MELVINS

Freistil

TOMAHAWK und MELVINS zusammen auf Tour - was für ein Doppelpack! Und vor allem haben sich da unter dem Dach von Ipecac Records zwei Bands gefunden, die nicht nur in Person von Kevin Rutmanis eine personelle Überschneidung aufweisen, nein, auch der „Wir machen unser Ding, komme da was wolle“-Ansatz ist ein ähnlicher. Und sowieso war ein Gespräch mit Buzz Osborne, dem bestfrisierten Mann unter der Sonne, längst überfällig. Also auf nach Köln, wo uns unmittelbar vor ihrem Set ein gut gelaunter, gesprächiger Buzz im Backstageraum Rede und Antwort stand. Ach so, die MELVINS: Seit ungefähr 20 Jahren die punkigste Interpretation von BLACK SABBATH wo gibt.

Die MELVINS sind eine Band, die ich mit der dunklen Seite des Lebens in Verbindung bringe – da verwirrt es etwas, wenn ihr kurz vor acht bei strahlendem Sonnenschein auf die Bühne geht, finde ich.


Ach, mich freut das, das ist mal was anderes. Früh rein, früh raus. Perfekt. Am liebsten würden wir sowieso nachmittags um drei spielen, da wären unsere Auftritte sicher viel besser.

Wieso? Biorhythmus?

Das ist so eine Zeit, zu der man Soundcheck macht. Alles ist perfekt, doch keiner hört zu. Und dann wartest du sechs Stunden bis zum Auftritt, sitzt rum, wartest, langweilst dich und das ist nicht besonders motivierend. Deshalb proben wir auch immer tagsüber und nicht abends, schon seit langer Zeit. Aber Konzerte müssen eben abends stattfinden, weil die Leute tagsüber arbeiten, also müssen wir uns damit abfinden.

Apropos arbeiten: Was machst du so?

Außer bei den MELVINS spiele ich ja noch mit Mike bei FANTÔMAS, und da bleibt nicht viel Zeit übrig. Seit 1999 habe ich mit FANTÔMAS und den MELVINS zehn Alben gemacht – noch Fragen?

Nein ... Da wundert es mich nicht, dass ich selbst allein 25 MELVINS-CDs besitze.

Haha, kein Wunder. 1999 haben wir drei Alben gemacht, dann in anderthalb Jahren fünf – und alle klingen anders.

Was ist der Trick? Andere Bands bringen alle fünf Jahre eine Platte raus, trotzdem sind eigentlich alle MELVINS-Platten richtig gut.

Es gibt die verschiedensten Ansätze eine Platte zu machen, und ich glaube, die meisten Musiker haben einfach Angst, die verbringen zu viel Zeit damit sich Gedanken darüber zu machen, was sie da machen – im Gegensatz dazu, ein Album einfach geschehen zu lassen. Wenn man mir sagt, mach in zwei Tagen mit 100 Dollar Budget ein Album, dann bekomme ich das hin. Und ist der Deal, in zwei Monaten für 50.000 Dollar aufzunehmen, auch kein Problem. Es gibt für uns keine Regeln, keine vorgeschriebenen Wege, doch die meisten Bands sind irgendwie festgefahren in der Art, wie sie Sachen machen und können sich nur schwer davon lösen. Das hat dann Ergebnisse zur Folge, die traurig bis schrecklich sind. Und die Labels, auch Indies, sind daran nicht unschuldig, die verlangen eine bestimmte Platte, wollen diesen oder jenen Produzenten, eine bestimmte Art von Songs, und das ist dann echt ekelhaft. Und die Indie-Labels sind manchmal noch schlimmer als die Majors, die bezahlen dich gar nicht erst. Mit FANTÔMAS hatten wir anfangs echt Probleme, wir konnten einfach kein Label finden. Wir hatten noch nichts aufgenommen, aber mit Namen wie Dave Lombardo und Mike Patton sollte das ja kein Problem sein – dachten wir. Und dann kam von Labels wie Relapse die Antwort, wir sollten doch mal ein Demo schicken. Lachhaft! Greg Workman, der Manager von Mike Patton, kam dann mit der Idee an, die Platte einfach selbst rauszubringen, wenn das sonst niemand machen will. Und das war die Geburt von Ipecac, und mittlerweile läuft das richtig gut.

