Sie haben das Ox ewig begleitet, und wir sie: MUFF POTTER aus Rheine, später Münster, dann auch Berlin. Sechs Interviews wurden geführt, einmal waren sie sogar auf dem Cover, und auch wenn meine Begeisterung mit den letzten beiden Alben etwas nachgelassen hatte, so gehören sie doch immer noch zu den Guten. Da war es ein ziemlicher Schock, als im Sommer diese Meldung einschlug: „WIR LÖSEN UNSERE BAND AUF! wir glauben, dass wir nach gut 16 jahren an einem schlusspunkt angekommen sind. wir glauben, dass wir dieses jahr mit „gute aussicht“ eine der besten randale platten des ganzen jahrzehnts abgeliefert haben. wir glauben, dass wir in all den jahren, nicht zuletzt 2008/2009, phänomenal viel energie in diese band gesteckt haben. muff potter, ein monster, larger than life. manche von uns spielen jetzt seit der hälfte ihres lebens in dieser band. das muss man sich mal vorstellen! irgendwann ist auch mal schluss. der besiegte sieger macht platz für etwas neues. alle angekündigten konzerte werden gespielt, und im dezember sagen wir nochmal eine woche lang tschüs. die termine werden in wenigen wochen bekannt gegeben. danke an alle die uns in den letzten 16 jahren unterstützt haben. danke am allermeisten an uns selbst für 16 jahre fahrtwind. wir gehen erhobenen hauptes, in demut und stolz. besser können wir uns einen abgang nicht vorstellen. muff potter forever. auf wiedersehen, sagen nagel, shredder, dennis und brami.“ Klar, dass ich da noch ein paar Fragen hatte, die Nagel beantwortete.
Zum Jahresende 2009 werden MUFF POTTER Vergangenheit sein. Was wird dann bei dir das vorherrschende Gefühl sein – Erleichterung oder Wehmut?
Ich glaube, beides auf eine Art, mal abwechselnd, mal gleichzeitig. Aber so ganz kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht einschätzen, wie das dann sein wird. Ich mache das ja auch zum ersten Mal.
Mit welchen Sätzen fängt der Nachruf auf MP an, den du gerne lesen würdest?
Ich schreibe lieber etwas Neues, als mir über Nachrufe Gedanken zu machen.
Wie kam es zu eurer Entscheidung? War das eine demokratische, einstimmige Sache, oder hat da einer den Stöpsel gezogen, und aufgrund eines bislang unbekannten Blutpaktes war es eine Sache von „entweder alle oder keiner“?
Es war eine Mischung aus all dem, aber unterm Strich eine gemeinsame Entscheidung.
Ihr seid mit der Band eurer späten Teenie-Jahre gewachsen, kommt aus einem Szene-Biotop, habt in frühen Jahren mittels der Quasi-Band-Postille Wasted Paper den Leuten ans Bein gepisst, und das war alles nötig und gerechtfertigt. Nun weiß ich aus eigenem Erleben, dass Adenauers Spruch „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ ein sehr guter Satz ist, denn das Leben und die Gegebenheiten ändern sich, aber es gab eben Zeiten, da hieß es „Tod der Scheiße, Tod der CD!“, und das Ox war sowieso Kommerz. Na ja, irgendwann war Wiesmann dann „Tourmanager“, ihr hattet einen Majordeal und wart voll drin im Geschäft ... Wie hast du diese Veränderungen erlebt, wie reflektierst du die?
Die Veränderungen kamen nie geballt, sondern nach und nach und waren meistens folgerichtig. Manches, was nach außen hin wie ein krasser Einschnitt wirkt, ist in Wirklichkeit ja Ergebnis einer längeren Entwicklung. Der Sprung von Huck’s Plattenkiste zu Universal zum Beispiel war Ergebnis vieler kleiner Schritte. Ich weiß, dass man mir das leicht als Arroganz auslegen kann, wenn man möchte, aber ich glaube, dass wir als Band so ziemlich alles richtig gemacht haben. Zumeist instinktiv richtig gemacht haben. Weder haben wir jeden Schwachsinn mitgemacht, noch haben wir uns ängstlich in unserem Schneckenhaus namens Kleinstadt oder Punk-Szene verkrochen. Weder haben wir klein gedacht noch den Boden unter den Füßen verloren. Weder haben wir unser Fähnlein in den Wind gehängt noch sind wir auf der Stelle getreten. Ich habe mich als MUFF POTTER-Bandmitglied vor allem in der zweiten Hälfte der Bandgeschichte immer unabhängig gefühlt – ich weiß das sehr zu schätzen, weil es alles andere als selbstverständlich ist.
