CONVERGE

Foto

Eine Annäherung

CONVERGE – ein Inferno auf Platte. Freiwillig begibt man sich selten in solche Abgründe. Deswegen mied ich CONVERGE bisher, zumindest aus der Konserve. 2004 kam ich in den Genuss, die Band live zu erleben. Beeindruckend. CONVERGE – ein Inferno direkt vor Augen. Ungewöhnlich für mich der Frontmensch Jacob Bannon. Mit dem ich das Vergnügen hatte, bereits 2004 ein Interview zu führen. Dort gewann ich den Eindruck, vor mir steht ein „schöngeistiger“ Mensch, der über viele Dinge reflektiert. Jacob Bannon ist also nicht ganz unschuldig daran, dass ich CONVERGE nun als ein Kunstwerk betrachte.

Wie nähert man sich normalerweise einem Kunstwerk? Mit Respekt. Der Künstler, das mit Geheimnissen umwitterte Geschöpf. Extrovertiert auf der Bühne, introvertiert im wahren Leben. Schnitt. Na, da wird sich der Herr Bannon aber freuen, dass ich ihn noch mal interviewen muss, da mein Technikverständnis es verhindert hat, das Interview ordentlich aufzuzeichnen. Dabei soll man Künstler doch vor allen Dingen eins: „Nicht stören.“ Aber auf so was kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen und konfrontiere ihn mit folgenden Zeilen von Sylvia Plath, um uns den Einstieg zu erleichtern (Auflockerungstaktiken kennen keine experimentellen Schranken): „Dying is an art like everything else. I do it exceptionally well. I do it so it feels like hell. I do it so it feels real.“ Jacob assoziiert frei: „Menschen haben das Bedürfnis, sich lebendig und authentisch zu fühlen. Es gibt unterschiedliche Wege, dies zu tun. Ich habe mich dazu entschieden, Kunst zu machen und hoffentlich schaffe ich so für andere Menschen eine positive Erfahrung.“

Eine positive Erfahrung für den Zuhörer schaffen, indem er sich durch das Chaos quält? Vielleicht trägt das Hören von CONVERGE ja dazu bei, dass man seine verdrängten Affekte abreagiert und innere Anspannung löst? Bestreiten möchte ich diese Theorie nicht. Aber ist mein Gegenüber überhaupt an Kunst, Literatur und Poesie interessiert? Die Antwort ist nicht direkt überraschend:

„Bis zu einem gewissen Grade schon. Zu einem früheren Zeitpunkt in meinem Leben war ich mehr daran interessiert, was Menschen kreiert haben. Was mich heute anbelangt, bin ich mehr an einem Vorwärtskommen in meiner eigenen Arbeit interessiert. Ich kreiere, ich schreibe und tue das, was ich tue, und verschwende nicht allzu viel Zeit darauf, über andere Arbeiten nachzudenken.“

Da haben wir ihn wieder, den introvertierten Künstler. Nähern wir uns nun dem neusten, auf dem freien Markt erhältlichen Kunstwerk von CONVERGE an: „You Fail Me“. Wenn ich darüber nachdenke, ein fast kongenialer Titel für eine Platte. Nach dem Studium der Texte hatte ich den Eindruck, dass der Schreiber immer wieder Sehnsucht als zentrales Thema in den Vordergrund stellt. Es wird bejaht:

„Definitiv. Die Texte beinhalten Sehnsucht. Auch Wut. Das kommt mehr heraus, als in vorigen Veröffentlichungen. Die Texte sind für mich auch stärker und mehr auf den Punkt.“
Sonst wohl kein großer Unterschied zu den anderen Texten im CONVERGE-Kosmos, drehen diese sich doch ebenfalls um die großen Themen wie „Leben und Lebenserfahrungen. Es geht darum, wie man angsteinflößende Hindernisse und Furcht überwindet und beinhaltet eine Interpretation von Leben.“

In meinen Augen ist „You Fail Me“ ein Gesamtkunstwerk. Neben den Lyrics ist auch das Artwork eine Betrachtung wert. Als ich es das erste Mal zu Gesicht bekommen habe, fand ich es alles andere als gut. Eine Hand und ein Unterarm, der übersät ist mit zahlreichen, vernähten Schnitten. Dazu noch Herzchen. Was soll man denn davon halten? Mit der Zeit kam ich zu dem Schluss, dass Jacob Bannon das Artwork ironisch gemeint haben muss. Er stimmt mir zu und erläutert näher:

„Ich wollte etwas schaffen, das ein wenig ironisch wirkt. Ich wollte das dunkelste Albumcover machen, das möglich war. Dazu benutzte ich einfache, visuell reduzierte Metaphern und minimierte die Farben auf fast nichts. Ich wollte Kunst gestalten, die schockiert, die Heilung repräsentiert, Opfer und Liebe und Versagen.“

