SCHROTTGRENZE

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Achtung! Kein Deutschpunk!

SCHROTTGRENZE?! Natürlich! Die Druckbuchstaben auf der Schublade des deutschen Punk könnten kaum größer sein. Und sind sie doch so falsch platziert. Auch ich kann den Irrglauben nicht leugnen, den ich bis vor einigen Monaten erlegen war, bis zu dem Tag, an dem ich „Belladonna“ hören durfte und verstand. Gut, es mag so begonnen haben, als deutscher Punk, damals, vor mehr als zehn Jahren, in dem kleinen Ort Peine, fast Zonenrandgebiet, in einem Alter, als die einzelnen Bandmitglieder gerade mal ihre Instrumente buchstabieren konnten. Aber es hat sich viel getan in der zurückliegenden Dekade. Sehr viel. Nicht nur, dass die Band mittlerweile in Hamburg lebt und jeder von ihnen Auto fahren darf. Diese Band ist gereift. Diese Band hat ein Potential entwickelt, das sie im besten Fall ganz weit nach oben führen kann, nein, führen muss. Und diese Band schreibt Songs und hat Melodien, für die andere ihre Seele verkaufen würden. Und es wird Zeit, dass die Republik versteht, dass SCHROTTGRENZE zu den besten Gitarrenbands des Landes gehört, spätestens jetzt, mit „Das Ende unserer Zeit“. Das Interview führte ich mit Sänger Alex.

Ich weiß, die Frage wird euch vermutlich mittlerweile zum Hals heraushängen, aber ich muss sie stellen: Ist euer Bandname ein Fluch?

„Wie du schon richtig sagst, wird der Bandname immer wieder thematisiert und sorgt bei neuen Zuhörern oder Konzertbesuchern erst mal für Verwirrung. Die meisten vermuten natürlich hinter SCHROTTGRENZE eine musikalische Katastrophe, und sie sind meistens eher positiv überrascht, wenn sie uns tatsächlich mal auf der Bühne erlebt haben. Insofern hat der Name in seiner Funktion als Understatement auch sein Gutes, da die Leute die Diskrepanz zwischen Name und Musik nicht so schnell wieder vergessen. Wenn man so wie wir seit zehn Jahren mit so einem Begriff wie ‚Schrottgrenze‘ lebt, entwickelt der Name natürlich eine Eigendynamik. Er ist einfach der Oberbegriff für unsere Band geworden, die eine der wichtigsten Konstanten in unserem Leben darstellt. Deshalb würde ich ihn nicht als Fluch bezeichnen wollen.“

Und ich gehe davon aus, dass er zu Beginn eurer Geschichte schon seine Bedeutung gehabt haben wird. Wie war das vor etwas mehr als zehn Jahren? War es Punk? Teenager, die ihre Instrumente kaum beherrschen und zwangsläufig den Weg zum 3/4-Takt finden? Was ist die Geschichte von SCHROTTGRENZE?

„Klar, wir wollten am Anfang unserer Bandgeschichte 100% Punk sein. Der Name entstand bei einer unserer ersten Proben im März oder Februar 1994. Wir hatten schon verschiedene Namen auf unserer Liste, so absurde Sachen wie z.B. ‚Faltifer‘, ‚Die schleimtötenden Gallertwürfel‘ und ähnlicher Schwachsinn. Natürlich definierten wir uns als Deutsch-Punk-Band, damals hörten wir am liebsten DRITTE WAHL und SLIME und coverten auch schon mal Nummern von ABSTÜRZENDE BRIEFTAUBEN, NORMAHL oder SLUTS N. Hehe, wir waren 14 und das war der Kram, den wir kannten, und den wir cooler fanden als das, was andere bei uns in der Schule hörten. Na ja, bei besagter Probe schlug unser damaliger Bassist Lars Watsack ‚Schrottgrenze‘ als Namen vor, weil Timo und ich ihm ein neues Stück von uns vorspielten, das er klanglich als extrem ‚schrottig‘ empfand, da keiner von uns wirklich spielen, geschweige denn singen konnte. Wenig später machten wir Tapes von unseren eigenen Songs, die dann sogar in Fanzines besprochen wurden und spielten vor den älteren Punks im UJZ Peine oder auf Höhnies Geburtstags-Party. Das alles war damals total Punk für uns, die absolute Erfüllung. Obwohl wir heute was ganz anderes machen und Punk für mich heute etwas ganz anderes bedeutet, find ich das Feeling von damals immer noch schön.“

