Queer, feministisch und solidarisch
Im Jahr 1994 im norddeutschen Peine gegründet, hat die vierköpfige Hamburger Band um Sänger*in Alex Tsitsigias (nun Saskia Lavaux) zuletzt nach zeitweiliger Auflösung zwei Platten veröffentlicht. Zum einen „Fotolabor“, eine gelungene Werkschau der Jahre 1995 bis 2015, zum anderen 2017 die reguläre LP „Glitzer auf Beton“, als sie begannen, für die Vielfalt der Geschlechter einzutreten. Das Besondere an der Band ist von jeher ihr kuscheliger, melodiöser Indierock-Sound, der immer wieder zu begeistern weiß. „Alles zerpflücken!“ heißt nun das neue Album und es wirft Fragen auf, die Alex alias Saskia gewohnt offen beantwortet.
Lee von den SPERMBIRDS hat bei uns im Interview über „junge“ Punkbands gesagt: „Die singen doch alle nur noch darüber, wie traurig sie sind. Wut hat im modernen Punkrock keinen Platz mehr.“ Trifft das auch auf euch zu?
Ich finde, Trauer ist eine völlig okayne Variante des textlichen Ausdrucks – ich denke da zum Beispiel sofort an frühe THE CURE zu „Faith“-Zeiten oder das eine oder andere Stück von EA80. Aber trotzdem sind unsere neueren Texte positiv geschrieben. Das sind Songs für queere, feministische und solidarische Indie- und Punk-Hörer*innen zum Feiern oder um sich fallen zu lassen. Die Alben über Depressionen, „Das Ende unserer Zeit“ oder „Château“, liegen ja auch schon hinter uns. Ich kann die Aussage von Lee Hollis auch nicht bestätigen – neue Bands wie DEUTSCHE LAICHEN, ACHT EIMER HÜHNERHERZEN oder RAUCHEN texten zum Beispiel überhaupt nicht traurig.
Das Wort „Queer“ taucht gleich im Opener auf. Wenn nun jeder Mensch sowieso gleich ist, warum betont man dann noch ein „Anderssein“?
Es geht uns dabei nicht darum, das Anderssein zu betonen, sondern uns als Queers durch die Songs und Videos überhaupt sichtbar zu machen und in Songtexten queere Lebenswelten und Themen aufzugreifen. Bedenke, der Alltag vieler queerer Menschen ist nach wie vor geprägt von Ausgrenzung, Gewalt und Diskriminierung. Wie stark zum Beispiel Punk in Deutschland vom heteronormativen Denken der Mehrheitsgesellschaft geprägt ist, wird mitunter daran sichtbar, dass es so gut wie keine Songs über gleichgeschlechtliche Liebe gibt, oder dass ich als Drag in Punk-Kreisen auch 2019 immer wieder mit beknackten Aussagen konfrontiert bin wie: „Ich find das echt krass, was du dich als Mann traust.“ Das zeigt mir deutlich, wie stark dieses „Anderssein“, vor allem von der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft, immer wieder aufs Neue konstruiert wird. Unsere Songs sind dazu ein Counterpart, quasi ein bewusstes, demonstratives: „Scheiß drauf, wir sind queer, feministisch und solidarisch! And we like to party“.
Bist du nur auf der Bühne oder auch im stinknormalen Alltag Saskia und hat dir ein Mensch wie zum Beispiel Laura von AGAINST ME! indirekt als Mutmacherin geholfen?
Ich bin nicht immer im Alltag als Saskia gestylet, aber da Saskia ein Teil meiner Persönlichkeit ist, bin ich auch Saskia, wenn ich nicht wie Saskia aussehe. Laura Jane Grace macht großartige Empowerment-Songs und ist eine meiner Lieblingskünstler*innen im Punk. Aber da gibt es natürlich noch mehr: Patti Smith, HÜSKER DÜ, TEAM DRESCH, BIKINI KILL ... Zur Geschichte des Empowerments im Punk kann ich das Buch „Homopunk History“ von Philipp Meinert sehr empfehlen.
