"Muff Potter sind eine deutschsprachige Alternative Rock-Band ..." steht in der Eingangszeile des Wikipedia-Eintrages, und weil das (bislang) unwidersprochen da steht, ist es auch so lustig und womöglich irgendwie zutreffend. 1998, "Schrei, wenn du brennst" war gerade erschienen, platzte Nagel auf die Frage nach dem Musikstil noch mit "Punkrock!" heraus, war der Münsterländer Vierer sowas wie die Smart-Version von politischem Köterpunk ohne Hund, die mit dem Wasted Paper über eine hauseigene Propagandapostille verfügte und die Platten selbst via Huck's Plattenkiste veröffentlichte - damals aber immerhin schon den Sündenfall hinter sich hatte, gegen die eigene frühere Maxime "Tod der Scheiße, Tod der CD!" verstoßen zu haben. 2007 sitzen mir Brami (Drums), Shredder (Bass) und Dennis (Gitarre & Gesang) auf der Terrasse eines Restaurants im Kölner Mediapark gegenüber, ihr zweites in Kooperation mit dem Major Universal entstandenes Album "Steady Fremdkörper" steht kurz vor der Veröffentlichung, und wir führen das fünfte Interview mit der Band fürs Ox, um über genau solche Weiterentwicklungsphänomene zu sprechen.
Nagel ist noch nicht da, endlich habt ihr mal die Chance, was im Ox zu erzählen.
Brami: Es ist einfach schwierig, mit Nagel zusammen Interviews zu geben, denn er ist viel mitteilungsbedürftiger als wir drei zusammen. Denn wenn eine Frage gestellt wird, hat er schon zur Antwort angesetzt, bevor man selbst antworten kann, aber irgendwann stört einen das nicht mehr. So kann man im Hintergrund bleiben und in Ruhe sein Pils schlürfen.
Abgesehen davon haben Schlagzeuger doch sowieso nichts zu sagen ...
Brami: Genau. Das sind nur so Typen, die mit Musikern rumhängen.
Shredder: Ja, und auch die, die immer so sexy sind.
Brami: Aber das sieht ja auch keiner. Und ja, ich bin das Sexmonster, ich bin da irgendwie so reingerutscht.
Nagel ist jedenfalls der, der auch das Buch geschrieben hat, von dem wir wissen, dass Ähnlichkeiten der darin beschriebenen Band mit MUFF POTTER rein zufällig sind.
Brami: Zu behaupten, dass da eine Ähnlichkeit besteht, wäre wirklich sehr weit hergeholt. Also ich finde das Buch sehr gelungen und unterhaltsam, ich habe es an einem Tag durchgelesen. Ich weiß aber nicht, wie es für Leute ist, die nicht aus unserem Dunstkreis kommen.
Dennis: Ich finde es auch gelungen, und wir hatten Nagel im Vorfeld bedrängt, uns schon mal einen Auszug zu schicken, aber er hat sich geweigert und gesagt, wir sollten das nicht lesen. Ich bekam dann erst was zu lesen, als im Visions vorab so ein Auszug abgedruckt war. Ich fand das dann total interessant, denn es handelte davon, dass wir zusammen im Bus sitzen, er vorne, wir hinten, und wir Spaß haben, während er dabei voll aggressiv wird. Ich fand es gut, mal zu wissen, wie er das alles so sieht.
Brami: Er hatte uns aber im Vorfeld gefragt, ob es etwas gibt, was wir über uns nicht lesen möchten. Ich sagte dann nur "Ja, aber mach mal." Ich wusste ja auch nicht, was er vorhatte zu schreiben.
Ich würde mich in so einer Situation fragen, ob ich wirklich will, dass inklusive meiner Mutter alle Welt so detailliert etwas von mir weiß.
Brami: Ich hatte den Eindruck, dass ihm das erst im Nachhinein aufgefallen ist, dass ihm dieser Gedanke erst kam, als das Buch bereits im Druck war.
Dennis: Ja, aber das muss man sich vorher überlegen, denke ich. Jetzt weiß jeder, was er für ein Trottel ist.
Und wann kommt eure Version der Geschichte, das "Wie es wirklich war"?
Brami: Das wäre natürlich super, wenn wir jetzt drei verschiedene Versionen der Geschichte erzählen würden.
Mit dem Buch wurde Nagel, der sowieso schon immer im Vordergrund stand, jetzt noch mehr nach vorne gerückt.
Shredder: Ich denke, das ist für beide Seiten gut: Ohne MUFF POTTER hätte er nicht die Aufmerksamkeit für sich, und die Band profitiert von der Aufmerksamkeit für seine Person.