Wie findet man dann den Weg vom deutschen Punk zum ... Ja, wohin eigentlich? Deutscher Alternative? Ehrlich gesagt, fällt mir momentan weder der geeignete Begriff, noch eine andere Band ein, die solch eine unglaubliche Entwicklung hinter sich gebracht hat.

„Die Entwicklung war sehr langsam bei uns, da wir immer alles selbst und ohne nennenswerte Hilfe gemacht haben. Es gab nie einen Image-Berater, Produzenten oder einen Gitarrenlehrer, der auf uns Einfluss genommen hat. Dementsprechend ist unsere Discographie sozusagen der lange, unverfälschte Weg unserer musikalischen Entwicklung. Wir entdeckten so etwa mit 16 jede Menge andere Bands, die uns noch besser gefielen als die typischen D-Punk-Geschichten. Zunächst waren das z.B. BOXHAMSTERS und EA80. Das, was die machten, beeindruckte uns, und brachte uns recht bald vom originären Deutsch-Punk zu Indie-mäßigeren Sounds. Jeder von SCHROTTGRENZE entwickelte fortan einen eigenen Musik-Geschmack. Timo fuhr z.B. total auf die Lookout-Schiene und den ganzen RAMONES-Sound ab, was sicher der Grund war, warum viele unserer älteren Platten so einen poppigen Einschlag hatten. Uns war spätestens ab der zweiten CD ‚Super.‘, also ca. 1997, sehr wichtig, dass jeder die Einflüsse, die ihm am Herzen lagen, irgendwie in die Band miteinbringen konnte, ohne dass es am Ende wie ein Rip-Off unserer Helden klingt. Wir wollten unser eigenes Gesicht erschaffen, und uns war recht bald klar, dass das eine Weile dauern würde. Aus dieser Vorsicht heraus hat sich unser Sound ganz langsam zu dem entwickelt, was er heute ist. Ob das Alternative, Punkrock oder sonst was ist, kann ich nicht sagen. Wir hoffen, dass es rockt, aber vor allem berührt.“

Es berührt. Das kannst du mir glauben. Ich hatte dieser Tage verdammt noch mal Tränen in den Augen, als ich euer neues Album zum wiederholten Mal gehört habe. Aber ist es nicht so, dass Musik und Texte mittlerweile zu einem großen Anteil von dir kommen?

„Vielen Dank für dein Lob. Da uns die neuen Songs durch die intensive Studioarbeit der letzten Monate inzwischen schon zu den Ohren rauskommen, können wir das Album im Moment nicht genießen oder selbst beurteilen. Da tut so ein Feedback gut. Stimmt, mittlerweile schreibe ich fast alle Songs bei uns. In den ersten Jahren hat Timo bei uns das meiste geschrieben und gesungen. Ich habe höchstens hin und wieder mal eine B-Seite gemacht. Seit ‚Super.‘ hat sich das Blatt völlig unbeabsichtigt gewendet und seither schreibe ich fast alle Songs bei uns und singe diese auch. Timo hat sich, ebenfalls aus Eigenantrieb, mehr in die Organisation der Band gestürzt, das liegt ihm viel mehr am Herzen. So hat jeder seine Aufgabe in der Band.“

Wenn man deine Texte liest, deine Musik hört, kann man den Eindruck bekommen, dass sich dahinter ein äußerst melancholischer Mensch verbirgt. Und vielleicht noch weit darüber hinaus. Ich will nicht sagen, dass man den Eindruck gewinnt, dass es fast schon krankhafte Züge hat, aber zumindest scheint dir der Zustand der Depression nicht unbekannt zu sein ...

