Vor rund zwanzig Jahren erschien das erste PASCOW-Interview im Ox, davor hatte der aus dem Saarland stammende Ox-Praktikant Jörkk M. uns lange mit seiner Schwärmerei von dieser 1998 gegründeten Band aus Gimbweiler weichgeklopft. „Richard Nixon Discopistole“, 2002 erschienen, konnte dann auch mich überzeugen. Der Rest ist fast schon ... Geschichte: Es folgten fünf weitere Alben, mit „Sieben“ ist nun das – ja – siebte erschienen, und das hier ist das siebte PASCOW-Interview im Ox, die dritte Coverstory nach „Diene der Party“ 2014 und „Jade“ von 2019. PASCOW haben sich in dieser Zeit zur, und ja, das ist ein Lob, Konsensband entwickelt, die musikalisch, textlich und ästhetisch konstant die Spannung hält, die live immer grandios abliefert. Wer sie stoppen könnte? Nur sie selbst, fast hatten sie das vor „Jade“ getan, wie in der Doku „Lost Heimweh“ von 2017 zu sehen. Und natürlich, die Pandemie. Während dieser, Anfang 2022, entstand das neue Album, das nun erschienen ist, wieder in Zusammenarbeit von Rookie Records und dem von Sänger und Gitarrist Alex betriebenen Kidnap Music-Label. Weiterhin spielen Alex’ Bruder Ollo Schlagzeug, Swen Gitarre und Flo Bass. Ich fuhr für das Interview nach Trier, wo Ollo wohnt und wohin auch Alex aus dem Tante Guerilla/Kidnap-HQ St. Wendel anreiste.
Wir sitzen hier in einer Hotel-Lobby in Trier. Von vielen anderen Bands, auch größere Punkbands, kennt man als Musikjournalist solche „Pressetage“ in den „Medienstädten“, wo dann den ganzen Tag lang in Hotels oder Cafés Interviews gegeben werden. Habt ihr so was nie gemacht?
Ollo: Nein, das ist das erste Mal. Selbst persönliche Interviews sind für uns eher die Ausnahme, höchstens mal auf Tour.
Alex: Früher lief das immer per Mail, dann ab der letzten Platte vermehrt mit Skype und jetzt eben per Zoom. Persönlich nur auf Tour, den Rest, wo wir dann wirklich mal face to face zusammen saßen, kann man an einer Hand abzählen.
Ich bekomme ja mit, was für andere Bands so an PR-Kampagnen aufgefahren werden, und da bin ich schon verwundert, dass Bands, die live ein ganzes Stück weniger Zulauf haben als ihr, sich viel größer aufstellen. Da muss man es auch ins Feuilleton schaffen, damit alle zufrieden sind. Ihr seid da irgendwie immer im DIY-Modus. Braucht ihr das nicht für euer Ego oder interessiert sich einfach niemand von diesen „großen“ Medien für euch?
Ollo: Beides. Das Feuilleton fragt selten bis gar nicht bei uns an, was auch vollkommen okay ist. Es ist aber auch nicht so, dass wir oder Rookie, unser Label, sich darum bemühen würden. Wir verweigern uns nicht, aber wir versuchen das auch nicht. Wir laufen einfach ein Stück weit unter deren Radar. Für viele sind wir einfach immer noch so eine klassische Deutschpunk-Band.
Alex: Wir waren noch nie ein hippes Thema. Manche Musikmagazine hatten uns lange gar nicht auf dem Schirm, und manche Leute waren überrascht, wie viele Leute zu unseren Konzerten kommen oder wie viele Platten wir verkaufen können und so. Wir laufen wirklich bei vielen unter unter dem Radar, die beschäftigen sich gar nicht mit uns. Dazu passt, dass wir noch nie von irgendeinem Label eine Anfrage hatten, ob wir bei denen unterschreiben wollen.
Ollo: Und bei Rookie-Jürgen habe ich selbst angefragt.
Alex: Wir wurden auch schon mal gefragt, wieso seid ihr nicht schon bei Label XY. Tja, a) wollten wir es nie, und b) hat auch niemand gefragt.
Also gab es bei euch noch nie den Moment, wo ihr euch dachtet, warum wird jetzt diese Band gefragt und nicht wir? Seid ihr einfach zufrieden, so wie es ist?
Ollo: Nee, Ehrgeiz gibt es schon in der Band. Davon würde ich uns überhaupt nicht freisprechen. Das fängt bei uns bei der eigenen Arbeit an, dass wir den Anspruch haben, musikalisch und textlich besser zu werden. Ich habe da vor kurzem auch drüber nachgedacht. Und früher hat man sich auch öfter mal gefragt, warum dürfen die jetzt auf diesem oder jenem Festival spielen und wir nicht. Aber irgendwann hat man dann auch seinen Frieden damit gemacht. Und das Bedürfnis, zu einem Majorlabel zu wechseln, also das gab es noch nie. Es gab mal den Moment, wo wir überlegt haben, ob wir das hauptberuflich machen sollten, mit allen Konsequenzen, die das mit sich gebracht hätte. Aber dann haben wir uns entschieden, wir lassen es so, wie es ist. Wir haben aber auch gar nicht die Zeit, uns permanent Gedanken darum zu machen, denn mit Arbeit, Familie und sonstigen Sachen, die neben der Band herlaufen, sind wir gut ausgelastet. Im Sommer 2022 war es mit Konzerten teilweise so, dass Sonntagabends oder Montagmorgens der Nightliner in Trier ankam, ich kurz nach Hause gefahren bin, geduscht habe und dann zwei Stunden später im Büro saß. Da kommst du nicht auf den Gedanken, eine Platte auf Universal rauszubringen, du bist mit ganz anderen Themen beschäftigt.
Und einen Nightliner für die Wochendgigs könnt ihr euch auch so leisten.
Ollo: Das können wir uns selber leisten, ja. 2017/18 hatten wir einen Moment, wo wir erkannt haben, wir können dieses Tempo mit der Band nebenberuflich nicht mehr durchhalten, wenn wir nach den Auftritten am Abend am nächsten Tag noch 500 Kilometer Auto fahren müssen. Dann funktioniert das nicht mehr mit Arbeit und Familie parallel zur Band. Mit dem Nightliner haben wir jetzt oft die die Gelegenheit, Donnerstag, Freitag und Samstag Konzerte zu spielen und trotzdem Sonntagmorgens zu Hause zu sein und noch was mit der Familie machen zu können. Das entspannt die Situation total. Wenn wir auf Tour gehen, ist das Urlaub vom Job. Bei Bands, die das hauptberuflich machen, ist es der Job. Die kommen nach Hause und machen Urlaub, aber wir kommen nach Hause und gehen wieder arbeiten. Deswegen ist dieser Nightliner der Luxus, den wir uns echt gerne leisten, weil er das Ding am Laufen hält.
Alex: Um auf deine vorherige Frage zurückzukommen: In den ersten ersten zwei, drei Jahren der Band hätten wir gerne mit irgendjemand zusammengearbeitet, aber uns wollte niemand. Ollo, ich und Swen waren damals aber schon überzeugt davon, dass das, was wir machen, nicht scheiße ist. Wir waren uns sicher, es ist nicht schlecht. Und dann haben wir uns gedacht, egal, wir ziehen das jetzt durch, und wenn es sonst keiner macht, dann machen wir es selber. Da war von Anfang an also auch so eine Trotzhaltung: Wir warten auf niemanden mehr, nachdem uns am Anfang keiner wollte. Haha, anfangs wollte ja nicht mal einer bei uns Bass spielen. Als es irgendwann mal losging, hatten wir bereits die Erfahrung gemacht, wir brauchen ja auch niemanden. Diese Haltung haben wir bis heute. Wenn uns keiner unterstützt oder wenn keiner was für uns macht, dann machen wir es selbst. Mittlerweile gehen wir damit mit viel Humor um, und wir sehen ja, wo andere Bands stehen und wo wir stehen, wie es mit Konzerten und Platten läuft.
Der „EA80-Effekt“. Die haben keine Website, geben keine Interviews, und trotzdem stehen da 500 Leute vor der Bühne. Das kapieren manche auch nicht. Ich halte das für wunderschönes Understatement. Das konterkariert die Großkotzigkeit manch anderer Bands etwa mit Management hier und wichtigtuerischer Promo da völlig.
Ollo: Wir haben über die Jahre innerhalb der Band, also gerade Alex und ich, eine Struktur geschaffen haben, wo wir Hilfe von außerhalb nur bedingt brauchen. Wir haben lange unsere Konzerte selber gebucht. Und Alex ist von seinem Sozialpädagogenjob irgendwie in dieses Label-Thema reingerutscht. Die wichtigen Entscheidungen trifft immer die Band allein, das hat uns sehr geholfen und uns unabhängig von anderen gemacht.
Das Ox-Interview von 2002 finde ich in dieser Hinsicht sehr lustig. Genau genommen hat sich in den zwei Jahrzehnten seit damals nichts geändert: Alex macht immer noch Tante Guerilla und Ollo arbeitet für Popp Concerts.
