CONVERGE

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Chaos in Perfektion

Seit über zwanzig Jahren existieren CONVERGE nun schon und wollen einfach in keine Schublade passen. Entweder man liebt oder hasst die Band, ihre Relevanz für die Hardcore-, Grindcore-, Mathcore- und so ziemlich jede andere -Core-Szene ist aber nicht zu leugnen. Im Oktober 2012 wurde das achte Album „All We Love We Leave Behind“ veröffentlicht, auf dem sich die vier Bostoner mal wieder selbst neu erfinden und übertreffen. Kurz bevor er manisch über die Bühne der Hamburger Fabrik sprang, sich in theatralischen Gesten verlor und all seinen Weltschmerz aus sich heraus schrie, setzte ich mich mit Sänger Jacob Bannon zusammen, um das Phänomen CONVERGE zu ergründen. Wie erwartet traf ich auf einen verdammt charismatischen und intelligenten Menschen, der abseits der Bühne mindestens genauso faszinierend ist wie darauf.

Jacob, CONVERGE ist mittlerweile älter als manche eurer Fans. Wie schafft ihr es, euch gegen die Flut von jungen Bands durchzusetzen?


Ach, ich weiß gar nicht so genau. Alle paar Jahre gibt es so einen Generationenwechsel bei unseren Shows. Wir achten eigentlich gar nicht auf andere Bands. Wir machen einfach, was wir machen. So lief das bei uns schon immer. Wir sind eine aggressive Band, eine Hardcore- oder Punkrock-Band, wie auch immer die Leute uns definieren wollen. Wir beschäftigen uns nicht damit, was die Leute über andere Sachen denken. Dennoch sind wir auf verschiedene Weise in die Szene involviert, es ist nicht so, dass wir komplett davon abgekoppelt wären. Einige Leute sagen, dass sie sich der Szene nicht mehr richtig verbunden fühlen, wenn sie älter werden, aber wir touren die ganze Zeit mit anderen Bands zusammen. Ich veröffentliche auf Deathwish Records Alben anderer Bands, Kurt arbeitet mit vielen Bands in seinem Studio, wir sind an vielem beteiligt und fühlen uns auch künstlerisch relevant. Und wenn wir nicht relevant wären, würden wir das nicht tun.

Aber Hardcore an sich ist ja schon eher eine Jugendbewegung ...

Ich glaube, Musik an sich ist eine „jugendliche“ Kunstform, da man sie entdeckt und ein Fan wird, wenn man jung ist, aber ich betrachte mich selbst nicht als „alt“, ich bin noch keine fünfzig. Es gibt viele Bands in der Punkrock- und Hardcore-Gemeinschaft, die um einiges älter sind als wir. Wenn wir die einzige Band wären, die in ihren frühen Dreißigern diese Musik machen würde, wäre das etwas anderes, aber das sind wir eben nicht. Es gibt relevante und interessante Bands in ihren Vierzigern, die jeden Tag spielen. Ich habe irgendwo eine Liste der Top-Alben 2012 gesehen und die stammten alle von Bands, die so alt waren wie wir. Was CONVERGE angeht, schreiben wir persönliche Songs über unser Leben, die komplex sind und noch nie emotional einfach waren. Es gibt eine Fülle von Gründen, kreativ zu sein.

Habt ihr euch selbst früher als Teil dieser Bewegung gesehen?

Nein. Wir wurden schon immer von diesem größeren Konzept, was Hardcore und Punkrock sein sollte, abgelehnt. Wir waren jünger, wir waren nicht cool genug, wir waren zu metal-lastig oder zu verrückt oder zu punkig. Es ist lustig, dass die Leute heutzutage einige unserer alten Aufnahmen so abfeiern, denn damals hat das echt keinen interessiert. Wir haben damals mit anderen Bands getourt, die uns nicht verstanden haben, und vor Leuten gespielt, die uns ebenso wenig verstanden haben. Heute ist das nicht viel anders. Es gibt immer eine kleine Gruppe von Leuten, die sich dazu entscheidet, uns treu zu bleiben, die versucht, uns zu verstehen und mit uns wachsen. Aber vielen fehlt eben die Verbindung zu uns und das ist völlig okay für uns. Wir erwarten nicht, von einem breiten Publikum akzeptiert zu werden, und wollen auch keine kommerziell erfolgreiche Band sein.

Was hältst du von dem Konzept der Subkultur an sich, sich mit einer bestimmten Musikrichtung oder einem bestimmten Stil zu identifizieren?

