PASCOW

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Alex und der Hörsturz

Im Februar 2024 mussten PASCOW ihre Tour abbrechen: Alex hatte einen Hörsturz. Wegen der Musik. Nichts ging mehr. Ein existenzielles Thema für uns alle, die wir – laute! – Musik machen, hören, lieben. Wie kommt es zu einem Hörsturz, was kann man tun, um den verhindern? Ein Gespräch mit einem, der ungewollt zum Fachmann dafür wurde.

Alex, wann hast du erstmals bemerkt, dass du dem Thema Hörvermögen Aufmerksamkeit schenken musst?

Einen Hörsturz hatte ich zum ersten Mal vor 18 Jahren. Das ist auch bei einem Konzert passiert, beim Soundcheck. Ich habe, total blöd, meinen Kopf über die Monitorboxen gestreckt, um zu hören, ob die funktionieren. Und in dem Moment steckt der Tonmensch das Kabel des Monitors ein, es gab einen lauten Knall, und so hatte ich zum ersten Mal einen Hörsturz. Seitdem habe ich auch einen Tinnitus, aber zum Glück nicht so schlimm. Ich wurde damals mit Infusionen behandelt und nach ein paar Tagen war das auch schon wieder relativ normal. Aber seitdem habe ich so ein leichtes Pfeifen auf dem Ohr und es ist bei mir ein Thema – aber eines, das man schnell vergisst und verdrängt. Da vergisst man dann auch mal den Gehörschutz, auch bei Konzerten, die ich selbst besucht habe, und denkt sich, ist ja nicht so schlimm, das Fiepen wird am nächsten Tag schon wieder weggehen.

Mein Kenntnisstand in Sachen Hörsturz ist, dass es dafür nicht zwingend laute Musik braucht, das kann auch beim schlimmen Kotzen nach dem Saufen passieren ...
Es kann durch alles Mögliche ausgelöst werden, auch durch Stress oder du wenn dir im Rücken was verdreht hast. Es gibt ganz viele Ursachen, es kann auch eine Begleiterscheinung von anderen Krankheiten sein. Aber es kann eben auch durch zu viel Lärm ausgelöst werden, und das ist bei mir zweimal passiert. Mein Lebensgefährtin hat das etwa durch Arbeitsstress bekommen, bei ihr war das dann relativ schnell wieder weg. Ein Hörsturz ist ein kurzzeitiger Hörverlust oder eine starke Beeinträchtigung des Hörvermögens, und Tinnitus kann auch ein Symptom sein. Aber nicht jeder Hörsturz ist ein Tinnitus, das sind zwei verschiedene Sachen.

Wie erkennt man, dass man einen Hörsturz hat, wie macht sich so was bemerkbar?
Also das merkst du schon ... Bei mir war es beide Male so, dass ich auf einem Ohr nichts mehr oder nur noch sehr wenig gehört habe. Das ist dann, wie wenn dir jemand eine Decke aufs Ohr legt, du hörst nur noch ganz wenig und nur bestimmte Frequenzen. Bekannte von mir haben das ähnlich geschildert. Ungefähr wie bei einer fiesen Erkältung, nur extremer. Da fallen bestimmte Frequenzen weg, und bei mir waren es die mittleren Frequenzen, die brauchst du, um Gespräche oder Geräusche im Straßenverkehr wahrzunehmen. Es kann auch die ganz hohen Frequenzen betreffen, was typisch für Musiker ist, die ständig lauter Musik ausgesetzt sind. Die verlieren irgendwann das Hörvermögen bei hohen Frequenzen. Das merkst du aber über Jahre nicht, weil das sukzessive geschieht und du diese ganz hohen Frequenzen im Alltag nicht brauchst.

Urlaub im Süden, irgendwer sagt: Oh, die Grillen zirpen. Und die andere Person antwortet: Welche Grillen?
Ganz genau! Es wird dann beim Ohrenarzt beim Hörtest festgestellt, dass die oberen Frequenzen weg sind. Das kommt aber auch mit dem Alter. Bei Musiker:innen passiert das aber oft früher.