Mir fiel bei dem Buch mal wieder auf, wie anstrengend dieses ganze Bandleben auch ist. Ich hätte da nach drei Tagen schon keine Lust mehr.
Brami: Es ist anstrengend, es nervt, man geht sich auf den Keks, aber wir haben uns das ja ausgesucht. Und es macht ja auch Spaß, und außerdem kann ich auch nichts anderes.
Dennis: Nagel hat das gut beschrieben: einerseits die Langeweile, andererseits aber auch, wofür man es macht. Man wird ja auch belohnt. Ich mache das jedenfalls lieber, als auf den Bau zu gehen.
Brami: Ich putze nebenher noch Fenster in Münster und muss klar sagen: Tour ist besser. Wobei das heute sicher nicht mehr das Abenteuer ist, das es früher mal war, aber das ist auch gut so, denn sonst wären wir alle längst tot oder hätten uns aufgelöst. Das ist also schon alles in Ordnung so, auch wenn man sich durchaus manchmal Gedanken macht, wie das alles weitergehen soll. Man hat da schon mal Existenzängste, doch wenn man alles gegeneinander abwägt, kommt man letztlich immer zum Schluss, dass die Band das ist, was man machen will.
Dennis: Und hätte man was Vernünftiges gelernt, würde man sich die ganze Zeit wünschen, was anderes machen zu können.
Brami: Und eine Band so zu machen, wie wir das machen, geht eben nicht mit festen Jobverpflichtungen. Ich gehe eben noch Fensterputzen, wenn ich Zeit habe, Shredder arbeitet gar nicht ...
Shredder: Du arbeitest doch auch nur, weil dir sonst langweilig ist.
Brami: Hm ... ja, ich glaube schon.
Dennis, was machst du?
Dennis: Ich habe ein Studio und produziere Bands. Das hat sich in den letzten paar Jahren so ergeben. Ich wollte das immer schon machen, und in letzter Zeit habe ich eben begonnen, mich da stärker reinzuhängen. Das fing an mit dem einen oder anderen MUFF POTTER-Song, etwa für einen Samplerbeitrag, und dann wohnte ich eine Zeit lang in einem Studio und habe da auch gearbeitet. Das war das Prinicpal-Studio, wo wir die "Bordsteinkantengeschichten" aufgenommen haben, und so kam das, dass ich mich da immer weiter reingearbeitet habe. Und jetzt habe ich im Keller unter dem Büro von unserem Tourbooker Sparta ein Studio eingerichtet.
Brami: Das ist sehr praktisch für uns: Wenn man mal eben was aufnehmen will, geht man eben zu Dennis.
Aber ihr habt das neue Album nicht komplett bei dir aufgenommen.
Dennis: Nee, nur so ein paar Extras. Das Album an sich haben wir in Berlin aufgenommen.
Brami: In einem ehemaligen Studio des DDR-Rundfunks. Die Atmosphäre in diesem riesigen Komplex mit großen Sälen, mit einer Einrichtung, die früher mal sehr teuer gewesen sein muss, war richtig geil. Gleichzeitig war das alles etwas abgerockt, und das war da richtig cool. Der Komplex wird von verschiedenen Mietern genutzt, einer allein könnte dieses riesige Teil gar nicht bezahlen.
Berlin ... Ihr wohnt doch noch in Münster, oder?
Brami: Klar, nur Nagel ist nach Berlin gezogen.
Und, hat das was geändert?
Dennis: Wir hängen komischerweise trotzdem immer noch aufeinander. Bislang merken wir nichts von der räumlichen Distanz, wir waren sowieso ständig auf Tour oder im Studio.
Brami: Shredder und Dennis überlegen ja auch, nach Berlin zu ziehen.
Dennis: Das ist auf jeden Fall eine Option, denn Berlin ist eben die Musikzentrale.
Ach ja? Aber die Stadt ist doch voll von solchen Typen, alle haben nichts gelernt und wollen irgendwie durchkommen.
Dennis: Wenn man das mit der Einstellung angeht, dass man in Berlin als Musiker, Schauspieler oder so untergeht, dann darf man da nicht hinziehen. Es ist einfach immer noch eine coole Stadt, wenn man da sein Viertel findet. Außerdem werden es in Münster immer weniger, da sind schon viele nach Berlin gezogen.
Brami: Ist das so? Ich dachte, die werden alle immer älter, kriegen Kinder und so, haben keine Zeit mehr.
