Englischsprachiger Metal aus Deutschland hat eine Tradition, die für Erfolg und Beständigkeit steht. Eine Tradition, die mehr ist als SCORPIONS, KREATOR und BLIND GUARDIAN. Zum Beispiel HEAVEN SHALL BURN: Seit zwanzig Jahren sind diese Thüringer der Prototyp der Metalcore-Band – und damit eines Genres, das sie selber quasi begründeten. Mit „The Wanderer“ veröffentlichen sie nun ihr neuntes Studioalbum. Und während des Interviewmarathons, den sie aus diesem Anlass absolvieren, fand Gitarrist und Songschreiber Maik Weichert auch für das Ox noch Zeit, um zu quatschen über japanische Journalisten, Panzerkreuzer, Berge und die Wichtigkeit des Reisens.
Hallo, Maik, wie geht es dir?
Ganz gut. Ich sitze hier und verplappere heute schon den ganzen Tag bei Interviews.
Und jetzt rufe ich auch noch an und halte dich vom Feierabend ab ...
Ach, das ist nicht schlimm. Weißt du: Ich freue mich in Momenten wie diesen immer sehr über Interviews auf Deutsch. Denn wenn, wie heute, fünf Japaner und ein paar Franzosen hintereinander anrufen, dann wird es irgendwann doch schwierig mit dem Reden. Die Franzosen wollen nicht wirklich Englisch sprechen. Und bei den japanischen Journalisten funken immer wieder irgendwelche Simultanübersetzer dazwischen. Deshalb ist das Gespräch jetzt eine wunderbare Abwechslung.
Gibt es Fragen, die speziell japanische Musikjournalisten stellen?
Ja, ihnen geht es meist um technische Dinge. Darum, wie wir was spielen und mit welchem Equipment. Das ist ein Unterschied etwa zu Interviewern aus Deutschland.
Ein solcher Tag zeigt zumindest: Ihr seid tatsächlich international relevant. Wie denken denn Japaner über Metal aus Deutschland?
Die sind völlig begeistert! Hansi Kürsch und BLIND GUARDIAN, Kai Hansen und HELLOWEEN – das sind da drüben Heilige! Und wenn du, wie wir, mit deiner Band aus Deutschland nach Japan fliegst und dort spielst und denen sagst, dass du nebenbei noch arbeitest und studierst, dann können die das gar nicht begreifen. Hobby-Musiker wie unsereins existieren in deren Wahrnehmung gar nicht.
Warum seid ihr überhaupt noch Hobby- und keine professionellen Musiker? Das wäre doch bei eurem Erfolg kein Problem, oder?
Wahrscheinlich nicht. Aber wir sind eben nicht so die Fulltime-Rock’n’Roller. Wir brauchen Musik, um am normalen Leben teilzunehmen. Unser Sänger Marcus Bischoff arbeitet nach wie vor im Krankenhaus. Unser Bassist Eric Bischoff ist Ergotherapeut. Unser Schlagzeuger Christian Bass ist Berufsschullehrer. Und ich bin Jurist. Nur unser anderer Gitarrist Alexander Dietz arbeitet als Produzent und hat somit auch beruflich mit Musik zu tun.
Und du setzt dich, wenn du abschalten willst, mit dem BGB oder dem HGB hin und liest dir Paragrafen durch?
Nein, haha. Ich betreibe Jura eher im wissenschaftlichen Sinne. Ich widme mich mehr der Rechtsgeschichte. Da muss man eher rumforschen. Ich vertrete jetzt keine prügelnden Ehemänner vor Gericht oder haue Kumpels aus dem Knast raus, in dem sie nach der letzten Demo gelandet sind.
Aber einen studierten Juristen in der Band zu haben, das ist doch nicht unpraktisch. Wenn mal etwas passiert und ihr einen Veranstalter oder jemanden, der euch ein Riff geklaut hat, verklagen wollt ...
Dann wäre ein Jurist nicht schlecht. Das ist wahr. Aber ich hätte leider zu wenig Ahnung. Das wäre so, als wenn du mit einem gebrochenen Zeh zum Proktologen gehen würdest: nicht gut, haha.
Hattet ihr nie den Plan, irgendwann allein von der Musik zu leben – so wie alle anderen erfolgreichen Musiker auch?
Nein, nicht wirklich. Denn das ist doch genau das, was die Leute im Musikbusiness auslaugt. Wir dagegen haben auch nach zwanzig Jahren noch so viel Feuer im Hintern und sind noch so brutal happy auf der Bühne, weil wir eben nicht von der Musik, sondern für die Musik leben. Wenn du alles auf eine Karte setzt, deine Miete von der Musik bezahlen musst und irgendwann mal keinen Bock auf ein Konzert oder einen Veranstalter hast, dann kannst du nicht einfach nein sagen. Du musst immer mehr Kompromisse eingehen. Und das ist eben das, was dich auf Dauer fertig macht.