Welchen Kompromiss seid ihr nie eingegangen und stolz darauf, welche Kröten musstet oder wolltet ihr schlucken?
Ich bin stolz darauf, in 16 Jahren Bandgeschichte nie an einem Contest teilgenommen zu haben. Also weder am Anfang irgendwelche Bandwettbewerbe, noch später Sachen wie Jägermeister Rockliga, MTV Roadtrip oder Bundesvision Contest. Zu schluckende Kröten gab es wirklich kaum. Manche Sachen probiert man halt einmal aus und merkt dann, dass das nichts für einen ist. Was aber ja nicht heißt, dass es unbedingt ein Fehler gewesen sein muss, das auszuprobieren.
Mit „Von wegen“ habt ihr euch 2005 mittels einer Coop eures eigenen Labels Huck’s Plattenkiste mit Universal auf das Experiment eines Quasi-Majordeals eingelassen, mit „Gute Aussicht“ hieß es „back to the roots“. Wie lautet euer Resümee, was würdet ihr genauso machen, was anders, was anderen Bands raten?
Ich glaube, es gibt keine Patentrezepte, heute weniger als jemals zuvor. In den vier Jahren hat sich ja schon wieder soviel verändert. 2005 war der nicht nur Quasi-Majordeal genau das Richtige für uns. Wir hatten einen sehr guten Plattenvertrag mit allen künstlerischen Freiheiten, zum ersten Mal in der Bandgeschichte ein festes Budget für Studio/Artwork/Promo usw., und wir haben bei Vertigo mit guten Leuten zusammengearbeitet, mit denen wir teilweise bis heute befreundet sind. Die Entscheidung, „Gute Aussicht“ wieder auf unserem eigenen Label herauszubringen, war eine rein pragmatische, keine ideologische. Wir hatten immer diese Haltung, dass wir es auch selber können, und zu dem Zeitpunkt war es für uns eben inhaltlich und finanziell gesehen das Beste, es selbst zu machen. Allerdings ist es nach wie vor nicht mein Traumberuf, eine Plattenfirma zu betreiben. Außer für meine eigene Band würde ich das niemals tun, denn vieles an der Arbeit ist eben nichts anderes als langweiliges Kleinunternehmertum. Der Begriff „D.I.Y.“ ist dann manchmal nicht mehr als ein Euphemismus für stupide Büroarbeit. Ich glaube an „Do It Yourself“, aber ich glaube nicht an D.I.Y. als Religion oder Regelwerk. Es ist vielmehr eine Haltung, die auch in Zusammenarbeit mit großen Labels funktionieren kann, wenn man weiß, was man will und was nicht. Wie ja auch andere Bands schon gezeigt haben. SONIC YOUTH sind da ein gutes Beispiel.
Jetzt mal ganz unpathetisch: Wenn man seine gesamte Jugend – und die dauert ja heute bis Mitte/Ende 30 – mit einer Band „verplempert“, dann bedeutet einem die ja verdammt viel. Wie kannst du du dieses „verdammt viel“ beschreiben?