Dann war das rückblickend gar nicht schlecht, dass keiner FANTÔMAS wollte.

Stimmt, es war letztlich unser Vorteil, dass kein Label das Verständnis und die Weitsicht hatte, sich auf ein Projekt wie FANTÔMAS einzulassen. So waren wir gezwungen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Andererseits: Die Releases auf Ipecac sind, so grandios sie sind, auch durchweg sehr freaky und seltsam, da wäre viel Weitsicht seitens eines anderen Labels nötig gewesen, um zu glauben, man könne mit so was Geld verdienen.

Ja, aber mich hat echt geärgert, dass nicht ein einziges Indie-Label bereit war, es mit uns zu versuchen. Na ja, ihr Pech, die Ipecac-Releases verkaufen sich ja nicht gerade schlecht, die sind einfach alle dumm, haben keinerlei Visionen, sind langweilige Deppen, die nichts von Musik verstehen. Ich habe den Eindruck gehabt, die hielten uns alle für zu alt, zu verbraucht, um uns eine Chance zu geben. Die wollen alle hippe, neue Bands, denen geht es nicht um die Musik, sondern darum, in welcher Szene man sich bewegt und wo man angesagt ist. Ich finde das echt deprimierend, man fragt sich, warum diese Typen ein Label machen, das macht doch keinen Sinn.

Es hat aber auch eine lange Zeit gebraucht, bis ihr als MELVINS völlig frei machen konntet, was ihr wollt. Nicht dass „Houdini“ von 1993 schlecht wäre, aber damals hatte man schon den Eindruck, dass ihr euch Richtung Mainstream entwickelt habt – und erst ab Mitte der Neunziger dann wieder völlig unbeeindruckt euren ganz eigenen Weg gegangen seid.

Hmmm ... Unser Ansatz war es schon immer, mit einer neuen Platte etwas anderes zu machen als auf der davor. Das ‚Houdini‘-Album ist schon eine ziemlich seltsame Platte, wirklich, gerade auch im Vergleich zu dem, was damals sonst so veröffentlicht wurde. ‚Houdini‘ war damals nach ‚Lysol‘ der logische Schritt, die Antwort auf die Frage, wohin man sich nach so einer Platte entwickelt. Und ich muss dir widersprechen, meiner Meinung nach ist ‚Stoner Witch‘ unser kommerziellstes Album gewesen, das ein Jahr nach ‚Houdini‘ erschien. Aber sowieso ist die Bewertung ‚kommerziell‘ bezogen auf unsere Platten ja noch mal was ganz anderes, hahaha. Und ehrlich gesagt haben wir uns nie in einer Situation befunden, wo uns jemand gesagt hätte, was wir zu tun und zu lassen haben. Selbst als wir bei Atlantic waren, hat uns da keiner reingeredet. Wir hatten 100% Kontrolle über alles, das stand in unserem Vertrag, die konnten uns zu nichts zwingen und versuchten das auch nicht. Wir lieferten denen die fertigen Platten inklusive des Artworks und das war’s. Der Deal war, dass die uns auf jeden Fall das Geld für die Platte geben mussten, aber nicht verpflichtet waren, sie auch zu veröffentlichen – und sie konnten uns auch nicht zwingen, eine andere Platte stattdessen zu machen. Das war ein perfekter Deal, wir hatten während dieses Deals über drei Alben keinerlei Probleme mit Atlantic.

Aber das ist dann doch eher die Ausnahme gewesen, oder?

Ja klar, das kommt eher selten vor. Und ehrlich gesagt haben viele Leute auch einen anderen Eindruck von der Zeit unseres Majordeals. Das fiel in eine Zeit, als keiner irgendeine Idee hatte, was sich verkauft und was nicht, und Dale und ich glaubten ja auch nicht daran, dass das klappt.

Jetzt aber habt ihr mit Ipecac als Label von MELVINS, FANTÔMAS und TOMAHAWK ja die perfekte Lösung gefunden, alles ist sehr stimmig.

