegenseitig, keines der beiden bedingt aber das andere. Wir mögen, dass unser Publikum oft sehr verschieden ist, von 16 bis 45, Kids, Studenten, Arbeiter, alles dabei, das macht es auch so interessant.
„Im Westen gibt es alles, wir kommen nur nicht ran. Verdammt sei meine Zeitarbeit, verdammt der brave Mann“ (aus: „Wenn Mila schläft“). Inwieweit unterscheidet sich das Leben als selbstständiger Musiker und „Szene-Geschäftsmann“ von dem der normalen Menschen?
Alex: Ich glaube, dass das Leben eines professionellen Musikers schon ganz anders ist als das Leben eines normalen Arbeiters. So ist es zumindest bei den Leuten, die wir kennen. Deren Tagesablauf und die Art zu leben ist schon, nun ja, „speziell“. Allerdings unterscheidet sich das Leben eines „Szene-Geschäftsmanns“ leider viel zu wenig von dem eines „normalen Selbständigen“. Die Waren sind andere, die Gründe, warum man etwas tut, vielleicht auch noch, aber der Alltag ist nicht viel anders. Morgens aufstehen, tagsüber arbeiten, abends nach Hause kommen, ein Hobby und fertig. Einkauf, Verkauf, Büroarbeit, Steuer, Werbung, Kalkulation etc. Alles Dinge, die vom „coolen“ Laden genauso gemacht werden müssen wie vom „spießigen“ Großbetrieb. Dazu kommt, dass man ein Hobby ganz anders erlebt, wenn es zum Beruf wird. Wenn du dich neun Stunden am Tag mit Musik beschäftigst, bist du froh, abends nichts mehr davon hören zu müssen.
„Die Welt in der Miese und die Punker am Lachen. Ganze Staaten am Schnorren und klar, die schämen sich nicht“ (aus: „Too doof to fuck“). Ist eine Band wie PASCOW, die beinahe alles alleine macht, betroffen von Finanzkrisen, sei es von den echten oder den abstrakten, die eh keiner versteht? Oder: Lohnt sich eine Band überhaupt finanziell?
Alex: Finanziell lohnt sich eine Band wie unsere nicht. Wenn es gut läuft, decken wir die Kosten für den Bus, die Platten und die Aufnahmen. Wenn es super läuft, bekommt unser Schlagzeuger sein Becken bezahlt, weil er die aus purer Leidenschaft ständig kaputt kloppt. Wenn es mies läuft, muss jeder aus der privaten Tasche was in die Bandkasse legen. Aber was soll’s, der Sportverein kostet auch jeden Monat Mitgliedsbeitrag. Zur Finanzkrise: Wir sind nicht davon betroffen.
Ollo: Mit der Musik Geld zu verdienen ist für uns keine Motivation, deswegen gehen wir ja auch alle „nebenher“ arbeiten. Gleichzeitig steht aber auch bei uns schon ein gewisser Kostenapparat dahinter: Bus, Studiokosten etc. Wenn wir von der Musik leben könnten, hinter der wir alle stehen, wäre das aber auch nicht das Schlechteste auf der Welt.
„Dreh ich jetzt ein Ding oder dreht das Ding an mir? Bin ich schon durch?“ (aus: „Ich bin dann mal durch“). Auch wegen der latent retro-new-wavigen Ausrichtung des Songs: Wie viel Zeitgeist will und darf man als Punkrock-Band in seine Musik integrieren? Wie innovativ kann eine Musik überhaupt sein, die gerne mal als Gegenentwurf zu den „Dinosaurier-Bands“ der Siebziger missverstanden wurde und wird, sich aber im Gegensatz zu denen bis heute unverändert hält?
