Mit „Cleave“ hat die 1989 in Nordirland gegründete Band vor kurzem ihr 15. Album veröffentlicht. Grund genug für ein Telefonat, in dem sich Andy Cairns ein weiteres Mal als freundlicher und auskunftsfreudiger Gesprächspartner herausstellt. Der inzwischen in England lebende Sänger und Gitarrist von THERAPY? hat auch kein Problem damit, eigenes Fehlverhalten in der Vergangenheit zu thematisieren.
Andy, das Erste, was mir beim Hören von „Cleave“ aufgefallen ist, sind die vielen mächtigen Riffs. Habt ihr mit Vorsatz in diese Richtung gearbeitet?
In den Neunzigern waren wir für mächtige Riffs und Refrains bekannt, danach kam eine Zeit, in der wir andere Dinge ausprobiert und gemacht haben, das ging ein paar Jahre so. Als wir vor drei Jahren „Disquiet“ veröffentlicht haben, waren es dann wieder rifforientierte und sehr eingängige Songs. Das wollten wir auch dieses Mal so, außerdem sollte es sehr direkt klingen.
Gab es bei „Cleave“ eine spezifische Herangehensweise?
Ja, es ging uns um das Thema Spaltung. Ich denke, jeder wird von dem Dreck, der sich Brexit nennt, mitbekommen haben. Wir selbst sind in einem Land aufgewachsen, das zweigeteilt war. Die Gesellschaft war in zwei Religionen aufgeteilt. Außerdem gab es noch das Gegenüber von Pro-Briten und irischen Republikanern. Als wir angefangen haben, an dem Album zu arbeiten, wurde im Zuge der Brexit-Diskussionen in England immer mehr die Tendenz zu Rassismus und Faschismus sichtbar. Ähnlich ist es, wenn man in Richtung Trump und USA schaut. Für uns war es interessant zu beobachten, wie sich politische und gesellschaftliche Spaltungen auf die Menschen auswirken. In England gibt es immer noch die idiotische Unterteilung der Menschen in verschiedene Klassen. Die Frage ist, warum es ein Bedürfnis nach so was gibt. Das war für uns der gedankliche Ausgangspunkt für das Album. Darüber hinaus gibt es auf „Cleave“ noch den Aspekt der innerlichen Spaltung. Stücke wie „Callow“, „No sunshine“ oder „I stand alone“ beschäftigen sich mit bipolaren Störungen und Depressionen, damit, wie Menschen innerlich auseinanderfallen können.
Ihr habt wieder mit Chris Sheldon zusammengearbeitet. Der hatte als Produzent seine Finger schon bei „Troublegum“ und „Semi-Detached“ im Spiel, außerdem hat er „High Anxiety“ gemischt. Hatte er einen nennenswerten Einfluss auf eure Arbeit?
Mir gefällt der kraftvolle und klare Sound, den er hinbekommt. Ich mag die Alben, die er in den Neunzigern mir 3 COLOURS RED und THE ALMIGHTY gemacht hat. Ich bin zwar kein riesiger FOO FIGHTERS-Fan, aber mir gefällt der Song „Monkey wrench“ sehr gut, für dessen Sound ist auch Chris verantwortlich. In letzter Zeit hat er außerdem mit THE XCERTS gearbeitet, einer Band aus Schottland, die ich mag. Abgesehen davon ist es aber die Atmosphäre, die mir an der Arbeit mit ihm gefällt. Er ist sehr positiv, dass überträgt sich schnell auf alle Beteiligten. Der Sound des Albums ist sehr energetisch, ich denke, dazu hat Chris viel beigetragen.
Ihr wart in den letzten Jahren vermehrt akustisch unterwegs. Hat es einen Einfluss aufs Songwriting, wenn man live alte Songs aufs Nötigste reduziert?
Das hat es tatsächlich. Bei den Akustik-Sets haben wir festgestellt, wie wichtig Texte und Melodien sind. Wo Lautstärke sonst einiges wettmacht, solltest du diese zwei Punkte beachten, darauf reagieren die Menschen.
Für das Artwork von „Cleave“ ist Nigel Rolfe verantwortlich. Es ist nicht eure erste Zusammenarbeit mit ihm.
Stimmt, er hat schon ein paar Cover von uns gestaltet. Der Ablauf dabei ist jedes Mal der gleiche, wir schicken ihm das Album und er schickt uns irgendwann ein Portfolio mit Fotos und sagt: „Hey, danach hört sich die Musik für mich an.“ Er ist sonst als Performancekünstler auf der ganzen Welt unterwegs, wir sind die einzige Band, mit der er zusammenarbeitet und wir vertrauen ihm. Ich habe Nigel 1993 in einer Galerie in Dublin kennen gelernt. Unser damaliger Manager ist mit ihm zusammen aufs College gegangen und hat uns einander vorgestellt. Wir sind ein paar Mal essen gewesen und haben uns über Kunst und Einflüsse unterhalten. Als die Plattenfirma von uns ein Cover für „Troublegum“ brauchte, haben wir Nigel gefragt, ob er interessiert sei. Wir wussten, dass er eigentlich ein Performancekünstler ist, der mit so was nicht viel zu tun hat, trotzdem hat er zugesagt.