Mir fällt auf, dass durch die sozialen Medien die Leute immer mehr dazu übergehen, quasi ungefragt vom eigenen „Ich“ zu berichten. Fragen werden da nur ungern an andere Menschen gestellt. Ist das ein trauriges Phänomen eher jüngerer Leute, oder bleibt das „ich, ich, ich“ jetzt immer so?
Ich kann die Zukunft des Internets und der Nutzer*innen nicht einschätzen. Aber ich denke, das war schon vor dem Zeitalter des Internets so und das bleibt so. Klar, gibt’s im Netz mitunter nervige, kommerzielle Selbstdarstellung, aber die gab es früher in den Fanzines und Egozines auch. Und die Schreiber*innen haben auch nie danach gefragt, ob ihr „Ich“ für die lesenden Personen interessant ist. Warum auch? Die sozialen Medien sind im Gegensatz zu den Zines viel mehr Personen zugänglich und dementsprechend ambivalent sind eben die Inhalte. Für emanzipatorische Befreiungsbewegungen wie zum Beispiel Queerfeminismus, Body-Positivity-Aktivist*innen und die #metoo-Bewegung, sind die sozialen Medien wichtige Möglichkeiten zur Vernetzung.
Euer Sound ist seit jeher einzigartig. Beruht das Rezept auf gleich gestimmten Gitarren, einem steten, wiederkehrenden Grundton, oder wäre dies zu simpel erklärt?
Das haben wir uns auch schon öfter gefragt, aber so ganz haben wir es nicht rausbekommen. Timo und ich haben uns das Gitarrespielen über die Jahre zusammen beigebracht, bei uns wird viel gepickt und mit offenen Akkorden gespielt. Vielleicht ist es das.
Rein hypothetisch gefragt, könntet ihr noch erfolgreicher sein, wenn ihr auf Englisch singen würdet, um zum Beispiel härtere Texte noch wohlwollender klingen zu lassen? Man höre nur den tollen Song „Nachglühen“. Ist dieser ein reines Experiment? Oder funktionieren SCHROTTGRENZE nur auf Deutsch?
Freut mich, dass du den Song erwähnst, den mag ich auch! Es gab immer mal ein paar Songs von uns auf Englisch, aber die waren nicht unbedingt die Besten. Ich fühle mich auf Englisch einfach nicht sicher genug, aber grundsätzlich haben wir da keine Abneigung und spielen ja auch neben SCHROTTGRENZE in Bands, die englische Texte singen, zum Beispiel LITTLE WHIRLS und TUSQ. Aber da texten dann auch andere Homies, die das besser können.
Ihr hattet euch ja eine jahrelange Bandauszeit genommen. Hilft die euch im Nachhinein, eventuelle Konflikte besser zu handhaben?
Ja, das war sehr heilsam. 2007 waren wir als Band ziemlich am Ende. Als wir 2015 wieder anfingen, merkte man, dass alle wieder Lust auf die Synergien hatten, die es in der Konstellation bei SCHROTTGRENZE gibt. In den 2000ern sind wir im Album-Tour-Stress völlig ausgebrannt und haben uns im Bus nur noch angemuffelt. Heute wissen wir, was wir an uns haben.
Seid ihr rückblickend mit dem 2017er Album „Glitzer auf Beton“ noch richtig zufrieden?
Wir sind sehr zufrieden, das Album kam sehr gut an. Wir wollten aber, dass „Alles zerpflücken“ etwas rauer, lauter und livemäßiger klingt, quasi so wie bei unseren Konzerten. Deswegen haben wir im Studio mehr Songs live eingespielt und Fehler und Dreck draufgelassen.
Auf dem neuen Album hören wir gegen Ende „Das Kapital muss sterben“, frei nach „Deutschland ...“ von SLIME, und Elf und Dicken machen beim Song auch noch mit. Aber was kommt danach, wären wir dann „alle gleich“?
