In ihrem 33. Jahr hat die Band aus Nordirland in diesem Mai ihr 16. Album veröffentlicht. Mit ihren letzten wieder melodieorientierten Veröffentlichungen erinnern die drei Musiker an die Zeit Mitte/Ende der Neunziger, die die erfolgreichste von THERAPY? war. Gitarrist und Sänger Andy Cairns sprach mit uns über seine Einflüsse.
Der Albumtitel „Hard Cold Fire“ ist eine Schöpfung, die ihr euch bei Louis MacNeice ausgeliehen habt.
So ist es, Louis MacNeice ist ein inzwischen verstorbener irischer Dichter. Er stammt aus dem County Antrim, das ist die Region um Belfast, Ballyclare und Larne, wo auch THERAPY? herkommen. In einem seiner Werke hat er die Theorie aufgestellt, dass bei Menschen aus dieser Gegend ein „Hard Cold Fire“ durch ihre Körper fließen würde. Er hat es mit dem Basalt verglichen, eine Gesteinsart, die es hier viel gibt. Außerdem hat er den Leuten aus dem Norden attestiert, sie hätten Mica [auch Glimmergruppe, Mineralien aus der Abteilung der Schichtsilikate, Anm. d. Verf.] in ihrem Blick. „The hard cold fire of the northerner / Frozen into his blood from the fire in his basalt / Glares from behind the mica of the eyes“, was für mich gut beschreibt, wie es war, hier während der politischen Unruhen aufgewachsen zu sein. All die Kraft, die einem dadurch abverlangt wurde, und die Stärke, die man dadurch aufgebaut hat. Als Band hat uns das gefallen. Wir kannten die Formulierung schon eine ganze Zeit, bevor wir die Songs für das neue Album geschrieben hatten. „Hard Cold Fire“ war wegen des Klangs der Worte schon immer ein potenzieller Albumtitel. Dieses Mal hat es einfach gepasst.
Abgesehen vom Titel, wie ist das Album entstanden?
In der Corona-Zeit haben wir 22, 23 oder 24 Stücke aufgenommen. Ich weiß es nicht mehr genau. Als wir nach dem zweiten Lockdown wieder zusammen proben konnten, gefielen uns die kurzen, schnellen und energiegeladeneren Songs am besten. Wir wollten kein langsames, melodramatisches Album veröffentlichen, die Leute mussten in den letzten Jahren schon genug durchmachen. Es war eine bewusste Entscheidung, , dass es in diese direkte Richtung gehen soll, wenn THERPAY? ein neues Album veröffentlichen. Die zehn Songs auf „Hard Cold Fire“ machten uns beim Spielen am meisten Spaß. Chris Sheldon, unserem Produzenten, gefielen sie auch, und er war sofort bei der Sache. Chris ist so ein großartiger Typ. Um mit uns das „Cleave“-Album aufzunehmen, ist er aus seinem Ruhestand zurückgekommen, was uns wirklich gefreut hatte. Als wir damit fertig waren, meinte er nur, wir sehen uns bei den Aufnahmen fürs nächste Album, also nahmen wir ihn beim Wort.
Du hast kurze und direkte Songs erwähnt, das Album ist nur knapp über dreißig Minuten lang. Wie leicht oder schwer fällt es, sich in dieser Hinsicht zu limitieren?
Ein paar Dinge mussten tatsächlich zusammengeschnitten werden. Der Opener „They shoot the terrible master“ war eigentlich über eine Minute länger, mit mehr Text und einem zusätzlichen Riff. Chris war vom ursprünglichen Demo nicht überzeugt, also ließ er uns zwei Versionen aufnehmen. Mit seinem Vorschlag, einen langsamen Teil wegzulassen, sollte er recht behalten. Ab da war uns auch klar, wie wichtig seine Entscheidungen für das Album seien würden, weil er die Ideen objektiver beurteilt als die Band.
Ihr seid also offen für Meinungen und Ideen von außerhalb.
Nein, wir sind nur offen für Chris Sheldon. Er ist ein alter Freund von uns und wir vertrauen ihm. Er kann uns Sachen sagen, die andere nicht könnten. Er erzählt keinen Scheiß. Wenn ihm etwas nicht gefällt, lässt er uns es wissen und wir nehmen es nicht persönlich oder sind beleidigt. Das ist im Musikgeschäft nicht üblich, weil es anscheinend die Furcht gibt, Künstlern zu nahe zu treten. Chris hat dieses Problem nicht, was zu einer offenen und ehrlichen Arbeitsatmosphäre führt, die wir als Band brauchen.
Er war auch schon in den Neunzigern euer Produzent, oder?
Stimmt, er hat sowohl „Troublegum“ als auch „Semi-Detached“ produziert und gemischt, außerdem war er 2003 für den Mix von „High Anxiety“ verantwortlich.
„Hard Cold Fire“ hat für mich einige Ähnlichkeiten mit „High Anxiety“.
Du bist nicht der Einzige, der das sagt. Viele fühlen sich bei den Melodien an diese Zeit erinnert. „High Anxiety“ ist außerdem für unseren Schlagzeuger Neil Cooper sein Lieblingsalbum von THERAPY?.