Na ja, zunächst mal sind dabei verdammt viele Songs entstanden, und die Songs sind ja das Wichtigste bei einer Band. Klingt vielleicht banal, aber ich glaube, dass das tatsächlich viel zu oft viel zu sehr in den Hintergrund gerät. Und dann ist es natürlich so, dass ich in dieser Band spiele seit ich 16 bin. Das ist die Hälfte meines Lebens. Es gab bisher keinen einzigen Tag in meinem Erwachsenenleben, an dem ich nicht Sänger und Gitarrist von MUFF POTTER war, von kurzen Auflösungsphasen nach Mitgliederwechseln in den Neunzigern mal abgesehen. MUFF POTTER ist auf jeden Fall die bei weitem längste Beziehung, die ich je hatte, und das Größte, was ich bisher in meinem Leben auf die Beine gestellt habe. Ich habe die Enge der Kleinstadt und die Enge der Punk-Szene überwunden, fantastische Menschen kennen gelernt und bin sehr viel gereist. Ich bin mir absolut im Klaren darüber, dass sich so ein lange gewachsenes Bandgefüge nicht einfach ersetzen lässt und werde den Teufel tun, das zu versuchen. Andererseits habe ich mich als Mensch nie ausschließlich über meine Band definiert. Das fände ich auch ziemlich schrecklich. Es wird viel wegbrechen, das mir sehr lange sehr wichtig war und wohl immer bleiben wird. Dafür wird aber auch Platz für etwas Neues entstehen.
Punk 2009 – was hat das noch mit Punk 1993 zu tun?
Das kann ich nicht sagen, denn der Begriff hat für mich neben der musikhistorischen nur eine rein persönliche Bedeutung. Viele der Ideen von Punk sind mir wichtig und werden es wohl immer bleiben. Ohne diese D.I.Y.-Autodidakten-Punkrock-Haltung hätte ich das ja alles gar nicht machen können: Singen, Gitarre spielen, Touren buchen, Platten rausbringen, Bücher schreiben ... Das habe ich ja alles nie gelernt. Aber ob andere das, was ich mache, für Punk halten oder nicht, ist mir wirklich egal, und das ja auch nicht erst seit gestern.
Wie wird es individuell für euch weitergehen, was sind die Pläne? Therapie, Weltreise, Heirat, Kinder, spätes Studium ...?
Ja, das alles auf jeden Fall. Ich will und werde außerdem mein zweites Buch fertig stellen, Dennis wird sich um sein Label kümmern und Bands produzieren, und was sonst noch passiert, wissen wir noch nicht. Für mich wird Musikmachen bestimmt eine Rolle spielen, aber in welcher Form, das kann ich noch nicht sagen.
Der absolute MUFF POTTER-Flop, und was war absolut top?
Ganz besonders top war es immer, neue Lieder zu machen. Diese Momente in Proberäumen, Ferienhäuser und Studios, in denen man zu viert an etwas arbeitet, das noch niemand kennt. Mit seinen Freunden etwas Neues entstehen zu sehen, ist für mich nach wie vor das Allerbeste daran, in einer Band zu spielen. Das Zweitbeste ist, dieses Neue der Welt mitzuteilen. Also Highlights: alle Plattenveröffentlichungen und viele, viele Konzerte. Flop, ohne Scheiß und ganz ehrlich: da fällt mir nicht viel ein. Wenn, dann waren das so „Scheiße abgeliefert“-Momente, nach nicht so guten Auftritten zum Beispiel. Manchmal hat auch das langweilige Umfeld genervt, früher die Punk-Szene, später die Musikindustrie, die sich mit ihren oft schwachsinnigen Diskussionen und Ritualen meiner Meinung nach sehr ähnlich sind. Es war aber immer die Musik, die uns angetrieben hat, weiterzumachen.
Zum Schluss noch die geschätzte Statistik bis Ende 2009: Anzahl Bandbusse, wie viele Kilometer, getrunkenes Bier in Litern, Menge der geleerten Rotweinflaschen, Gesamtbesucherzahl aller Konzerte, verkaufte T-Shirts, LPs und CDs?
Schau mal in die letzte Ausgabe des Fanzine No. 1, fanzineno1.de, dem Fanzine unseres allerersten Schlagzeugers Mongo. Da gibt es eine sehr coole Statistik bis einschließlich Anfang 2008 mit Tortendiagrammen und allem. Wenn man das um die letzten anderthalb Jahre ergänzt, ist man ziemlich nah dran.
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