Ein Tinnitus ist etwas, das viele Menschen plagt. Was ist das?
Das ist ein Ton, der im Ohr entsteht, aber faktisch gar nicht da ist. Das ist eine Sinnestäuschung, und man weiß auch gar nicht genau, wo und wie das entsteht. Zumindest ist das mein Kenntnisstand. Mir hat das ehrlich gesagt bei der Therapie ganz gut geholfen, als mir die Ärztin sagte, der Ton ist eigentlich nicht da, der entsteht nur im Gehirn oder im Ohr. Mit diesem Wissen konnte ich damit entspannter umgehen, weil ich vorher immer gedacht habe, da ist irgendwas im Ohr, ein Ton, aber das ist gar nicht so. Da gibt es verschiedene Therapieformen, doch manchmal geht der Ton einfach nicht mehr weg. Aber das Gehirn kann lernen, diesen Ton auszublenden. Das war bei mir beim ersten Hörsturz, beim ersten Tinnitus auch so, der ist über die Jahre immer leiser geworden, nur wenn ich nachts im Bett lag, habe ich ihn noch gehört. Wenn ich ihn hören wollte, war er noch da. Und das Gehirn kann lernen, diesen Ton auszublenden, so wie man auch Gespräche anderer ausblenden kann.

Ist Tinnitus etwas, das zwar unangenehm ist, womit man aber irgendwie klarkommen kann, der Hörsturz aber etwas, das einen tatsächlich schmerzhaft beeinträchtigt?
Genau. Dieser Hörverlust bringt einen ganzen Rattenschwanz an Folgen und Beeinträchtigungen mit sich. Es bedeutet Stress, was wieder zu weiteren unangenehmen Folgen führen kann. Es ist eine enormen psychische Belastung, vor allem, wenn du dich irgendwie mit Musik beschäftigst. Du musst kein Musiker sein, sondern einfach jemand, der gerne Musik hört, was ja bei den meisten Menschen der Fall sein wird. Und du weißt nicht, ob dein Hörvermögen noch mal zurückkommt. Das führt dann zu Schlaflosigkeit, und das wiederum dazu, dass du permanent gereizt und müde bist. Das ist schon sehr, sehr unangenehm, und viele, viele Ärzt:innen verschreiben deshalb in dieser Phase Antidepressiva, damit man nicht noch tiefer in ein Loch fällt und gleich noch andere chronische Krankheiten entwickelt.

Was war diesmal der konkrete Auslöser? Ich habe euch einen Tag vor der Tourabsage in Bochum gesehen, und ich weiß nicht, ob es Einbildung war, aber du wirktest an dem Abend schon relativ unentspannt auf der Bühne ...
Ja, ich glaube, Bochum war tatsächlich etwas unentspannt, was aber nichts mit dem späteren Hörsturz zu tun hatte. Es war der erste Tourtag, es waren viele Sachen noch unklar, es waren super viele Leute da und wir hatten an dem Tag super viele Termine, da war ich einfach nicht so locker. Das war am Tag später in Heidelberg ganz anders. Das Konzert war gefühlt viel lockerer und ich würde auch sagen, einfach besser. Aber der konkrete Grund für diesen Hörsturz war dann, dass in Heidelberg nach ein paar Songs mein In-Ear-Monitoring kaputt gegangen ist. Ich habe nichts mehr gehört, also musste ich Ersatz bekommen. Wir spielen mit In-Ears, um das Gehör zu schützen, weil es damit in der Regel viel leiser ist, als wenn du die anderen über die Monitorboxen hörst.

