Das achte Album der Hamburger hat es wirklich in sich. Sänger Alex, inzwischen zu Saskia Lavaux gewandelt, hat sich dem queeren Leben verschrieben. Das Private ist eben doch politisch und das Sexuelle inzwischen eben auch.
Nun ist ja Toleranz keine Einbahnstraße. Der Christopher Street Day in Berlin hat bei seinen inzwischen eine Million Besuchern (das Wort von der Minderheit wird da relativ) wohl auch nicht nur korrekte Leute zu bieten.
SCHROTTGRENZE wissen aber bestens Bescheid um die Gesamtthematik und diese Band nicht zu mögen ist ohnehin nahezu ein Unding. Insgesamt kann die neue Scheibe als sich organisch einfügend in die bisherige Band-Diskografie gewertet werden, sie stellt den konsequenten Nachfolger des 2017er Albums „Glitzer auf Beton“ dar.
Erfreut man sich bei Scheiben von TEENAGE BOTTLEROCKET und BAD RELIGION über ein Feuerwerk an knalligen Songs binnen 30 Minuten, bleibt trotzdem rein textlich wenig hängen. Bei den Hamburgern war dies seit je her anders.
In der gleichen Spielzeit treiben sie uns ihre poppigen, eindringlichen Songs in die Hypophyse. Damit wir sie anschließend summen und vor uns hin singen. Man glaubt genau zu wissen, was in den Songs gemeint ist, auch dies vielleicht eine – die entscheidende – Erfolgsformel in ihren Liedern.
So startet die Scheibe mit „Life is queer“ („my dear“) und Saskia zelebriert förmlich ihr Coming-Out. „Traurige Träume“ ist dann Hit und Wegweiser durch die Themenwelt des Quartetts und einer jener Songs, die wir fortan in unserem Herzen tragen.
Vier Minuten für die innere Reinigung, noch dazu klasse flankiert von der Ausnahme-Rapperin Sookee. Nachdem sie anschließend im Offbeat-Takt „Alles zerpflücken“, folgt der Song „Sog“. Dieser, so Sakia, „zünde uns an“, „küsst uns“ und uns dann wohl doch dann „in die Tiefe reißt“ (...) „bis das Prickeln nur noch brennt.“ Und man schwärmt von einer „Solidarity city“, einem verwunschenen Ort, von dem man beim Tanzen zum Song und den kräftigen Drums zu wissen glaubt, wie dieser aussehen könnte, denn die Illusion ist auch eine ganz gewaltige Triebkraft in uns Menschen, ganz egal ob wir Rock oder Hose nachlaufen.
Und diese schöne Illusion, die uns SCHROTTGRENZE in Pinktönen und rhythmischem Powerpop darbieten, erhält im vorletzten Stück „Das Kapital“ neue Nahrung. Abgeleitet vom SLIME-Klassiker „Deutschland“, muss nun eben das Kapital sterben.
Da lässt Dicken seinen rotzigen Gesang zur CURE-Gitarre einfließen und abermals sind wir begeistert. Warum sie nicht mehr in Englisch singen? Das fragte ich die Band, und im Abschluss „Nachglühen“ haben sie es ja getan, und mehr als angedeutet – das könnten sie nämlich auch.
Aber dann hätten wir wohl eher ein „Fäuste recken Punkrock“, zu dem wir zu wenig träumen könnten.
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