Das Album „Glitzer auf Beton“ (2017) war in vielerlei Hinsicht ein besonderer Punkt in der Geschichte von SCHROTTGRENZE. Nach der langjährigen- und für Fans qualvollen Pause, die auf „Schrottism“ (2007) folgte, war es die erste Aufnahme einer Band, die Zeit zur Erholung und die eine oder andere Umbesetzung brauchte. Ebenso war das Album eine fulminante musikalische Begleitung des Coming-outs als nicht-binär und pansexuell von Sängerin* und Gitarristin* Saskia Lavaux. Queerness ist seither ein entscheidender inhaltlicher Bestandteil des musikalischen Schaffens von SCHROTTGRENZE. Mit „Alles zerpflücken“ im Rücken und der Veröffentlichung der neuen Platte „Das Universum ist nicht binär“ rundet die Band nun ihre queere Trilogie ab. Im Interview erzählt Saskia Lavaux, was die Trilogie zusammenhält, welchen Stellenwert sie in der Diskografie von SCHROTTGRENZE hat und wie sie zum Denken anregt.
Für mich als großen Fan der Band war es unheimlich schön, euch aus der längeren Pause ab 2015, noch vor dem Album „Glitzer auf Beton“, mit so viel Freude und Strahlen wieder auf die Bühne kommen zu sehen. Hat es sich für euch auch so freudig und strahlend angefühlt und wenn ja, woran lag es?
Ja, es hat sich sehr gut angefühlt. Es war zudem unheimlich aufregend, 2017 nach zehn Jahren eine neue Studioplatte in neuer Besetzung aufzunehmen und rauszubringen. Wir waren durch die Pause wieder hungrig nach neuer Musik und konnten ganz frisch und unvoreingenommen ans Werk gehen. Mit Hauke Røh am Bass haben wir zudem seit 2015 einen neuen Mitmusiker, der ebenfalls an den Songs mitschreibt. Im ganz neuen Bandkollektiv mit unserem Schlagzeuger Lars Watermann lässt es sich durchweg sehr gut und harmonisch arbeiten.
Ihr rundet mit „Das Universum ist nicht binär“ eure queere Trilogie ab. Was genau heißt das für die inhaltliche Zukunft von SCHROTTGRENZE? Das Thema Queerness wird dich und euch als Band ja sicherlich weiter begleiten.
Wir werden sicher weiterhin queere Themen in den Texten verarbeiten. Dennoch bauen die drei letzten Alben inhaltlich wie musikalisch und auch produktionstechnisch sehr stark aufeinander auf. Selbst was die Covergestaltung betrifft. Die Farben zeigen in Reihe gelegt das „Pink turns purple turns blue“, also das symbolische Farbspektrum des Geschlechterspektrums. „Glitzer auf Beton“ war eine Coming-out-Platte. „Alles zerpflücken“ war sehr fokussiert auf Empowerment. „Das Universum ist nicht binär“ nimmt schließlich die geschlechtliche Selbstbestimmung in den Blick. Von daher bilden die Platten ein Dreigestirn, das einfach zusammenpasst. Ich hoffe, dass wir dazu kommen, in Zukunft weitere Platten zu machen. Heutzutage weiß ja niemensch, was die Zukunft bringt, aber ich bin mir sicher, dass uns mit etwas zeitlichem Abstand weitere, kreative Konzepte beschäftigen werden, die ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht benennen kann.
War die Trilogie von Anfang an als solche angelegt?
Nicht direkt, sie ist im Laufe der Zeit gewachsen. Während eines Interviews mit dem Autor Phillip Meinert zum letzten Album „Alles zerpflücken“ wurde mir aus dem Gespräch heraus deutlich, dass wir offenbar mittendrin in der Kreation einer Album-Trilogie sind.
Ist das Konzept einer Trilogie von TOCOTRONIC inspiriert? Du spielst ja zusammen mit Jan Müller bei DAS BIERBEBEN.
Das stimmt. Ich mag die Berliner Trilogie von TOCOTRONIC ebenso sehr, wie auch die sogenannte „Dark Trilogy“ von THE CURE. Große Album-Sagas sind voll mein Geschmack. Unsere Trilogie ist aber nicht unmittelbar von den genannten beeinflusst, sondern wie eben geschildert im Laufe der Zeit entstanden.
Müssen wir uns mit dem Abschluss der Trilogie wieder auf eine Pause einstellen?
Ich hoffe nicht und ich glaube es auch nicht. Dafür macht die Band gerade zu viel Spaß.
Im neuen Song „Dysphorie“, den ihr als Vorabsingle veröffentlich habt, geht es auf sehr bewegende Weise um die Gefühle, die bei Trans*-, Inter- und nicht-binären Personen durch Ausgrenzung und Angriffe entstehen. Wie sehr bist du selbst als Sängerin* von SCHROTTGRENZE oder auch in deinem Alltag solchen Situationen ausgesetzt?