Für die Nicht-Fachleute: In-Ears sind Ohrstöpsel, wie man sie quasi auch zum Musikhören hat, die dir die anderen Instrumente statt über die Monitorboxen als direktes Signal in die Ohren geben.
Ganz genau, und das kannst du selbst regeln. Du hast da so ein kleines Gerät am Gürtel hängen, da kannst du die Lautstärke einstellen und es so laut machen, wie das für dich passt. Das ist eine feine Sache , die eigentlich dafür da ist, um die Ohren zu schützen. Die sind auch individuell angepasst, das heißt, es wird ein Abdruck des Gehörgangs abgenommen und dann werden diese Kopfhörer dem Ohr nachgeformt. Wenn du die einsetzt, hörst du nicht nichts mehr oder nur noch ganz wenig. Das ist am Anfang seltsam, wenn du Konzerte spielst und du hörst vom Publikum wirklich gar nichts mehr, das ist total strange, weil du ja kein direktes Feedback von Zuschauern mehr wahrnimmst. Das kann man dann ändern, wenn man extra Mikrofone aufstellt, so dass du das Publikum darüber hörst, „Atmos“ nennt man diese Mikros. Das funktioniert auch wirklich gut und ist dann viel entspannter.

Aber dann kam Heidelberg ...
... wo meine In-Ears kaputt gegangen sind. Ich habe Ersatz-In-Ears bekommen, die habe wir für jeden dabei. Allerdings waren die nicht dem Ohr angepasst und sind durch den Schweiß immer wieder rausgerutscht. Das hat dazu geführt, dass ich die, um überhaupt irgendwas hören zu können – wir haben ja keine Monitorboxen mehr –, ultra laut machen musste. Wenn die am rausflutschen waren, habe ich sie lauter gemacht, damit ich noch ein bisschen was höre. Aber wenn ich sie wieder richtig ins Ohr reingesteckt habe, war es viel zu laut. Nach einer halben Stunde Konzert war das passiert, und dann habe ich die eine Stunde lang immer wieder reingedrückt und es war mega laut, dann sind sie rausgefallen, es war zu leise ... Das Konzert war echt gut, ich stand total unter Adrenalin und habe mir keine großen Gedanken gemacht. Aber nach dem Auftritt habe ich so eine halbe Stunde später gemerkt, dass ich ein ultralautes Fiepen auf den Ohren habe. Dann sind wir nachts losgefahren und ich hätte in dem Moment niemals gedacht, dass damit ein Tourabbruch eingeleitet worden war. Am nächsten Tag bin ich in Linz aufgestanden und beim Frühstück habe ich gemerkt, dass ich auf dem einen Ohr nichts höre. Ollo sagte sofort, das lassen wir abchecken. Und dann sind wir in Linz in die Notaufnahme, und die hatten zum Glück einen HNO-Arzt im Krankenhaus und so wurde der Hörsturz festgestellt. Ich hatte nur noch 30 oder 40% Hörvermögen auf dem einen Ohr. Die haben gesagt, das muss sofort behandelt werden mit einer Cortison-Therapie. Das ist wohl das, was man heute meistens macht bei einem Hörsturz.

Was macht das Cortison? Ich habe neulich noch was dazu gelesen, dass das was mit dem Unterdrücken des Immunsystems zu tun hat.
Ja, dadurch wird die Immunabwehr des Körpers runtergedrückt. Das heißt: Nach dieser Cortison-Behandlung bist du viel anfälliger für alle möglichen Arten von Erkrankungen, Viren, Bakterien und so weiter. Und genau das ist bei mir dann auch passiert. Zunächst hat mir das Cortison super geholfen, nach drei Tagen habe ich fast wieder normal gehört. Ich habe immer online so einen Hörtest gemacht, da konnte ich täglich sehen, wie das Hörvermögen zurückkommt. Die Cortison-Therapie lief zwei Wochen, ich hatte diverse Nebenwirkungen davon und durfte mich in der Zeit keinem Lärm aussetzen – deswegen der Tourabbruch. Ich war eigentlich auch bald wieder auf dem Damm, wir haben wieder angefangen zu proben mit neuen In-Ears. Das hat alles gut funktioniert, und auch mein Tinnitus, den ich fast zwanzig Jahre hatte, ist seitdem definitiv leiser oder fast weg. Also der wurde durch die Cortison-Therapie ebenfalls in irgendeiner Weise behandelt.