Tja, die Zeiten ändern sich eben. Früher, als ihr noch "Tod der Scheiße, Tod der CD!" gewettert habt, da hättet ihr die Leute, die hier auf dieser Hotelterrasse sitzen, mit Bierbüchsen beworfen. Heute sitzt ihr selbst hier und gebt Interviews ...
Brami: Tja, die Dinge ändern sich, wenn es eine Band so lange gibt, das hatte ich vorhin schon in Bezug auf das Touren angesprochen. Die ganz dogmatischen, radikalen Sachen haben, glaube ich, immer eine recht kurze Lebensdauer. Und die Leute, die einen kritisieren, haben oft Bands, die sich nach zwei Jahren wieder auflösen, die haben gar nicht den Druck, sich rechtfertigen zu müssen.
Shredder: Ich fände es auch schlimm, wenn man heute Dinge nicht anders sieht als noch mit 16. Da würde man ja auf der Stelle treten.
Brami: Gleich geblieben ist, dass wir dazu stehen, was wir machen und wie wir an bestimmte Dinge rangehen. Man wird aber reflektierter mit den Jahren.
Dennis: Es wird auch immer schwieriger Positionen zu beziehen, einfach weil vieles sich nicht mehr so schwarz-weiß darstellt wie früher. Auch Texte wie auf "Schrei, wenn du brennst" würden wir heute nicht mehr so schreiben, auch wenn die immer noch super sind und wir noch dazu stehen.
Brami: Das macht es auch immer schwieriger für mich, Texte zu schreiben. Es fällt schwer, ganz eindeutige Positionen zu vertreten. Und man muss ständig auf neue Situationen reagieren, sich selbst hinterfragen. Es gibt jedenfalls keinen Masterplan, wie das Gebilde MUFF POTTER in fünf Jahren aussehen wird.
Aber in irgendeiner Hinsicht müsst ihr euch doch einig sein.
Dennis: Wir sind uns dahingehend einig, dass wir unser Ding immer wieder hinterfragen, uns immer wieder die Frage stellen, ob wir für uns eine Rechtfertigung haben, eine neue Platte zu machen.
Shredder: Es darf nicht darum gehen, nur deshalb eine neue Platte zu machen, weil man eben zwei Jahre keine gemacht hat. Wenn man keine Ideen hat, lässt man es sein, wenn man nichts zu sagen hat, hält man die Schnauze.
Apropos Album: "Ich bin doch kein Idiot", der erste Song des neuen Albums, ist ja an sich schön, lässt das Album aber recht lahm anfangen. Warum?
Brami: Das haben wir uns auch gefragt, und genau aus dem Grund haben wir das dann auch gemacht.
Shredder: Damit die Leute sich nach 20 Sekunden fragen, was wir da für einen Scheiß gemacht haben und gar nicht erst weiterhören, haha. Schlau gemacht, oder?
Brami: Wir haben das gemacht, um die Erwartungen erst mal runterzufahren. Das ist ein klasse Song, aber eben kein klassischer Opener.
Dennis: Man "versteckt" so einen ruhigen oder akustischen Song ja gerne am Ende einer Platte, und wir haben eben damit angefangen.
Auch insgesamt macht die Platte einen etwas ruhigeren, gesetzteren Eindruck.
Brami: Das finden wir gar nicht!
Shredder: Das haben uns aber schon mehrere gesagt. Da hieß es dann, wir würden irgendwie "tomteiger" klingen. Wir können das aber gar nicht nachvollziehen, denn auf der Platte sind echt viele bratzige Songs drauf. Auf der "Von Wegen" hatten wir das auch so.
Brami: Ja, aber auf "Von Wegen" waren auch eher gefällige Songs drauf, "Alles was ich brauche" und "Wenn dann das hier".
Dennis: Ich finde die neue Platte viel konsequenter. Wir haben da nicht wie bei "Von Wegen" zig Gitarren eingespielt, sondern es einfach bei zwei, drei Gitarren belassen. So sprechen die Songs für sich selbst.
Brami: Wir wollten das Ganze technisch etwas reduzieren. Man kann natürlich versuchen, so einen Sound wie die FOO FIGHTERS zu haben, aber da man da eh nicht rankommt, muss man sich eben auf die Songs als solche besinnen.
Fällt es euch heute schwerer Lieder zu machen als früher, wo man als gerade der Pubertät entwachsene Jungspunde im Keller vor sich hin gelärmt hat?
Brami: Damals hat man alles rausgehauen, was kam, und man hat sich keine Gedanken darum gemacht, was Neues auszuprobieren.