Ich bin davon betroffen. Ich wurde schon öfter angeschrien, im öffentlichen Raum attackiert und ich werde sehr häufig von Passant:innen angestarrt. Aggressionen gegenüber T*IN-, also Trans*-, intergeschlechtlichen und nicht-binären, beziehungsweise grundsätzlich Personen mit von der Norm abweichender Gender-Expression, sind in unserer Gesellschaft sehr präsent. Ich gehe generell sehr offen mit meiner Trans*identität um, aber ich treffe auch permanent Vorsichtsmaßnahmen. Zum Beispiel trage ich nachts in den öffentlichen Verkehrsmitteln vornehmlich weite Kleidung, die meinen Körper verbirgt, um die Aufmerksamkeit nicht auf mich zu ziehen, oder ich weiche gleich von vornherein auf ein Taxi oder ein Carsharing-Fahrzeug aus. Ich fühle mich auch sicherer, mit einigen Freund:innen in der Gruppe unterwegs zu sein, und ich trinke in der Öffentlichkeit wenig Alkohol, um möglichst fit und wach zu sein, falls wieder eine bedrohliche Situation entsteht.
Wie ihr auch in eurem Song „Boomer-Tränen“ herausstellt, gibt es in der öffentlichen Diskussion um queerfeministische Themen leider viel Ablehnung. Hast du den Eindruck, dass ihr mit eurer queeren Trilogie Bereitschaft für eine positive Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass das Universum nun mal nicht binär ist, schaffen konntet beziehungsweise das immer noch tut? Gab es zum Beispiel erhellende Gespräche mit Leuten, die sich vorher nicht oder kaum mit dem Thema beschäftigt haben.
Ja, diese Gespräche gab und gibt es. Das positive Feedback von Queers, die sich empowert fühlen, und Straight Allys, die die Texte als hilfreich empfinden, bereitet mir richtig viel Freude. Über die Jahre habe ich sehr viel Post erhalten, mitunter auch von Eltern, Erzieher:innen und Pädagog:innen, die unsere Songs im Unterricht beziehungsweise in den Einrichtungen verwenden, so etwas finde ich großartig. Wenn wir als Indie-Band mit unseren Songs Bildungs- und Emanzipationsprozesse mit anstoßen können, dann übersteigt das bei weitem meine persönlichen Erwartungen und es macht mich sehr proud.
Auf „Alles zerpflücken“ gab es einen Gastauftritt der Rapperin Sookee und auf der neuen Platte gibt es ein Feature der Rapperin Finna, die darüber hinaus den Song „Happyland“ mitgeschrieben hat. Ist die HipHop-Szene in queerfeministischen Fragen weiter als die Punk- oder auch die Indie-Szene? Oder steht ihr einfach auf den Einfluss von HipHop in euren Songs?
Ich habe schon immer neben Gitarrenmusik auch gerne Rap gehört. Rapperinnen wie Sookee, Finna oder auch Lena Stoehrfaktor sind für mich wichtige Einflüsse, was die Findung meines queeren Songvokabulars angeht. Diese Künstlerinnen hatten bereits Jahre vor den meisten Punk- und Indie-Bands in Deutschland queere Inhalte in ihren Texten und daher war es für mich ein Herzenswunsch, mit Sookee und Finna zu arbeiten. Mit beiden sind meines Erachtens großartige SCHROTTGRENZE-Songs entstanden und sie sind sehr talentierte Musikerinnen und Songwriterinnen, deren Diskografien durchweg hörenswert sind.
Was ist für dich das hervorstechendste Merkmal von „Das Universum ist nicht binär“ gegenüber den anderen Alben der queeren Trilogie oder auch der gesamten SCHROTTGRENZE-Diskografie?
Zum einen ist der Fokus auf Trans*-Themen ganz zentral, wenngleich die Platte zudem eine Vielzahl weiterer Inhalte anspricht. Darüber hinaus würde ich hier die Produktion besonders hervorheben. „Glitzer auf Beton“ hatte diesen garagigen Jangle-Pop-Sound, „Alles zerpflücken“ war hingegen rauh wie eine Live-Platte und „Das Universum ist nicht binär“ ist sehr opulent und detailverliebt. Wir haben zum Beispiel bei Songs wie „Girlanden“ und „Emanzipation und Alltag“ mit Synthesizern sowie einem Flügel gearbeitet. Es gibt in allen Tracks üppige Chor-Arrangements. Im Titelsong „Das Universum ist nicht binär“ gibt es beispielsweise Flamencogitarren. Es ist eine prall gefüllte musikalische Piñata geworden, die weit über das Repertoire der meisten Indie- und Punkbands hinausgeht. Das Album zu produzieren, hat extrem viel Spaß gemacht, es hat aber auch über ein Jahr gedauert.
Ist bei einer so hingebungsvollen und langen Produktion jemals die Frage aufgekommen, ob der Sound zu opulent geraten könnte?
