Seit jeher stehen die Thüringer Metalcoreler HEAVEN SHALL BURN für einen brachialen und kompromisslosen Sound, der sich stark an Dampfwalzen-Bands wie BOLT THROWER orientiert. Textlich befassen sie sich dabei stets mit wichtigen Themen wie Menschenrechte oder die Position der Kirche in der Gesellschaft. Auch auf dem neuen Album „Veto“ setzen sie ihren Weg konsequent fort und machen doch irgendwie alles anders. An einem nasskalten Freitagabend nutzte ich die Gelegenheit für ein ausgiebiges Telefonat mit Gitarrist Maik Weichert.
Maik, in Bezug auf eure neue Platte fällt sofort auf ist, dass der Titel diesmal weniger kryptisch ausgefallen ist. „Veto“, das Recht einer Minderheit, sich gegen Entscheidungen und Beschlüsse einer Mehrheit zu stellen, vier Buchstaben, die zudem all das zusammenzufassen scheinen, wofür eine Band wie HEAVEN SHALL BURN steht.
Ja, das hast du eigentlich ziemlich richtig erkannt. Dabei geht es ja nicht „nur“ um das Recht einer Minderheit, sondern sogar um das Recht des Einzelnen, seine Stimme zu erheben und mit dem Einlegen des „Veto“ einer Sache Einhalt zu gebieten, die einem nicht passt, aufzustehen und auch für etwas Verantwortung zu übernehmen, eine Sache, die ja heutzutage selten ist. Heute wird ja beispielsweise in den Firmen außer über Kanäle wie das Intranet oftmals gar nicht mehr richtig kommuniziert. Die Leute verstecken sich hinter ihren E-Mails und wenn mal was ist, dann will es keiner gewesen sein. Keiner hat mehr den Mut, offen Stellung zu beziehen.
Das Artwork setzt den Titel nahezu perfekt in Szene. Das Cover zeigt Lady Godiva, eine angelsächsische Adelige aus dem 11. Jahrhundert, die nackt auf einem Pferd durch die Straßen ritt, um ihren Mann dazu zu bringen, die Steuern für die Bürger zu senken, damit sozusagen auf ihre Art „Veto“ einlegte.
Ja, sie war sich einfach ihrer gehobenen Position als Adelige bewusst und hat auch versucht, das entsprechend einzusetzen. Kein Vergleich zu den Geschichten, die heutzutage stattfinden, wo die oberen Zehntausend oder die so genannte „Elite“ für die „Bunte“ einfach mal ’ne Gala organisieren, wo dann jeder mal ein paar Scheinchen ins Glas schmeißt. Diese Leute sind sich doch nicht wirklich einer Verantwortung bewusst, das hat vielmehr mit Selbstverwirklichung zu tun, mit dem kollateralen Nutzen, dass den armen Leuten dann noch ein bisschen geholfen wird. Das ist genau der Gedanke, der dabei transportiert werden soll. Wie vielen Bankmanagern ist denn bitteschön bewusst, dass sie mit der Rente von tausenden oder hunderttausenden Menschen spielen, wenn sie irgendwelches Geld verzocken?
Da platzt euch doch sicher auch die Hutschnur, wenn ihr hört, dass ein gewisser Philipp Rösler den Finanzbericht für die Bundesregierung schönt, um die Grenze zwischen Arm und Reich als kaum existent zu deklarieren, oder?
Man regt sich da natürlich schon auf, aber andererseits passt das ja auch wieder genau ins Bild. Die FDP spielt sich ohnehin ständig als Regierungspartei auf, obwohl sie das ja gar nicht sind, und sie werden sicher auch bei der nächsten Wahl gerade über die 5%-Hürde kommen, sich dann hinterher aber aufführen wie die Wahlsieger. Neu ist diese Offenheit, mit der damit umgegangen wird. Es ist denen nicht einmal mehr peinlich, im Gegensatz zu Leuten wie Konrad Adenauer oder Franz Josef Strauss, die ihre Politik und Lobbyarbeit eher im Verborgenen durchgezogen haben, weil denen das noch peinlich war. Dummerweise wird man heute dermaßen überhäuft mit schlechten Nachrichten aus der Politik, dass man sich nicht mehr ernsthaft dafür interessiert, und das ist wirklich beängstigend.