Ollo: Doch, Alex sieht nicht mehr so gut aus, wie er es früher von sich behauptet hat, hahaha.
Ihr sagtet gerade, ihr hättet die Band nicht zum Beruf gemacht. In gewisser Weise ist das aber ja doch der Fall mit eurem eigenen Label Kidnap Music und dem Mailorder Tante Guerilla, den Alex betreibt. Und Ollo ist als lokaler Konzertveranstalter mit eigener Firma selbständig.
Ollo: Mit der beruflichen Weiterentwicklung hat sich das mit der Band parallel entwickelt. Man hat immer geschaut, welchen Nutzen oder welchen Input, den ich beruflich habe, kann ich für die Band nutzen. Und umgekehrt hat man die Erfahrungen aus dem Bandleben genutzt, das haben wir nie strikt getrennt. Und bis heute greift da viel ineinander.
Alex: Gerade wir zwei haben immer geschaut, dass die Band in unserem Beruf stattfinden kann, und umgekehrt, dass der Beruf genug Zeit lässt, diese Band weiter zu nach vorne zu bringen. Bei den anderen beiden ist das anders, die würden nicht so einfach ihr Alltagsleben aufs Spiel setzen, um mehr mit der Band zu machen. Wir beide aber hatten das wohl immer schon in uns drin, unser Vater war ja auch selbständig. Der hat Häuser gebaut, der hatte eine Baufirma. Was es bedeutet selbständig zu sein, das haben wir früh mitbekommen. Also selbst Ideen nach vorne zu bringen und davon im besten Fall zu leben.
Ollo: Dazu gehört auch, nie eine Nine-to-five-Mentalität erlernt zu haben, denn das gab es bei uns zu Hause nicht, das haben wir nie kennen gelernt. Das macht es uns heute aber einfacher, damit umzugehen, dass man auch mal mehr Arbeit hat.
Mein engerer Bekanntenkreis besteht zu einem guten Teil aus Leuten, die so Typen sind wie ihr und ich, also Leute, die selbständig sind, die eine kleine Firma haben ... Einerseits sind wir sehr selbstbestimmt, andererseits schaffen wir es bisweilen aber auch nur sehr gut, uns unsere „Ketten“ wegzudenken. Wir tun immer total Punkrock, aber aus der Sicht des Finanzamts ist das völlig scheißegal, Hauptsache, die Steuerzahlung ist pünktlich. Wir sind eigentlich viel mehr Rädchen im System, als wir vielleicht wahrhaben wollen.
Alex: Also radikal alternativ sind wir nicht. Mir ist das bewusst geworden, als ich Auszubildende hatte und ihnen erklären musste, dass wir letztlich auch nur einen Job machen. Ob wir im Supermarkt Nudeln verkaufen oder bei uns Platten, das System ist das gleiche. Wir kaufen ein und schlagen unsere Marge drauf, wie jedes andere Geschäft auch. Da ist mir dann bewusst geworden, so ganz alternativ kann das gar nicht sein. Die Ware ist eine andere und die Überzeugung und die Ideologie, die dahintersteckt, sind andere. Aber die Strukturen sind auf jeden Fall vergleichbar.
Ollo: Es hängt immer vom Standpunkt ab. Ich habe Leute in meinem Bekanntenkreis, für die habe ich wahrscheinlich gar nichts mehr mit Punkrock zu tun: Verheiratet, zwei Kinder, leite ein Unternehmen, spiele in einer Punkband und führe im Grunde ein bürgerliches Leben. Ja, ich habe es mir selbst ausgesucht und ich fühle mich auch sehr wohl in dieser Rolle, mit Familie etc. Andererseits gibt es Leute, die meinen Lebensstil überhaupt nicht nachvollziehen können, die voll in so einem Unternehmer-Business-Lifestyle sind. Die verstehen nicht, wieso ich Konzerte vor 500 Leuten spiele und dafür das ganze Wochenende unterwegs bin. Oder warum ich mich jede Woche zwei Stunden ins Auto setze, um Proben zu gehen. Klar, die Zeit könnte man auch im Marketing Club verbringen oder sonst wo.
Was macht dann letztlich den Unterschied aus bei dem, was wir tun? Was unterscheidet euch, uns von den „normalen“ Leuten? Was machen wir besser oder anders?
Ollo: Ich habe noch nie irgendwo anders gearbeitet als da, wo ich jetzt arbeite. Von daher kann ich die Frage nur bedingt beantworten. Es ist in vielerlei Hinsicht eine Einstellungssache. Zum Beispiel veranstalte ich Konzerte, von denen ich genau weiß, dass ich damit kein Geld verdiene. Aber ich finde es wichtig, dass diese Sachen stattfinden. Ich nehme dann eben das Geld, das ich mit größeren Konzerten verdient habe, und stecke es in diese kleinen Shows. Auftritte vor 100 oder 50 oder 25 Leuten, da komme ich her. Neulich habe ich WONK UNIT veranstaltet, darüber freue ich mich mehr als über ein Konzert, von dem ich vielleicht einen halben Monat das Büro finanzieren kann. Der Unterschied ist für mich, dass nicht immer alles auf die BWL-Goldwaage gelegt wird, dass das Geld, das was man verdient, ein Stück weit in diese Szene zurückfließt.
Alex: Es sind die Werte, die wir vorleben können. Bei mir in der Firma – ohne da ins Detail zu gehen – verdienen alle relativ das Gleiche, egal ob jemand studiert hat oder Quereinsteiger ist. Und dann ist es wie bei Ollo diese „Kulturförderung“, die wir bei unserem Label machen. Namen wie PASCOW und THE BABOON SHOW finanzieren die Releases anderer Bands mit. Für Kidnap Music hatten wir noch nie einen Businessplan. Wir machen auch mal Platten, weil wir total Bock haben, die Platte zu machen, und obwohl wir wissen, dass wir nicht mehr als 200 Exemplare davon verkaufen werden. Wenn der Deal für die Band okay ist, wenn alle wissen, dass wir nix damit verdienen, dann machen wir das trotzdem. Wenn die Band das nicht okay findet, dann machen wir es halt nicht. Aber wir würden nie sagen, wenn wir auf irgendwas Bock haben, wenn es sich nicht lohnt, machen wir es nicht. Ich glaube, das unterscheidet uns von anderen Unternehmen. Also dass wir andere Werte haben und dass diese Kultur einen höheren Stellenwert hat.
Ollo: Wenn wir kleinere Shows haben, dann kochen wir auch teilweise selbst in der Firma für das Catering. Das ist quasi genauso organisiert, wie wir vor 25 Jahren irgendwo in einem Juze eine Show veranstaltet haben. Man ist selber plakatieren gegangen, kocht selber, sitzt an der Abendkasse und drückt der Band nachher irgendwie 150 Euro in die Hand. Man trinkt fünf Bier und hat einen großartigen Abend gehabt. Das ist immer noch der Charme, der sowohl das Bandleben als auch die Arbeit ausmacht. Es ist ja nicht so, dass es immer die großen Shows sind, die die geilsten sind. Oft sind es eher die kleinen Shows, wo Zeit ist für das Zwischenmenschliche, wo du mal eine Viertelstunde mit dem Künstler in Ruhe reden kannst. Das ist der Unterschied.
Alex: Oder nimm dieses ganze Fairtrade-Ding, das kommt ja auch aus dem Punk. Und vegetarische und vegane Ernährung, Bio-Klamotten usw. Das ist mittlerweile überall. Aber noch vor zehn Jahren war das schwieriger, und auch, Öko- und Fairtrade-Klamotten zu bekommen zum Bedrucken. Das war bei uns immer schon ein Thema, da ist die Punk-Szene schon ein Vorreiter.
Man muss also ins Detail gehen, um die Unterschiede zu erkennen.
Ollo: Genau. Dir ist ja rechtlich ein gewisser Rahmen gegeben, in dem du arbeiten kannst. Inhaltlich aber kannst du in deiner Firma eine Menge gestalten, das ist dir ja alles selber überlassen. Dem Finanzamt ist es scheißegal, ob du mit Punkplatten handelst oder Rolex-Uhren.
Alex: Was ist die Alternative? Die radikale Alternative ist es, am Finanzamt vorbei zu arbeiten. Das ist natürlich schon ein ... großer Schritt. Oder ... ich erinnere mich, als ich mit dem Label angefangen habe, da hat mal jemand, der schon lange dabei ist, zu mir gesagt hat, dass überall, wo ein Barcode drauf ist, das ist kein DIY mehr. Das ist der Teufel. Im Barcode steckt der Teufel ... Es gibt tatsächlich auch heute noch bei uns Bands, die sagen, sie wollen keinen Barcode auf dem Cover haben. Also nicht aus ästhetischen Gründen, sondern die sagen, nee, dann ist es nicht mehr DIY.
Da können wir jetzt direkt mal einen Bezug zum neuen Album herstellen. In „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ kommt die Textzeile „Palmöl, Fake News, Amazon“ vor. Wie sehr kann man sich als Label und als Band da rausziehen, wenn ihr hier schon Amazon als eines der Übel der Welt benennt?
