HEAVEN SHALL BURN aus Thüringen sind vielleicht die seltsamste Band im Bereich Metal und Metalcore. In einem Genre, dessen Protagonisten nicht immer bekannt sind für einen sozialkritischen Geist, machen sie den Mund auf und prangern Missstände an. Und sie bannen all das jetzt auf eine opulente Doppel-LP. „Of Truth And Sacrifice“ ist harte, schwere Kost mit reichlich Inhalt und wird die Hörer der Band einmal mehr spalten. Oder tut das schon. Das verrät ein Blick in die sozialen Netzwerke. Songschreiber und Bassist Maik Weichert sowie Schlagzeuger Chris(tian) Bass nehmen sich die Zeit, um genau darüber – und ihren Bandfilm „Mein grünes Herz in dunklen Zeiten“ – zu sprechen.
Maik, Chris, in der Doku „Mein grünes Herz in dunklen Zeiten“ beschreibt eine Frau, die in der Küche über eurem Studio arbeitet, wie es jedes Mal, wenn ihr spielt, so schön unter ihren Füßen kribbele. Das ist schon eine recht charmante Beschreibung eurer Musik, oder?
Maik: Haha, das stimmt. Es ist eine der Küchenfrauen dort, die das sagt. Denn es ist ja tatsächlich so, dass unser Studio genau unter der Kantinenküche eines Steinbruchs liegt. Und wenn Chris dann mal in die Doublebass reinhaut, dann stellt sich bei den Damen offenbar ein wohliges Gefühl ein.
Chris: Die sind zwar jedes Mal froh, wenn sie vorher seelisch darauf vorbereitet werden, dass es an einem Tag Krach geben könnte. Aber wie diese Aussage zeigt, ist es jetzt nicht so, dass die sich groß ärgern. Im Gegenteil, wir kommen gut miteinander aus.
Maik: Wir sind allerdings auch sehr umgänglich. Aus gutem Grund. Denn um von zwei gestandenen deutschen Küchenfrauen auch mal etwas Veganes zu bekommen, musst du schon lieb sein, haha. In der Kantine eines Steinbruchs werden ja eher, nun ja, gewichtige Menschen versorgt.
Gab es je eine charmantere Einschätzung eurer Band?
Maik: Also meine Mutter sagt, dass wir uns anhören wie ein vorbeifahrender D-Zug. Und meine Frau dachte neulich, ich hätte wieder unsere Musik angemacht, es war allerdings die Spülmaschine.
Gibt dir das zu denken?
Maik: Nein. Das war nicht böse gemeint. Mir gibt eher zu denken, dass auch ich in dem Moment erst mal auf mein Handy geschaut habe, um zu sehen, ob nicht tatsächlich irgendwo etwas über Bluetooth läuft, haha. Das ist schon okay so. Es ist besser, einen Partner zu haben, dem Metal scheißegal ist, weil sonst die Gefahr besteht, dass der andere sich und die Beziehung vielleicht zu sehr über die Band definiert. So eine Art Fan- oder Groupietum eben. Es ist cool, abends mit jemandem zusammen zu sein, dem es völlig egal ist, was tagsüber im Studio ablief.
Chris: Das hatten wir fast alle mal. Und das funktionierte nicht.
Maik, du studierst in Gotha Kulturwissenschaften. In eurem Film stehst du mit einem Dozenten in der dortigen Bibliothek und sagst, dass dich viele dieser Bücher auch für die Band inspirieren. Entstammt der poetische Filmtitel vielleicht auch einem dieser Bücher?
Maik: Nein. Der wurde inspiriert durch viele jener Situationen, wie wir sie heute auch wieder haben. Als „grünes Herz“ wird meine Heimat Thüringen ja bezeichnet. Und wenn ich sehe, was in Thüringen allein zuletzt ablief, dass sich ein FDP-Waschlappen mit Stimmen der AfD ins Amt putschen lässt ... So etwas meine ich mit dem „grünen Herz in dunklen Zeiten“. Zudem steht das grüne Herz im Subtext ja auch für eine gewisse linkspolitische Haltung. Auch wenn die Grünen als Partei, die diesen Namen trägt, mittlerweile ja auch eine Partei für Besserverdienende ist.