Mit dem Song „You will be godless“ rechnet ihr ein weiteres Mal mit der katholischen Kirche ab ...
Ich bin jetzt schon in einigen Interviews auf den Song angesprochen worden, und ob ich denke, dass sich mit einem neuen Papst etwas verändern wird. Diese Institution wird sich nur dahingehend verändern, wenn es eine Sicherung, vielleicht sogar einen Ausbau ihrer Machtposition bedeutet. Wenn dafür eine Reform notwendig sein sollte, dann werden sie sicher auch das tun. Es geht im Endeffekt nur darum, diese Macht und diese Gelddruckmaschine zu erhalten. Man sollte aber auch nicht die evangelische Kirche vergessen, die da ja auch ganz dick dabei ist. Man denke nur an die Arbeitsbedingungen in Altenheimen oder Krankenhäusern, oder wie da mit Fördergeldern umgegangen wird.
Trotzdem gibt es unter all den schwarzen Schafen auch ein weißes, denn Walter Schilling ist da ja ein durchaus positives Beispiel.
Ja, Walter Schilling war evangelischer Pfarrer und ein wirklich ganz beeindruckender Mann, der jedoch in Deutschland heute nicht mehr so bekannt ist. Nicht so wie ein Gauck, der heute Bundespräsident ist und in der DDR ebenfalls als Bürgerrechtler aktiv war, wovon heute aber auch keiner mehr spricht. Es gibt viele Bürgerrechtler der DDR, die wirklich an vorderster Front gekämpft haben, über die heute aber keiner mehr spricht, weil sie auch nach der Wiedervereinigung nicht aufgehört haben, ihren Mund aufzumachen, da es schließlich nach wie vor soziale Ungerechtigkeiten gab. Und dann waren sie dem neuen System zu unbequem, weshalb diese ganzen Geschichten totgeschwiegen wurden. Und genau so jemand war Walter Schilling. Der hat zu DDR-Zeiten die Punks, die Blueser und die Metaller in Schutz genommen, ihnen seine Jugendeinrichtungen zu Verfügung gestellt, wo sie übernachten und Konzerte veranstalten konnten. Nach der Wende hat er sich dann für die Aufarbeitung der Stasi-Umtriebe stark gemacht und hat auch die Regierung Schröder damals zurechtgewiesen, als diverse Bürgerrechte mit Füßen getreten wurden. Das kam natürlich nicht gut an, aber das ist die Konsequenz eines Christen, der sagt: „Ich bin für die Menschen da und ich setze mich auch für sie ein! Ich brauche dafür kein Geld, denn das ist meine Aufgabe.“ Und das ist ganz klar eine Form des Glaubens, die ich respektieren kann.
Kann man also zusammenfassend sagen, dass Walter Schilling einer der wenigen Vertreter der Kirche war, der deren sich selbst auferlegte Aufgaben richtig verstanden und entsprechend umgesetzt hat?
Ja, er war da auf jeden Fall ein Vorreiter. Diese offene Art, wie mit Jugendlichen gearbeitet wurde, die im DDR-System außen vor blieben, schikaniert wurden, weil sie eben nicht diesen ganzen einheitlichen Weg gehen wollten. Das war einmalig, und es gibt ernstzunehmende Wissenschaftler, die sagen, dass er in der „Wiege der DDR-Opposition“ ein wichtiger Baustein war. Leider ist dann unterm Strich doch nicht das rausgekommen, was er sich gewünscht hat, nämlich ein besseres Leben für die Menschen.
Ein wesentlicher Punkt bei eurer neuen Platte fällt sofort auf: Erstmals ist es kein Problem mehr, sie am Stück durchzuhören, denn man wird nicht mehr von dieser brachialen Gewalt niedergeschmettert.