Alex: Die Vinyl-Edition gibt es nicht bei Amazon oder bei MediaMarkt, die gibt es nur über den sogenannten „Indiepool“ unseres Vertriebs. Das hat auch den Grund, dass sich Vinyl immer mehr zum Spekulationsobjekt entwickelt hat in den letzten Jahren und uns das ziemlich auf den Sack geht. Irgendwie werden aber sicher wieder Platten bei Amazon landen, wenn auch nicht über Amazon direkt, aber es gibt ja Anbieter, die sie über Amazon verkaufen. Und da hast du dann überhaupt keine Handhabe. In dem Stück geht es ja darum, dass man oft den Fehler im System erkennt, man aber selbst oft Teil des Problems ist. Das Problem zu erkennen, befreit einen nicht davon, ein Teil davon zu sein. Nach all den Jahren haben wir mittlerweile das Selbstbewusstsein und auch das Vertrauen in die Leute, so dass wir sagen, wir brauchen Amazon nicht. Zum einen, weil wir glauben, dass das der richtige Weg ist, nicht alles an Amazon zu geben und die DIY-Strukturen zu fördern. Zum anderen brauchten wir aber die Gewissheit, dass das trotzdem kein Desaster wird, dass also davon nicht das Label kaputtgeht oder die Veröffentlichung total verpufft. Das war natürlich auch ein Risiko, aber es kann nun auch eine Ermutigung an andere sein: Es hat uns nicht geschadet, es hat dieser Platte nicht geschadet. Amazon ist aber nur ein Beispiel, dieser Song ist ja eine Aufzählung von zig Sachen, die uns stören. Der Song hätte auch zwanzig Minuten lang Sachen aufzählen können. Es ist an jedem selbst zu entscheiden, welche Punkte man sich da rausnimmt. Wo setze ich an, wo verändere ich was? Es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was alles schiefläuft, und dann zu entscheiden, okay, ich kann nicht die ganze Welt ändern, aber gewisse Punkte. Es geht um diese kognitive Dissonanz, die jeder von uns hat und in der jeder lebt. Das ist der Inhalt dieses Textes.
Und rein zufällig ist der Titel von einem John Irving-Roman geklaut, äh, entliehen, zitiert, inspiriert ...
Alex: Sowohl als auch.
Für mich ist es irgendwie der Song zur „letzten Generation“.
Alex: Ja, daran musste ich auch oft denken in letzter Zeit. Es gab auch den Arbeitstitel „Die letzte Generation“ während des Songwritings. Damals war die Gruppe schon aktiv, aber noch nicht so präsent wie jetzt.
„Wenn der Quotenjunkie Welt dann gegen Minderheiten hetzt“ ist ein weiterer prägnanter Satz aus diesem Song. Mir scheint oft in Vergessenheit zu geraten, dass Die Welt keine Qualitätszeitung ist, sondern das im Axel Springer Verlag erscheinende und auf seriös machende Geschwisterblatt zu Bild. Wieso taucht der Name dieses Mediums hier konkret auf?
Alex: Genau aus dem Grund. Bild kennt jeder, als Punkband gegen die Bild zu schreiben, das ist nichts Neues. Die Welt als Zeitung zu nennen, dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen, damit jemand, der vielleicht nur die Bild als Feindbild kennt, auch mal schaut, wo kommt das her? Und zum anderen gab es da mal einen Bericht über die G20-Demos in Hamburg. Da haben die „Chaoten“ gezeigt und die hatten unser „Alles muss kaputt sein“-T-Shirt an. Den Artikel haben uns Leute geschickt, von daher gab es da so eine kleine Verbindung zu uns als Band. Die Welt ist ja noch viel gefährlicher als Bild durch diesen seriösen Anstrich, den die sich gerne verpassen.
Im Titel von „Himmelhunde“ steckt auch ein Zitat: „Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle“ – ein schöner Film mit Bud Spencer und Terence Hill.
Alex: „Himmelhunde“ ist, ich sage das ganz direkt, ein Song über Homosexualität. Den Begriff Himmelhunde fand ich total passend, und mit Swen haben wir den weltgrößten Bud Spencer-Fan in der Band. Von ihm ist der Song. Also gibt es da eine bandinterne Verbindung. Und gleichzeitig finde ich das Wort Himmelhunde total passend zu dem Thema des Songs.
Worum geht es in dem Lied?
Alex: Um den Moment der Erkenntnis, dass man als Mann einen Mann liebt.
Ollo: Und das mit aller Konsequenz, also wenn das Outing das Leben auf den Kopf stellt.
Alex: Genau. Es heißt da „So einfach kann es sein“. So einfach ist es natürlich nicht. Aber es geht um diesen Moment, wo es für einen Menschen dann klar ist: Okay, es könnte alles so einfach sein, wenn ich diesen Weg gehe. Und es wäre der richtige Weg.
„Denn ich, ich weiß jetzt wohin / Zum ersten Mal“ ... Darf ich ganz offen fragen: Ist das ein autobiografischer Song?
Alex: Nein, es ist nicht autobiografisch. Als ich den Text geschrieben habe, war ich ... wie soll ich das jetzt sagen ...? Also ich war total verunsichert, mich damit auseinanderzusetzen. Ich habe die anderen gefragt, ob ich das machen kann. Ich weiß, dass mich der Text total aufgewühlt hat. Mich hat das total beschäftigt und mitgenommen. Ich habe das total gefühlt. Klar, diese klassischen Liebeslieder, die es bei uns zuhauf gibt, die habe ich auch gefühlt, aber ich hatte da nie Bedenken, ob man das so bringen kann. Hier hatte ich Bedenken, weil ich merkte, ich verlasse hier meine Komfortzone. Ollo hat mich genau das Gleiche gefragt wie du. Wir waren im Studio und er hat den Text gelesen hat und mich gefragt: „Muss ich was wissen, hat das autobiografische Züge?“ Nein, hat es nicht. Aber es läge im Bereich des Möglichen.
Das ist natürlich genau der Kunstgriff, der jedem Künstler und jeder Künstlerin zusteht, also dass man etwas aus der Ich-Perspektive singt oder schreibt. Und dann natürlich diese Frage kommt: Ist das Fiktion oder real? Und das sind Situationen, in denen auch mal eine gewisse Verwirrung entsteht oder eine Unklarheit. Und dann kommen so Fragen wie meine. Zu dem Song gibt es ein Video, das ziemlich krass ist: Eine Autounfall-Szene, ein blutiger, überlebender Fahrer, verletzte Mitfahrer, die im auf dem Dach liegenden Auto regungslos in den Gurten hängen ... und am Schluss Benzin und ein Feuerzeug.
Alex: Die Idee kam von Andi, Andreas Langfeld, mit dem wir ja schon viele Jahre zusammenarbeiten. Andi kann sich sehr gut in so einen Song hineinversetzen. Als er mir seine Video-Idee anfangs geschildert hat, fragte ich auch, was hat das mit dem Song zu tun? Er hat das dann so euphorisch und so tief beschrieben habe, dass ich das auch gesehen habe. Die Handlung ist ja gar nicht an den Songtext angelehnt, aber auf einer metaphorischen Ebene passt das total gut, dieser Crash. Und der Schluss, ja, über den haben wir lange geredet. Den fanden wir schon krass, also dass der Protagonist das Auto anzündet und wir noch lebend im Auto sind. Das hätte man auch zu Ende erzählen können.
Man weiß nicht, was passiert. Man sieht ein Feuerzeug, man sieht eine Flüssigkeit. Aber nicht wie im schlechten RTL-Krimi eine gigantische Explosion.
Alex: Über das Video an sich waren wir uns ziemlich schnell einig, also dass wir das machen können, und natürlich mit einer Triggerwarnung am Anfang, denn wenn jemand Erfahrung mit Verkehrsunfällen hat, findet der das natürlich nicht gut. Wir sehen das ganz klar als Kunst. Und der Schluss ist auf jeden Fall streitbar aus unserer Sicht, aber auch nicht verwerflich.
Wer ist der Hauptdarsteller?
Alex: Der Hauptdarsteller ist Philipp Alfons Heitmann, ein Schauspieler aus Düsseldorf. Ein Profi.
Ihr habt also wie beim letzten Album mit Gwen eine Person ohne konkreten Bandbezug gewählt. Dieser Schauspieler taucht noch mal kurz im Video zu „Königreiche im Winter“ auf. Ganz am Anfang ist da eine Szene mit dem Autoschlüssel.
Ollo: Wir haben es gerne, wenn es solche Verbindungen gibt. Beim letzten Album „Jade“ war es Gwen, die optisch das verbindende Element in den Videos war. So eine Platte ist ja ein „Gesamtkunstwerk“. Und deshalb finde ich es spannend, wenn es in den dazugehörigen Videos verbindende Elemente gibt. Und da kam diese Idee, diese Szene zu haben, wo nach dem Unfall der Protagonist aus Video 1 diesen Schlüssel an den Protagonist aus Video 2 übergibt. Wie in so einem Episodenfilm, voneinander unabhängige Storys, die aber irgendeine Connection zueinander haben. Auch in weiteren Videos wird Philipp auftauchen.