Ich denke nicht, dass irgendjemand jemals dadurch definiert werden sollte, was er mag. Man sollte dadurch definiert werden, was man tut. Es geht nicht um die Interessen. Ich habe so viele verschiedene Interessen, aber die definieren mich nicht als Person, sondern das, was ich tue und kreiere. Das Leben, das ich zu führen mich entscheide, ist das, wofür ich bekannt sein möchte, nicht welcher Musikszene ich angehöre. Für mich persönlich ist Hardcore zum Beispiel nur eine Form von Musik, eine offene Plattform, um leidenschaftliche Musik zu spielen, mehr nicht.

Hattest du jemals Idole in der Szene?

Nein, Hardcore und Punkrock sind für mich komplett frei von solchen Leuten. Es ging darum, eine Band live zu sehen und sich mit ihrer Emotion, Leidenschaft und Energie auseinanderzusetzen. Die sahen, als ich als Teenager zu den Shows gegangen bin, genauso aus wie ich. Sie haben einfach ehrliche Songs geschrieben und das ist das, was mich mit dieser Szene verbunden hat.

Während der ersten zehn Jahre eures Bandbestehens gab es einige Besetzungswechsel. Wie kam es dazu?

Wir waren einfach Kids. Wir haben angefangen, da war ich gerade einmal 13 Jahre alt. Stell dir mal dich selbst mit 13 vor und deine Interessen damals. Wir waren Kids, die Hardcore und Punkrock machen wollten, weil uns das irgendwie ansprach. Und oftmals, wenn man so jung ist, spielt man einfach mit den Leuten, die einen umgeben. Du kennst einen Drummer? Dann wird der der Drummer deiner Band! Mit der Zeit entwickelt man sich aber und lernt andere Künstler kennen, die eher gleichgesinnt sind. Als ich mit der Band angefangen habe, traf ich auf unseren Gitarristen Kurt. Wir hatten gemeinsame Interessen und eine gemeinsame Vision, was wir machen wollten. Es dauerte dann einfach eine Weile, bis wir das richtige Line-up gefunden hatten, aber wir spielen mit diesem Line-up nun schon seit zwölf Jahren. Das ist länger, als die meisten Bands heutzutage überhaupt existieren, wie du ja auch schon gesagt hast. Und selbst bevor unser Bassist Nate dazukam, haben wir mit seinen vorherigen Bands getourt und deswegen kennen wir ihn auch schon, seitdem wir Teenager waren, und unser Drummer Ben spielt bei uns, seit er 18 ist.

Ihr geht als Band ziemlich an die Grenzen, auch emotional. Besteht da nicht manchmal ein hohes Konfliktpotenzial zwischen euch?

Nein, wir verstehen einander wirklich gut und haben eine geschwisterähnliche Beziehung. Wir als Band haben eben dieses familiäre Verhältnis und diese Dynamik bei dem, was wir tun. Wir kennen uns schon so lange, verbringen aber nicht jede freie Minute miteinander, sondern führen unser eigenes Leben. Wir haben natürlich schon Kontakt, aber sehen uns nicht jeden Tag. Das gibt uns eine andere Dynamik, als sie viele andere Bands haben. Ich höre von so vielen Bands, die sich auflösen und rumnörgeln: „Wir sind ständig zusammen im Van und das ist so hart, man hat keine Privatsphäre!“, und ich denke nur: „Ja, das ist das, wofür ihr euch entschieden habt. Ihr sitzt in einem Van und reist umher. So ist das nun mal.“ Wir respektieren das, was jeder von uns mit einbringt, sowohl kreativ als auch persönlich. Dadurch funktioniert es.

Eure Musik ist auf der einen Seite sehr komplex, alles wirkt genauestens durchdacht. Auf der anderen Seite klingt sie so rauh und emotional. Wie kann man diese zwei Aspekte kombinieren?

Es ist einfach so, dass wir als Künstler Perfektionisten sind. Unsere Musik mag chaotisch und wild klingen, aber wir wollen, dass alles, was wir tun, auch wirklich absichtlich so ist. Wir wollen, dass das alles eine geschlossene Sache ist. Es dauert eine Weile, bis man an diesem Punkt angekommen ist, aber wir sind bedacht darauf, diese Balance herzustellen.

Seht ihr es als euer Ziel an, eure Hörer mit eurer Musik herauszufordern?