Aber die war auch nicht ohne, wie du mir im Vorfeld schon erzählt hast ...
Nein, das Cortison war positiv, was den Hörsturz betrifft. Aber es hat bei mir auch dazu geführt, dass meine Immunabwehr herabgesetzt wurde, und so habe ich seitdem erst eine Influenza bekommen und danach noch Gürtelrose, was ganz typisch ist für für diese herabgesetzte Immunabwehr. Und das ist richtig ätzend gewesen. Ich habe jetzt beides überstanden, aber das war so ein Rattenschwanz, weil ich sechs Wochen lang ständig krank war. Und jetzt muss ich noch eine Immunaufbautherapie machen. So ein Hörsturz kann zu vielen weiteren unangenehmen Krankheiten führen. Daher kann ich euch nur den Rat geben, alles zu tun, um so einen Hörsturz zu vermeiden.

Ist das Gehör nach so einer Therapie „repariert“, so wie ein gebrochener Knochen wieder zusammenwächst?
Das kann dir, glaube ich, keiner so wirklich sagen. Die Ärztin sagte mir direkt, wir machen diese Cortison-Therapie, wir wissen aber nicht, wie die anschlägt. Das ist bei jedem unterschiedlich. Es kann sein, dass das Hörvermögen wieder komplett zurückkommt. Es kann aber auch sein, dass es nur zu 80% zurückkommt. Es kann sein, dass ein Tinnitus bleibt, aber das weiß niemand, und danach ist das Ohr auf jeden Fall angegriffen. Das ist künftig ein Schwachpunkt. In den ersten Wochen habe ich auch gemerkt, sobald irgendwas Stressiges war, dass mir immer sofort das Ohr „zugegangen“ ist. Das ist zum Glück mittlerweile nicht mehr so. Aber da habe ich gemerkt, das Ohr reagiert irgendwie darauf. Das ist, glaube ich, wie bei einem Burnout. Da heißt es, man ist danach nie wieder so stressresistent, wie man es vorher war. Ich reagiere auf Lautstärke seitdem viel sensibler als vorher, auch wenn das Hörvermögen komplett zurückgekommen ist. Man weiß nicht genau, was das Cortison mit dem Ohr und im Gehirn anstellt, damit das so gut bei Hörsturz wirkt. Aber es wird eben gemacht, und ich habe mich mittlerweile mit mehreren Leuten unterhalten, die einen Hörsturz hatten, die haben alle gesagt, das ist das, was am besten wirkt, besser als eine Infusion, die man früher gegeben hat.

Ich habe mir vor einigen Monaten neue angepasste Ohrstöpsel machen lassen, 280 Euro haben die gekostet, die nehmen 10 Dezibel weg, und das ist eine Menge. Viel Geld, klar, aber wenn man noch ein paar Jahre auf Konzerte gehen will, eine kluge Investition. Aber ich stelle fest, dass viele Leute dafür kein Verständnis haben, die stehen höchstens mit relativ wirkungslosen Schaumstoffstöpseln oder Papiertaschentuchfetzen da. Wie ist das unter Musikern, Musikerinnen? Redet man über das Thema? Ist man sich dessen bewusst?
Die meiste Zeit unseres Bandlebens war das kein Thema, und wenn, dann wurde es eher ein bisschen belächelt. Wenn jemand mal einen Tinnitus hatte, dann wurde schon mit Verständnis reagiert, aber bis dahin haben wir uns auch innerhalb der Band eher darüber lustig gemacht. Es gehörte irgendwie zum Rock’n’Roll- und Punk-Schick dazu, dass man nicht mehr gut hört. Du musst vor der Box stehen, die Schlagzeugbecken müssen klingeln und so weiter und so fort. Das ist schon auch so ein bisschen Mackertum, was eigentlich bescheuert ist.

