TOUCHÉ AMORÉ

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Hinter dem Vorhang

Mit dem neuen Album „Lament“ gewähren die Kalifornier TOUCHÉ AMORÉ den Hörern einen Einblick in Jeremy Bolms Gefühlsleben seit der Veröffentlichung des Vorgängers „Stage Four“. Mit uns spricht der Sänger über seine Zeit nach dem Ableben seiner Mutter und darüber, wie es sich anfühlt, mit Ross Robinson in einer Gesangskabine zu stehen.

Setzte sich Sänger Jeremy Bolm auf dem 2014er Release „Stage Four“ textlich ausschließlich mit dem Tod seiner Mutter auseinander, so will das neue Album dem Hörer ein Update zu Bolms Gefühlswelt geben. „Es geht nicht mehr um den Verlust meiner Mutter im Speziellen, es geht eher darum, wie es mir nach all den Ereignissen ging, die ich auf ‚Stage Four‘ beschrieb. Ich möchte den Hörer auf dem Laufenden halten, wie mein Leben aussah seitdem.“

Die Songs nehmen eine hörbar positivere Grundhaltung ein als noch auf dem letzten Release. „Ich hatte ein richtiges Tief in meinem Leben und das über einen großen Zeitraum nach der letzten Platte. Wenn du ganz unten bist, dann gibt es nur noch eine Richtung, in die du schauen kannst und diese Richtung ist aufwärts. Ich musste mich auf das Positive in meinem Leben konzentrieren. Jeden Tag stellte ich mir die Frage: Was hast du in deinem Leben, um einen weiteren Tag durchzuhalten? Und ja, ich habe eine Menge gefunden, wofür ich dankbar sein kann. Es kam also ganz natürlich, dass die Songs insgesamt eine positivere Ausstrahlung haben.“
Dabei haben TOUCHÉ AMORÉ in über einer Dekade des gemeinsamen Musikschreibens einiges übereinander gelernt. „Mit der Zeit verstehst du mehr und mehr, wie du die Dinge am besten angehst. Du weißt ganz genau, wer von uns was in den Schreibprozess mit einbringen kann und wo die Stärken der einzelnen Mitglieder liegen. Klar hast du immer mal wieder einige kleine Streitigkeiten, aber wir haben eine wirklich gesunde Beziehung zueinander und sind dafür alle sehr, sehr dankbar. Das Wichtigste ist für uns, dass jeder seine Stärken ausspielen kann und es so zu einem respektvollen Schreibprozess kommt.“

Für „Lament“ arbeiteten TOUCHÉ AMORÉ mit niemand Geringerem als Produzentenlegende Ross Robinson zusammen. „Er war wirklich großartig. Er war ein ganz großer Einfluss für dieses Album. Als wir zu ihm kamen, fühlten sich die Songs für uns ziemlich komplett und ausgearbeitet an, aber Ross ist jemand, dem es nie an Ideen mangelt, und so konnte er uns noch eine Menge Input geben, der uns wirklich sehr half. Wir kamen zu ihm mit dem Song ‚Deflector‘, um zu testen, ob diese Zusammenarbeit funktionieren könnte, und in dieser Zeit hat er uns schon gezeigt, dass wir auf sein Bauchgefühl vertrauen können. Er brachte uns dazu, das Beste aus den Songs herauszukitzeln, und machte die Einzelteile des Albums noch wirkungsvoller.“

Hier interessiert mich vor allem eine Anekdote: Ross Robinson soll mit Jeremy in der Gesangskabine gestanden haben. Ich möchte wissen, wie sich das angefühlt hat. „Weißt du, das war definitiv nicht das behaglichste Gefühl. Soweit kam es auch erst, als wir uns schon kannten und den jeweils anderen verstanden. Ich denke, er tat es auch, weil er mir vertraute. Wir haben zehn bis dreißig Minuten vor den Aufnahmen darüber gesprochen, was wir erreichen und ausdrücken wollen. Wir haben uns quasi durch all die Emotionen gesprochen, die ich rüberbringen wollte, und diese kleinen Prep-Talks haben dann wirklich dafür gesorgt, dass ich während der Aufnahmen in der richtigen Stimmung war und mein Bestes geben konnte.“
Mit neuem Album und voller Motivation – wie fühlt es sich an, jetzt nicht touren zu dürfen? „Es ist komisch. Ich meine, wir dürfen aus wirklich sehr verständlichen Gründen nicht touren. Wir kommen aus einem der dümmsten Länder der Welt.“ Ich muss kurz unterbrechen, um Jeremy zu erzählen, dass Sänger Thomas Barnett von STRIKE ANYWHERE mir in einem Interview neulich genau dasselbe sagte. „Ja, und Thomas hat da verdammt recht, haha. Ich meine, wir kommen wirklich aus einem der dümmsten Länder. Anders kann man es nicht ausdrücken. Meine größte Angst momentan ist diese: das Album kommt raus und wenn wir in, sagen wir, drei Monaten, wieder auf Tour gehen dürfen, haben die Leute es schon längst wieder vergessen. Aber wir haben uns sehr bewusst dafür entschieden, die Platte jetzt nicht zurückzuhalten, denn was die Leute jetzt brauchen, ist Musik! Und wenn sie diese Musik nur eine Woche lang genießen, es ist immerhin eine Woche, in der sie etwas haben, das ihnen hoffentlich ein gutes Gefühl gibt.“

Wir lassen die Gedanken etwas schweifen und stellen die große Frage: Wäre es wieder möglich zu touren, welche wäre die Band, die Jeremy am liebsten dabeihätte? „Haha, um ehrlich zu sein, um nur auftreten zu können, würde ich mit jedem spielen. Wenn wir es tun könnten, würden wir es tun, keine Frage. Uff, aber es ist schwer, eine Entscheidung zu treffen. Ist die Tour in Amerika oder Europa?“ Ich entscheide mich für Europa, mit einer Menge Zwischenstopps in Deutschland. „Haha, okay, ich verstehe. Wir hatten ja eigentlich eine komplette Europatour geplant und waren kurz davor, diese bekanntzugeben, aber damit hält man den Kopf für etwas hin, das sehr wahrscheinlich sowieso nicht stattfindet, und dann schürt man vielleicht Vorfreude, die dann doch wieder zerstört wird. Ich würde es lieben, jetzt wieder Europa betouren zu können. Wir freuen uns auf jeden Fall schon sehr darauf und hoffen, diese Tour bald ankündigen zu können, wenn dann alles geklärt sein sollte und die Umstände wieder sicher wären. Aber um deine Frage zu beantworten: BIRDS IN ROW. Mit ihnen zu touren wäre super. Es war so surreal, wir haben letzte Woche das erste Mal gemeinsam geprobt seit den Aufnahmen. Das erste Mal, dass wir gemeinsam unsere Instrumente spielten seit den Recording Sessions. Das war irre und macht die Vorfreude natürlich umso größer.“ Ich erzähle, dass mein letztes TOUCHÉ AMORÉ-Konzert 2017 in Darmstadt stattfand. Support waren SWAIN. „Oh ja. SWAIN sind immer großartig. Die Jungs hätte ich auch gerne wieder dabei.“