SCHROTTGRENZE

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Grenzdebile Peinlichkeiten & frischer Punkrock

Damals bei Wixer fing alles an. Als ich im Sommer 1994 während der zu dieser Zeit stattfindenden Chaos-Tage in Hannover bei besagtem Wixer, dem Gitarristen der BOSKOPS, nächtigen durfte, traf ich dort damals den gerade mal fünfzehnjährigen Timo und Alex aus Peine, die für ihre Schülerzeitung ein Interview mit der Hannoveraner Punk-Legende machten. Nebenbei erzählten die beiden auch davon, dass sie ebenfalls eine Band am Start hätten, die auf den Namen SCHROTTGRENZE hört. Neben Timo (Gesang, Gitarre) und Alex (Gesang, Schlagzeug) gehört noch L.H. (Bass) der Truppe an und komplettierte das Trio. Ein Demo hätten sie inzwischen auch schon eingespielt.

Da ich ja „Fanzinemacher“ bin, wollten sie mir dieses bei Gelegenheit mal zukommen lassen. Auch wenn dieses primär durch pubertäre Texte und schrammeligen Sound auffiel, tat dies der Sache keinen Abbruch. Nein im Gegenteil, es verlieh der Band den nötigen Charme. Somit traten SCHROTTGRENZE für mich zum ersten Mal in Erscheinung. Zwar hatte ich die Band schon einmal zuvor bei einer Geburtstagsparty von Höhnie zum Tanz aufspielen sehen, nahm allerdings ungerechtfertigterweise keine weitere Notiz von ihnen. Die damals noch unsäglichen Grunge-Frisuren der Bengels verleiteten die Kollegen Frank Herbst und Vasco zu permanenten „Zum Friseur“-Rufen. Zum Glück folgten sie wenig später diesem Rat.

Im Frühjahr 1995 schickte mir dann Timo, nicht ohne Stolz, ihre erste Single mit dem Titel „Unehrlich, verlogen und stinkfaul“, die Willi Wucher auf seinem Label Scumfuck Mucke veröffentlicht hatte. Und plötzlich konnte man, dank einer Studio-Produktion, deutlich die Qualitäten der Band heraushören, die man bislang nicht für möglich gehalten hatte. Auch wenn SCHROTTGRENZE nicht so ganz zwischen die übrigen Bands von Scumfuck Mucke passen wollten (immerhin haben sie kein Oi! im Bandnamen), erschien Ende des selben Jahres noch ihr erstes Album. Für mich war es die einzige Band des Labels, die mir beim Hören vor Peinlichkeit nicht die Schamesröte ins Gesicht trieb. Und das, obwohl die Texte von SCHROTTGRENZE auch auf „Auf die Bärte, fertig, los!!!“ nicht gerade vor Tiefgang strotzten.

Mittlerweile waren SCHROTTGRENZE auch immer häufiger auf Deutschlands Bühnen präsent und spielten sich regelrecht den Arsch ab. So wurden sie relativ schnell in der Szene bekannt und immer mehr Leute wurden auf die Peiner Bande aufmerksam. Dass immer noch keiner in der Band volljährig war, störte nicht wirklich. Kleinere, daraus resultierende Probleme wurden in der Regel unkonventionell gelöst. Zum Beispiel wollte der Türsteher des „Wild At Heart“ in Berlin die Jungs damals aus diesem Grund bei einem „Stay Wild Festival“, wo sie spielten, nicht in den Club lassen. Doch ein beherztes Eingreifen der beiden Festival-Veranstalter als „Leumünder“ sorgte dafür, dass SCHROTTGRENZE doch auftreten konnten. Im Publikum stand unter anderem auch Bela B. von DIE ÄRZTE, in dem die Band schnell einen neuen Fan fand. Aber nicht nur bei ihm hatten die drei von da an ein Stein im Brett. Die Berliner Szene nahm ihren frischen Deutschpunk überschwänglich auf. Wenig später erschien die Split-10" „Hauptsache Peter“ (Bad Taste Records), die sich SCHROTTGRENZE mit den Hamburger COMBAT SHOCK teilten.

Mit Timo verband mich in dieser Zeit vor allem unsere gemeinsame Liebe zu amerikanischen Pop-Punk-Bands wie SCREECHING WEASEL und THE QUEERS, was sich erfreulicherweise auch im Laufe der Zeit immer mehr im Sound von SCHROTTGRENZE widerspiegelte. Ebenso wie Alex Begeisterung für die Hamburger Schule. Aus dem pubertären Deutschpunk der Anfangsphase entwickelte sich immer mehr ein poppiger, emotionaler Punkrock-Sound. Lediglich die deutschen Texte blieben. Zu hören war das Ergebnis auf dem 1998 bei Impact erschienen Album „Super“, welches zum ersten Mal deutlich die Stilvorlage für die weiteren Jahre SCHROTTGRENZE vorgab und für nicht wenige überschwängliche Rezensionen in der hiesigen Fanzine-Welt sorgte. Hätte Impact Records damals einen besseren Job gemacht, wäre es leicht möglich gewesen, die Band groß rauszubringen. Denn bereits damals hatten sie alles, was man braucht, um berühmt zu werden. Sie waren jung, wild, charmant und konnten bereits einen Haufen guter Songs vorweisen. Doch Impact verpatzte die Gelegenheit und konzentrierte sich stattdessen weiter auf klischeehaften Kampfpunk und unsägliche Sampler-Geschichten.