Alex: Wir sind keine experimentelle Band und über Innovation machen wir uns keine Gedanken. Wir wollten nie kreativ sein im Sinne von neuen Sounds oder neuen Songstrukturen. Vielleicht könnten wir das auch gar nicht. Unsere Songs sind ja erst mal sehr klassisch, um nicht zu sagen konservativ, aufgebaut. Zwei Strophen, zwei bis drei Mal der Refrain, drei bis vier Akkorde, eine Gitarrenmelodie, das war’s. Mehr braucht ein guter Song erst mal nicht. Wer es schafft, diese Strukturen aufzubrechen und dann einen guten Song aus neuen Mitteln macht, vor dem ziehe ich den Hut und ich kann mich dafür begeistern. Wenn aber neue Mittel nur der Mittel wegen einsetzt werden und es nicht gelingt, einen ordentlichen Song daraus zu machen, ist es oft langweilig und berührt mich nicht. Das war sicher auch ein Grund, warum die „Dinosaurier-Bands“ der Siebziger mit ihrem Firlefanz von kleinen Punkbands an die Wand gespielt wurden. Wenn man all das Getöse wegstreicht, bleibt nur noch der Song und wenn der nichts zu sagen hat, bleibt außer den fetten Arrangements nichts mehr. Zudem bin ich der Überzeugung, dass es nicht planbar ist, den Zeitgeist zu treffen. Ob dies der Fall ist, wird eh erst im Nachhinein, manchmal Jahre später entschieden. Ich glaube nicht, dass die RAMONES an den Zeitgeist gedacht haben, als sie ihre erste Platte aufnahmen. Und wie viel Zeitgeist in der Platte steckte, ist doch erst in den letzten Jahren so richtig klar geworden. Willst du heute als Band mit Gewalt auf den Zeitgeist setzen, ahmst du Bands nach, die diesen Zeitgeist geprägt haben. Du kannst sie niemals überholen.
Ollo: Dieser Song beziehungsweise der NDW-Touch ist auch eher zufällig entstanden. Wir fanden das aber alle gut, da es zu dem Song passt. Kurt Ebelhäuser hat das im Studio auch öfters wie folgt ausgedrückt: „So etwas macht man heute nicht mehr ... aber komm, ihr dürft das, ihr scheißt ja eh auf alles.“ Diese Absolution von ihm zu erhalten hat mich schon etwas stolz gemacht.
„Was passiert mit der Horde von Seelen, wenn man Facebook verlässt?“ (aus: „K.O. Computer“). Aus der Sicht als Band, für die Szenekontakte nötig als auch erwünscht sind: passen sich die Neuen und die Jungen den alten Szenestrukturen an oder nutzt man als Alter deren Netzwerke?
Alex: Wir machen beides. Ollo ist unser Mann für die neuen Netzwerke und sorgt dafür, dass die Band dort präsent ist. Dafür bekommt er von uns anderen auch immer mal wieder Lack, aber er zieht das durch und meistens sind wir nach einer gewissen Zeit auch froh, dass er sich um diese Sachen kümmert. Flo und ich sind mehr die altbackenen Herren, die auf die alten Strukturen abfahren. Swen braucht wahrscheinlich weder das eine noch das andere. Er hat seine Gitarre und wenn ein Song gut ist, kann ihm die Welt den Buckel runter rutschen. So einfach kann das sein. Ich beneide ihn dafür.
Ollo: Das Web 2.0 kann schon sehr nützlich sein, wenn es darum geht, Informationen auszutauschen und Leute zu erreichen. Aber das Angebot an Bands ist dort natürlich auch enorm und mir fällt es auch nicht immer leicht, die Flut an Input zu verarbeiten, die dort auf einen einprasselt. Meine persönlichen Accounts habe ich auch fast alle wieder gelöscht.
„Willst du denn wirklich jetzt noch fahren? Da hinten kommt der Tag gerannt. Wir haben uns bei dir getroffen. Unter deinem Küchentisch“ (aus: „Je ne sais pas wo’s lang geht“). Habt ihr den Moment erlebt, an dem man sich fragt, wie lange das mit dem Nacht-zum-Tag-Machen, dem adoleszenten permanenten „Carpe diem“-Verlangen noch so weitergehen kann; wann man denn und ob überhaupt erwachsen wird?
Alex: So etwas fällt vor allem auf, wenn du auf Veranstaltungen bist, die zu einem Großteil aus sehr jungen Leuten bestehen. Dann mussten wir schon ein paar Mal grinsen und haben uns gefragt, was wir eigentlich hier machen. Zum Glück ist dies noch nicht die Regel und wir treffen immer wieder auf Gleichaltrige oder Ältere.