Was hat es mit den beiden Kindern im Video zu „Königreiche im Winter“ auf sich?
Alex: Randständigkeit ist das Hauptthema der Platte. Und in diesem Fall wird diese Randständigkeit bei den Kindern durch Armut dargestellt. Eine Randständigkeit, die man nicht selbst gewählt hat und aus der man nicht so leicht rauskommt. Auf dem Cover von „Jade“ war eine junge Frau zu sehen, die sich mit Corpsepaint sozusagen selbst zu einer Außenseiterin gemacht hat – sie hat das selbst gewählt. Diesmal ist das Hauptthema der Platte eher die Stigmatisierung, die mit Randständigkeit einhergeht. Die Kinder auf dem Cover haben sich ihre Armut nicht selbst ausgesucht. Darin sehen wir die stärkste Verbindung zu den Inhalten der Texte, zum Hauptthema der Platte.
Was hat es nun genau mit diesen Fotos auf sich? Von wem sind die, von wann sind die, wen zeigen sie?
Alex: Diese Fotos sind von Dorothea Lange, aus der Great Depression in den USA in den 1930ern. Die Menschen in den Städten konnten sich damals nicht vorstellen, wie verarmt die Landbevölkerung war ...
Das war die Zeit, als Woody Guthrie politisiert wurde, der diese Armut im „Dust Bowl“ im Zentrum der USA miterlebte.
Alex: Genau. Damals war es so, dass die Regierung verschiedene Fotografen und Künstler in diese ländlichen Gebiete geschickt hat, mit dem Auftrag, diese Armut zu dokumentieren, damit die Leute glauben, dass es da so schlimm ist. Dorothea Lange war eine Fotografin, die in diesem Bereich super aktiv war und viele tolle Bilder gemacht hat. Von ihr also stammen diese Fotos.
Also sind es historische Fotos. Die sind so gut fotografiert, dass man nicht sagen kann, ob das aktuelle oder historische Aufnahmen sind. Im Booklet wird nur der Name der Fotografin genannt ...
Alex: Nein, einen Erklärungstext dazu gibt es da nicht.
Kinder auf dem Cover ... heutzutage werden Leute ja wegen allem getriggert. Und die einen hauen ständig Fotos ihrer Kleinen auf Instagram raus, andere vermeiden das völlig. War das auch bei euch eine Diskussion?
Ollo: Ja, das haben wir natürlich auch innerhalb der Band diskutiert, Alex und ich haben ja auch Kinder. Können und wollen wir das machen? Und wollen wir das genauso machen? Wir haben uns dafür entschieden, gerade weil es historische Fotos sind, aber auch völlig zeitlos. Die könnten heute genauso geschossen worden sein. Die Grundproblematik hat sich nicht verändert, wir leben auf einem Planeten, wo Armut ein vorherrschendes Thema ist und wo viele Kinder in Armut aufwachsen. Es ist natürlich diskutabel, ob das Leute auf dem Albumcover sehen wollen oder nicht. Aber das ist unsere Entscheidung, weil die Platte dieses Thema behandelt. Wir machen ja keine Popmusik, wo es um Bling-Bling und fette Bentleys geht.
Alex: Wir haben versucht, den dokumentarischen Charakter dieser Fotos zu erhalten. Es steht kein Bandname drauf, es sind einfach nur diese Fotos. Es wird davon keinen Merchandise geben, kein Backdrop, nichts. Hier wollen wir das nicht verwerten.
In „Monde“ heißt es: „Wenn die Städte alle gleich sind, gehen wir nicht mehr hin“. An diese Zeile musste ich denken, als ich vorhin hier in Trier aus dem Bahnhof kam und durch die Fußgängerzone lief. Nun ist Trier ja noch recht gut dran, weil es touristisch interessant ist, aber der Karstadt steht auch leer. Woher kam der Anstoß für diese Zeile, für diesen Text?
Alex: Als wir zu Anfangszeiten der Band zum ersten Mal aus dem Saarland rauskamen und in andere Städte gekommen sind, da waren wir total geflasht. Da gab es viel zu sehen, woanders sah es ganz anders aus, es gab Alternativen zu allem. Das hat sich im Laufe der letzten zwanzig Jahre ziemlich geändert. Und mittlerweile ist es egal, wo du hinfährst, die Innenstädte sind alle gleich. Das vermissen wir total, dass man in eine Stadt kommt und das Gefühl hat, diese Stadt ist ganz anders als die, in der wir gestern waren. Klar, was die subkulturellen Räume betrifft, da gibt es schon noch Unterschiede, aber generell muss man die Unterschiede viel mehr suchen als noch vor zwanzig Jahren.
Hättet ihr englische Texte, dann dürftet ihr auch mal im Ausland spielen, dann würdet ihr andere Städte kennen als die immer gleichen zwanzig deutschen ...
Ollo: Haha, ein treffendes Argument. Wir sind ja mit dem Tante Guerilla-Laden auch davon betroffen, wie sich Innenstädte verändern. Es ist eben so, dass sich inhabergeführte Geschäfte, so der Fachausdruck, in Innenstädten nicht mehr halten können, weil immer ein Konzern kommt, der einfach irgendeinen Preis bezahlt. Oder auch nicht. Wenn du in Trier durch manche Straßen läufst, hast du das Gefühl, dass Vermieter die Ladenlokale lieber zwei Jahre leerstehen lassen, als dass mal an der Miete was gemacht wird. Und Gewerbemieten sind ja nur ein Beispiel, das gibt es mit Wohnimmobilien genauso. Auch da wird es immer schwieriger, sich in der Stadt eine Wohnung zu leisten.
Alex: Der Song thematisiert auch, dass die Leute, Touristen, etwa in Hamburg oder in Berlin, diese Viertel mit ehemals alternativem Lifestyle, aber auch die mit einer gewissen Verelendung sehen wollen. „Cheap holiday in other people’s misery“, hieß das bei den SEX PISTOLS. Die wollen ganz nahe dort hin, wo der wirkliche Underground ist, das „Verderben“, und damit wird dann kokettiert oder sich daran ergötzt. Oder Leute kaufen Wohnungen in so einem Viertel: Wohnen im Loft, aber nah bei den Junkies.
So funktioniert Gentrifizierung eben auch: Erst kommen die Kreativen, machen nette Läden und Galerien in leere Ladenlokale in abgerockten, billigen Stadtteilen, alle finden das spannend – und dann kommen die Makler und letztlich können sich weder die Kreativen noch die Menschen, die schon ewig dort wohnen, den Stadtteil noch leisten.
Ollo: So ein Szene-Lifestyle macht das irgendwann interessant für jene, die nicht aus der Szene sind, aber sich in so ein Gebiet einkaufen können und und dann gerne damit brüsten, wie alternativ das da ist – aber trotzdem um 22 Uhr die absolute Ruhe haben wollen.
Was ist die Alternative? Auf dem Land in St. Wendel zu bleiben, weil man da nichts kaputtmachen kann?
Ollo: Die Alternative wird wahrscheinlich immer sein, kreativ zu bleiben und und sich dann was Neues zu suchen.
Wir sind vielleicht flexibel und können weiterziehen, während die Leute, die darauf angewiesen sind, in einem abgerockten Mietshaus eine billige Wohnung zu haben, nicht so einfach woanders hinziehen können. Die Leute sind einfach am Arsch, weil die kriegen nichts anderes mehr.
Ollo: Das Thema sozialer Wohnungsbau ist total wichtig. Aber was hier in der Region Trier gebaut wird, das hat mit sozialem Wohnungsbau überhaupt nichts zu tun. Das ist eine politische Aufgabe, das ist nicht die Aufgabe von uns dreien. Die gesamtgesellschaftliche Veränderung wird immer extremer. Auf der einen Seite hast du wenige Menschen, die einen extremen Reichtum anhäufen und auch während Corona immer reicher geworden sind. Und auf der anderen Seite hast du eine breite Masse, die immer näher an die Armutsgrenze rutscht oder schon arm ist. Das ist das Grundthema der Platte, und das ist die große politische Aufgabe unserer Tage. Diese Mittelschicht, die wird gefühlt täglich weniger.
Damit kommen wir zu „Von unten nichts Neues“, das für mich ein räudiger, alter Punk-Song ist. „Wir kriegen kein Haus am See mit Garten“, heißt es da – das Lied zur Generation Z, die sich nie aus eigener Kraft ein Haus wird leisten können? Und weiter heißt es: „Und wenn alt werden sich noch lohnt / Warum muss meine Mutter dann / Mit 74 Jahren noch ran / Und jeden scheiß Tag zur Arbeit gehen?“
Alex: Dieser Satz ist autobiografisch, da geht es um meine Mutter. Die hat in ihrem Berufsleben alle Höhen und Tiefen mitgemacht hat, von Selbständigkeit mit Wohlstand bis Arbeitslosigkeit. Einst totale Mittelschicht, alles gesettlet, aber jetzt mit fast 74 geht sie immer noch arbeiten. Da frage ich mich schon, wieso macht man das alles?