Die Kollegen des englischen Metal Hammer haben euch jüngst unter die zehn besten Metal-Bands aller Zeiten aus Deutschland gewählt. Das ist doch eine Ehre, oder?
Auf jeden Fall! Auch wenn die Liste natürlich fehlerhaft ist: BLIND GUARDIAN sind beispielsweise nicht dabei. Das geht natürlich nicht! Und das sage ich nicht nur, weil deren Frontmann Hansi Kürsch an einem Song unseres neuen Albums mitgewirkt hat.
Genannt werden neben euch noch folgende Bands: SCORPIONS, ACCEPT, RAMMSTEIN, KREATOR, HELLOWEEN, SODOM, DESTRUCTION, NECROPHAGIST und THE OCEAN. Welche davon liegen euch am nächsten?
SODOM und KREATOR auf jeden Fall! Sie waren auch unsere Heldenbands als Jugendliche und haben uns geprägt. Vor SCORPIONS, RAMMSTEIN und ACCEPT haben wir natürlich einen besonderen Respekt, weil sie so erfolgreich waren oder sind. Und DESTRUCTION, NECROPHAGIST und THE OCEAN mögen musikalisch völlig anders sein, das sind keine Bands, die mit uns vergleichbar wären, aber sie sind technisch unheimlich gut und virtuos sind und haben auf ihre Weise das Genre geprägt. Gerade NECROPHAGIST, das ist ja fast schon Musikwissenschaft. Die höre ich privat gerne. Grandios!
Der deutsche Metal Hammer wiederum nannte euch kürzlich den „deutschen Metalcore-Panzerkreuzer“. Gefällt dir diese Bezeichnung?
„Panzerkreuzer“ ist ja fast schon verniedlichend. Das hat was von Steampunk-Romantik, haha. Ich würde uns zwar eher als Schlachtschiff der Tirpitz- oder der japanischen Yamato-Klasse bezeichnen – unabhängig davon natürlich, für welches Regime diese Schiffe jeweils gefahren sind. Aber Panzerkreuzer steht ja für Kompromisslosigkeit und Gefährlichkeit. Und das ist dann schon ein, na ja, cooles Image, haha.
Eure neue Platte heißt „The Wanderer“. Das Cover zeigt einen recht ansehnlichen Berg. Bitte erkläre doch einmal die Bedeutung dahinter.
Das ist ein Berg in Island, der Kirkjufell. Und dieses Bild ist als Statement zu verstehen: Einerseits ist es ein wunderschönes Motiv. Andererseits ist da dieses Symbolische: Der Berg ist monolithisch, mächtig, unbeweglich. Da ist nicht dran zu rühren und drumherum zu kommen. Das hat uns von Anfang an gefallen. Der Berg ist quasi ein Panzerkreuzer der Landschaftsarchitektur, haha. Eine wunderschöne Mischung. Wir haben sofort gedacht: Da schicken wir einen Fotografen hin, der muss den ablichten. Der muss aufs Cover.
Das hättet ihr ja auch als Team-Building-Maßnahme selber machen können, so eine Reise nach Island...
Du, wenn man als Band monatelang zusammen auf Tour geht, dann gibt es da so viele Team-Building-Maßnahmen, gezwungenermaßen, da braucht man so was nicht mehr, haha.
Und wie ist das jetzt mit „The Wanderer“? Bezieht sich dieser Titel vielleicht auf eure Band, die jetzt seit zwei Jahrzehnten durch die Musikwelt wandert?
Nein. Wir stehen als Band sowieso seit vielen Jahren in der Landschaft herum und wundern uns, dass es für uns immer weiter aufwärts geht, während um uns herum so viele talentierte Bands, die objektiv gesehen eigentlich viel härter arbeiten und viel besser sind als wir, in der Versenkung verschwinden. Wir haben das, was wir erreichen wollten, schon erreicht und sehen uns nicht als Wanderer. Unsere Wanderung ist beendet. Seit 15 Jahren ist alles Zugabe. Ab jetzt gibt es nur noch Freifahrten, haha. Aber im Ernst: „The Wanderer“ steht für die Verknüpfung von körperlicher und geistiger Bewegung. Für die Verknüpfung von „Sich verändern“, „Die Welt verändern“ und der Veränderung, die das Reisen mit sich bringt. Man wird nichts verändern, wenn man sich als Mensch nicht verändert. Und am meisten verändert einen das Reisen. Jeder Reisender ist ein Revolutionär. Und ich reise gerne. Ich war zum Beispiel bestimmt schon zwanzig Mal in Island. Den Namen des Cover-Berges kann ich allerdings noch immer nicht richtig aussprechen ...
Wie habt dann ausgerechnet ihr es gepackt mit dem Erfolg und der Besteigung des Ruhm-Berges?
Es gehört einfach nur ein Haufen Glück dazu.
Man kann selber nichts machen? Das glaube ich nicht.
