Es gibt solche und solche Geschichtenerzähler. Zum einen sind da die, die sich eine Realität ausdenken und sich die Details hinzufantasieren. Zum anderen gibt es aber auch jene, die das Leben so hart getroffen hat, dass sie keine andere Wahl haben, als über ihr persönliches Schicksal zu reden.
Im Falle von Jeremy Bolm ist letzteres der Fall. War er mit seiner Band TOUCHÉ AMORÉ schon im Vorfeld dafür bekannt, sein Innerstes offenzulegen, so hat ihn dieses Mal der Krebstod seiner eigenen Mutter nicht loslassen können.
„Stage Four“ – Stufe vier Krebs, metastasischer Krebs, nicht mehr heilbar. Bolm wagt sich in den elf Songs auf eine enorm persönliche Art an die Beziehung zu seiner Mutter heran, die als Fixpunkt für die ganze Familie galt.
Wenn dazu seine Bandmitglieder jedoch mit weit positiveren Post-Hardcore-Sounds die Geschichten untermalen, kann man nicht aufhören zu zuhören. Bolm macht es dem Hörer leicht zu verstehen, was in ihm in dieser für ihn schweren Zeit vorging.
Er spricht von neuen Ebenen der Selbstreflexion und einem Abschied, den man nicht proben kann. Dabei fängt „Stage Four“ doch so positiv an – zumindest musikalisch: der Opener „Flowers and you“ klingt einfach schön.
Nun ja, zumindest bis der Gesang anfängt. Doch auf „Stage Four“ wird ja nicht nur einfach irgendeine Geschichte erzählt. Es ist ein ganz besonderes Album für die Band geworden, die sich hier auch stilistisch etwas Neues traut.
Zum Beispiel sind da neue Facetten im Gesang, der zwischen wütenden und verzweifelten Schreien aufbricht und Platz für cleane Parts lässt. Zum anderen findet sich mit „Skycraper“ ein Song auf „Stage Four“ der ein spezielles Feature zu bieten hat – mit Julien Baker ist eine Sängerin mit an Bord, durch die der TOUCHÉ AMORÉ-Sound bereichert wird.
Am Ende bleibt der Zwiespalt. Kann ich diese Platte losgelöst vom Hintergrund hören und gut finden? Definitiv ja. Die Musik von TOUCHÉ AMORÉ funktioniert so gut wie auf keinem der vorhergegangenen Alben und macht bestimmt jeden glücklich, der seine Freude etwa an PIANOS BECOME THE TEETH hat.
Laut Bolm ist dies lediglich das Ergebnis eines natürlichen Reifeprozesses, den niemand wirklich beabsichtigt hat. Überraschend ist es daher auch nicht, dass „Stage Four“ dieses Mal eine Spielzeit von mehr als einer halben Stunde aufweist.
Dass diese Platte nun auf Epitaph Records erscheint, verhilft der US-Band bestimmt dazu, eine noch größere Hörerschaft für sich zu begeistern. Dazu kommt, dass Epitaph mindestens ein Album veröffentlicht hat, das zu den Klassikern in jeder Musiksammlung gehört.
Und selbst wenn das bis jetzt noch nicht der Fall war, wird es sich mit „Stage Four“ schleunigst ändern. Trotz aller Schwermütigkeit ist es ein Album, das gute Chancen hat, zu den interessantesten des Jahres zu gehören.
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