Ollo: Sie geht arbeiten, weil sie ihre Rente damit aufbessern muss. Sie nimmt nicht gern Hilfe an von außen, sie hat ihren Stolz, das war schon immer so. Um den Lebensstil zu führen, den sie führt, muss sie noch arbeiten gehen.Und wir reden nicht von einem ausschweifenden Lebensstil, sondern davon, einfach mal in den Urlaub zu fahren, mal essen zu gehen oder den Enkelkindern was zu kaufen.
Alex: Früher hieß es im Punk „no future“. So würde ich das heute nicht mehr sagen, aber die Zukunft ist nicht so rosig, wie man das gerne hätte. Davon zu reden, dass die Möglichkeiten unbegrenzt sind, dass jeder alles erreichen kann, das erkennen wir heute als Illusion. Dass es immer Leute geben wird, die das im Text erwähnte Haus am See kriegen mit allem Pipapo, ist klar. Aber die große Masse wird das nie erreichen. Und man selbst als Selbständiger macht sich ja auch so seine Gedanken, wie das später mal sein wird, mit Rente, Krankenversicherung und so weiter. Da sehe ich auch bei mir ein Armutsrisiko – und das, obwohl man bei allen Entscheidungen zum jeweiligen Zeitpunkt der Meinung war, das Richtige zu tun.
Ollo: Da kann man den Bogen zu dem Ox-Interview von 2002 spannen, was ich da zu meinem Studium sagte: Meine Motivation für das BWL-Studium war auch, dass, wenn ich es anders machen will, ich trotzdem wissen muss, wie dieses Spiel funktioniert. Bei Alex war ich in geschäftlicher Hinsicht auch schon hin und wieder des Teufels Advokat und war der, der sagte, du kannst das so machen, aber es ist halt scheiße. Wenn du weiter deine Päckchen zu diesem Preis verschickst, dann zahlst du bei jedem Päckchen drauf. Da geht ja nicht um Gewinnmaximierung, sondern darum, überhaupt am Ende des Jahres einen Gewinn zu haben und davon leben zu können. Um dieses alternative System überhaupt am Leben erhalten zu können.
Reden wir über ... Mailand. Reden wir über Städte. In „Tom Blankenship“ tauchen Prag und Kiel auf, in „Mailand“ Davos, Stockholm, London, Hamburg. Ist das die Platte der Städte? Und was hat das alles mit „La casa de papel“ zu tun, mit „Das Haus des Geldes“?
Alex: Städte kamen bei uns immer schon vor. Klar, wir sind immer im Saarland geblieben, aber wollten immer auch raus und fanden es spannend wegzufahren. Das ist unser Fernweh, das auf diesem Wege thematisiert wird. Damals „Trampen nach Norden“ auf der ersten Platte, auf der ersten Single der Song „Hamburg“, „Zuviel für Berlin“ von „Nächster Halt gefliester Boden“ Wir können eine ganze Latte an Songs nennen, die nach Städten benannt sind. Bei „Mailand“ ist der Name der Stadt nicht zufällig. Prag und Kiel, da wollten wir eine vermeintlich schöne Stadt und eine vermeintlich nicht so schöne Stadt nennen. Prag ist die schöne, die „goldene“ Stadt.
Ollo: Davos, da findet das Weltwirtschaftsforum statt. Und Hamburg spielt auf die G20-Riots an.
Alex: In Mailand geht es um den großen Zusammenbruch und wie die einzelnen Städte damit umgehen könnten. Davos haben wir, wie Ollo schon sagte, wegen des Weltwirtschaftsforums genannt und wie die Wirtschaft, speziell die Schweiz, aus allem noch irgendwie einen Gewinn machen kann. Wobei das in dieser Geschichte, die da erzählt wird, aber eben nicht funktioniert. Und London, das steht für Popkultur.
Aber es gibt keinen Bezug zu der Serie „Das Haus des Geldes“?
Ollo: Nee, das hatten wir gar nicht auf dem Schirm, dass die Personen da alle Städtenamen haben.
Ich habe noch einen Romanbezug gefunden. Jonathan Safran Foer. „Alles ist erleuchtet“ taucht als Textzeile in „Grüßt Eve“ auf.
Alex: Ich habe nur den Film gesehen, haha. Echt, da gibt’s ein Buch dazu? Diese Zeile, „Alles ist erleuchtet“ fand ich einfach schön. Bei „Grüßt Eve“ geht es um die Atomkatastrophe – das ist der Hintergrund für die „Erleuchtung“. Ich mag den Gegensatz zwischen der Katastrophe und der schönen Formulierung „Alles ist erleuchtet“.
Schätzungsweise wurde der Song geschrieben, bevor der Ukrainekrieg begonnen hatte und bevor die Russen anfingen, Atomkraftwerke zu beschießen, und bevor jemand das Wort Atombombe überhaupt in den Mund genommen hatte.
Alex: Genau. Wir waren genau in der Woche im Februar 2022 im Studio, als der Überfall auf die Ukraine begonnen hat.
Ollo: Wir haben deshalb einen Songtext komplett umgeschrieben, weil man ja nicht wusste, wie sich das alles entwickelt, und wir da etwas, nun, pietätvoller vorgehen wollten. Der Text von „Grüßt Eve“ stand aber schon vorher, der ist eher zeitlos, finde ich.
Alex: Auf einmal war die Möglichkeit eines Atomkriegs wieder total real. Während der Corona-Pandemie gab es ja schon mal dieses apokalyptische Achtziger-Jahre-Bauchgefühl, dass man Angst hatte, jetzt geht alles vor die Hunde. Daraus ist das entstanden. Bei der Pandemie kam aber irgendwann das Gefühl, okay, wir werden das alles überleben, es wird weitergehen. Doch dann kam auf einmal dieser Krieg ... Ich weiß noch, dass Swen im Studio, als wir das diskutierten, richtig Bauchweh hatte, dass man einen Atomkrieg thematisiert, weil das auf einmal so nah und so real geworden war. Da stellte sich die Frage, können wir angesichts eines drohenden Nuklearschlags darüber einen Song machen. Wir haben uns dann dafür entschieden, weil es ja keine „Verherrlichung“ des Themas ist.
Was hat es mit dem Text von „Die Unsichtbaren“ auf sich? Da heißt es: „Hunderttausend auf der Flucht / Weil der Krieg sie jagt / Auf dem Weg in den Westen / Noch am gleichen Tag / Wir haben es fast geglaubt“-
Ollo: Das ist der Text, den wir umgeändert haben. Der ist acht Stunden nach dem Überfall entstanden. Das war unser letzter Studiotag für den Gesang und dann war klar, entweder schreiben wir den um oder lassen den Song weg. Dann haben wir den umgeschrieben, das war eine direkte Folge des Erlebten.
Mein geheimer Hit auf der Platte ist „Vierzehn Colakracher“ mit der Zeile „Die Elite fickt Elite“.
Ollo: Gute Wahl!
Alex: Das ist ein szenekritischer Text. Im Grunde geht es darum: Wir sind damals in die Punk-Szene gerutscht, als wir selbst so ein bisschen zu Außenseitern wurden in der Schule, da wir mit allem irgendwie nicht mehr klarkamen. Das war unser Einstieg in die Punk-Szene. Die war so ein Sammelsurium von Gescheiterten und Losern und Abgefuckten.
Ollo: Zumindest hat man das damals so wahrgenommen. Man hat sich da willkommen gefühlt, genau so, wie man war.
Alex: Genau, es war total offen. Die unterschiedlichsten Kaputten waren Teil dieser Szene.
Ollo: Zumindest bei uns auf dem Dorf.
Alex: Die, die nirgendwo Halt finden, waren bei uns in der Szene willkommen. Aber in den letzten paar Jahren, und in der Corona-Zeit hat sich das noch mal verstärkt, hatten wir, hatte ich das Gefühl, dass die Barrieren immer höher gezogen werden, was den Zugang zu dieser Szene angeht. Man erwartet eine gewisses Maß an Bildung, man erwartet ein bestimmtes Wissen, und deswegen wird in dem Text diese Bildungsarroganz genannt. Ich habe das Gefühl, man schließt auf einmal ganz viele Leute aus, die vorher Zugang zu dieser Szene hatten. Das halte ich für eine ganz schlechte Entwicklung. Ich muss doch nicht mit jedem komplett einer Meinung sein, damit ich diese Person als Teil der Szene akzeptieren kann. Aber für meine Begriffe war es immer das größte Plus dieser Szene, dass man irgendwie Leute integriert hat, die sonst wenig Integrationsmöglichkeiten hatten. Also Leute, die in irgendeiner Form gescheitert sind. Das war für mich immer Grund, warum ich mich in dieser Szene am wohlsten gefühlt habe. Auch wenn die Leute sich manchmal total beschissen benahmen und auch mal von einem Konzert entfernt werden mussten. So ist das halt, das muss manchmal sein. Aber nichtsdestotrotz würde ich diesen Leuten nie absprechen, Teil dieser Szene sein zu dürfen. Und genau darum geht es in diesem Song. Also dass man irgendwelche „Zugangsbeschränkungen“ schafft und definiert, wer Teil dieser Szene sein darf und wer nicht.