Welche Songs des neuen Albums sind denn ob der Lektüre in der Unibibliothek entstanden?
Maik: Einer wie „Übermacht“. Bei dem Professor, mit dem ich mich auch in dieser Filmsequenz unterhalte, hatte ich ein Seminar über einen Philosophen namens Cusanus. Der lebte auf der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit und war ein hohes Tier in der Kirche. Er hat in diesen verbiesterten mittelalterlichen Strukturen funktioniert, hatte aber eben parallel dazu auch sehr fortschrittliche Gedanken, die in die Neuzeit wiesen. Und mich hat es interessiert, wie sich so ein Mensch fühlen muss, der in alten Strukturen gefangen ist, aber Visionen für eine Zeit des Umbruchs entwickeln muss. Kann so jemand vielleicht sogar mehr bewirken als ein Revolutionär, der von außen dazwischenfährt? Man sagt ja: Jemand, der aus diesen konservativen Strukturen kommt, der kann vielleicht mehr bewegen, weil er sich darin eben auskennt. Ich habe beispielsweise riesengroße Angst davor, dass es die „guten“ Grünen mit den Umweltproblemen nicht auf die Kette kriegen und dann „grüne“ Diktatoren auf der Matte stehen und Höcke und Co. nicht mehr nur über Ausländer herziehen, sondern den Menschen plötzlich auch einfache Lösungen für die Umweltprobleme anbieten. Manchmal ist es doch besser, da anzusetzen und das weiterzuentwickeln, was vielleicht schon die Altvorderen begonnen haben.
Noch mal zu Thüringen. Ihr habt euch nach der – mittlerweile ja wieder obsoleten – Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten unter anderem durch die Stimmen der AfD in den sozialen Medien unmissverständlich geäußert – und zig Kommentare der Art „Kümmert euch um die Musik“ geerntet. Ist das ein Problem der Metal-Szene, der ihr ja zugerechnet werdet, und die, im Gegensatz etwa zur Punk- oder Hardcore-Szene, tatsächlich mehr Menschen umfasst, die sich „unpolitisch“ geben?
Maik: Man kann diesen Eindruck bekommen, ja. Aber für uns ist das kein Problem, nichts, das uns verstummen lässt. Ich finde es auch völlig legitim, wenn jemand in seinem Metal keine Politik haben will und stattdessen eher Drachen, Jungfrauen und Trolle abfeiert.
Eine Band wie Amon Amarth hat tolle Riffs – und Wikingerlieder.
Chris: Deshalb bin ich ja froh, dass ich in einer Band wie HEAVEN SHALL BURN gelandet bin. Einer Band, die nicht aus finanziellen Gründen über Wikinger singen muss. Oder über schnelle Autos. Sondern in einer Band, die etwas Wichtiges zu sagen hat und eine Botschaft hat, die man dann verbreiten kann.
Maik: Das sind aber auch zwei ganz verschiedene Sportarten. Wenn du Wikinger willst, dann bist du bei AMON AMARTH gut aufgehoben. Aber das ist eben keine Band, mit der man sich gesellschaftspolitisch irgendwo hineinversenken kann. Wobei das ja auch nicht unbedingt so sein muss. Nicht alles im Lebensmittelregal muss ja dasselbe Aroma haben. Und selbst der politischste Mensch kann sich ja nicht die ganze Zeit mit Bands befassen, die ausschließlich tiefgreifende Pamphlete verfassen. Dass es Bands ohne politischen Einschlag gibt, ist nicht zuletzt ja auch gut, denn: Es macht uns noch politischer. Ich habe allerdings kein Verständnis dafür, dass zahlreiche jener Leute, die Politik aus der Metal-Szene heraushalten wollen, explizit kein Problem mit rechts haben. Da wird dann eine Band wie wir als politisch bezeichnet, weil wir rechte Tendenzen in der Szene anprangern. Dabei sollten uns doch gerade die Leute, die eine „neutrale“ Szene fordern, dafür dankbar sein und uns unterstützen. Das ist schon paradox.
Denkt ihr, wenn ihr auf einer riesigen Festivalbühne wie etwa in Wacken steht, darüber nach, dass da womöglich auch viele Menschen vor euch feiern, die politisch vielleicht anders denken oder eure Texte gar nicht beachten?
