Laut Sänger Jeremy Bolm ist „Spiral In A Straight Line“ das produktivste Album von TOUCHÉ AMORÉ aus L.A. Bei der Produktion gab es kaum hitzige Diskussionen, dafür eine astreine Kommunikation und viel gegenseitige Wertschätzung für die Talente und Emotionen der anderen. Uns verrät er mehr über das Thema der Platte, mit welchem Star es beinahe zu einem Feature gekommen wäre und welcher Song mal für eine andere Band gedacht war.
Spiral In A Straight Line“ befasst sich damit, weiterzumachen, obwohl im Leben Dinge ins Wanken geraten, die Halt geben. Woran denkst du dabei?
Vermutlich erfahren wir alle irgendwann, wie es ist, sich durch eine Welt navigieren zu müssen, in der diese Pfeiler instabil werden oder wegbrechen. Das können alltägliche Ängste sein, der Stress, wenn wir morgens aufwachen und dummerweise direkt aufs Smartphone schauen, dabei irgendetwas Negatives lesen. Es ist schwierig, dann aufzustehen und den Anschein zu bewahren, alles sei okay.
Hast du das Gefühl, in deinem Umfeld diesen Eindruck machen zu müssen?
Ja. Wir leben in einer Gesellschaft, in der das erwartet wird. Jeden Tag müssen wir Ziele erreichen, auf unseren Gehaltsscheck hinarbeiten. Ein Beispiel: mein Podcast, „The First Ever“, in dem ich Leute interviewe, die kann ich ja nicht mit meinen persönlichen Sorgen überschütten. Dir geht es bestimmt genauso. Was auch immer heute bei dir los war, jetzt sprichst du mit mir und musst professionell sein. Das ist auch die Idee hinter dem Titel „Spiral In A Straight Line“: Man strauchelt sich quasi vorwärts. Sorry übrigens, wenn ich das noch nicht so auf den Punkt bringe, aber das hier ist eines der ersten Interviews zur neuen Platte.
Man könnte dich als rastlosen Menschen bezeichnen. Du bist in viele Projekte involviert, betreibst das Label Secret Voice, bist Autor und Verleger, schauspielerst ... Hilft es dir, wenn der Kopf immer in Bewegung ist?
Oh ja, wenn ich beschäftigt bin, grüble ich weniger. Mein Kopf findet aber trotzdem meist einen Weg, die Gedanken kreisen zu lassen. Ich arbeite zwar daran, nicht alles mit irgendwelchen Projekten zu verdrängen – aber es gelingt mir nicht so recht. Seit kurzem habe ich zusätzlich für drei Tage die Woche einen Job in einem Plattenladen. Ein weiterer Versuch, mein Gehirn davon abzuhalten, mich anzuschreien – haha!
Du sprichst auf eurem Album auch die Macht von Gewohnheit und Routine an. Hast du Angewohnheiten, die du gerne ablegen würdest?
Sicherlich! Der Song „This routine“ befasst sich damit, dass ich nicht gut darin bin, Konfrontationen auszutragen und sie lieber vermeide. So bin ich aufgewachsen, ich glaube, das liegt in der Natur meiner Familie. Je älter ich werde, desto klarer wird mir, dass es gesund ist, sich direkt mit Problemen auseinanderzusetzen – auch wenn es sich unangenehm anfühlt.
Lass uns über eure aktuellen Features sprechen, beide aus dem Indie-Bereich. Mit Julien Baker habt ihr schon zusammengearbeitet, die Kollaboration mit Lou Barlow hat mich überrascht.
Julien ist bei unserem dritten Album in Folge involviert. Sie ist inzwischen unser MVP, Most Valuable Player, und schon beinahe das sechste Bandmitglied. Diesmal waren wir das erste Mal gemeinsam im Studio, weil Julien jetzt generell mehr in Kalifornien ist. Ihr Part in „Goodbye for now“ existierte ursprünglich gar nicht, ich habe ihn mir am Tag vor unserer Studiosession kurzfristig ausgedacht. Die Sache mit Lou Barlow war völlig verrückt und ist in den Top 3 der schönsten Dinge, die in meinem Musikerleben passiert sind. In unserem Song „Subversion“ verweise ich auf eines meiner Lieblingslieder, „Brand new love“ von SEBADOH. Lou ist Sänger der Band. Seinen Song habe ich gehört, als wir letztes Jahr nach Adelaide in Australien geflogen sind. Ich habe zwar keine Flugangst, aber mir angewöhnt, während der Landung einen meiner Lieblingssongs zu hören und mich voll darauf zu konzentrieren. Einfach so für den Fall, dass doch etwas passiert. Und da ist mir aufgefallen, dass man den Refrain von „Brand new love“ über das Outro von „Subversion“ legen kann. Zwei völlig verschiedene Songs, aber die ähnliche Kadenz macht es passend. Wir haben dann ein wenig herumprobiert und irgendwann den Mut gefasst, Lou Barlow zu schreiben. Und er hat tatsächlich ja gesagt. Das ist unfassbar, ein Highlight!
Wer steht noch auf der Feature-Liste für die Zukunft?
Es gibt eine witzige Geschichte: Für einen Song schlug unser Produzent Ross Robinson ganz beiläufig Robert Smith von THE CURE vor. Ich bin fast vom Stuhl gefallen! Ross hat ihn aber tatsächlich angefragt und der antwortete ganz freundlich und interessiert. Stell dir das mal vor! Schlussendlich haben die verfügbaren Termine nicht gepasst, aber allein, dass Robert Smith weiß, wer TOUCHÉ AMORÉ ist und unseren Bandnamen in seiner Mail getippt hat, reicht mir, haha! Wenn es irgendwann mal ein Feature mit ihm geben sollte, würde ich es vermutlich gar nicht kapieren. Aber hey, selbst wenn dieses Album unser letztes wäre: Ich kann mit vollem Stolz auf alles blicken, was wir bis hierhin geschafft haben. Ich bin sehr dankbar dafür.
Einige neue Songs, vor allem die erste Single „Nobody’s“, erinnern an den Emo der frühen 2000er. War das Absicht?
Nö, aber jetzt, wo du es sagst, ergibt es total Sinn! „Nobody’s“ war das erste Demo für das Album – und ist tatsächlich schon über 15 Jahre alt. Damals haben Geoff Rickly von THURSDAY und ich mal Impulse ausgetauscht, was darin endete, dass ich einfach angefangen habe, Musik für seine Band zu schreiben. Ich habe aber nie erwartet, dass er sie verwendet. In der Zeit ist die Idee zu „Nobody’s“ entstanden, jedoch verschwand sie in der Schublade. Meine eigene Band ist so talentiert, dass ich sie nicht mit irgendetwas nerven wollte, das ich geschrieben hatte. Aber diesmal haben alle viel Input geliefert und so habe ich eines Tages den Mut gefasst, die Gitarre in die Hand zu nehmen und den Jungs meine Idee vorzuspielen. Wir haben zwar noch ein paar Änderungen vorgenommen, aber der THURSDAY-Vibe scheint geblieben zu sein.
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