Im besten Fall haben wir dann eine solidarische, emanzipierte Gesellschaftsform, in der alles gemeinsam selbstverwaltet wird. Das werden wir vermutlich nicht mehr erleben und es klingt utopisch angesichts der geltenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse, aber dennoch ist Musik der richtige Rahmen, um geltende Verhältnisse in Frage zu stellen und Gegenentwürfe aufzumachen.
„Traurige Träume“ ist ein discoverdächtiger Hit, trotz des Textes. Geschrieben von ... irgendwie uns allen?
Uns war es wichtig, ein deutliches Statement über und gegen Rassismus auf der Platte zu haben, insbesondere gegen den „Rassismus der Mitte“, der sich in Strukturen, Institutionen und kulturellen Praxen verbirgt und häufig gar nicht als solcher erkannt wird. Die Idee für den Text entstand nach einem Philosophie-meets-Rap-Abend, der von Sookee in Hannover moderiert wurde. Wir beide haben dann unsere Textteile geschrieben und die Band hat gemeinsam den Beat komponiert.
Mir fiel im Opener der starke Begriff „Wahlfamilie“ auf. Macht man es sich damit nicht zu einfach, familiäre Differenzen beiseite zu schieben zugunsten von Freunden?
Für viele LGBT*IAQ+-Personen ist der Freundeskreis essentiell wichtig, da im Zuge eines Coming-outs immer noch häufig ein Bruch mit der Kernfamilie vollzogen wird. Darüber hinaus sind gleichgeschlechtlich liebende Personen auch im Hinblick auf die Gründung einer eigenen Familie nach wie vor strukturell benachteiligt, was insbesondere mit zunehmenden Alter ein großes Problem darstellen kann. Dementsprechend bildet die sogenannte Wahlfamilie für viele LGBT*IAQ+ die Grundlage zur Bewältigung essentieller Bedürfnisse und Problemlagen – das umfasst häufig nicht bloß Liebe und Freundschaft, sondern auch etwaige Fragen wie die Wohn- und Pflegesituation sowie alle Bereiche der gesellschaftlichen Teilhabe.
Der Song „Räume“ sticht für mich etwas heraus, wegen des schnelleren Tempos und weil du deine Meinung noch härter formuliert hast. Empfindest du das ähnlich?
Ja, der Song ist bewusst eindeutig und klar formuliert – es geht um die Forderungen nach queeren und feministischen Freiräumen, in denen offene Begriffe von Geschlecht und Liebe gelebt werden können. Eine wirkliche Öffnung der Räume wird jedoch nur möglich, wenn sich auch die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft queeren Menschen gegenüber solidarisch zeigt. Daher schließt unser Begriff von Queerness auch die solidarischen Heten, die sogenannten „straight allies“, mit ein.
Apropos Räume, ihr spielt auf der kommenden Tour, wenn ich das richtig sehe, überwiegend in kleineren Räumlichkeiten. Warum zum Beispiel in Berlin nicht im für queere Veranstaltungen bekannten Club SO36?
Dort wollten wir schon oft spielen, aber das hat leider bisher aus verschiedensten Booking-technischen Gründen nicht geklappt. Es ist vielleicht auch einen Tick zu groß für uns allein, aber wir würden es trotzdem gern mal bespielen.
Am Ende könnte man im Hinblick auf „Das Kapital“ vielleicht ketzerisch anmerken, dass sowohl das Großkapital als auch die Nazi-Schergen kontinuierlich angewachsen sind in den letzten vierzig Jahren. Ist es nicht ein Kampf gegen Windmühlen?
Keine Ahnung, aber Aufgeben ist für mich keine Alternative. Wenn’s richtig scheiße läuft, bleibt uns Ox-Leser*innen ohnehin nur „einsame Insel oder Untergrund“, um es mit Sookee zu sagen.
Markus Franz
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