Man zeigt seine Kriegsverletzungen unter Veteranen ...
Ja, genau. Wer sein Gehör nicht geschädigt hat, der war nie wirklich dabei ... Was total doof ist, denn ein Gehörverlust ist wirklich ein Verlust, das kommt nicht wieder, dann bist du schwerhörig. Und damit ist ein Stück weit die Basis weg für das, was unsereins am meisten liebt. Unser Tontechniker Dan hat sich viel mit dem Thema beschäftigt, und der sagt, wir müssen dafür sorgen, dass wir und die Leute, die auf den Konzerten sind, geschützt werden. Das bedeutet nicht, dass die Musik unbedingt leise sein muss. Aber es gibt bestimmte Frequenzen, die machen das Ohr kaputt, und die müssen und sollen auf der Bühne nicht sein, und die müssen auch im Publikum nicht sein. Das ist zum Beispiel das typische Beckengeklingel, also die Becken vom Schlagzeug, das sind Frequenzen, die im Ohr Stress auslösen können. Ollo hat sich daher schon andere Becken besorgt, die nicht ganz so krass sind. Ich stehe auf kleinen Bühnen direkt vor seinen Becken, und und die Leute in den ersten Reihen kriegen das genauso ab. Gerade in kleinen Clubs sollte man seine Ohren schützen. Es gibt ja Leute, die gehen viel öfter auf Konzerte, als man als Musiker mit seiner Band Konzerte spielt. Für die ist es existenziell, das eigene Gehör zu schützen. Ich halte diese Eigeninitiative für wichtiger als Regelungen für Clubs. In der Schweiz etwa gibt es mittlerweile eine recht krasse Lautstärkebegrenzung bei Konzerten. Das bringt bestimmt auch was, aber ich glaube, es sollte sich jeder selbst schützen, weil das Lärmempfinden bei jedem anders ist. Es gibt Leute, die halten laute Musik gut aus und fühlen sich dadurch nicht gestresst. Eine optimale Regelung für alle, daran glaube ich nicht. Und irgendwann kommt man ja auch in den Bereich, wo etwas fehlt, der Druck fehlt. Mit Hörschutz spürt man ja noch den Druck, aber das geht verloren, wenn man die Lautstärke generell stark begrenzt. Dann ist ein Konzert irgendwann wie im Zimmer laut Musik hören.

A PLACE TO BURY STRANGERS oder MOGWAI lärmreduziert ... das möchte ich sicher nicht. Mit Ohrstöpseln ja, unbedingt, aber ich will den Druck, die Musik körperlich spüren.
So ging es mir mal bei HIGH ON FIRE im Exil in Trier, das vergesse ich nie. Das hast du physisch gespürt, du hast es wirklich mit dem ganzen Körper gemerkt, wie laut die waren. Diese Lautstärke, das war so krass, also das hatte auch was. Aber man muss sich dann schützen und es ist dumm, es nicht zu machen.

Du hast gerade erwähnt, dass ihr das Thema Hörschutz in der Band durchaus diskutiert. Aber wie ist das mit anderen Musikern? Ist es ein uncooles Thema, über das man nicht wirklich redet? Macht da jeder für sich was oder welche Diskussionen mit Kollegen gibt es?
Das hat sich sehr gewandelt in den letzten zehn Jahren, quasi mit dem Aufkommen von den In-Ears wurde das immer mehr ein Thema. Wenn du anfängst, Musik zu machen, ist es „cooler“, sich nicht zu schützen, einfach Vollgas zu geben, aber im Laufe der Zeit wird es zum Thema. Man trifft mittlerweile überall auf Leute, die sich damit schon mal auseinandergesetzt haben. Es gibt wenige Bands, die damit gar keine Erfahrung haben. Und es wird inzwischen auch nicht mehr belächelt. Es hat sich ein Bewusstsein entwickelt dafür, dass nicht alles, was laut ist, automatisch gut ist oder mehr knallt. Aber nach außen wird darüber kaum geredet, was man ja auch daran sieht, dass es bei euch im Heft noch nie was dazu gab. Und man bekommt es auch sonst maximal dadurch mit, dass in Clubs oder auf Festivals am Einlass kostenloser Hörschutz ausliegt. Die Aufklärung ist da noch am Anfang.