In der Tat gibt es heute eine bisweilen recht scharfe Debatte darüber, wer diese Zugangsbedingungen wie definiert. Was ist „nicht Punk“, was ist „nicht erlaubt“? Diese Diskussion wird sehr hart geführt von manchen, und sie ist ihrerseits diskussionswürdig. Ganz abgesehen davon, ob ein Songtext im Einzelfall besonders klug ist oder eine Band generell smart ist oder nicht. Es ist letztlich ein Kampf um die Meinungsführerschaft und die Definitionshoheit.
Alex: Ich habe immer noch so diesen anarchistischen Background. Ich sage, ich kann nicht für jemand anderen bestimmen und ich kann nicht die Regeln setzen. Die muss jeder für sich selbst haben. Und es steht mir auch nicht zu zu sagen, du gehörst dazu und du nicht. Ich kann für mich diese Regeln vielleicht setzen, für mich etwas definieren. Aber ich kann mir nicht in dem Maße, wie es heute bisweilen der Fall ist, anmaßen zu sagen, du bist drin, du bist draußen. Das stört mich.
Ollo: Ich habe den Eindruck, dass sich heute mehr über Leute lustig gemacht wird als früher. Gerade in den sozialen Medien geht es oft sehr abwertend zu, weil Bildungslücken bestehen, weil Erfahrungslücken bestehen, was auch immer. Da wird nicht der Diskurs gesucht, um ein Problem zu lösen, eine gemeinsame Lösung zu finden, sondern man geht knallhart auf Konfrontationskurs und wirft dem Gegenüber vor, der sei dumm, unbelesen, ungebildet, zu jung, zu alt. Dabei ist es für alle Seiten besser, wenn man sich mit Respekt begegnet innerhalb dieser Szene, auch wenn es keinen Konsens gibt. Damals, diese Straight-Edge-Bewegung, die haben halt für sich definiert, wir finden diese Form von Musik geil, aber ohne Rumficken, Alkohol, Drogen. Aber das haben die ja nur für sich bestimmt. Heute, so stelle ich mir vor, würden da Leute sagen: „Ey, pass auf, im Punk wird nicht mehr rumgefickt, im Punk werden keine Drogen mehr genommen und wird kein Bier mehr getrunken. Wir sind jetzt alle bitteschön straight edge! Das ist jetzt Punk.“ Man versucht nicht mehr, wie das vielleicht früher war, sich seine Nische zu suchen und Leute auf seine Seite zu ziehen, sondern versucht, seine Attitüde anderen überzustülpen. Man maßt sich an zu definieren, was andere cool finden sollen oder was jetzt „State of the Art“ ist. Ist das der richtige Weg? Ist das ein Weg, um Menschen für eine Idee zu begeistern? Oder geht es nur um Konfrontation? Geht es darum zu zeigen, ich stehe moralisch über dir?
Alex: Ich denke, erst wenn man den anderen grundsätzlich akzeptiert, eröffnet man die Möglichkeit einer sachlichen Diskussion. Wenn ich jemanden von vornherein ausschließe, weil mir ein Aspekt seiner Haltung nicht gefällt oder ich einfach nur anderer Meinung bin, dann wird es niemals einen Dialog geben, der zu irgendwas führt, sondern dann ist von Anfang an dieser Weg verbaut. Ich finde, in der Sache kann man immer streiten, aber die grundsätzliche Akzeptanz des anderen, vor allem innerhalb der Szene, muss gegeben sein.
Gefühlt seid ihr als Band „everybody’s darling“. Oder gibt es auch negativ auf euch reagierende Menschen? Und wie geht ihr damit um?
Ollo: Wir sind nicht die Typen, die stark polarisieren. Dafür sind wir vielleicht auch, im positiven Sinne, zu gefällig. Oder eher: nicht exzessiv oder nicht extrovertiert genug. Wenn wir privat auf ein Konzert gehen, stehen wir halt nicht in der ersten Reihe und spritzen die ganze Zeit mit Bier, sondern stehen mit unserem Bier hinten in der Ecke und gucken uns das an, gehen danach wieder nach Hause und haben trotzdem einen schönen Abend gehabt. Vielleicht ist das ein Grund, warum wir nicht so anecken. Also richtig starke Konfrontationen oder Anfeindungen hatten wir selten.
Alex: So ganz früher mal hatten wir im Saarland den Ruf, dass sich die Leute bei unseren Konzerten gerne mal aufs Maul hauen. Da war unser Konzert auch mal der Soundtrack zu Prügeleien, auch wenn man sich das bei uns aus heutiger Sicht gar nicht vorstellen kann. Aktuell ist schon auch mal die Frage, wie geht man damit um, wenn wild getanzt, wird. Sollen wir was sagen auf der Bühne? Das sind Sachen, über die wir uns Gedanken machen. Wir versuchen immer, das „Konzerterlebnis“ zu verbessern. Wir reden vor dem Konzert mit der Security und sagen, es sollen diese und jene Regeln gelten. Ja, es ist okay, auf die Bühne zu kommen. Aber es ist nicht okay, wenn Leute mit den Füßen voran anderen ins Gesicht springen. Und wenn Frauen nur am Rand stehen können, weil es so wild ist, dann ist es auch nicht mehr cool. Das sind Bereiche, wo wir dazugelernt haben und Sachen anders sehen als vor zehn Jahren.
Sprechen wir über „Mailand“ mit diesen ... Synthie-Streichern?
Alex: Das sind richtige Streicher von einem Orchester aus Koblenz, ein Cello und eine Violine.
Ollo: Und es liegt noch eine E-Gitarre drunter, die das Gleiche spielt. Live werden wir das mit der Gitarre spielen. Jürgen von Rookie Records, unserem Label, fragte uns, als er das das erste Mal gehört hat, was für einem Gitarreneffekt wir da verwendet haben. Nein, kein Effekt, Cello und Violine.
Alex: Wir haben immer noch das Bild vor Augen, wie die beiden da im Studio sitzen und das einspielen. Wenn man es gesehen hat, ist es total klar, das sind echte Streicher. Aber wer nicht dabei war, kann das schwer verorten. Die meisten sagen Synthie oder Gitarreneffekt.
Ich habe mich im Vorfeld des Interviews hier und da über PASCOW unterhalten und fand heraus, dass euer letztes Album „Jade“ durchaus etwas polarisiert hat. Da kam der Satz, dass ihr da in zu rockige Gefilde abgeglitten wärt. Also geht es auch hier letztlich um die Frage: Ist das noch Punk ...?
Ollo: Ein Song bei uns besteht ja in der Regel aus dem musikalischen und dem textlichen Teil. Ich würde mal behaupten, dass der textliche Teil von „Mailand“ doch relativ klassisch Punk ist. Nur weil der musikalische Teil vielleicht ein Stück weit davon abweicht, ist es dann kein Punk mehr?
Alex: Damals, als „Jade“ entstand, war es Punk, keinen Punk zu machen, etwa Lieder wie „Wunderkind“ oder „Marie“. Wir sagten uns, scheiß drauf, wir machen das jetzt so, weil wir Bock darauf haben.
Ollo: Für uns war „Jade“ ein viel größerer Mittelfinger nach außen als alles, was wir vorher gemacht haben. Mit „Jade“ haben wir eine Kette unterbrochen, die wir mit „Nächster Halt gefliester Boden“ angefangen haben. „Nächster Halt gefliester Boden“, „Alles muss kaputt sein“, „Diene der Party“, das war eine musikalische Weiterentwicklung, aber immer auf der gleichen Autobahn. Mit „Jade“ haben wir gesagt, so, jetzt fahren wir hier mal von der Autobahn runter und schauen mal, was es daneben noch so gibt. Ich finde ja, diese Geradlinigkeit, die auf „Sieben“ vorhanden ist, die hätte es ohne diesen Ausbruch mit „Jade“ nie gegeben. Wir haben uns auf „Jade“ ausprobiert und das war sehr wichtig für uns. Ich weiß noch, wie ich abends in der Badewanne lag und da kam von Alex eine Nachricht, er schickt mir „Wunderkind“ und fragte, können wir das machen? Ich antwortete:,Ja, lass machen! Das Perfide ist: Wir wussten von vornherein genau, aus welcher Ecke es für „Wunderkind“ Kritik hageln wird. Und genauso ist es gekommen. Das ist so berechenbar. Ja, auf „Jade“ sind so ein paar mehr rockige oder fast schon Metal-artige Parts drauf, aber wir hatten da eben einfach Bock drauf. Vor 15 Jahren konnten wir das noch gar nicht spielen. Jetzt können wir es, also lasst es uns doch einfach mal machen. Müssen wir „Diene der Party II“ aufnehmen? Nein! „Jade“ war für uns deshalb sehr wichtig. Es gab natürlich einige, die fanden die am Anfang nicht so toll. Die haben uns dann Monate später eine Mail geschrieben und gesagt, sie hätten jetzt das Gefühl, diese Platte verstanden zu haben.