Du hast vollkommen Recht. Unsere letzte Platte„Invictus“ am Stück durchzuhören, schaffe ich auch nur an bestimmten Tagen. Musik wird ja heutzutage auch anders konsumiert. Man findet als Band im Grunde oft nur mit ein zwei Songs in irgendwelchen iTunes-Listen statt, und wenn du dann zwischen KILLSWITCH ENGAGE und HATEBREED auftauchst, musst du natürlich dafür sorgen, dass deine Songs krasser klingen, hahaha. Es gab jedoch viel Kritik für diesen brachialen Sound, die wir uns natürlich zu Herzen genommen haben. Wir wollten diesmal ganz bewusst eine Platte machen, die auch als Album funktioniert. Wir haben wieder mit dem gleichen Team zusammengearbeitet, weshalb ich Produzent Tue Madsen jetzt auch mal in Schutz nehmen muss, denn bei den letzten beiden Alben waren wir es, die gesagt haben: „Das muss noch krasser sein! Mach das mal noch fetter!“ Wir haben diesmal mehr auf Tue gehört und ihm aufgrund unserer jahrelangen Zusammenarbeit vertraut, und mit dem Ergebnis bin ich auch wirklich zufrieden. Es finden mehr Emotionen in den Songs statt. Da ist dann auch mal Trauer zu finden, statt immer nur diese Soundwalze, die Hass transportierte und einem in die Fresse gehauen hat.
Setzt ihr auf „Veto“ deshalb nun euren wahrscheinlich melodischsten Song überhaupt an erste Stelle?
Na ja, „Godiva“ ist sehr „catchy“ und wir haben uns anfangs auch echt schwer getan, ihn als Opener zu verwenden, wollten aber auch mal was anderes machen, als den üblichen HSB-„Anfangsknalleffekt“. Ich bin sicher, dass das für überraschte Gesichter gesorgt hat, weshalb wir an zweiter Stelle gleich einen absoluten Brecher haben, der jene Leute beruhigt, die bei „Godiva“ erst mal die Stirn gerunzelt haben. Wir wollten einfach mal schauen, was wir mit unseren Möglichkeiten an Innovation einbringen können. Wir sind ja musikalisch nun nicht gerade ein Chamäleon. Da kommt auch das Artwork wieder ins Spiel, was man auch nicht unbedingt von einer Band wie uns erwarten würde, obwohl es ja doch schon ein echter Hingucker ist.
Ihr geht aber nicht nur melodischer zu Werke, auch Thrash- und klassische Heavy Metal-Elemente lassen sich ausmachen ...
Das sind alles Dinge, die wir auch vorher immer mal mit drin hatten, die aber von der Soundwalze, über die wir gerade sprachen, total niedergewalzt wurden. Dadurch, dass wir jetzt diesen dynamischen Klang haben, kommen diese Sachen natürlich wieder besser zur Geltung. Wenn die Doublebass-Drum alles zuballert, dann hat ein Riff nicht mehr wirklich viel Raum zur Entfaltung.
Überraschend ist auch die Wahl des Coversongs „Valhalla“ von den deutschen Fantasy-Metallern BLIND GUARDIAN.
Deren Sänger Hansi Kürsch hat mich nun mal gut 20 Jahre von der Wand meines Kinderzimmers aus angestarrt. Einen Tag vor meiner Konfirmation habe ich die Band noch live gesehen, und das ist dann eine Gruppe, die einen immer irgendwie begleitet. Wir haben an dem Song auch gar nicht viel verändert, weil der an sich schon so eine Power hat. Ich glaube, vielen Leuten ist gar nicht bewusst, dass BLIND GUARDIAN mal so viel Dampf hatten. Des weiteren wollten wir damit dem Trend entgegenwirken, einen Song von Lady Gaga oder Rihanna zu covern, weil das ja heute jeder macht. Wir wollten lieber was nehmen, was uns alle in unserer Jugend begleitet hat.
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