Inzwischen waren SCHROTTGRENZE zum Quartett herangewachsen. Andreas Deege komplettierte den Haufen am Bass, so dass L.H. an die Gitarre wechselte. Wie gut dieser Schritt der Band tat, stellte sich im Laufe der Zeit heraus. Denn der dank der zwei Gitarren wurde das Songwriting immer besser. Da die Buben aber auch älter wurden, war irgendwann die Schulzeit vorbei und der Ernst des Lebens begann. Die Band zerstreute sich über die ganze Republik von München bis Hamburg, wo Andreas zu mir ins Haus zog und es sich eine enge Freundschaft entwickelte. Von nun an hörte der Gute auf den Namen PJ Jude. Zuvor hatten SCHROTTGRENZE noch fünf Songs aufgenommen, die später zusammen mit den inzwischen veröffentlichten Vinyl-Veröffentlichungen als CD unter dem Titel „Reibung, Baby!“ bei Nice Guy Records erschienen. Trotz der räumlichen Distanz lösten sich SCHROTTGRENZE nicht auf, sondern schafften es sogar, eine zweiwöchige Deutschland-Tournee auf die Beine zu stellen. Spätestens jetzt waren sie in der deutschen Punk-Szene keine Unbekannten mehr.

Danach wurde es etwas ruhiger um die Band. Eine misslungene Studio-Session für das geplante, dritte Album, sorgte Anfang 2000 für eine längere Pause der Band, die PJ Jude zum ausgiebigen Experimentieren mit jamaikanischen Landwirtschaftsprodukten im Wandsbeker Zollhof nutzte, Alex auf abgedrehten Solo-Pfaden wandelte, L.H. die bayerischen Lebensgewohnheiten studierte und Timo zum Vorzeige-Punkrocker der Band mutierte.

Nach einem halben Jahr reichte es aber und die Vier wollten weitermachen. Allerdings vermuteten sie, laste ein Fluch seit der verpatzten letzten Studiosession auf SCHROTTGRENZE, so dass sie sich entschieden, unter dem Namen FINGERS weiterzumachen. Ein 3-Song-Demo wurde unter Mithilfe von Rocko Schamoni in Hamburg für den Musikverlag Guerilla Publishing/BMG eingespielt und einige Konzerte in ihrer neuen Homebase Hamburg folgten. Anfang 2001 wurde mit Rod Gonzales ein weiteres Mitglied von DIE ÄRZTE auf die Band aufmerksam und beschloss, nachdem er vom aktuellen Demo sehr angetan war, die Band zu produzieren. Doch mit dem Ergebnis, drei Songs für eine EP, war die Band überhaupt nicht zufrieden, da sie plötzlich klangen wie eine weichgespülte Viva-Deutschrock-Kapelle. Somit war die Zusammenarbeit mit Rod ziemlich schnell wieder beendet. Und FINGERS hatten immer noch keine Veröffentlichung.

Doch unterkriegen ließen sich unsere vier Helden davon nicht. Mittlerweile war mit Alex auch der letzte im Bunde an die Elbe gezogen, so dass man wieder munter und häufig im Proberaum zusammen Spaß haben konnte und sich nicht nur primär bei anstrengenden Studio-Sessions traf. In diesem Rahmen erschien dann auch das erste offizielle FINGERS-Release, die „Kaufkassette“ „Nicht so lang sagt Bangemann“. Es folgte ein weiterer Studio-Besuch und diverse Besetzungswechsel, doch so richtig aus dem Quark kamen FINGERS irgendwie nie. Das wurmte die Band so lange, dass es nach vielem hin und her wieder hieß: Back to the roots. SCHROTTGRENZE waren wieder da. In alter Besetzung und mit neuem Elan.

Anfang dieses Jahres war es dann soweit, und mit „Vaganten und Renegaten“ (Meisterbetrieb) erschien das vierte Album von SCHROTTGRENZE und zahlreiche Konzerte folgten. Leider hat inzwischen PJ Jude die Band verlassen, konnte aber durch den langjährigen Wegbegleiter Hans ersetzt werden, so dass wir auch zukünftig wohl noch viel von SCHROTTGRENZE hören werden.