Wir hatten eben schon Louis MacNeice, lass uns kurz über Bücher sprechen. Was hat dich über die Jahre beeinflusst?
Ich habe schon als Kind gerne viel gelesen, mit zwölf oder dreizehn entdeckte ich wie viele Jungen in diesem Alter Stephen King. Aber das erste Buch, das mich wirklich beeinflusst hat, war „Der Fremde“ von Albert Camus, es war die erste herausfordernde Literatur für mich. Ich war großer THE CURE-Fan und es gab da eine Verbindung. Ich fragte meinen Englischlehrer und er hat mir erklärt, was es mit dem Existenzialismus auf sich hat. Die Idee, dass es in dem Buch weniger um eine Geschichte, als um die Gedankengänge des Protagonisten geht, hat mich schwer begeistert und dazu gebracht, mehr zu lesen und mich mit Literatur auseinanderzusetzen. Ich bin ein großer Fan von Samuel Beckett, und dessen Lieblingsbuch war „Die Welt als Wille und Vorstellung“ von Schopenhauer. Ich habe versucht, es zu lesen, aber aufgrund der alten Sprache ist es mir schwergefallen und ich stellte es nach ungefähr einem Drittel zurück ins Regal, wo es noch immer auf mich wartet. Irgendwann werde ich es lesen. Mein Lieblingscharakter in der Literatur ist Billy Pilgrim aus „Schlachthof 5“ von Kurt Vonnegut. Es ist mir sehr sympathisch, wie er losgelöst von der Zeit einen leicht entrückten Blick auf die Welt hat. Ich habe das Buch mehrfach gelesen und hatte jedes Mal meine Freude daran, außerdem hat es meine Haltung gegen Kriege sehr verstärkt.
Gibt es einen Autor, dessen Bücher für dich wichtiger sind, als die Musik der RAMONES?
Nein. Bücher haben bei mir immer eine Menge ausgelöst und tun das noch immer, aber wenn ich niemals die Musik der RAMONES oder der BUZZCOCKS gehört hätte, denke ich nicht, dass ich heute mit dir sprechen würde. Albert Camus mag mir Ideen vermittelt haben, aber die Möglichkeit, mit Barré-Akkorden Melodien zu spielen, hat für mich alles verändert. Ich habe immer geglaubt, nie gut genug zu sein, bis mir ein Typ auf meiner Schule gezeigt hat, wie einfach es ist, die Musik, die ich mag, zu spielen. Nach 33 Jahren schreibe ich immer noch eine bestimmte Art von Songs, die davon beeinflusst ist, was ich als Jugendlicher mochte. Ich bin ehrlich gesagt kein besonders großer Metal-Fan, aber das Gitarrenspiel von James Hetfield auf den ersten drei METALLICA-Alben hat mich aus irgendeinem Grund doch sehr beeinflusst. Ansonsten höre ich viel elektronische Musik und alten Jazz, Eric Dolphy und so Zeugs. Tatsächlich gefällt mir auch eine Menge Pop. YINYANG aus Belfast oder die Rapper JPEGMafia oder Danny Brown. SCOWL gefallen mir auch gut. Mein Lieblingsalbum dieses Jahr ist bisher „Games Of Power“ von HOME FRONT, sehr Achtziger, als hätten A FLOCK OF SEAGULLS ein Punk-Album aufgenommen.
Was ist mit Noise?
Künstler wie PETBRICK, CHAT PILE, LIGHTNING BOLT, SEX SWING, MELT-BANANA oder RAINBOW GRAVE veröffentlichen Alben, die für mich wirklich spannend sind. Es gibt eine ganze Anzahl an Bands, die aufregende Gitarrenmusik spielen. Was mir am meisten gefällt daran ist die Tatsache, dass ich nur eine dieser Platten aufzulegen brauche, wenn es mir nicht gut geht oder ich Scheißlaune habe, und alle meine Sorgen schmelzen dahin.
Wir haben am Anfang über Louis MacNeice gesprochen. Kann es sein, dass du mit den Jahren ein entspannteres Verhältnis zu deiner Herkunft und der nordirischen Kultur entwickelt hast?
Du hast absolut recht. Mir geht es so wie vielen Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, um woanders zu leben. Nach einiger Zeit stellt man fest, wie viele Charakteristika und positive Dinge an einem selbst von der Heimat geprägt wurden. Ich empfinde sehr viel Zuneigung für meine Herkunft. Ich liebe die Musik von dort. Meine Eltern leben noch immer da, Michael, unser Bassist, auch. Ich bin häufig dort zu Besuch. Und um etwas Perspektive zu geben, nach 1998 hat sich einiges verändert. Der Friedensprozess hat dazu geführt, dass die Menschen durchatmen und ein normales Leben führen konnten. Es gibt hin und wieder Ausnahmen und Ausbrüche von Gewalt, aber im Großen und Ganzen ist die Lage so wie im restlichen Irland. Als ich als junger Mann meine Heimat verlassen habe, hätte ich nicht gedacht, dass das möglich ist.
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