Ollo: Ich glaube, wenn man das einige Jahre durchgezogen hat, ist es auch nicht mehr ganz so spannend wie am Anfang und man sucht sich andere Sachen, die einem Spaß machen oder einen herausfordern. Nicht jedes Gespräch morgens um fünf an einer Theke ist automatisch super interessant, aber so ganz ohne geht’s wohl auch nicht.
„Legenden sterben, Helden gehen, Idole stürzen 2010, in Wahrheit schmeißt du sie jetzt raus“ (aus: „Herz“). Will man wirklich der ewige Punkrock-Berufsjugendliche bleiben, der in Bands spielt, in Fanzines schreibt oder sonst irgendwie in der „Szene“ aktiv ist oder reicht es irgendwann?
Alex: Mit „Beende deine Jugend“ haben die BOXHAMSTERS das ja mal ganz gut benannt. Die Jugend ist vorbei, war gut oder mies, kommt aber definitiv nicht wieder. Und wahrscheinlich ist das auch gut so. Nur das mit dem Aussehen ist echt beschissen. Das wird im Laufe der Jahre leider nicht besser. Aber sonst? Vieles sehen wir heute anders als vor zehn Jahren und es wäre schlimm, wenn dies nicht so wäre. Es gibt viele Leute aus der Szene, die immer noch was zu sagen haben, denen man gerne zuhört und die ihr Ding durchziehen, ohne dass es peinlich wirkt. Du und dein „Chef“, ihr seid ja auch nicht mehr die Allerjüngsten und trotzdem habt ihr was zu sagen, was nicht rüberkommt wie die Haltung eines gealterten Jugendlichen. Oder Frankie Stubbs oder meinetwegen Jens Rachut, die machen ihr Ding und sind dabei alles andere als peinlich. Deren Musik hat sich im Laufe der Jahre sicher verändert, ist aber immer authentisch und echt und man kauft es denen auch ab, dass sie so sind, wie sie sind. Natürlich gibt es auch genug Gegenbeispiele, aber die gibt es überall, nicht nur bei Bands oder Fanzinern. Vielleicht haben wir selbst auch irgendwann mal keine Lust mehr auf den Zirkus und hauen komplett aus der Szene ab, das wird aber nichts mit dem Alter zu tun haben.
„Und mit dir Zen-Börsen-Planer wollt’ ich mal zu Slayer fahren ...“ (aus: „Deine Bastards“). Ist der Vorwurf, seine Ideale verraten zu haben, manchmal zu schnell gemacht, wenn sich jemand auf andere Art (weiter-)entwickelt als man selbst?
Alex: Oder umgekehrt? Wird dieser Vorwurf im Alter vielleicht viel zu selten gemacht? Stellt man irgendwann einfach keine unbequemen Fragen mehr, des lieben Friedens willen? Vielleicht weil man selbst seine Ruhe haben will und eigene Entscheidungen und Entwicklungen nicht rechtfertigen möchte? Ich bin mir da zumindest nicht ganz sicher. Und warum muss es zum guten Ton des Älterwerdens gehören, sich von früheren Idealen zu verabschieden?
„Wenn dir am Ende der Zweifel dann noch Wille bleibt, ist alles gut und ich werd’ dich verstehen“ (aus: „2,5 Minuten echte Gefühle“). Zwölf Jahre PASCOW: hättet ihr das am Anfang gedacht? Denkt man darüber nach, ob noch weitere zwölf möglich oder wünschenswert sind?
Alex: Wahrscheinlich müsste ich jetzt so was sagen wie „Nein, das hätten wir nie für möglich gehalten und sind froh, dass bla ...“ Aber so ist es nicht. Wir haben aus einer Laune heraus damit angefangen, hatten weder Ziel noch Plan und seitdem ging alles seinen Weg. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir mal ernsthaft darüber gesprochen haben, wie lange wir das noch machen sollen, und von daher kann ich auch echt nicht sagen, was in zwölf Jahren sein wird. Ehrlich gesagt wüsste ich auch nicht, was ich sonst noch machen sollte. Ich kann ja sonst nichts.
Ollo: Wenn du uns in zwölf Jahren zu unserem achten Studioalbum interviewst, haben wir alle entweder etwas falsch oder alles richtig gemacht. Wir werden sehen.
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