„Silberblick & Scherenhände“, was für ein epochaler Song! Den würde ich heute empfehlen, wenn mich jemand fragt, wie PASCOW denn klingen.
Ollo: Da hatten wir das erste Mal einen komplett weiblich gesungenen Refrain. Der Song ist sehr melodiös, und dass wir überhaupt einen gesungenen Refrain hatten, das war neu.
Alex: Ein langes Intro, die Instrumental-Parts ...
Ollo: Auf „Diene der Party“ hätte es das nicht gegeben.
Alex: Wir haben uns mit „Jade“ ein Stück weit freigeschwommen und konnten dann so völlig entspannt „Sieben“ schreiben. Wir wussten, wir können machen, was wir wollen, es funktioniert ja. Insofern war es gar nicht mehr notwendig, auf „Sieben“ mit großen Experimenten um die Ecke zu kommen. So konnten wir sagen, jetzt machen wir einfach, worauf wir Bock haben. Ja, es gibt hier Experimente wie die Streicher, aber die Songs sind alle total straight und einfach und im Verhältnis zu „Jade“ nicht verspielt.
Zu „Silberblick & Scherenhände“ gibt es mit „Königreiche im Winter“ und „Daniel & Hermes“ gewissermaßen zwei Fortsetzungen, weil das auch Duette sind. Wer singt da mit?
Ollo: Bei „Königreiche im Winter“ ist es Apokalypse Vega von ACHT EIMER HÜHNERHERZEN. Als Alex den Text geschrieben hatte, war klar, es bietet sich an, das als Duett zu machen, also so. Auf „Jade“ gab es ja auch zwei Songs mit Frauenstimmenbeteiligung. Uns war schnell klar, dass wir Vega fragen werden, ob sie das singen kann. Textlich ist es auch so ein bisschen eine Coming-of-Age-Story wie bei „Silberblick & Scherenhände“.
Alex: „Daniel & Hermes“, wo wie auch bei „Grüßt Eve“ und „Mailand“ Nadine Nevermore mitsingt, ist ein komplett anderes Thema. Für uns ist das ein Song, der hätte auch auf „Richard Nixon Discopistole“ drauf sein können, weil der diese ganz typischen PASCOW-Akkorde, hat, die allerdings auch tausend andere Bands genau so verwenden. Bei dem Song sind die musikalischen Raffinessen gleich null. Ach ja, bei „Monde“ und „Vierzehn Colakracher“ singt Hanna Landwehr mit.
Ihr habt da diese unfassbaren Refrain „True love will find you“. Der ist einfach wow!
Alex: Mit Daniel ist Daniel Johnston gemeint. Das ist der der Typ, der immer diese Tapes aufgenommen hat und von dem Kurt Cobain dann ein T-Shirt angezogen hat, wodurch der erst bekannt wurde. Der ist 2019 ziemlich verarmt gestorben, aber er hat bis zum Schluss Musik aufgenommen.
Ollo: Der hat Zeit seines Lebens mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen gehabt. Die zweite Person aus dem Lied ist Hermes Phettberg.
Alex: Es geht da um Songs und das Schreiben. Hermes Phettberg schreibt und veröffentlicht jede Woche noch seine Kolumne. Der schreibt auf einer Schreibmaschine und dann kommt ein Typ vorbei, der scannt die ab und stellt sie ins Internet. So, und das ist es auch mittlerweile. Dem geht es gesundheitlich nicht gut, aber er schreibt nach wie vor seine Kolumnen . Da gibt es also Parallelen. Während der Songwriting-Session haben wir ein Video geschaut von Daniel Johnston, als er mit irgendeiner anderen Band im Fernsehen aufgetreten ist. Der kam da im Schlafanzug an, hat gezittert und hat dann einen Song performt, den Songtext in der Hand. Der hat nicht gewartet, bis der Song vorbei war, der ging von der Bühne und hat die Band alleine weiterspielen lassen. Das ist so abgefahren, dass du davon Gänsehaut kriegst. Das war ein Moment, der zu diesem Song geführt hat, und der andere war, als ich feststellte, dass Hermes Phettberg, von dem ich dachte, er sei tot, noch lebt. Seitdem schaue ich mir immer mal wieder seine Kolumnen an. Irgendwie haben die beiden mich total beschäftigt, und da dachte ich mir, die bekommen zusammen einen Song. Das sind so Charaktere wie Roky Erickson, den wir ja auch schon mal in einem Song genannt haben. Diese Leute machen das nicht des Erfolges wegen, sondern wegen der Musik, wegen des Textes, das ist total unverfälscht.
Ollo: Es ist Kunst, die der Kunst wegen gemacht wird, nicht wegen des Erfolges oder zur Steigerung des persönlichen Status. Es ist Kunst, die entsteht ohne das Bedürfnis, sie kommerziell zu verwerten. Es ist für mich die höchste Form der Kunst, wenn du es aus dieser Intention heraus machst. Und genau darum geht es in diesem Song: Egal, wie scheiße es dir geht, du machst es einfach weiter, weil es vielleicht dein Lebenselixier ist.
Eine Frage an dich, Alex: Wie schreibt man Relevantes und nicht nur Kalendersprüche? Es gibt ja viele Bands, deren Texte wirken zunächst toll, aber bei genauer Betrachtung sind es nur Banalitäten, also Kalendersprüche, die sie absondern.
Alex: Also ich komme ja schon so ein bisschen von diesem Kalenderspruch-Thema ... So habe ich früher auch Texte geschrieben. Das waren vielleicht nicht die Kalendersprüche von Mark Forster, aber dann eben die von Jan Off, Charles Bukowski oder William S. Burroughs. Also was ich selbst in Filmen und Büchern aufgeschnappt habe, habe ich umformuliert und in Texte gepackt. Das habe ich viele Jahre gemacht, dann aber irgendwann festgestellt, dass es nicht meine Gedanken sind und auch, dass ich das nicht wirklich spüre. Das soll jetzt nicht pathetisch klingen, aber irgendwann habe ich gedacht, ich muss etwas von mir selbst schreiben. Und deswegen sind die Texte zumindest auf den letzten zwei, drei Platten immer autobiografischer geworden. Ich habe jetzt meine Mutter erwähnt in einem Text, das hätte ich vor zehn Jahren niemals gemacht. Dass ich das früher anders gemacht habe, war sicher auch eine Schutzhaltung. Und jetzt eben „Himmelhunde“, wo ich mich damit auseinandersetze, wie es wäre, wenn ich in einen Mann verliebt bin. Einen gewissen Mut muss man dafür haben, um sein Innerstes nach außen zu kehren. Aber wenn man das geschafft hat, entsteht was total Eigenes und im besten Fall auch was Neues. Ich mache mich damit auch angreifbar, klar. Solche „Kalendersprüche“ sind Gedanken von anderen, die man vielleicht auch irgendwie spürt, aber es sind nicht die eigenen Gedanken. Relevantes aber hat immer was mit einem selbst zu tun. Das ist der Unterschied.
Ollo: Auf dem Album sind autobiografische Themen, die man ja von außen gar nicht erfasst. Das kann nur ich entschlüsseln, weil wir zusammen aufgewachsen sind. Da sind wirklich Sachen dabei, die lese ich und da zucke ich zusammen. Weil ich diese Situation wieder spüre, weil da Gefühle hochkommen, wo ich denke, alter Schwede, das hat der jetzt nicht wirklich da reingeschrieben. Aber im gleichen Moment denke ich auch, okay, weiß ja keiner, wo das herkommt. Die Zeile „Rotwein mit Ei vorm Mittagessen“ aus „Königreiche im Winter“ ist auch autobiografisch ... Unser Vater ist an den Folgen des Alkoholismus gestorben. Samstagmittags beim Kochen ist die eine Hälfte der Flasche in der Bolognese gelandet, die andere Hälfte wurde getrunken. Le Rouge von Aldi in der Literflasche. Du liest das ... das ist so krass ... Du riechst es und du spürst es und man fühlt sich wieder in die Situation zurückversetzt. Unser Vater war ja nicht immer besoffen, aber du weißt, dass es eine Vorstufe dessen war, wie es dann geendet ist.
Die Frage ist: Will ich mich so nackig machen mit einem Songtext?
Ollo: Alex schreibt ja nicht: „Mein Vater hat sich jeden Samstag Rotwein reingekippt“, sondern es ist diese Anspielung. Viele werden sich fragen, was hat Rotwein mit Ei und Mittagessen zu tun. Die wissen nicht, dass man Eigelb mit Traubenzucker aufschlägt und mit Rotwein vermischt. Und natürlich löst so ein Text bei mir ganz andere Emotionen aus als bei jemandem, der der den Hintergrund nicht kennt, der vielleicht mal gelesen hat, man kann Rotwein mit Ei mixen. Das mit den Texten hat sich schon stark gewandelt bei uns, und es macht uns vielleicht ... angreifbarer? Aber so steht man aber auch mehr dahinter.
