Mit „Ra Ta Ta Ta Ta“ veröffentlichen OIRO ihr drittes Album in vier Jahren, ihr sechstes seit Bandgründung 2001. Wir trafen uns mit Sänger Jonny Bauer an einem lauschigen Frühlingstag im April in seinem Atelier in Düsseldorf-Flingern, um über den plötzlichen Arbeitseifer der Band, aber auch über seine anderen Betätigungsfelder, wie beispielsweise das Schreiben von Kinderbüchern, zu sprechen.
Mir ist auf dem Weg hierher aufgefallen, dass ihr eure Plakate noch mit Kleister klebt.
Geil, oder?! Wir sind auch die Einzigen, habe ich festgestellt. Alle anderen machen das jetzt mit Klebeband, auch an illegalen Stellen. Für mich ist das nichts. Ich finde das geil mit Kleister. Ich habe ein paar Eimer angerührt und immer wenn ich einkaufen gegangen bin oder jemanden in einem anderen Stadtteil besucht habe, habe ich plakatiert. Einmal kam mir das Ordnungsamt entgegen, die gingen dann weiter und dann habe ich die nächsten Plakate geklebt. Da kam ich mir sehr gut vor.
Die haben dich nicht angesprochen?
Nein, keiner hat was gesagt. Marcel von 100BLUMEN hat mich angeschrieben und gemeint, dass ich den Kleister dicker anrühren müsse, da die Plakate teilweise abgehen, haha.
Einige sind auch schon etwas abgeknibbelt worden.
Das liegt am Papier, da ich die auch bei Bestellungen beilege. Ich halte nichts von diesem billigen Online-Druckereischeiß, ich bin ja auch Grafiker.
Wir sitzen hier bei tollem Wetter in einem ruhigen Hinterhof in Düsseldorf-Flingern. Findest du nicht auch, dass gerade hier die Gentrifizierung massiv voranschreitet?
Ja. Ich wohne mit meiner Frau und unseren Kindern direkt bei der Kiefernstraße in Flingern-Süd und zahle 8,50 Euro für den Quadratmeter. Man braucht ja als Familie auch etwas Wohnraum. Der Hausbesitzer hat noch ein weiteres Haus und vermietet sanierte Wohnungen für 14 Euro pro Quadratmeter. Nicht top saniert, aber er kann sich vor Anfragen nicht retten. Ein WG-Zimmer kostet teilweise 700 Euro für 18 Quadratmeter. Ich unterrichte ja auch an der Hochschule und frage dann auch, wer in Düsseldorf wohnt. Das sind im Schnitt fünf Student:innen. Der Rest wohnt im Umland oder bei den Eltern. Der frühere Oberbürgermeister Erwin hat mal gesagt, dass die Investoren bestimmen, was in Düsseldorf gebaut wird, und hat jungen Familien empfohlen, ins Umland zu ziehen, nach Krefeld oder so. Und damit wurde er gewählt. Der schöne Innenhof hier, wo mein Atelier ist, das sind Mietverträge von vor dreißig, vierzig Jahren. Du bekommst nur etwas, wenn du jemanden kennst. Da ich hier geboren bin, ist das nicht das Problem, aber über die jungen Studierenden erfahre ich, dass es unmöglich ist, in Düsseldorf zu leben, und das ist ganz schlimm für die Stadt. Du weißt es ja selber, wenn du mit den Kindern Essen gehst, bist du hier in Düsseldorf locker 120 Euro los. Oder geh mal ins Kino. Drei Personen plus Popcorn, da bist du ganz schnell bei 60 Euro. Ich habe meinen Kindern ganz früh beigebracht, ihr Verbrecher-Gen, das ich ja auch besitze, abzurufen und kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn man irgendwo etwas mit reinschmuggelt, haha.
Wir treffen uns jetzt das dritte Mal in Folge im Zwei-Jahres-Rhythmus zum Interview.
Krass, oder?! Das liegt am Drumcomputer, der lernt viel schneller als unser alter Schlagzeuger, haha. Jovan, unser Gitarrist, macht das. Am Anfang musste er sich erst einmal reinfuchsen, aber es sind auch mehr Keyboards dabei, die er auch spielt. Es ist viel einfacher, Songs zu machen, weil der Beat ja direkt steht. Wir schreiben zu dritt viel schneller Stücke und spielen live auch viel öfter, da wir uns nicht mehr absprechen müssen. Das ist total klasse, da man so viel öfter etwas Neues macht. Alte Songs zu spielen, langweilt mich. Die neue Platte ist gerade erst erschienen und wir haben schon wieder drei neue Songs geschrieben.
Du warst gerade auf einer Kinderbuchmesse in Bologna ...