Ich habe überhaupt keine Vorstellung oder Erwartungshaltung, wie die Leute unsere Musik anhören oder wahrnehmen sollten. Es geht nur um meine eigene persönliche Erfahrung. Wenn ein Song mich bewegt, ich ihn aufregend finde und einen Draht zu ihm aufbauen kann, dann ist das alles, was zählt. Ich schreibe Texte, bei denen ich das Gefühl habe, dass ich einen Teil von mir da reingesteckt habe, etwas, das ich aus mir rauskriegen musste. Das ist es, was ich erreichen möchte. Alles andere ist völlig zweitrangig. Ich betrachte unsere Songs nicht aus der Perspektive des Hörers. Dadurch bleiben die Songs ehrlich, weil man nur für sich selbst schreibt.

Würden CONVERGE also auch bestehen, wenn ihr nur in deinem Keller spielen würdet und euch keiner zuhören würde?

So haben wir ja angefangen. Um ehrlich zu sein, würden wir es auch heute noch so machen. Wir touren nicht sehr oft, nur wenn uns gerade danach ist, weil wir auch noch andere Beschäftigungen haben. Es macht uns einfach Spaß, zusammen zu spielen. Wenn wir kein Publikum hätten und nicht die Möglichkeit hätten, Musik zu veröffentlichen, würden wir trotzdem noch zusammen spielen, solange es uns Spaß macht.

Du hast mal gesagt, dass man Hardcore und besonders eure Band nur versteht, wenn man das mal live erlebt hat. Wie meinst du das?

Ich habe neulich mit jemandem gesprochen, der ein ganz klassischer Metaller war und unsere Band nie verstanden hat, bis er uns auf einem Festival gesehen hat, und plötzlich machte das für ihn alles einen Sinn. Er verstand unsere Energie und warum wir so klingen, wie wir klingen. Bei Aufnahmen ist es schwierig, diese Energie einzufangen, denn bei einer Live-Show gibt es so viele Faktoren: das Publikum um dich herum, die Hitze im Raum, die Energie der Band und der Zuschauer, dieses große „push and pull“, das man sonst nicht unbedingt bekommt, wenn man eine Aufnahme anhört. Also ist es immer eine Herausforderung, dieses Gefühl einzufangen. Wir werden darin aber meiner Meinung nach immer besser.

Ihr seid immer noch sehr mit dem D.I.Y.-Gedanken verbunden: Ihr habt keinen Manager und lehnt Deals mit Sponsoren ab. Warum verzichtet ihr auf das alles?

Bei Sponsoren ist es so: Wir würden mit unserer Band nie etwas Peinliches machen. Warum sollte ich einen großen Sponsor für meine Band haben? Der repräsentiert meine Band nicht, ich kann mir seine Produkte weder leisten noch eine Beziehung zu ihnen aufbauen, und möchte mich auch nicht für sein Produkt engagieren. Was Manager angeht, sind die meisten von ihnen ziemlich schlechte Menschen, um ehrlich zu sein. Die wollen nur ihren Anteil an dem kleinen Gewinn, der mit alternativer Musik möglich ist, und machen gar nichts. Ich denke immer, wenn man wirklich Musik spielen und an dieser ganzen Sache teilhaben möchte, sollte man ein bisschen gebildet sein, Grundkenntnisse in Mathematik haben und einschätzen können, wie viel es kostet, etwas Bestimmtes zu tun. Man sollte die Prozesse des alltäglichen Lebens verstehen können, denn die eigene Miete zu bezahlen ist nicht viel anders. Für mich bestand einfach nie die Notwendigkeit, einen Haufen anderer Leute einzustellen. Ich meine, uns umgeben Leute, die uns immer helfen und unterstützen, aber das sind alles Menschen mit einem Bezug zur Musik. Der Typ, der seit 15 Jahren unser Anwalt ist, war in vielen Bands. Unser Tourmanager in Europa ist seit zwölf Jahren dabei. Er ist ein alter Freund und vermietet Equipment und Vans an Bands. Mit den Jahren sind wir alle Teil dieser D.I.Y.-Gemeinschaft geworden. Ich denke, dass viele Leute mehr selbst machen sollten.

Es scheint so, als wäre euch das Zusammenspiel von Visualisierung und Musik sehr wichtig ...

Ich glaube, dass diese beiden Aspekte einander verstärken. Jeder achtet bei Bands auf andere Sachen. Ich selbst lege viel Wert auf den Sound eines Songs, aber mich interessiert auch die visuelle Identität einer Band. Es kommt immer darauf an, wie das das Erlebnis und die Wahrnehmung der Musik sie beeinflusst und ich wollte dieses Zusammenspiel auch für unsere Band.