Maik: Natürlich. Und genau deshalb stehen wir ja auf diesen Bühnen. Vor Leuten spielen, die alle unserer Meinung sind, entfaltet – außer vielleicht Empowerment – keine weitere Wirkung. Wir verhalten uns aber nicht wie Prediger oder die nervenden Veganer von nebenan. Wir wollen, dass die Leute Spaß haben. Und dass sie quasi über die Hintertür – wenn sie sich mit uns beschäftigen, weil wir sie live überzeugt haben – mit unserer Haltung und Agenda in Kontakt kommen.
Dennoch, es scheint ja Menschen zu geben, die sich plötzlich wundern, dass ihr so klar Stellung bezieht und eine, wenn man so will, politische Band seid. Ist euch das Nicht-Hinterfragen eurer Texte nicht ein Dorn im Auge?
Maik: Nein, es ist ja jedem selbst überlassen, wie tief er in unseren Kosmos eintaucht. Wir funktionieren sicher auch nur auf rein musikalischer Ebene für so manche Leute. Aber natürlich ist das etwas schade, denn HEAVEN SHALL BURN ohne die Message zu konsumieren, das ist eben so, als ob man die Sahne auf dem Apfelstrudel weglässt.
Kann es sich ein Musiker, ein Künstler heutzutage eigentlich noch erlauben, nicht Stellung zu beziehen in politischen, sozialen, gesellschaftlichen Fragen?
Maik: Natürlich. Und ich sehe auch diese Leute als Musiker und Künstler an. Aber das ist auch der Grund, warum wir wahrscheinlich keine Künstler oder richtigen Musiker sind.
Wie bitte?
Maik: Ja. Ich habe jetzt kein künstlerisches Ausdrucksbedürfnis, dass ich irgendeine bestimmte Musikform an den Mann oder die Frau bringen will. Ich will den Leuten nicht meine Musik nahebringen. Ich will ihnen meine Meinung so effizient und authentisch wie möglich vor den Latz knallen. Genauso, wie man es AMON AMARTH abnimmt, dass sie auf einem Drachen in den Sturm fliegen, nimmt man es uns ab, dass wir mit Zehntausenden auf die Straße gehen und demonstrieren, denke ich jedenfalls. Die Frage für die Künstler lautet doch aktuell: Kann ich es mir leisten, überhaupt Stellung zu beziehen, oder halte ich lieber die Klappe und folge dem musikalischen Biedermeier? Gerade viele große Künstler fahren super damit. Sie haben eben keine Lust, potenziell 25% ihrer Konsumenten zu verprellen. Leute wie Lindenberg oder DIE TOTEN HOSEN sind da außen vor, da sie ja immer Stellung bezogen haben. Doch wer nie politisch war, für den ist es gerade jetzt eher kommerziell „gefährlich“, auf einmal aus der Deckung zu kommen.
Man kann auf jeden Fall festhalten: HEAVEN SHALL BURN stechen aus der Masse der Metal- und Metalcore-Bands heraus.
Maik: Ja. Das merkt man schon. Wir setzen ja auch keine musikalischen Akzente wie RUSH, haha.
Chris: Ich denke, wir zeigen, dass man auch mit dieser Art von Musik politische Aussagen verknüpfen kann.
Maik: Bei uns findet man den Inhalt, die politischen Verweise ja auch oft im Subtext. Nimm den neuen Song „Tirpitz“. Dieser Titel, der Name dieses Schlachtschiffes, ist ja keine politische Aussage. Sondern es geht doch letztlich darum, wofür dieses Schiff stand. Um die Geschichte der Menschen, die gestorben sind, als es versenkt wurde. Um die Geschichte des norwegischen Widerstandskämpfers, der zum Versenken der Tirpitz beitrug.
Maik, du hattest in unserem letzten Interview 2006 beiläufig erwähnt, dass du dich für Schlachtschiffe interessierst, und bemerkt, dass ausgerechnet die Tirpitz dein Lieblingsschlachtschiff sei.
Maik: Es ist ja auch mein Lieblingsschlachtschiff. Auch wenn es von den Nazis war. Aber es war eben unglaublich beeindruckend. So riesig. Ein Todesstern, der dennoch zerstört wurde. Die Tirpitz steht symbolhaft für diese Bösartigkeit. Und ihr Untergang war zeitgleich symbolhaft für das Ende des Dritten Reiches.
