SCHROTTGRENZE

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Über die eigenen Grenzen hinaus

Als ich neulich mal wieder meine Plattensammlung unter die Lupe nahm, um nach scheinbar in Vergessenheit geratenen Schätzen zu stöbern, fiel sie mir ganz plötzlich wieder in die Hände: die erste richtige SCHROTTGRENZE-Platte. Welch Meisterwerk aus frühen 90er Jahren. Gebündelte Leidenschaft, eingebunden in wundervolle Melodiebögen. Mittlerweile ist "2000" überwunden und SCHROTTGRENZE haben sich zu einem klangvollen Namen der Punkrock- und Indie-Szene gemausert. Mit der Neuauflage des eben erwähnten Klassikers "Super", verpackt im praktischen Pappschuber und erweitert durch diverses Bonusmaterial, sowie dem noch aktuellen Longplayer "Das Ende unserer Zeit" haben sie in den vorangegangenen beiden Jahren wirklich eine Steilvorlage für die Konkurrenz vorgelegt. Ja, ihr habt richtig gelesen: ".noch aktuellen", denn wie einige vielleicht schon wissen, haben auch die Jungs von SCHROTTGRENZE die kalte Jahreszeit genutzt und stehen nun mit frischem Stoff am Start. So ergab es sich schließlich, dass ich den Jungs mal ein paar Fragen per eMail übermittelte, die mir dann auch prompt und sehr ausführlich von Alex (git./dr./vox) und Timo (git./vox) beantwortet wurden. Und wie ich denke, machen die Jungs nicht nur feine Musik mit sehr guten und vor allem klischeefreien deutschen Texten, sondern haben auch eine ganze Menge zu erzählen. Also ab dafür!


Wie man bereits auf eurer Homepage erfahren konnte, gibt es pünktlich zum neuen Album eine ganze Menge Neuigkeiten eurerseits.


Timo: Ja, bei uns hat sich tatsächlich mal wieder einiges verändert. Unser langjähriger Gitarrist L.H. hat die Band verlassen, um sich voll auf seine Studioarbeit konzentrieren zu können. Wir haben daraufhin mal wieder die Besetzung durch den Wolf gedreht und beschlossen, dass Alex, vormals unser Schlagzeuger und Sänger, fortan die Position an Gitarre und Gesang einnehmen wird, und haben uns am Schlagzeug Verstärkung von Caddy geholt, der bis Ende letzten Jahres bei den nun aufgelösten WOHLSTANDSKINDERN spielte. In dieser neuen Besetzung haben wir das neue Album "Château Schrottgrenze" eingespielt. Produziert hat das Ganze dieses Mal unser Wunschproduzent Tobias Levin, was vor allem dadurch ermöglicht wurde, dass wir mit Motor ein weiteres Label gefunden haben, welches sich dieses Mal übrigens um die Betreuung der Compact Disc kümmern wird; das Vinyl kommt wie auch schon bei unserer letzten Platte via Weird System, die uns ebenfalls weiterhin unterstützen. Wir sind sehr zufrieden mit der Platte und der neuen Besetzung. Fazit: Alles superb im Hause SCHROTTGRENZE.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Tobias Levin, kein Unbekannter im Musikbusiness, und vor allem, wie habt ihr euch gegenseitig befruchten können?

Alex: Ich hab das erste Mal von Tobias' Studioarbeit gehört, als die weiße TOCOTRONIC-Platte erschien. Die Platte ist eine meiner All-Time-Faves und als wir 2004 einen Mixer für "Das Ende unserer Zeit" suchten, haben wir bei ihm einfach mal eine Rohfassung der Platte eingereicht. Er fand die Sachen gut und dann waren wir zehn Tage bei ihm im Studio zum Mixen. Das lief total klasse und danach war uns klar, dass wir gerne eine komplette Produktion mit ihm machen würden. Durch den Vertrag mit Motor wurde das dann möglich und wir haben uns im Vorfeld frühzeitig mit ihm zusammengesetzt und über Songs und Konzepte gesprochen. Er arbeitet sehr impulsiv und spontan mit Musik, hat unserer Ansicht nach einen vortrefflichen Geschmack und zudem viele Ideen und Instrumente, das hat uns und insbesondere mir als Songwriter nach zwölf Jahren eingespielter, oder überspitzt gesagt, festgefahrener Arbeitweise, viel Druck von den Schultern genommen. Während der Aufnahmen hat jeder von uns eine gewisse kreative Freiheit verspürt, die nicht nur sofort hörbar wurde, sondern auch noch sehr viel Spaß gemacht hat. Ich kenne Timo zum Beispiel nur an seiner Gitarre, er hat selten mal was anderes bei uns in die Hand genommen und auf einmal sehe ich ihn eines Morgens in der Aufnahmekabine mit einer Elektroantenne hantieren, die Sinustöne von sich gibt. Und so hat sich jeder von uns an allen möglichen Instrumenten verdingt. Einzige Vorgabe war letztlich das Feeling für die Songs. Das war eine gute Zeit, und das hört man der neuen Platte an. Andererseits denke ich, dass Tobias ebenso viel Spaß an der Produktion hatte. Mit uns kann man unkompliziert arbeiten und er mag unsere Musik. Außerdem hat er ja unseren Ex-Gitarristen abgeworben, der jetzt sein Assistent ist, das kann man wohl als Befruchtung gelten lassen, hehe ...