Vielleicht lasst ihr euch demnächst einfach mal von einem Gehörschutzhersteller sponsorn. So wie Alkoholsucht und Leberzirrhose als Folge von Alkoholkonsum als individuelles Pech angesehen werden, fällt wohl auch ein Hörsturz infolge von zu lauter Musik eher in die Rubrik persönliches Schicksal. Es ist Teil der Rockmusik-Folklore.
Das Spiel mit dem Feuer gehört überall dazu. Man hofft, dass es einen selbst nicht trifft.

„Noise for the sake of noise“, „Everything louder than everything else“ – das sind Sätze, die jede:r kennt. Lautstärke ist ein konstituierendes Merkmal unserer Musik.
Das hat auch seine Berechtigung, Lautstärke gehört dazu. Aber es gehört auch dazu, für sich zu entscheiden, wie weit man das mitmachen kann und ab wann es einem nicht mehr guttut. Dieses Bewusstsein muss geschärft werden, das gibt es keine Regel, wo der Spaß aufhört und wo die die Gefahr anfängt. Das muss jeder für sich selbst entscheiden.

Wie sieht dein Leben nach dem zweiten Hörsturz aus in Sachen Proben, auf die Bühne gehen und selbst Konzerte besuchen?
Dieser Vorfall hat das Bewusstsein bei uns in der Band und in der Crew neu definiert. Wir haben seither für jeden von uns wirklich gute Ersatz-In-Ears besorgt, also nicht irgendwelche günstigen, die nichts bringen in der Live-Situation. Die Erkenntnis war, dass jeder von uns mindestens zwei Instrumente und zwei Verstärker dabei hat und bei allem ist für Ersatz gesorgt, nur bei den In-Ears, die auch pro Satz 800 bis 1.000 Euro kosten, da haben wir gespart, da sollten als Ersatz die günstigen für 100 Euro reichen. Das war eine Fehlentscheidung. Und ich habe einen Limiter auf den In-Ears. Selbst wenn ich es wollte, könnte ich die nicht mehr so laut machen, dass sie schädlich sind für meine Ohren. Auch bei den Gastsänger:innen achten wir darauf, dass sie gute In-Ears bekommen und damit geschützt sind.

Wenn man diese In-Ears pro Person dann in doppelter Ausführung mit 2.000 Euro veranschlagt, kommen da pro Band auch mal 8.000 bis 10.000 Euro zusammen. Das muss man sich leisten können ...
Absolut! Aber Ollo hat da irgendwann ein Machtwort gesprochen, denn ich hatte gesagt, ich gehe nicht mehr auf die Bühne, wenn ich keinen adäquaten Ersatz habe. Er sagte, in diese Situation könne ja jeder von uns kommen, also scheiß drauf, dann müssen wir das Geld eben aufbringen. Und klar, das ist, da gebe ich dir recht, super viel Geld. Aber die meisten Gitarristen haben zwei, drei Gitarren oder noch mehr, die haben mehrere Amps. Ich bin nicht so der Gitarren-Nerd, mir reicht eigentlich ein Set-up. Aber Sven, und der ist da keine Ausnahme, wenn der auf andere Gitarristen trifft, reden die pausenlos über Gitarren, Amps und Boxen. Die meisten Gitarristen besitzen sehr viel Ersatz-Equipment, dafür ist auch Geld da. Und es gibt In-Ears für den Einstieg, die etwas günstiger sind und mit Sicherheit auch ihren Job machen. Mittlerweile gibt es nicht individuell angepasste, die kommen mit sechs verschiedenen Aufsätzen und die passen dann auch. Da tut sich gerade eine Menge. Und vor allem: Wenn du viel spielst mit deiner Band, ist es eine Investition, die sich lohnt und die Sicherheit gibt.