Im neuen Song „Stateless“ heißt es: „I am stateless. I will never reach my final haven.“ Es geht um Heimatlosigkeit. Was verbindet ihr mit dem Begriff „Heimat“?
Chris: Ich bin heimatungebunden. Zwar gebürtiger Ruhrgebietler, aber meine Eltern sind viel umgezogen. Daher habe ich keine richtige Heimat. Eher ein Zuhausegefühl. Es gibt Orte, an denen ich mich für eine gewisse Zeit zu Hause fühle. Heimat ist für mich eher ein Fragment.
Maik: In meiner Familie spielt Heimat tatsächlich noch eine sehr große Rolle. Meine Mutter wurde 1939 in Königsberg geboren. Und sie war Flüchtlingskind. Sie war eines von fünf Kindern, mit denen meine Oma hierher geflüchtet ist, während mein Großvater im Krieg blieb. Und es ist interessant, wie das heutzutage die Haltung meiner Mutter gegenüber Flüchtlingen definiert. Vielleicht tue ich ihr Unrecht, aber vielleicht wäre sie sonst jemand, der Flüchtlingen kritisch gegenüberstehen und sich von ihnen bedroht fühlen würde. Aber sie hat eine ganz klare, eine positive Haltung diesen Menschen gegenüber – weil sie weiß, dass sie eine Heimat hinter sich gelassen und verloren haben. Wie sie selbst. Und auch ich habe durch die Wende mit der DDR ein Stück Heimat verloren. Die DDR war ein Ort für mich, an dem ich als Kind behütet aufgewachsen bin – trotz dieser ganzen Politik-Propaganda-Scheiße. Aber als Kind eckst du ja nicht politisch an. Du bist sorglos. Und nach der Wende war das plötzlich vorbei. Ich wohnte zwar noch in demselben Haus. Und die Menschen um mich waren immer noch dieselben. Aber alle hatten Angst. Mein Vater wusste nicht, wo er am nächsten Tag arbeiten soll. Meine Mutter wusste nicht, ob es mit dem Betrieb weitergehen würde. Und seitdem ist Heimat ist für mich ein Ort, an dem Sorglosigkeit herrscht. Oder eine Zeit, in der Sorglosigkeit herrscht. Es kann keinem Ort gegenüber ein Heimatgefühl aufkommen, wenn man Sorgen hat. Heimat hat für mich also nichts mit einem Kulturkreis oder einem bestimmten Ort zu tun und erst recht nichts mit dem gruseligen Begriff der Heimeligkeit, mit dem Heimat in Deutschland ja gerne verbunden wird. Es ist für mich einfach ein emotionales Setup. Und ich denke, gerade deswegen fühlen sich heutzutage auch so viele Menschen so heimatlos. Der Kapitalismus im Endstadium nimmt ihnen die Sorglosigkeit.
Wie entsteht eigentlich so ein Riesenalbum wie „Of Truth And Sacrifice“? Plant man das?
Maik: Man plant das nicht in dem Sinne, dass man sagt: „Wir machen jetzt ein Doppelalbum. Was brauchen wir dafür?“ Man sieht nur, dass nach „The Wanderer“ zwei Jahre Pause waren. Und dass nach dieser Zeit einfach diese Fülle an Kreativität und Inspiration vorhanden ist. Es war am Ende auch ein bewusstes Statement. Wir wollten uns den Marktmechanismen entgegenstellen. Wollten sagen: Hier, liebe Leute vom Label, ist der Batzen. Setzt euch damit auseinander. Eine Art von Machtdemonstration quasi, haha.
Chris: Ich denke, so eine Zeit wie jetzt fordert aber auch so ein Album. Man blickt sich um in der Welt und sagt sich: Okay, das wird jetzt nicht der Verkaufsschlager des Jahrhunderts. Aber es zwingt die Leute dazu, endlich mal wieder ein Album zu hören und sich mit dessen Inhalt auseinanderzusetzen. „Of Truth And Sacrifice“ bringt den Menschen vielleicht dieses schon verschüttet geglaubte Gefühl wieder, dass man sich ein Album auch richtig zu Gemüte führen kann.
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