Im Vergleich zu euren vorangegangenen Veröffentlichungen schaltet ihr auf dem neuen Album in punkto Geschwindigkeit und Härte einen, teilweise sogar mehrere Gänge zurück. Habt ihr damit endlich euren eigenen Sound gefunden oder kribbelt es nicht hin und wieder ein wenig, "back to the roots" an der Geschwindigkeitsschraube zu drehen?

Alex: Nein, da kribbelt derzeit nichts. Stimmt, wir kommen aus dem höheren Geschwindigkeitsbereich. Das hängt auch maßgeblich damit zusammen, dass ich als Drummer früher gar keine langsamen Sachen spielen konnte. Mittlerweile schöpfen wir den "Drive" oder die "Härte" eines Songs nicht mehr ausschließlich aus der Geschwindigkeit und das gefällt mir persönlich viel besser. Alle musikalischen Ebenen werden dadurch flexibler und, wie du ja auch sagst, die Atmosphäre wird intensiver. Sollten in Zukunft Stücke entstehen, die Geschwindigkeit erfordern, okay, dann ist es möglich schnell zu spielen. Das kann eine Facette unserer Musik sein, ist aber kein Preset.

Welchen Weg wollt ihr mit "Château Schrottgrenze" begehen? Wen wollt ihr damit, über eure bisherige Fangemeinde hinaus, erreichen?

Alex: Ich denke mal, das Album kann jedem gefallen, zumindest jedem, der sich die Zeit nimmt, sich auf die Atmosphären einzulassen. Es steckt viel in dem Album und ich glaube, man kann die Scheibe sehr oft hören und entdeckt immer wieder etwas Neues, es geht mir sogar selbst als Macher damit so. Das finde ich natürlich super und letztlich hoffe ich, dass das Album all jene Leute erreicht, die Spaß daran haben, sich mit einer handgemachten Gitarren-Platte zu beschäftigen. That's what it is.

Mit elf Liedern fällt "Château Schrottgrenze" relativ übersichtlich aus. War es euch wichtig, ein in sich homogenes, kompaktes Album unters Volk zu werfen? Kann der geneigte Hörer schon in Kürze auf weitere Aufnahmen hoffen?

Alex: Es war tatsächlich so, dass wir dieses Mal knallhart selektiert haben. Wir hatten eine klare Vorstellung vom Inhalt des Albums. Eine gelöste Grundatmosphäre in Musik und Text, die sich konsequent durch die ganze Platte ziehen sollte. Im Arbeitsprozess sind eben vier bis fünf Songs rausgefallen, nicht weil sie an sich nicht gut waren, sondern weil sie sich in der "Setlist" des Albums nicht positionieren ließen. Mal abgesehen davon, dass ich die Endfassung der Platte mit fast 40 Minuten alles andere als nur "übersichtlich" finde. Inhaltlich ist das nach meinem Empfinden eher eine Vollbedienung. Wem das dennoch nicht genügt, dem empfehle ich die limitierten Erstauflagen von CD/LP. Bei diesen werden nämlich jene just erwähnten Non-Album-Songs jeweils als Bonus-CD/7" beiliegen. Außerdem wird es wahrscheinlich noch zwei exklusive Stücke im Netz geben.

In welcher Art und Weise versteht ihr euch als musikalische Grenzgänger?