Der Produktionsprozess bei SCHROTTGRENZE besteht immer darin, alle möglichen Instrumente und Ideen auszuprobieren und die Stücke dann im letzten Schritt wieder so weit zu reduzieren, dass keine Überproduktion zustande kommt. Wir machen sehr viele Vorproduktionen. Bei „Das Universum ist nicht binär“ gab es von jedem Song bis zu drei Aufnahmen vor der Endfassung im Studio. Es hat von Anfang bis Ende immer Spaß gemacht und diese vielen Schritte sind es letztlich wert gewesen.
Ihr bringt mit „Das Universum ist nicht binär“ eure zehnte Platte raus. Das ist ja nicht nur ein Anlass einen Blick auf die queere Trilogie zu werfen, sondern auch auf die vergangenen 28 Jahre SCHROTTGRENZE. Wie blickst du auf die Zeit zurück? Was waren die Höhe- und die Tiefpunkte?
Ich habe die Zeit seit der Neugründung 2015 ganz besonders genossen. Davon abgesehen war sicher unser Album „Chateau Schrottgrenze“ aus dem Jahr 2006 ein Highlight in unserer Bandgeschichte. Auch die Tourneen von 2004 bis 2007 mit Hunderten von Konzerten waren eine intensive und wichtige Zeit für uns. Das Lowlight unserer Bandgeschichte war gewiss der Burnout im Jahr 2007. Danach war die Stimmung zwischen uns so schlecht, dass wir uns erst mal zwei Jahre nicht mehr groß gesehen haben. Aber auch das ist eine wichtige Erfahrung gewesen, die uns im Endeffekt als Musiker:innen im Hinblick auf zukünftige Projekte viel gelehrt hat. Die Neunziger waren sicher auch wichtige Jahre, aber das ist zu lange her, daran kann ich mich kaum erinnern.
Du hast dich in einem Interview mit dem Plastic Bomb Fanzine im April 2021 kritisch über ganz frühe Songtexte von dir respektive von SCHROTTGRENZE geäußert. Ist die Platte „Auf die Bärte, fertig, los!!!“ von 1995 ganz bewusst nicht auf Spotify verfügbar?
Genauso ist es. Die Platte haben wir mit 15 oder 16 Jahren aufgenommen und sie ist vollumfänglich misslungen. Die Texte sind pubertär und die dort versuchte Ironie ist frauenfeindlich. Daher wurde sie seit 1996 von uns auch nicht mehr aufgelegt. Wir betrachten unser zweites Album „Super.“ von 1998 als das Debüt des eigentlichen Sounds von SCHROTTGRENZE.
Nachvollziehbar und interessant zu hören, wie ihr euer Werk reflektiert. Ist die Reflexion der eigenen Diskografie etwas, das du anderen Bands auch ans Herz legen würdest? Gibt es Beispiele?
Ich selbst halte die Reflexion des eigenen Schaffens für notwendig und gewiss könnte die eine oder andere Band mal überlegen, ob wirklich alle Stücke ihres Backkatalogs gut gealtert sind. Die Künstlerin Malonda hat zum Beispiel den Text eines ihrer älteren Stücke überarbeitet und in einer neuen Fassung veröffentlicht, da sie die alte Version inhaltlich nicht mehr stimmig fand. Das fand ich sehr konsequent und beeindruckend, allerdings wird dieses Vorgehen nicht für alle machbar sein. Ich bin durchaus dafür, schlechte Platten zu deleten und damit keinen Umsatz mehr zu machen. Das ist auch konsequent.
In Gesprächen über Bands, die es so lange gibt wie euch, fallen häufig Sätze wie: „Nach den ersten zwei Platten fand ich alles scheiße.“ Dieser Kelch ist an euch vorübergegangen, oder?
Ja, das auf jeden Fall. Unser erstes richtig gutes Album war meines Erachtens „Das Ende unserer Zeit“ von 2004 und das war unsere vierte Platte. Ich würde sagen, dass wir uns kontinuierlich gesteigert haben.
Somit ist „Das Universum ist nicht binär“ der bisherige Höhepunkt von SCHROTTGRENZE?
Das müssen letztlich die Hörer:innen entscheiden. Für uns als Band ist es das definitiv!
Euer Gitarrist Timo Sauer spielt meinem Kenntnisstand nach von Anfang an mit dir bei SCHROTTGRENZE. Ist der Song „Immer für mich da“ womöglich ihm gewidmet?
Stimmt, Timo und ich haben die Band 1994 gegründet. Wir werden nächstes Jahr als SCHROTTGRENZE dreißig Jahre alt. Das ist schon irre. Das Lied ist ihm gewidmet, aber auch meiner Partnerin und Hauke und Lars, meinen anderen Bandkollegen. Familien oder auch Wahlfamilien sind einfach wichtig und ich hoffe, dass alle Zuhörer:innen ihre Liebsten im Sinn haben werden, wenn sie den Song hören.
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