OIRO

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Dann fahr ich eben Motorboot

Vier Jahre nach dem letzten Album „Meteoriten der großen Idee“ und zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Romans „Scheiternhaufen“ von Jonny Bauer gibt es mit „Mahnstufe X“ nicht nur eine neue Platte von OIRO, ihre vierte, sondern auch einen neuen Roman von Sänger Bauer, den dieser mit Co-Autor Jenz Bumper verfasst hat. Wir trafen uns mit Jonny alias Carsten in einem kleinen Café in der Nähe des S-Bahnhofs Düsseldorf-Flingern.

Du wolltest das Interview gerne im Fortuna-Eck führen, was aus zeitlichen Gründen nicht geklappt hat.


Ja, leider, denn das Fortuna-Eck bei Moni muss, wie so viele andere Läden auch, zum Beispiel die Brause, schließen [Bis zum 31. Dezember 2020 darf Moni jetzt doch noch weitermachen, dann ist aber definitiv Schluss. - d. Red.]. Es ist eine typische Eckkneipe, von denen es früher an jeder Ecke welche gab. Dort ging man nicht nur hin, um sich zu besaufen, sondern es war ein sozialer Treffpunkt. Ich bin mal am ersten Weihnachtsfeiertag hin und da saßen dann einige Mittsechziger herum und feierten zusammen Weihnachten. Das war schön und wichtig. Bei Moni ist es immer dann richtig gut, wenn dort fast nichts los ist und sie von früher erzählt, als diese Gegend hier, Düsseldorf-Flingern, richtig heftig war. Ich habe mich als Kind und Jugendlicher kaum hierher getraut.

Du hast die Brause angesprochen, die ja vor kurzen illegal abgerissen wurde. Das war ein legendärer Ort für Kultur im Kassenhäuschen einer alten Tankstelle.

Eigentlich super, dass es passiert ist, da sie jetzt nicht einfach verschwindet. Die neuen Leute der Brause haben nachgefragt, ob das Gebäude, eine alte Innenstadttankstelle, nicht unter Denkmalschutz gestellt werden kann. Das Verfahren war schon in der zweiten Instanz, als der Eigentümer mit dem Abriss Tatsachen schaffen wollte. Ihm wird wegen einer Gesetzeslücke nicht viel passieren, aber die Stadt spricht von Vertrauensbruch, weil sie hintergangen wurde, und er hat viele Bauprojekte in Planung und ob und wann da jetzt die Genehmigungen erteilt werden, ist erst einmal fraglich. Gut ist, dass die Brause wieder Thema geworden ist und der normale Bürger den Vorgang scheiße findet. Dass sie weg sollte, war der Allgemeinheit egal, es war ja auch ein Unruheherd mitten in der Stadt und dem normalen Spießer ein Dorn im Auge. Nun hat es eine politische Dimension und alle finden es blöd, dass jemand machen kann, was er will, nur weil er Geld hat.

Lass uns auf euer neues Album zu sprechen kommen. Das Artwork ist das erste mit politischer Aussage von euch, oder?

Alle unsere Cover haben eine politische Aussage, nur diesmal einen konkreten und aktuellen Bezug, den Brexit. Auf dem Cover siehst du Maggie Thatcher, die einen Europapullover trägt. Dazu gibt es ein Foto. Man hatte sie wohl überredet, den anzuziehen, obwohl sie immer gegen Europa war. Ein befreundeter Künstler, Heinz Hausmann, hat es gemalt. Er malt Bilder von historischen Fotografien ab, setzt sie neu zusammen und gibt ihnen neue Aussagen. Durch OIRO haben wir viele Freunde auch in England, die aus dem Punk und anderen alternativen Strukturen kommen, und die Stimmung unter ihnen ist so, dass fast alle weg wollen. Sie verstehen nicht, dass so viele von ihnen damals das eigentlich entscheidende Referendum verpennt haben.

„Mahnstufe X“ heißt das Album. Wie viele Mahnstufen gibt es?

Bei uns gibt es nur Mahnstufe X. Bis zum Ende. Immer offen. Nie bezahlen.

Ist „Fahr zur Hölle MPU“ autobiografisch?

Natürlich. Alle in der Band haben Probleme damit gehabt. Es ist das Allerschlimmste, diese Demütigung, die da vom Staat ausgeht. Schau dir mal das Video dazu an. Genauso fühlt man sich. Wie ein Idiot. Dieser Idiotentest, Lämpchen hier drücken, Lämpchen da drücken. Totaler Schwachsinn. Alles Scheiße. Leuten wird die Existenzgrundlage entzogen. Freunden von mir, die aufs Auto angewiesen sind, die zwei Kinder haben, wird der Führerschein einfach weggenommen. Ganz schrecklich. Klar sind wir dagegen.

Am Ende singst du „dann fahr ich mit dem Mofa vor“?

Nein, „dann fahr ich eben Motorboot“. Ich habe den Segel- und den Motorbootschein und bei Kraftfahrzeugführerscheinverlust darfst du weiter Motorboot fahren. Und deswegen fahre ich nur noch Motorboot, was etwas umständlich ist, weil man immer Wasser braucht.

