Es ist schon beeindruckend, THERAPY? feiern in diesem Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum. Grund genug also, sich ein wenig mit Andy Cairns zu unterhalten. Der Sänger und Gitarrist ist ein gut gelaunter und freundlicher Gesprächspartner, dem man nur ein paar Stichworte geben muss, damit er von sich und seiner Band erzählt. Von wegen „Happy people have no stories“ ... Zwei Jahrzehnte sind für eine Rock-Band, die sich weitestgehend abseits der gängigen Geschmäcker bewegt hat, eine lange Zeit. Die Band aus Belfast ist noch immer äußerst aktiv, und war nie für wirklich lange Zeit von der Bildfläche verschwunden.
Wenn man bedenkt, dass THERAPY? ihre kommerzielle Hochphase schon gut fünfzehn Jahre hinter sich haben, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Die Band rennt entweder den Großteil ihrer Kariere dem eigenen Erfolg hinterher, ohne es zu schaffen, an diesen jemals auch nur wieder ein kleines Stück heranzukommen. Oder THERAPY? sind in Bezug auf ihre Musik selbstbewusst genug, und haben seit jeher mehr Interesse an deren Qualität als an Verkaufszahlen. Man muss darauf hinweisen, dass die Musik von THERAPY? in kommerzieller Hinsicht zu einer Zeit hoch gehandelt wurde, in der das Interesse für alternative Rockmusik wesentlich stärker ausgeprägt war, als es heute der Fall ist. Anfang und Mitte der Neunziger gab es seitens der Industrie einen ungeheuren Hunger auf alles, was eine Gitarre um den Hals hängen hatte und dabei möglichst ungewaschen aussah. Natürlich wiederholt sich so ein Hype alle paar Jahre, aber THERAPY? hatten nur einmal das Glück, von den kalkulierten Launen des Musikgeschäfts zu profitieren.
Nachdem die Band ihre ersten beiden EPs „Babyteeth“ und „Pleasure Death“ über das kleine Indielabel Wiiija Records veröffentlicht hatte, folgte 1992 „Nurse“ auf dem Major A&M. Das enthaltene „Teethgrinder“ war zwar so etwas wie der erste Hit der Band, im Vergleich zu den Reaktionen auf das folgende Album „Troublegum“ war das aber nur ein Sturm im Wasserglas. Die auf „Troublegum“ präsentierte Mischung aus poppigen Melodien und Krach traf allerorts auf offene Ohren und wurde dementsprechend abgefeiert. Aus heutiger Sicht war der Erfolg des Albums für Andy Cairn ein zweischneidiges Schwert: „Es brachte der Band auf der einen Seite weltweiten Ruhm ein, von dem wir auch noch heute zehren können. Es ist zwar nicht mehr so wie in den Neunzigern, aber aufgrund von ,Troublegum‘ haben uns die Menschen nach wie vor auf dem Schirm. Auf der anderen Seite nervt es, nur auf dieses eine Album reduziert zu werden. Jede neue Veröffentlichung von uns wird an diesem einen Album gemessen. Aber ich will mich nicht beschweren, ,Troublegum‘ hat uns die Möglichkeit einer Kariere gegeben.“
Wer Ende 2009 auf der letzten THERAPY?-Tour war, dem dürfte aufgefallen sein, wie sehr die Band um eine repräsentative Präsentation ihres Backkatalogs bemüht war. Auf der Bühne ist die Band sowieso schon immer eine Bank. Aber was bleibt ihr auch anderes übrig: „Wir waren noch nie eine Band, die sich besonders gut auf Postern gemacht hat. Wir haben uns nie sonderlich wohl mit dem Gedanken gefühlt, dass wir Stars sein könnten. Dafür sind wir einfach nicht die richtigen Menschen. Guck dir doch an, wie das heute läuft, Bands veröffentlichen zwei oder drei Alben, sind dann wieder aus der Mode und lösen sich auf, nur um vier Jahre später wieder auf der Bühne zu stehen und sich und ihr Comeback zu feiern. Ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, in England ist das der momentane Zustand und unglücklicherweise gefällt es den Fans. Unser Konzertpromoter hat erklärt, wenn wir uns zur Zeit von ,Infernal Love‘, als wir wirklich große Hallen gespielt haben, aufgelöst hätten und erst sechs Jahre später wieder zu einer Reunion aufgetaucht wären, wir weiterhin in den selben großen Hallen gespielt hätten. Wenn man aber als Band jedes Jahr ein Album veröffentlicht, steigert das nicht gerade die Nachfrage und man zieht auch nur eine bestimmte Menge an Publikum. Aber was sollen wir machen, wir sind halt konstante Musiker und keine Rockstars. Ich hab vor kurzem einen Freund in Los Angeles besucht, der teilweise mit solchen Typen abhängt. Die tragen durchgehend Sonnenbrillen und erzählen nur von den Frauen, die sie gefickt haben, und auf welche Partys sie gehen. Die leben diesen Film 24 Stunden am Tag, das wäre nichts für mich. Ich bin jetzt in meinen Vierzigern und habe Spaß, auf der Bühne zu stehen. Für mich ist es kein Problem, ein alternder Musiker zu sein, aber ein alternder Rockstar, dass ist etwas für Typen wie Dave Navarro.“
Anscheinend ist man im Hause THERAPY? inzwischen in einem Alter angekommen, in dem man sich lieber etwas tiefgründigere Gedanken macht. Immerhin bezieht sich der letzte Albumtitel „Crooked Timber“ direkt auf ein Zitat von Immanuel Kant. „Ich bin ein sehr großer Fan von Samuel Beckett“, so Andy. „Das Album greift inhaltlich einige seiner Ideen auf. Beckett wiederum war von Menschen wie Kant und Schopenhauer beeinflusst. Also bin ich über das Lesen von Beckett auf Kant und seine Ideen von Bewusstsein und Humanismus gestoßen.“ Wo wir gerade bei großen Denkern sind, von Freud stammt die Aussage, dass die Iren das einzige Volk sind, das gegen Psychoanalyse immun ist. Bedenkt man den Bandnamen, ist das schon ein wenig seltsam. „Als wir mit der Band anfingen, passte es einfach. Wir haben jeden Mittwoch in einem kleinen, dunklen und kalten Proberaum Krach gemacht. Wir haben jede Woche zwei Stunden an dem Material für ,Babyteeth‘ gearbeitet, und als wir dann einen Bandnamen brauchten, beschrieb THERAPY? die Situation eigentlich recht gut.“
Neben der persönlichen Situation, haben sich die Texte der Band auch immer mit den äußeren Zuständen auseinander gesetzt. Wenn man in Nordirland lebt und aufwächst, ist das bestimmt nicht immer angenehm. „Es ist fast schon zwanzig Jahre her, dass ich Stücke wie ,Potato junkie‘ geschrieben habe. Der Song hat eine Menge damit zu tun, in Belfast aufzuwachsen. Damals war die Situation hier eine andere, es gab die britische Armee, Ausschreitungen und Tote auf den Straßen. Das Bild Irlands, das in der Welt vorherrschte, war entweder geprägt von diesen Auseinandersetzungen oder von Guinness und James Joyce. Wir wollten uns einfach distanzieren von den ganzen bekannten Klischees. Heute sehe ich die Sache schon etwas differenzierter, wobei mir Teile der irischen Kneipenmentalität nach wie vor auf den Sack gehen. Aber ich habe nichts gegen James Joyce und Samuel Beckett.“
Wenn man sich die letzten Alben der Band anhört, fällt auf, dass THERAPY? sich zumindest musikalisch wieder an ihren eigenen Anfängen orientieren. „Natürlich hören wir uns unsere alten Scheiben noch ab und zu an, aber die Gemeinsamkeiten haben wohl eher einen anderen Grund. Zur Zeit von ,Babyteeth‘ haben wir außer Rock und HipHop auch eine Menge düsteren Techno gehört. Beim Songschreiben für ,Crooked Timber‘ haben wir uns wieder an elektronischer Tanzmusik orientiert, zumindest was die Rhythmik betrifft. Es ist trotzdem ein Rockalbum, wir wollten eine moderne Version von unserem alten Material aufnehmen. Es war insgesamt ein sehr bewusster Aufnahmeprozess, uns war sehr daran gelegen, dass jedes Instrument sich entfalten kann, und wahrgenommen wird. Weniger Gitarrenspuren und Verzerrung, mehr Augenmerk auf den Bass, mehr Gesang und weniger Geschrei. Dadurch ist uns, glaube ich, ein etwas breiteres Spektrum gelungen. Es war uns wichtig, dass man der Band die Drei-Mann-Besetzung anhört.“
Es wirkt, als würden sich THERAPY? als Trio am wohlsten fühlen, nichts gegen die Zeit mit vier Bandmitgliedern, aber besonders live scheint die Band momentan wieder da angekommen zu sein, wo sie den meisten Spaß hat: im Krach. Man kann nur hoffen, dass sie den auch noch weit über ihr 20-jähriges Jubiläum hinweg zelebrieren.
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