„Da ist schon was dran. Ich neige zu Depressionen, was meiner Erfahrung nach in dieser Zeit nichts Ungewöhnliches zu sein scheint. Ab einem gewissen Punkt nehmen Depressionen sicherlich krankhafte Züge an. Das ist ein Schneeballsystem, eine Kleinigkeit bedrückt dich und wird auf einmal zum allumfassenden Riesenproblem. Ein wichtiger Punkt auf dem Weg da raus ist, zunächst einmal zu erkennen, dass man überhaupt Depressionen hat. Seitdem mir das klar ist, gelingt es mir leichter, auf den Teppich zurückzukommen und Probleme anzupacken, anstatt zu erstarren. Als ich einige der Texte auf ‚Das Ende unserer Zeit‘ im Rahmen der Studioaufnahmen einsang, hatte ich regelrechte Aha-Momente, in denen ich das Gefühl hatte, von außen an mir herabzuschauen und zum ersten Mal tatsächlich zu verstehen, was ich im Moment des eigentlichen Schreibens empfunden hatte. Texte zu schreiben, kann ein guter Weg sein, sich selbst und seine Probleme kennen zu lernen.“

Man muss sich also keine Sorgen um dich machen? Ich meine, wenn man einige deiner Texte liest, Texte, die erschreckend eindrucksvoll scheinbar vom Ende reden, könnte das Gefühl entstehen, es mit einem Menschen zu tun zu haben, der selbst schon über sein eigenes, vielleicht sogar gewolltes Ende nachgedacht hat.

„Nein, Sorgen muss man sich nicht machen. Über ein gewolltes Ende habe ich mal in der Pubertät nachgedacht, diese Liebeskummer-Phase hat ja sicher jeder mal durchgemacht ... Aber abgesehen von diesem Kinderkram genieße ich das Leben und vor allem die Musik viel zu sehr. Im Gegenteil, ich wünsche mir eigentlich, dass die intensive Beschäftigung mit Themen wie Verlust, Abschied oder Ende als Trost spendend verstanden wird. Meiner Ansicht nach enthalten unsere Texte auch stets eine neue Perspektive, eine neue Hoffnung. Die Platten von Bands, die solche Themen markant behandeln, wie z.B. CURE oder EA80, haben mich in schlechten Phasen immer aufgebaut und mir Kraft gegeben. Wenn uns das in auch nur ansatzweise ähnlicher Form gelänge, würde ich meine ganz persönliche Mission als erfüllt betrachten. Wie heißt es bei Dr. Stefan Frank? ‚Ein Ende kann ein Anfang sein‘ ...“

Deshalb auch das „Ende unserer Zeit“? Der Beginn eines neuen Abschnitts der Band SCHROTTGRENZE?

„Ja, das denke ich auf jeden Fall, obwohl der Titel sich ja ebenfalls auf ein Stück bezieht, welches wiederum einen etwas anderen Inhalt behandelt. Das Album ist in musikalischer, als auch in textlicher Hinsicht Neuland für SCHROTTGRENZE. Sicher, der Titel kommt etwas kryptisch daher, von wegen Auflösung und so ... Der Sinn war für mich eher, dieses Motto als Motor für die Entstehung des Albums zu begreifen. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem man nicht wirklich hundertprozentig wissen kann, wie das alles weitergeht. Wer weiß, wann wir wieder Zeit und Ideen haben, ein Album aufzunehmen? So jung kommen wir nicht mehr zusammen, deshalb sollte diesmal alles stimmen. Und Fakt ist – dieses Album enthält alles, wirklich alles, was wir überhaupt geben konnten: Unsere Gefühle, unsere Konzentration und Kraft, unsere Hoffnung und unser Geld. Wir bekamen gerechterweise die Platte, die wir immer gerne machen wollten. Alles was jetzt noch kommt, ist ein Bonus.“