Es scheint, als würdet ihr in den letzten 15 Jahren einem sehr stetigen Arbeitsrhythmus verfolgen. Hilft euch das dabei, eine funktionierende Band zu bleiben?
In den ersten fünf Jahren unserer Laufbahn haben wir den größten Teil unserer Zeit zusammen verbracht. Wir waren Freunde, sind in derselben Gegend aufgewachsen. Wir waren fast so was wie eine Gang, jeder hat sich um den anderen gekümmert. Diese Einstellung änderte sich irgendwann. Seit „High Anxienty“ sind wir aber wieder beste Freunde. Es hilft, sich regelmäßig Auszeiten zu nehmen. Wir achten darauf, nicht mehr die ganze Zeit aufeinander zu hängen und ein Leben außerhalb der Band zu haben. Dadurch bleibt es irgendwie auch frisch. Momentan sind wir damit alle glücklich und zufrieden, so war es nicht immer.
Welche Fehlentscheidungen fallen dir als Erstes ein, wenn du auf eure Karriere zurückblickst?
Es gab einige Momente, über die man im Nachhinein nachdenken kann. Ein Beispiel ist die Frage, ob es gut war, „Infernal Love“ so übereilt aufzunehmen. Was wäre gewesen, wenn wir uns ein Jahr Pause gegönnt hätten? Auf der anderen Seite hätte aber auch alles ganz anders kommen können. Wir sind Musiker, und als Musiker musst du spielen und Alben aufnehmen. Uns ist bewusst, dass ein paar der 15 Alben nicht so gut sind wie die anderen. Für meinen Teil bereue ich, in den Neunzigern so viel getrunken zu haben. Damit und mit Kokain habe ich mich zeitweise schon kaputt gemacht. Abgesehen vom gesundheitlichen Aspekt, stumpfte ich irgendwann ab. Es fehlte die Begeisterung für Musik, die stand irgendwann nur noch an zweiter Stelle, und das sollte so nicht sein. Es war nicht gut für die Band. Die Beziehung zu den anderen Bandmitgliedern hat darunter gelitten, genauso die Beziehung zu Freunden und zur Familie. Auch wenn wir es irgendwie immer geregelt gekriegt haben, war es eine Lektion, die ich erst lernen musste.
Welchen Einfluss auf eure Fans gesteht ihr euch ein?
Wir haben sehr loyale Fans. Ich hoffe, dass unsere Musik den gleichen Effekt auf sie hat, den andere Bands auf mich hatten, als ich jünger war. Es ist lustig, wir haben eher düstere Texte und melancholische Musik, trotzdem mag ich den Gedanken, dass wir einen positiven Effekt auf unsere Hörer haben. Für mich waren, wenn es mir als Teenager schlecht ging, Bands wie JOY DIVISION, THE CURE oder auch die frühen STRANGLERS eine Hilfe, mit meinem Elend umzugehen. Das Gefühl, nicht der einzige Abgefuckte zu sein, ist etwas Gutes.
Du hast vorhin kurz die Situation in Nordirland Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger angesprochen, als ihr euch gegründet habt. Ihr seid mit dem Thema nie sonderlich offensiv umgegangen, und auch bei eurer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hat es nie eine große Rolle gespielt.
Für uns war die Tatsache, dass wir eine gemischte Band waren, also eine Band mit Mitgliedern mit katholischem und mit protestantischem Hintergrund, schon eine Aussage an sich. Also hatten wir nie so sehr das Bedürfnis, politische Songs über den Konflikt in Nordirland zu schreiben. Es gab damals noch eine Generation, für die der kulturelle Hintergrund eine Bedeutung hatte. Für uns hingegen haben andere Dinge gezählt. Wir waren Freunde, die sich nicht für Religion, sondern für Musik interessiert haben. Und wir wollten zusammen Musik machen. In der Außenwahrnehmung waren wir wahrscheinlich irgendwann einfach nur eine britische Rockband. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass die meisten Menschen bei typischer irischer Rockmusik eher an so etwas wie FLOGGING MOLLY oder die POGUES denken. Die angespannte Situation hatte aber noch eine andere Folge: Zu dieser Zeit haben nicht viele Bands in Nordirland getourt, weil sie es für unsicher hielten. Also haben wir uns dankbar alles angeschaut, was gespielt hat. THE JESUS AND MARY CHAIN, SIOUXSIE AND THE BANSHEES, THE CURE, UK SUBS, THE DAMNED, METALLICA, MOTÖRHEAD, THE HUMAN LEAGUE, aber auch gelegentlich Konzerte in einem Jazzclub bei uns in der Gegend. Unsere Begeisterung für Musik war also von vornherein von einer großen Bandbreite geprägt. Ich denke, das haben wir beibehalten.
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