„Die Kids vom Hellweg“ ... ist das eine Anspielung auf die Hellwegbande, die in der Nachkriegszeit hier ihr Unwesen trieb?

In Düsseldorf-Flingern liegt der Hellweg, gleich hier um die Ecke. Anfang bis Mitte der Achtziger gab es dort härtere Gangs und Assis. Es spielt ein wenig mit dieser eigenen Welt von Banden und Räubern. Im Text heißt es ja „Die Menschen, die ich mag, gehen nicht in den Park“. Da geht es ein wenig um Dinge wie „Park Life“, wo hier in Düsseldorf von irgendeiner Agentur Festivals in den Stadtparks organisiert werden. Da sind dann Firmen wie Carhartt und irgendwelche DJs vor Ort, um junge Menschen anzuregen, an diesem Tag in den Park zu gehen. Das finde ich total absurd.

In „Talking ’bout my generation“ geht es um eine Frau, die sich nach einem Unglück Wasser in die Augen gießt, während am unteren Bildrand die Börsenkurse tickern.

Findest du es nicht auch absurd, dass vor der Tagesschau immer die Börsenkurse kommen? Warum? Ganz klar, wir leben im Kapitalismus. Aber hey, eigentlich hatte ich mir vorgenommen, meine Texte nicht zu erklären, haha.

OIRO sind jetzt nur noch zu viert?

Ja, unser Bassist Vander meinte zu alt zum Touren zu sein und ging in Rente. OIRO sind noch nie nüchtern aufgetreten. Viele Bands halten das anders. Jedenfalls ist er vor Auftritten schon mehrmals an der Theke eingeschlafen und wir mussten ihn zum Konzert wecken. Er merkte, dass er das nicht mehr schafft. Er hat sich auch in Städten verlaufen, haha. Wir hatten keine Lust, jemand Neues einzuarbeiten. Ein Jahr lang wieder nur die alte Scheiße spielen. Also haben wir einfach neue geschrieben, 13 an der Zahl, von denen elf auf der neuen Platte zu finden sind. Akki, einer unserer Gitarristen, ist an den Bass gewechselt, weil er da Bock zu hatte, und es funktioniert ganz gut. Wir klingen anders, da mit nur einer Gitarre etwas Druck fehlt, aber so haben wir mehr Raum und finden das gut und punkiger.

Mir ist aufgefallen, dass nach den ersten vier oder fünf krachigen Songs das Album immer ruhiger wird.

Die zweite Seite der Platte geht eher so in Richtung MUTTER oder KOLOSSALE JUGEND. Wir haben die punkigen und die ruhigeren Songs absichtlich nicht gemischt, sondern auf zwei Seiten verteilt. Es wird Leute geben, die die A-Seite besser finden, aber ich habe auch schon Stimmen gehört, die das Wavige der B-Seite bevorzugen.

So wie früher, als man von Album X nur die A-Seite gut fand.

Ganz genauso. Es gibt ja legendäre Punkbands, da waren zwei, drei gute Lieder auf den Alben, der Rest der Platte war dir egal. Ich bin froh, dass wir das mal gemacht haben und uns damit ein wenig vom üblichen Schema wegbewegt haben.

Du hast zusammen mit Jenz Bumper von DIRTSHAKES und JET BUMPERS ein Buch geschrieben ...

Ja, „Shanghai Schaschlik“ heißt es. Dazu gibt es noch ein schönes Hörbuch mit Download-Code in einem Glückskeks. Es geht um Chinarestaurants in Deutschland. Auf allen Reisen, die ich bislang unternommen habe, egal wohin, überall gab es schon ein Chinarestaurant. Wie kommen die Leute dahin? Es ist eine Best-Buddy-Story, zwei Typen im Auto auf dem Weg durch Europa auf der Suche nach dem Geheimnis der acht Kostbarkeiten. Diese chinesische Imbissküche gibt es in China gar nicht. Glückskekse auch nicht. Von den acht Kostbarkeiten hat in China noch nie jemand gehört.

Wie schreibt man denn gemeinsam einen Roman?

Bei der Lesereise zu meinem letzten Roman „Scheiternhaufen“ hatte ich Jenz eingeladen mitzukommen. Im Roman gibt es viele Dialoge und ich wollte jemanden dabeihaben, der mit mir diese Dialoge liest. Jenz meinte dann zu mir, dass er immer schon einmal ein Buch schreiben wollte. Er hatte eine Geschichte fertig, die er am Ende der Tour auch vor Publikum gelesen hat. Das kam richtig gut an, er war angefixt und auch meinem Verlag gefiel dies so gut, dass sie gerne ein Buch mit ihm machen wollten. Da er alleine aber keins schreiben konnte, kamen wir auf die Idee der Zusammenarbeit. Einer der Protagonisten im neuen Buch erzählt während der Fahrt immer Storys, vier Stück. Diese sind von Jenz und auch einige tolle Ideen hat er eingebracht.