Wir alle, ich, Mike, Greg, Duane, sind etwas älter als die meisten Leute in der Szene und haben ganz ähnliche Vorstellungen, wir haben unsere Erfahrungen mit Majorlabels gemacht. Greg war früher bei Alternative Tentacles und danach bei Mercury und wurde dort gefeuert. Wir wissen einfach, wie die Musikindustrie arbeitet, haben unsere eigene Sichtweise, die sich von der einer Band unterscheidet, die gerade mal 22 ist. Bei uns gibt es kein großes Management, wir alle wissen selbst gut genug, was wie laufen muss. Ich denke, wir arbeiten sehr erfolgreich, gerade auch angesichts der Tatsache, dass wir in den USA so gut wie kein Radio-Airplay bekommen, dass wir nicht auf MTV gespielt werden. Wir arbeiten außerhalb der normalen Musikbusiness-Strukturen, das ist die Überzeugung, die uns zusammenhält.

Verblüffend ist es auf jeden Fall in Zeiten, da Musik scheinbar nur noch innerhalb eng definierter Schubladen und ausgeklügelter Promotionpläne existiert.


Meiner Meinung nach ist die überwältigende Mehrheit der Bewohner dieses Planeten einfach dumm. Aber ein gewisser Prozentsatz ist anders, der hat keine Lust auf das, was ihm von Fernsehen und Radio und Mainstreampresse gefüttert wird, das sind die Leute, die für sich nach Alternativen suchen. Und es gibt weltweit gesehen genug Leute, die so denken, dass es ein Publikum für Ipecac und die Bands auf diesem Label gibt. Aber ansonsten habe ich kein Vertrauen in die Öffentlichkeit, in Leute, die sich die riesigen Konzerte in Stadien anschauen. Wenn wir mal so ein Festivalkonzert spielen, schaue ich auf die Leute und denke mir, dass das einfach nicht mein Publikum ist. Wenn wir solche Konzerte spielen, dann deshalb, weil das so eine seltsame Erfahrung ist. Aber ich glaube nicht an die Menschen, die da hingehen, nicht an die anderen Bands, die da spielen und mit denen ich nichts gemeinsam habe, und nicht in die Idee hinter solchen Veranstaltungen. Alles, was uns mit den Bands verbindet, die dort spielen, ist die Tatsache, dass wir auf der gleichen Bühne stehen. Und ehrlich gesagt will ich auch, dass alles noch viel schlimmer wird: Die Majorlabels sollen alle noch viel dümmer und größer werden, und die Leute da draußen sollen noch gleicher und blöder werden, und je blöder die alle werden, desto besser haben es dann Leute wie wir. So wird der Spalt zwischen der Öffentlichkeit und den Leuten, die nicht die Öffentlichkeit sein wollen, immer größer. Die Barrikaden werden höher, und man wird eines Tages den Punkt erreichen, wo es keine Option mehr ist, sich mit denen einzulassen. Je größer die Majors werden, desto weniger Macht haben sie über Leute wie uns, desto dümmer werden sie – ich finde das großartig. Ich denke, wir befinden uns am Beginn einer neuen Ära des smarten Indie-Rock, der smarten Indie-Rock-Labels.

Wie wichtig oder problematisch ist das Internet für euch, für Ipecac, gerade was Downloads anbelangt?

Eine Sache, die man sich nie wird downloaden können, ist ein Livekonzert. Diese Erfahrung gibt’s nur in echt. Und wenn wir in den USA spielen, verkaufen wir da unsere CDs für zehn Dollar. Wenn jemand zu geizig ist, sich die CD für zehn Dollar zu kaufen, so wie wir als Band sie haben wollen, mit dem Artwork, dann habe ich mit dieser Person rein gar nichts gemeinsam.

Ein anderes „Problem“ des Internets und des Downloads ist die Tatsache, dass Musik dort immer song-zentriert ist, Alben – etwa im kommerziellen Download-Shop von Apple – kaum noch eine Rolle spielen.