Max Moore hat das Video zu „Aimless arrow“, der ersten Single eures aktuellen Albums „All We Love We Leave Behind“, gedreht. Habt ihr ihm komplett freie Hand bei der Umsetzung gelassen oder habt ihr euch auch mit eingebracht?

Auf Max wurden wir durch unseren Freund Ryan von COLISEUM aufmerksam. Er wollte schon lange, dass wir etwas mit Max machen, denn er ist unglaublich talentiert und wollte einfach mit uns arbeiten. Wir sind im Allgemeinen keine Freunde von Videos und möchten nicht darin erscheinen. An diesem Punkt geben wir das Projekt also gerne an einen Regisseur ab. Für „Aimless arrow“ gab ich Max einen Überblick über den Inhalt des Textes und sagte ihm, was ich künstlerisch erwartete, den Rest hat er selbst beigesteuert und hat wirklich großartige Arbeit geleistet.

Ihr versucht immer, das beste Album zu machen, das zum Entstehungszeitpunkt möglich ist. Schaut ihr manchmal auf ältere Alben zurück und denkt: „Das würden wir heute anders machen“?

Puh, ich glaube, wenn man anfängt, auf ältere Sachen zurückzuschauen, fängt man an, so zu denken, und deswegen versuche ich, das zu vermeiden. Sobald man mit einem Album fertig ist, sollte man nicht mehr darüber nachdenken. Ich höre mir nur manchmal die Songs an, wenn wir sie schon länger nicht mehr gespielt haben, um mich wieder mit ihnen vertraut zu machen. Aber ich höre mir die älteren Sachen nicht an, um sie zu analysieren.

Als Künstler möchtet ihr euch ständig weiterentwickeln. Es gibt aber so viele Bands, die seit zwanzig Jahren die gleichen Alben machen und dennoch richtig erfolgreich sind. Langweilen die euch?

Oh ja, das tun sie, haha. Es gibt aber auch Bands, die einen bestimmten Stil haben und von denen man immer das Gleiche hören möchte. Wenn ich zum Beispiel ein neues MOTÖRHEAD-Album höre, möchte ich, dass es sich wie ein altes MOTÖRHEAD-Album anhört. Ich will nicht, dass es anders klingt, denn die Band hat so einen speziellen Sound. Aber was uns angeht, finde ich, dass wir so eine dynamische Bandbreite haben, dass wir unseren Sound mit jedem Album weiterentwickeln und steigern können.

Ihr sagt immer, dass ihr mit CONVERGE aufhört, wenn es nichts mehr zu sagen gibt. Ist es also möglich, dass „All We Love We Leave Behind“ euer letztes Album war?

Das kann sein. Gestern haben wir kurz vor unserem Auftritt backstage über ein paar coole Song-Ideen für das nächste Jahr geredet. Das ist ganz spontan. Manchmal sind wir nur darauf fokussiert, live zu spielen, manchmal wollen wir nur Songs schreiben. Für uns ist immer ein bestimmter Gedanke notwendig, um die Dinge in Bewegung zu setzen. Wir arbeiten nicht nach einem bestimmten Zeitplan wie viele andere Bands, die sagen: „Wir machen ein Album, dann gehen wir für so und so viele Monate da und dort auf Tour und dann machen wir noch eine Supporttour ...“ Wen interessiert das? Wenn sich bestimmte Möglichkeiten ergeben, ist das toll, wenn nicht, ist das auch okay.

Du hast vor Kurzem den ersten Song deines Soloprojektes WEAR YOUR WOUNDS veröffentlicht. Möchtest du dich in Zukunft mehr darauf konzentrieren?

Nicht wirklich. Ich schreibe für dieses Projekt schon sehr lange Musik. Wir haben ja alle noch so unsere Nebenprojekte und Bands, mit denen wir Sachen aufnehmen und live spielen. Es geht einfach darum, ein bisschen was anderes zu machen. Wir haben verschiedene musikalische Interessen und Ideen, die wir erkunden möchten. Ich mache das mit WEAR YOUR WOUNDS, Ben arbeitet gerade an einem neuen ALL PIGS MUST DIE-Album, Kurt ist immer irgendwo involviert, Nate schreibt gerade ein neues DOOMRIDERS-Album und arbeitet auch an neuen Sachen für OLD MAN GLOOM.