Dennis: Man will sich nicht wiederholen, nicht immer die gleiche Platte machen. Man macht das ja auch für sich selbst und nicht für die Fans, denn sonst würde man einfach immer wieder an die am besten angekommene Platte anknüpfen. Denn die meisten Fans wollen, dass ihre Lieblingsband auf der nächsten Platte so klingt wie vorher.
Brami: Das will man selbst bei seinen Lieblingsbands allerdings auch. Warum haben SAMIAM nicht immer wieder "Clumsy" aufgenommen? Aber man hat selbst eben keine Distanz zu seiner Musik.
Sollte man deshalb also einen Scheiß darauf geben, was Musiker über ihre Platten denken?
Brami: Wahrscheinlich schon. Und das macht so ein Interview eigentlich auch völlig sinnfrei. Aber solange es unterhaltsam ist ... Generell ist der Informationsgehalt von Interviews mit Musikern eher gering, finde ich. Das ist eben alles sehr subjektiv.
Ich merke oft, dass Musiker sich erst dann mit ihrer eigenen Musik so abstrakt auseinandersetzen, wenn sie Journalisten dazu befragen.
Brami: Ja, und wenn man eine Meinung zu seiner eigenen neuen Platte hat, dann stimmt die auch oft überhaupt nicht mit der Einschätzung der Leute überein, die sie von außen beurteilen. Aber ist ja auch egal, Musikgeschmack wird sowieso überbewertet.
Dennis: Man hört die eigene Platte einfach ganz anders, und manchmal würde ich es mir auch wünschen, da ganz unbefangen urteilen zu können. Oder ein Konzert seiner eigenen Band als normaler Zuschauer betrachten zu können, denn man weiß ja gar nicht, wie man wirkt.
Brami: Wir waren in der Vergangenheit auch selten mit unseren Platten zufrieden, nur bei "Von wegen" hatten wir wenig auszusetzen. Deswegen war es nicht leicht, eine neue Platte zu machen.
Dennis: Es war diesmal richtig schwierig, den Punkt zu finden, an dem es für uns richtig gekickt hat.
Brami: Es ist auch immer Glückssache, den Zeitpunkt zu erwischen, an dem es richtig läuft. Wir waren zweimal je zehn Tage in einem Ferienhaus im Emsland, hatten da das Wohnzimmer ausgeräumt und Musik gemacht. Die ersten zwei Tage waren zäh und unbefriedigend, doch dann lief es.
Schaut man sich solche Arbeitstechniken von anderen Bands ab?
Brami: Klar. Das mit dem Ferienhaus war eine Connection über die DONOTS, das fanden wir gut.
Shredder: Wir saßen da und hatten nur mit unseren Macken zu tun, das war richtig gut.
Dennis: Den Moment zu finden, an dem alles passt, das ist purer Zufall.
Und was steht als Nächstes an?
Dennis: Eine ganze Reihe von Festivals, und im Herbst dann eine eigene Tour.
Brami: Das gefällt mir, denn ich finde es blöd, eine Platte rauszubringen und dann direkt auf Tour zu gehen, obwohl da noch niemand die Platte kennt.
Dennis: Dafür ist es schwierig, neue Songs auf Festivals auszuprobieren. Da weiß man nicht, wie das bei den Leuten ankommt. Wie die neuen Songs wirklich ankommen, werden wir also erst im Herbst bei der Clubtour wissen.
Eure letzte Platte war die erste, die ihr in Zusammenarbeit mit dem Major Universal veröffentlicht habt. Wie waren da letztlich die Reaktionen, die Erfahrungen?
Brami: Größtenteils gut, sowohl die Reaktionen wie die Erfahrungen.
Dennis: Es hat sich für uns auch für den Arbeitsprozess, die Aufnahmen, im Vergleich zu früher nichts geändert. Es ist nicht so, dass da jeden zweiten Tag jemand im Studio gestanden hätte, um sich das anzuhören und uns Anweisungen zu geben. Das wollen wir nicht, das lassen wir nicht mit uns machen, und das haben wir denen auch gesagt.
Brami: Es gab natürlich auch ein paar negative Reaktionen zur letzten Platte, von wegen "Man hört, dass ihr jetzt bei einem Major seid", und dabei war die Platte fertig, bevor wir den Deal unterschrieben hatten. Dabei ändert der Deal nichts an der Musik, der Vorteil ist einfach, dass da Leute Geld und Zeit investieren und sich so für uns neue Möglichkeiten eröffnen.
Dennis: Und wir hatten dadurch die Möglichkeit, uns mehr auf die Musik zu konzentrieren, Nagel hatte die Zeit, das Buch zu schreiben.
Danke für das Interview.
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