„Pittsburgh ist ungefähr das US-amerikanische Gegenstück zu Duisburg: einst riesiger Stahlstandort, gibt’s heute dort, wo einst über Quadratkilometer Fabriken standen, nur noch verseuchte Brachflächen und massig Arbeitslose.
Die zweite Parallele ist die von Nietenlederjacken und bunten Iros dominierte Punk-Szene, für die neben ANTI-FLAG die allseits beliebten AUS-ROTTEN stehen. Nach der Split-CD mit DBS ist das hier jetzt das erste Album von ANTI-FLAG, das in keinerlei Hinsicht Fragen offen lässt: ANTI-FLAG sind Punk, Punk, Punk.
Die Musik hat einen schweren ’77-Touch, ist schön grölig-melodisch, irgendwo zwischen RANCID und US BOMBS, die Texte sind bis zur Klischeehaftigkeit deutlich [...], das Artwork ebenfalls.“ Das schrieb ich 1997 in Ox #26 über das ANTI-FLAG-Debüt „Die For The Government“ auf New Red Archives, dem Label von UK SUBS-Gitarrist Nicky Garratt.
Der hatte seinerzeit das Potenzial der jungen Band erkannt, ihr eine Chance gegeben – und damit das Fundament gelegt für eine beeindruckende Karriere, die eigentlich nie als solche geplant war: Durch ständiges Touren und stark wachsende Verkaufszahlen waren ANTI-FLAG bald in der komfortablen Lage, ihren Lebensunterhalt mit der Band zu verdienen, aber das Pekuniäre stand nie im Vordergrund.
Denn wenn man einer Band das Kompliment machen darf, „Überzeugungstäter“ zu sein, dann Justin, Pat und den später hinzugekommenen beiden Chris. Beim Interview für diese Ox-Ausgabe saßen mir mit Justin und Chris #2 zwei Menschen gegenüber, die mit enormer Begeisterung und aus tiefster Überzeugung argumentierten und erklärten, denen man anmerkt, dass ihnen ihre Musik, ihre Texte eine Herzensangelegenheit sind, die – bei aller Plakativität (hey, das ist Punk!), die ihre Platten auch auszeichnet – nie zu Platitüden neigen, die wie immer ihre Texte mit ausführlichen, ergänzenden Essays in einen Kontext setzen.
Was sie sich bei Vorbildern wie THE CLASH und DEAD KENNEDYS abgeschaut haben, wurde über die Jahre zum eigenen Stilmittel und weiter perfektioniert. ANTI-FLAG sind explizit linke Geschichtsschreiber, sind musizierende Journalisten und Aktivisten, sie glauben an das, was sie auf „American Spring“ durchdacht und wütend zugleich in die Welt brüllen.
Flammende Statements gegen den militärisch-industriellen Komplex, gegen den Drohnenkrieg der USA, gegen die ungleiche Verteilung der Einkommen, für eine Freilassung der Guantánamo-Gefangenen, gegen Polizeigewalt werden wie immer wütend vorgebracht auf der Basis erfreulich eingängiger, mitreißend melodiöser Song, und wenn Justin und Chris #2 erzählen, wie unschlüssig die Band vor diesem Album war, ob sie noch etwas zu sagen hat, musikalisch wie inhaltlich, so haben ANTI-FLAG mit „American Spring“ den Beweis dafür erbracht.
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