Alex: Ich empfinde es als Bestätigung, dass es nach der Veröffentlichung von „Königreiche im Winter“ schon einige Reaktionen gab. Zum einen von Leuten bei uns im Laden, aber es haben auch ein paar Leute geschrieben, so von wegen, ich weiß genau was du meinst, Vater haut ab und hat gesoffen und so. Da habe ich gedacht, krass, wie viele Leute ähnliche Erlebnisse hatten, die verstanden haben, was ich da schreibe. Das waren auch Leute, mit denen ich niemals über solche persönlichen Sachen geredet hätte, die sagten, das kenne ich genauso, oder: „Ich habe Gänsehaut, das ist genau wie bei mir zu Hause.“ Da hast du durch so einen Text irgendwie ein Tor geöffnet. Das finde ich gut, dann weißt du, das war richtig, du teilst deine Erfahrungen mit anderen.
Aber diese Einblicke muss man zulassen und sie muss sich Menschen auch erschließen. Mir ging es nach dem Interview mit Fat Mike so, dass ich mir dachte, wie falsch ich ihn manchmal eingeschätzt habe. Dann liest du noch mal die Texte durch und merkst, was der eigentlich gesagt hat.
Alex: Mir ist das bei der Cokie The Clown-Platte bewusst worden, die Videos konnte ich mir teils echt nicht anschauen. Aber seitdem nehme ich jeden Text von ihm komplett anders wahr. Und auch ihn als Person.
Das grafische Konzept eures Albums finde ich wie auch schon bei „Jade“ sehr gut umgesetzt. Wer ist dafür verantwortlich, wer hatte die Idee mit der Sieben?
Ollo: Die Ideen kommen grundsätzlich von uns, aber es ist Teamarbeit. Wir haben da ein paar Leute um die Band herum. Das ist Kay Özdemir, der mit seiner Firma Visual Attack zusammen mit Andi Langefeld die Videos macht. Und dann ist da noch André Nossek, der seit „Diene der Party“ für uns auch Grafiksachen gestaltet. Wir spielen uns Bälle hin und her und man versucht gemeinsam, was Cooles zu schaffen. Eine Grundidee kommt oft von Alex. Hier war es die, mit der Zahl sieben zu arbeiten.
Alex: Dieses Logo war eine Gemeinschaftsarbeit. Die Sieben kam von uns, Kay hat eine römische Sieben vorgeschlagen, und André hatte dann die Idee, das Logo so zu gestalten, wie es jetzt aussieht. Letztlich ist es dann André, der all unsere Ideen zusammenführt. Zugegebenermaßen erkennen wir seine Leistungen aber oft erst im Nachgang, wenn es konkret um unser Merch geht. Dann merken wir, dass alles, was er macht, total Hand und Fuß hat. Das sind oft nur kleine Details, an denen du merkst, dass das alles total stimmig ist. Und wie gut dieses Sieben-Logo überall funktioniert, haben wir erst jetzt gemerkt, als wir damit gearbeitet haben.
Wir sprachen anfangs über DIY. Nun findet sich auf eurer Platte neben den Labellogos von Kidnap und Rookie auch das der Initiative Musik und von Neustart Kultur. Die beiden letzteren sind da, weil ihr „Staatsknete“ bekommen habt. Warum habt ihr euch dafür entschieden?
Ollo: Zum einen wurden wir von außen angespornt, uns da zu bewerben. Ursprünglich hatten wir einen Antrag auf Tourneeförderung gestellt, das war 2020, im ersten Corona-Winter. Wir hatten da die „Blood, Swen & Tears“-Tour verlegen müssen und die Perspektive, die Tour im Frühjahr ’21 vielleicht mit Abstand und halber Kapazität zu spielen. Da hieß es, wir könnten das von der Initiative Musik fördern lassen. Die andere Komponente dieser Förderung war, sich eine Songwriting-Session fördern zu lassen – etwas, das wir noch nie gemacht hatten. Das hieß, einfach mal zwei Wochen lang ins Studio zu gehen und 16 Stunden am Tag an Songs zu arbeiten. Wir haben lange darüber diskutiert, ob das cool ist, das zu machen. Zu der Zeit hatten wir keine Ahnung, wie das mit Corona weitergeht – Alex selbständig, ich selbständig. Also haben wir beschlossen, das zu machen, aber mit der Tour wurde das dann trotzdem erst mal nichts. Wir hatten aber schon einen positiven Förderungsbescheid, also haben wir uns gedacht: Okay, dann können wir ja jetzt die Platte machen. Wir konnten den Antrag dann von Tour auf Platte umstellen und der wurde bewilligt. Vielleicht entspricht das nicht den höchsten DIY-Grundsätzen, aber ich finde da die Frage wichtig, was wir mit dem Geld gemacht haben. Wir haben uns davon nicht neue Gitarren gekauft oder so, sondern 90% ist ins Studio geflossen, um entspannter an dieser Platte arbeiten zu können.
Alex: Die Songwriting-Session war zweimal vier Tage, und zum Aufnehmen waren wir drei Wochen im Studio. Länger als jemals zuvor. Eine Woche etwa war nur Schlagzeug und Bass, und das war ein Luxus, den wir uns sonst nicht hätten leisten können. Wir haben da durchgehend gearbeitet, aber es war immer eine entspannte Stimmung, das kannten wir vorher nicht. Sonst hatten wir im Studio immer Zeitdruck. Kurt Ebelhäuser mit Assistent kostet eben ein bisschen Geld.
Ollo: Alex und ich haben ziemlich genau vor 25 Jahren das erste Mal zusammen im Proberaum gestanden, um PASCOW-Songs zu machen. Das ist jetzt das erste Mal, dass wir öffentliches Geld mit dieser Band verwendet haben. Ich finde, da muss man auch mal eine Lanze brechen für diese Art der Förderung. Ich finde, es ist okay, wenn der Staat auf diese Weise Geld in Subkulturen steckt, in Clubförderung und so weiter. Das Geld muss ja nicht immer zu Konzernen wie Kaufhof gehen.
Und es müssen auch nicht immer nur hunderte Millionen in die Elbphilharmonie oder die Kölner Oper fließen.
Alex: Aus meiner Labelsicht muss ich sagen, da sitzen gute Leute bei der Initiative Musik. Während Corona haben von den Bands auf unserem Label AKNE KID JOE, MAFFAY, LYGO etwas bekommen. Die haben alle tolle Platten gemacht, auch wegen der Initiative Musik. Die hatten alle kein Geld fürs Studio, weil sie keine Konzerte spielen konnten. So aber haben die es geschafft, eine wirklich schön ausgestattete Platte zu machen.
Ollo: Inhaltlich werden keine Fragen gestellt. Du musst einen Finanzplan einreichen, aber ob wir von dem Geld 48 Streicher bezahlen oder ob wir mit ungestimmten Gitarren 45 Minuten durchprügeln, ist denen egal. Du musst nur begründen, was du mit dem Geld machst, was du anders machst und was dein Ziel ist. Und das ist legitim. In Frankreich etwa hat das Thema Kulturförderung einen viel höheren Stellenwert und alle da finden es super, dass es das gibt. Und natürlich kann man darüber streiten, ob diese oder jene Band noch eine Platte finanziert bekommen muss. Genauso kann man darüber streiten, ob das öffentlich-rechtliche Fernsehen an Weihnachten ein Helene Fischer-Konzert ausstrahlen muss.
Alex: Es ist gut, dass die Initiative Musik keinen Einfluss nimmt auf die Kunst. Wenn das Konzept stimmig ist, dann geben die das Geld. Was die Bands und Künstlerinnen und Künstler damit machen, ist deren Sache. Würden die Einfluss darauf nehmen, wäre das eine ganz anderen Sache. Und auch die Evaluation, die da am Schluss gemacht werden muss, habe ich bei allen Bands gemacht. Manche haben die gesteckten Ziele erreicht, manche nicht. Das war aber nie ein Grund, eine Förderung zurückzuverlangen, was bei anderen Corona-Hilfen leider der Fall war.
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Diskografie
„Richard Nixon Discopistole“ (LP/CD, Plastic Bomb/Kidnap Music, 2002) • „Geschichten, die einer schrieb ...“ (LP/CD, Plastic Bomb/Kidnap Music, 2004) • „Nächster Halt gefliester Boden“ (LP/CD, Plastic Bomb/Kidnap Music, 2007) • „Alles muss kaputt sein“ (LP/CD, Rookie/Kidnap Music, 2010) • „Diene der Party“ (LP/CD, Rookie/Kidnap Music, 2014) • „Jade“ (LP/CD, Rookie/Kidnap Music, 2019) • „Sieben“ (LP/CD, Rookie/Kidnap Music, 2023)
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