Nachdem OIRO zwischen ihrem zweiten Album „Vergangenheitsschlauch“ (2008) und dem dritten Album „Meteoriten der großen Idee“ (2015) ganze sieben Jahre haben verstreichen lassen, scheint sie plötzlich die Arbeitswut gepackt zu haben.
Denn „Mahnstufe X“ erscheint nach nur schlappen vier Jahren. Dabei hat es im Bandgefüge ordentlich gerappelt. Der langjährige Bassist Vander nahm seinen Hut und Gitarrist Akki wechselte kurzentschlossen das Instrument, so dass OIRO nur noch zu viert unterwegs sind und eine Gitarre im Bandsound „fehlt“.
Das tut sie aber nicht wirklich. OIRO haben die Situation als Chance aufgefasst und ihren Sound dahingehend geändert, dass die bis dahin oft etwas tiefer gestimmten Gitarren wieder in einer normalen Stimmung gespielt werden, was gleichzeitig der Stimme von Sänger Jonny Bauer gut tut.
Denn so befreit wie auf „Mahnstufe X“ klang er lange nicht. Gleich der erste Song, „Fahr zur Hölle MPU“, ein kurzer anderthalbminütiger Smasher, zu dem es auch ein schönes Video gibt, präsentiert eine erfrischend spielfreudige Band.
„Prepaid Pleite“ schlägt in die gleiche Kerbe, unterbrochen durch ein paar melodische Momente. „Schluckauf“ hat ordentlich Drive, einen coolen Groove und eine wirklich schöne, flirrende Gitarre.
„Gewalt am Mittwoch“ startet mit einem ordentlich knarzenden Basslauf, die Gitarre setzt erst nach etwa fünfzig Sekunden ein und der scheppernde Punk der ersten Stücke weicht, ebenso wie auf dem folgenden „Kaktushaut“, wunderschön-atmosphärischem Post-Punk.
„Die Kids vom Hellweg“ (eine real existierende Straße in Düsseldorf-Flingern) ist der letzte krachigere Song auf diesem Album. Ab „Flut“ weichen Tempo, Aggression und Punk wesentlich sanfteren und schmeichelnderen Klängen, ohne jedoch an textlicher Schärfe und Bissigkeit einzubüßen.
„Talking ’bout my generation“ bringt das Absurde von Nachrichtensendungen, wie sie etwa bei N-TV laufen, auf den Punkt, bei denen schreckliche Bilder von etwa Bürgerkriegen von tickernden Börsenkursen relativiert werden.
Auch die letzten drei Lieder („Wege ohne Schablone“, „Reiche Eltern und du“ und „Die meisten Unfälle passieren im Krieg“) bleiben musikalisch eher sehr atmosphärisch. Sie versprühen, und das ist jetzt positiv gemeint, den Charme einer nächtlichen Autofahrt, bei der man um drei Uhr das Radio nur leise einschaltet und von der dort gespielten Musik und der sanften Stimme des Moderators eingelullt wird.
Ein weiterer Pluspunkt ist, dass OIRO es geschafft haben, ihre Texte sowohl zugänglicher als auch politischer zu gestalten. Auch das Coverartwork ist politisch wie nie. Auch wenn alte Fans von OIRO vor allem ab Song sieben vielleicht etwas verdutzt sein dürften, haben OIRO sich neu erfunden und sind so gut wie lange nicht.
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