Na ja, man kann sich in die Lage versetzen, dass man das Glück ergreifen kann, wenn es sich einem darbietet. Aber das ist ein unbewusster Moment. Das wird man erst hinterher erkennen. Beim Schreiben der Bandbiografie vielleicht, haha. Da wird einem dann wahrscheinlich bewusst: „Wow, da haben wir aber Glück gehabt! Das war ein Wendepunkt. Da haben wir genau richtig reagiert!“ Aber den Zeitgeist kann man nur treffen, wenn man unverkrampft an die Sache herangeht. Wenn man keine Erwartungen hat. Nur Hoffnung. Und das ist auch genau das, was ich jüngeren Bands immer wieder sage, wenn sie mich nach dem Erfolgsrezept unserer Band fragen. Ich erkläre ihnen dann: „Wenn du hier stehst und einen vergleichsweise alten Sack wie mich fragst, wie man erfolgreich wird, dann machst du was falsch. Du solltest lieber zu Hause sein und das nächste neue, große Ding drehen!“
Gibt es für dich Songs, die auf „The Wanderer“ im Zentrum stehen?
Ich würde eher von Songs als Eckpunkten sprechen. Denn im Zentrum stehen irgendwie alle Stücke. Sonst wären sie nicht auf der Platte gelandet. Und wenn es um Eckpunkte geht, dann denke ich an „Downshifter“, die erste Single. Da ist Härte drin. Aggression. Aber auch Melancholie. Melodie. Auch textlich. Da wird dieses In-die-Ferne-Gehen und Sich-neu-Orientieren verarbeitet. Ferner „Bring the war home“, weil wir in diesem Stück musikalisch ein wenig experimentieren mit Electro-Beats. Und dann noch „River of crimson“, weil das ein sehr persönlicher Song ist – eine Sache, die wir noch nie in dieser Art gemacht haben. Der ist der Familie eines Freundes gewidmet, deren Sohn kürzlich leider schon zum zweiten Mal an Blutkrebs erkrankt ist. Dieser Junge sagte zu uns: „Schreibt doch mal einen positiven Song über Blut. Das ist so wichtig. Alle Metal- und Hardcore-Bands singen immer nur darüber, wie es vergossen wird. Dabei ist Blut eine gute Sache!“ Und das haben wir gemacht. In dem Stück geht es entsprechend um eine rote Armee, die einen beschützt und einen durchfließt. Er handelt von einem Wunder. Davon, was Blut für den Körper bedeutet und was Blut mit dem Körper macht – und ist damit alles andere als negativ.
Wer hat diesen Song geschrieben?
Das war ich.
War das für dich besonders schwer, weil es dieses Mal auf die persönliche, tragische Schiene ging?
Es war schwierig, die Inspiration, die ich hatte, einzuordnen und daraus etwas zu machen. Denn normalerweise bin ich beim Songschreiben von Aggression getrieben. Das ist ein Treibstoff, mit dem ich umgehen kann. Bei dem weiß ich, wo er mich hinbringt. Ich weiß dann genau, wo und wann ich aufs Gaspedal drücken kann und was dann passiert. Bei „River of crimson“ dagegen ging es um Mitgefühl und Verbundenheit. Und das in Worte zu gießen, war schon etwas anderes. Da fallen einem andere Worte ein, die man zu Papier bringen möchte. Und das musste ich erst einmal einordnen.
Wenn man „The Wanderer“ hört, dann fällt auf: Es befinden sich mehr klassische Metal-Elemente darauf als früher. Das ist nicht mehr nur noch Metalcore wie etwa auf euren Referenzalben „Antigone“ und „Iconoclast“. Oder irre ich mich da?
Nein, das ist schon richtig. Aber das hängt einfach damit zusammen, dass wir heute auch in der Lage sind, das, was wir wollen, musikalisch entsprechend umzusetzen. Überspitzt gesagt: Früher waren wir einfach Metalkids, die politisch interessiert waren, die aber zu schlecht waren, um das auf den Instrumenten rüberzubringen. Da kam dann eine aggressive und primitive Form von Metal mit Hardcore-Attitüde raus, die irgendwann Metalcore genannt wurde. Heute haben wir eher eine Vorstellung davon, wie wir das umsetzen können.
Und was denkt ihr über Fans der ersten Stunde, die dann kritisieren, ihr würdet nicht mehr so klingen wie früher?
Ach, ich denke, wir haben schon eine Entwicklung durchgemacht, die nachvollziehbar ist. Für alle Fans. Zudem waren unseren Fans unsere Attitüde und politische Einstellung bislang immer wichtiger als irgendein einzelnes Metalriff. Sie wissen: Uns ist es nicht egal, wer bei unseren Konzerten steht oder wer unsere Alben kauft. Wir zeigen da schon klare Kante. Es gibt ja sogar Leute, die unsere Musik scheiße finden, uns aber goutieren, weil wir Veganer sind, haha. Insofern machen wir uns diesbezüglich also keine Sorgen.
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