Man merkt, Kunst ist keine einfache Sache und jedem von uns sollten Zitate einfallen, die besagen, dass man für seine Kunst zu leiden hat. Bei CONVERGE muss meiner Meinung nach jemand sehr viel leiden. Spielt diese Band doch immer mit den recht düsteren Aspekten in unserem Leben. Hat Jacob Bannon da nicht Angst, dass seine Fans von ihm immer einen Seelenstriptease verlangen, dass er sein Innerstes für uns, sein Publikum, immer nach außen kehrt? Er widerspricht mir, hofft, dass die „Fans erkennen, dass die Musik nicht so einfach auf einen Schwarz-Weiß-Aspekt zu reduzieren ist. Dass es um Leidenschaft, um Freundschaft, um Trost, Hoffnung und Gefühl gehe.“

Bei so vielen Gefühlen, die jeden von uns ab und an heimsuchen und nicht nur unbedingt positive Auswirkungen auf uns haben, kommt es zu der Frage, ob die Band bereits Fanpost erhalten habe, in der die Schreiber ihr Herz ausschütten. Emotional letters for an emotional band. Auch das soll schon das eine oder andere Mal vorgekommen sein.

Jacob: „Die Musik ist ihr Freund geworden. Es erlaubt ihnen, sich zu konzentrieren, auf dass sie den täglichen Kampf im Leben gewinnen.“ Ja, da frag ich mich doch, ob das nicht beängstigend ist. Auf einmal wissen so viele Menschen, wie man sich fühlt, und alles nur auf Grund von irgendwelchen Texten, die man doch in recht intimen Momenten verfasst. Jacob sieht das bis zu einem gewissen Grad anders: „Wir alle identifizieren uns mit Kunst, die uns anspricht. In der Verwendung von Texten und Metaphern kann man einen emotionalen Zusammenhang herstellen oder eine emotionale Stimulation finden. Und das erlaubt mir, mich in der Auseinandersetzung damit wohl zu fühlen. Ich denke darum geht es in der Kunst und in der Musik.“

Eine Freundin von mir schüttelt immer nur den Kopf, wenn ich ihr von der Verzweifelung in den Lyrics von CONVERGE erzählen will. Sie kann das einfach nicht nachvollziehen. Jemand, der Geld verdient mit dem, was er liebt, durch die Gegend reist und die Zeit seines Lebens hat, kann doch nicht allen Ernstes den Anschein erwecken, als sei er kurz vorm Exitus. Damit konfrontiert, kommt die Kunst zurück ins Spiel:

„Kunst und Musik sind ein Ventil. Es ist ein positiver Weg, seine Emotionen zu kanalisieren.“

Andere sehen in der aggressiven Wucht der Musik ein Ventil. So kommt es schon mal vor, dass es während einer CONVERGE-Show zu einer Prügelei kommt. Wie steht denn jemand zu Gewalt, der sein Ventil innerhalb der Musik gefunden hat?

„Innerhalb von aggressiver Musik wird man immer eine Reaktion darauf finden. Der Schlüssel ist verantwortungsvolles Handeln, denn dieses Thema tritt immer erst auf, wenn Menschen nicht verantwortungsvoll handeln.“

Nach der Frage, ob er denn schon in solchen Prügeleien gesteckt hat, kommt ein „Ja“, aber weiter mag Jacob Bannon sich nicht zu dem Thema auslassen, denn er möchte „Gewalt nicht glorifizieren“. Aha. Prägend für einen Künstler sind oftmals die Erfahrungen, die er innerhalb einer bestimmten Gruppe macht. Bei Jacob Bannon käme da sicherlich dazu, dass er straight edge ist, aber nie wirklich dazu gehört hat. Zu der Gruppe der geleckten, „Clean Cut Kids“:

„Ich konnte niemals eine Beziehung zu den Youth Crew Kids aufbauen. Vor Jahren hab ich eine Gruppe von Kids getroffen, die straight edge waren, aber gleichzeitig nicht straight edge waren. Sie sahen nicht apart aus, hatten keine tollen Shirts, Kapuzensweater oder den perfekten Patch. Sie waren vielleicht auch nicht die glücklichsten Menschen in der Welt. Aber sie waren sehr menschlich und wirkten authentisch. Sie haben das repräsentiert, was ich mit dieser Community in Verbindung bringe.“

Wieder hat sich mein Eindruck bestätigt, vor mir sitzt ein Mensch, der die Widersprüche in der Welt wahrnimmt, der unter die oberflächlichen Prozesse schaut und darüber hinaus reflektiert.