Nach der Auflösung von ANTI-FLAG: Was ist noch sicher?

Nach der Auflösung von ANTI-FLAG: Was ist noch sicher?
© by Kevin Bethke

Der Schock sitzt tief bei vielen von uns ...

28.07.2023 • Joachims Vorwort aus dem Ox-Newsletter vom 28.07.23 (Hier anmelden!):

Was ist noch sicher? Der Schock sitzt tief bei vielen von uns seit der Verkündigung der Auflösung von ANTI-FLAG vor einer Woche, sowohl bei Fans wie bei Menschen, die gegenüber der Polit-Punkband aus Pittsburgh eher neutral eingestellt waren. Eine Band, die so vehement streitet für alles Gute und gegen alles Schlechte (nach allgemeinem Punkempfinden), die löst sich auf, nachdem eines ihrer Mitglieder – Justin Sane – in einem Podcast der Vergewaltigung beschuldigt wird. Das war die denkbar höchste Fallhöhe, der GAU in Sachen Glaubwürdigkeit. Und es wirkt wie ein Schuldeingeständnis, denn – eine rhetorische Frage – warum sollten Chris, Chris #2 und Pat ein Statement zur Auflösung veröffentlichen, wenn nicht was dran ist? Das ist die bohrende Frage, die an zig Stellen im Internet dieser Tage diskutiert wird.

Vorwürfe: Justin von ANTI FLAG streitet Vorwürfe ab

Nicht verschwiegen werden darf, dass Justin seinerseits eine Erklärung veröffentlicht hat, in der er alle Vorwürfe abstreitet. Das ist sein Recht, es gilt die Unschuldsvermutung, es steht Aussage gegen Aussage. Aber natürlich stellen sich alle die Frage, warum die Band Website, Webshop und Social Media-Profile ohne jede Ankündigung abgeschaltet hat (gerüchteweise soll das von Justin gemacht worden sein), warum Chris, Chris #2 und Pat ihr eigenes Statement veröffentlichen. Zumindest darf angenommen werden, dass es hier bandintern eine harte Diskussion mit Frontenbildung gegeben hat.

Causa ANTI FLAG: Wer wusste wann was?

Und natürlich wird das Gefühl, verarscht worden zu sein, auf Fanseite noch verstärkt durch die Frage: Wer wusste wann was? Welche Gerüchte gab es, wer hat wann wie wo reagiert oder nicht, wie wurde von wem mit dem in Rockstarkreisen(!) immer noch nicht unüblichen Phänomen umgegangen, dass Menschen, egal welchen Geschlechts, sich hingezogen fühlen zu solchen, die prominent mit einer Band auf der Bühne stehen? Dass in dieser und jener Stadt aus einem netten Gespräch am Merchstand beim Autogrammgeben vielleicht auch "mehr" wurde? Grundsätzlich kein Grund für moralisierende Empörung, aber die Probleme liegen im Detail: Es geht hier um Macht, um Hierarchien, um Erwartungen, um sich schnell aufbauende Abhängigkeitsverhältnisse. Und den Umgang damit bei Bands aus unserer Szene, mit hohen Ansprüchen, Idealen und Erwartungen. Ich habe schon davon gehört, dass der Manager einer deutschen Band dieser klar sagte, er verbiete generell den Besuch von (weiblichen) Gästen im Tour-Nightliner, um jeglichem Gerede (und mehr) die Grundlage zu entziehen.

Die Band-Auflösung ist konsequent

Es kann also vermutet werden nach der Dreier-Stellungnahme, dass diese Spannung auch bei Chris, Chris #2 und Pat als unerträglich empfunden wurde. Wie da und so weitermachen als Band? Unmöglich. Also: Die Auflösung. Zumindest das ist konsequent. 
Es bleibt abzuwarten, was an Aufarbeitung und weiteren Konsequenzen folgen wird. Der Gesprächsbedarf ist riesig, auch bei uns, bei mir. In den letzten Jahren habe ich mehrere lange Interviews mit Justin und #2 geführt, es waren immer kluge, intensive Gespräche, die ich nie als ansatzweise unaufrichtig empfunden habe. Ja, auch ich fühle mich getäuscht, und meine ANTI-FLAG-T-Shirts verschwinden erstmal ganz hinten in der Kommode, damit ich nicht versehentlich morgens danach greife.
Und ganz wichtig: Wir müssen uns jetzt in erster Linie für die interessieren, die unter sexualisierter Gewalt leiden.

Habt trotz alledem ein schönes Wochenende.
Joachim

P.S.: Das neue Ox kommt!

Der Link zum Podcast:

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Das Statement von Chris, Chris #2 und Pat vom 26.07.:

A core tenet of the band Anti-Flag is to listen to and believe all survivors of sexual violence and abuse. The recent allegations about Justin are in direct contradiction to that tenet. Therefore, we felt the only immediate option was to disband.
We have been shocked, confused, saddened and absolutely heartbroken from the moment we heard these allegations. While we believe this is extremely serious, in the last 30 years we have never seen Justin be violent or aggressive toward women. This experience has shaken us to our core.
We understand and apologize that this response may not have been quick enough for some people. This is new territory for all of us and it is taking time for us to process the situation. 
It was a privilege for us to be in the band Anti-Flag, as we seek to find our path forward we wish healing to all survivors.

Das Statement von Justin vom 26.07.:

Recently, there have been claims of sexual assault made against me and I can tell you that these stories are categorically false. I have never engaged in a sexual relationship that was not consensual, nor have I ever been approached by a woman after a sexual encounter and been told I had in any way acted without her consent or violated her in any way. Now that I have had a few days to absorb the initial shock, I am making this statement to set the record straight.
Sexual assault is real and has a devasting impact on victims. I have devoted my entire adult life to standing up for these victims as well as those suffering oppression and inequality, who are victimized, demeaned, and abused. I have always been, and will always be, that person. The statements being told about me are the antithesis of what I believe and how I have conducted myself throughout my life.
In regard to Anti-flag disbanding, as a band, the decision was made that under these circumstances it would be impossible to continue.
I want to thank my family and friends, and the many, many fans, musicians, and bands who have reached out to me to offer their support and help.

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