Ja, ich bin gestern wiedergekommen. Es kam mir vor, als sei ich das erste Mal in Italien gewesen. Bologna ist eine eher linke Studentenstadt, unglaublich viele junge Menschen. Wir sind direkt in eine Demo gegen die Abholzung eines Parks geraten, der einer Autobahn weichen soll. Ich fand schon immer, dass die italienischen Punks super cool aussahen, ihren eigenen Style haben. Die ganze Stadt ist voll damit, das Leben pulsiert. In Bologna gibt es die weltgrößte Kinderbuchmesse. Ich bin ja auch Kinderbuchautor. Auf der Messe sind nur Fachbesucher zugelassen, keine Kinder, was irgendwie seltsam ist, haha. Es gibt auch einen Astrid-Lindgren-Preis, wenn die wüsste ... Es geht dort um Lizenzen. Ich habe eine Agentin für meine Kinderbücher, die mich vertritt, und sie lädt immer dorthin ein. Ich fahre dann mit ein paar Illustrator:innen dorthin, treffe dort andere Autor:innen und Illustrator:innen, die alle so ähnlich drauf sind wie ich. Dort ist alles sehr sympathisch, viele nette Menschen. Interessant ist, welche Kinderbücher in welchen Ländern erscheinen. Deutschland ist sehr konservativ, in Frankreich hingegen sind sie oft sehr künstlerisch. Gastländer wie Japan oder Slowenien sind spannend. Dort wird in den Büchern nicht so viel erklärt. Ein deutscher Verleger würde sagen, dass die Bücher nicht für Kinder gemacht werden, sondern für die Menschen, die sie kaufen, also die Eltern und Großeltern. Da kommen auch schon mal langweilige Vorschläge rein, die ich alle konsequent ablehne. Mach doch mal was mit einer Patchwork-Familie oder mit Lego-Steinen, die zum Leben erwachen, haha. Ich mache nur meine eigenen Stoffe.
Wie passen das Schreiben von Kinderbüchern und dein schnoddriges Auftreten und die Publikumsbeschimpfungen bei OIRO zusammen?
Als Kinderbuchautor nenne ich mich auch Jonny Bauer. Unter dem Namen findest du eigentlich alles, was ich künstlerisch mache, auch Beleidigungen, was manche Verlage oder die Hochschule vielleicht nicht so gut finden, aber ich kann doch sagen, was ich will. Bislang ging das immer gut.
Ihr habt ein neues Label. Wie kam es dazu?
Wir sind jetzt auf Major Label, genau. Wir waren vorher nur auf Flight 13. Als wir die Band gegründet hatten, hat Tom uns sofort angeboten, auf Flight 13 zu veröffentlichen, ohne einen Ton gehört zu haben. Das war immer super sympathisch. Wir wollten einfach mal etwas Neues machen, gerade jetzt, wo wir öfter eine Platte aufnehmen. Major Label sind ja aus Jena im Osten, wo wir gerne unterwegs sind, weil es dort ein neues, junges FLINTA*-Publikum gibt. Alles total offen und neugierig. Die Bands dort haben auch mal ein Akkordeon dabei oder drücken Knöpfchen, während hier im Ruhrgebiet viele so RAMONES-mäßig unterwegs sind. Zwei Gitarren, Schlagzeug, Bass. Ganz klassisch. Wir fühlen uns da wohl, können natürlich alles bestimmen.
Ihr spielt ja kommende Woche eure Release-Show im AK47 auf der Kiefernstraße hier um die Ecke. Kennst du noch die MONKEYS WITH TOOLS, die von dort kamen?
Klar, die kenne ich noch.
Weißt du auch noch, wie das erste Stück auf ihrem ersten Albums hieß?
Nein.
„Ratata“.
Nein? Ehrlich? Das wusste ich nicht. Krass. Aber nicht wie bei uns „Ra Ta Ta Ta Ta“, oder? So schließt sich der Kreis, aber deswegen machen wir die Show nicht dort. Die Inspiration kommt auch eher von einem TRIO-Song, wo sie auch „Ratatatata“ singen. Auf dem letzten Album war ja Corona das große Thema, nun sind es Krieg und Gewalt. Sagen zu können, dass Krieg verboten ist, diese Utopie ist für mich total wichtig. Wenn man mit anderen diskutiert, verstehe ich deren Einwände, aber dennoch: Aufrüstung, so viel Geld dort reinstecken, das wird immer weitergehen. Das wird nichts beenden. Und wenn du etwas beendest, fängst es an der nächsten Ecke wieder an. Ich finde eine grundsätzliche Haltung gegen Krieg total wichtig. Wir nehmen das Thema nicht platt auf, sondern verpacken das in persönlichere Geschichten, aber Songtitel wie „Handgranate“ oder „Maschinengewehr“ sind ja recht eindeutig.
Bei „Handgranate“ dachte ich zunächst, es sei ein HAMMERHEAD-Cover, vor allem da Tobias von HAMMERHEAD im Refrain zu hören ist. Ist es aber nicht, oder?
Nein, das ist ein eigener Song, zu dem es auch ein tolles Video gibt. Ich fand die Idee, ihn dabei zu haben, einfach witzig. Seine Stimme passt hervorragend zum Refrain. Ich kenne ihn schon ewig und habe ihn einfach gefragt, ebenso wie Ricaletto von PISSE. Beide haben coole, besondere Stimmen, aber ihr Chor wirkt aus dem Hintergrund, das funktioniert gut.
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