Alex: Unsere Musik steckte ja in der Vergangenheit oftmals zwischen den Schubladen. Das lag weniger daran, dass wir uns als Grenzgänger verstanden hätten, sondern war einfach das Resultat der verschiedenen Geschmäcker innerhalb unserer Band. Bei uns gibt es mittlerweile in inhaltlichen Dingen überhaupt keine Vorgaben oder Grenzen mehr. Wichtig ist eben, dass das was wir machen, uns selbst gefällt. Wir haben auf der neuen Platte beispielsweise mit allen möglichen Instrumenten herumexperimentiert, weil uns das normale Bass-Schlagzeug-Gitarren-Konstrukt mittlerweile zu fad geworden war. Mellotron, Harmonium oder auch Baritone-Gitarren, um nur einige zu nennen. Aber das muss jeder Künstler für sich rausfinden, da darf es kein "Sollen" oder "Müssen" geben, sonst findet man sich im Korsett irgendwelcher Industriestandards wieder. Grenzwertig finde ich zum Teil die heutige Auswertung von Musik. Es kann doch nicht sein, dass man monatelang an irgendwelchen Texten, Songs und Atmosphären arbeitet, damit sie letztendlich in Ruftöne für irgendwelche tragbaren Telefone runtergebrochen werden. Das finde ich ekelhaft.

Gibt es aktuell eurerseits gemeinsame Projekte mit befreundeten Bands oder Absolventen der Hamburger Schule?

Alex: Unser Ex-Gitarrist L.H. Müller und meine Wenigkeit haben bis 2004 in der Hamburger Band JUNGES GLUECK gespielt, die übrigens erst kürzlich eine hervorragende CD veröffentlicht hat. Ansonsten mache ich immer mal wieder mein Soloprojekt, oftmals mit Freunden und Musikern aus Hamburg. Im Moment findet wegen SCHROTTGRENZE zwar nichts dergleichen statt, aber ich plane für irgendwann eine neue Solo-7", auf der sicher auch zahlreiche Gäste zu hören sein werden.

Wie hat sich bei euch im Laufe der Zeit der Prozess des Songschreibens entwickelt?

Timo: In den letzten Jahren hat Alex fast alle Songs bei uns geschrieben. Er schreibt ständig Musik und Texte und bringt sie auch permanent bei Proben oder Soundchecks an. Manchmal mache ich auch Riffs oder Songparts und er strukturiert sie dann in ein Songgefüge und schreibt den Text dazu. Im Vorfeld der Aufnahmen zur neuen Platte haben wir dann im Beisein von unserem Produzenten Tobias Levin geprobt und die Sachen im Kollektiv arrangiert. Die Arbeitsweise war dabei viel freier als bei früheren Produktionen, Wir hatten dieses Mal reichlich Material zur Verfügung und haben die Stücke in allen uns Möglichen unterschiedlichen Versionen ausprobiert, auch vieles umstrukturiert oder teilweise verworfen, woraufhin Alex dann zu Hause neue Sachen gemacht hat, die wir dann wiederum neu verarbeitet haben und so weiter. Früher hatten wir meist ein gewisses Kontingent an Songs und das war es dann. In dieser Produktion haben wir bis zum Schluss an allen Stücken gearbeitet, wir wollten alles so frisch und spontan wie möglich halten und natürlich keinen Filler auf der Platte haben. Die Belebung dieser Arbeitsweise hat uns sehr gut getan, weil es einfach für uns selbst abenteuerlicher war.

Was hältst du heutzutage für besonders wichtig, um nicht im Treibsand der Musikindustrie zu versinken?

Timo: Unsere jetzige Plattenfirma besteht aus entspannten Mitarbeitern, die entweder selbst mit unserer "Szene" zu tun haben, oder die einen, aus unserer Sicht, guten Geschmack vertreten und sich demnach auch mit unseren Wünschen und Zielen auseinandersetzen. Wäre das nicht der Fall, hätten wir eine Zusammenarbeit gar nicht in Erwägung gezogen. Generell ist es wichtig für Bands, die ihre Glaubwürdigkeit behalten wollen, nicht einfach jedes Angebot mitzunehmen, sondern die Entscheidungen im Marketing und bei der Promotion sensibel und vor allem selbst zu treffen. Wir sind froh, dass wir in diesen Fragen jetzt mehr Arbeit abgeben können, versuchen aber generell trotzdem die Übersicht zu behalten und wollen selbstverständlich nicht einfach zu irgendeinem "Produkt" verkommen. Dieser Spagat ist als Band nicht immer einfach, aber wenn man da ein bisschen hinterher ist und sich seine Partner gut aussucht, funktioniert das schon. Falls man dann letztlich doch scheitert, dann wenigstens nicht unter falscher Flagge. Das macht das Risiko, von der eigenen Musik leben zu wollen, deutlich erträglicher.