Ich bin da nicht unbedingt dagegen, es ist einfach ein anderer Umgang mit Musik. Wir müssen einfach umdenken, wenn sich das so entwickelt. Das ist wie bei der Diskussion um Vinyl und CD: Ich will mich darüber gar nicht unterhalten müssen, CDs klingen einfach besser. Ich will mich nicht in der Vergangenheit verlieren, ich mag CDs, Vinyl klingt beschissen – und gleichzeitig bin ich selbst Sammler ... Aber ich will kein Dinosaurier sein, will nicht wie ein meckernder alter Mann klingen. Die Dinge verändern sich eben: Früher dachte man bei Platten darüber nach, was auf Seite A und Seite B kommt, und noch davor waren Singles das Maß aller Dinge. Vielleicht müssen Fans in Zukunft nicht mehr auf ein Album warten, dafür gibt es jeden Monat einen neuen Song – wer weiß? Und warum sind Filme 90 Minuten lang?

Wenn du dir über so was keine Gedanken machen willst, worüber machst du dir dann Gedanken?

(Überlegt lange) Ich mache mir nicht viele Gedanken oder Sorgen. Musikalisch kann ich machen was ich will, darüber mache ich mir keine Gedanken, und ansonsten macht mir das Leben keine Angst. Was soll schon passieren?

Deine Katze wird von einem LKW überfahren?

Okay, aber so was passiert eben, früher oder später. Das Schicksal schlägt einfach irgendwann zu, so ist das Leben, darüber darf man sich nicht zu viele Gedanken machen, man muss sein Leben leben und versuchen heute glücklich zu sein. Und ich versuche, anderen ein gutes Beispiel zu sein.

Was antwortest du auf die Frage, was man von den MELVINS in nächster Zeit erwarten kann?

Trust us.

Ach so.

Ja, die Leute sollten uns vertrauen, wir sind die Guten. Die wirklichen Feinde sind irgendwo da draußen, auf jeden Fall musikalisch.

Und George W. ist auch noch da.

Okay, aber anders gefragt: Was ist ein guter Präsident? Ich rede nur wenig über Politik, denn ich denke, die Leute wollen so was von mir auch gar nicht hören, und nachher hinterlasse ich auch noch einen blöden Eindruck. Ich habe natürlich eine Meinung, aber die teile ich nicht oft anderen mit. Vor allem nicht der Presse. Die sind immer hinter den Rockstars her, um deren Weisheiten zu hören, im Glauben, die wüssten alles. Ich hasse das! Ich hasse es, wenn Rockbands glauben, politische Statements machen zu müssen.

Bono von U2 zum Beispiel.

Oh ja! Du solltest dich mal mit NEGATIVELAND aus San Francisco unterhalten, was die über Bono zu sagen haben. Das ist eine ganz hässliche Geschichte, aber darüber redet der nicht, sondern nur über das, was ihn gut aussehen lässt. Und weißt du, was das Ekelhafteste war, was ich seit langem gesehen habe? Das war bei der Grammy-Verleihung, als Bruce Springsteen, Elvis Costello, Dave Grohl und noch ein paar andere ‚London calling‘ gesungen haben, im Gedenken an Joe Strummer. Aber wo waren diese Typen, als er noch gelebt hat? Da haben sie für ihn keinen Finger krumm gemacht. Springsteen hätte ihn und die MESCALEROS doch mal mit auf Tour nehmen können, aber nein, so lange er gelebt hat, haben sie nichts gemacht, und kaum ist er tot, nutzen sie die Chance, ins Scheinwerferlicht zu treten und einen auf Mr. Nice Guy zu machen. Fuck that! Diese Typen sind das Böse, von Anfang an habe ich so ein Verhalten gehasst, diese selbstgefällige, philantropische Getue. Ich hasse das aus tiefstem Herzen!

Ich habe gehört, dass ihr zusammen mit Jello Biafra aufgenommen habt.

Ja, wir sind die Band, er singt. Wir haben das halb fertig, und es wird was werden in der Art wie Biafra mit NOMEANSNO, Biafra mit MINISTRY und so. Und wir werden auch des öfteren live spielen, haben am Neujahrsabend auch schon eine Show gespielt, mit 40% DEAD KENNEDYS-Songs und 60% neuen Songs. Das war richtig gut!

Klingt nach einem guten Kontrastprogramm zu den FAKE KENNEDYS ...

Oh ja, das ist ein ekliges Szenario. Das ist eine der tragischsten Geschichten des Rock’n’Roll, und wir haben das ja direkt mitbekommen, da Greg von Ipecac ja früher für Alternative Tentacles arbeitete. Bei der ganzen Sache wurde immer nur darüber geredet, wie viel die angeblich nicht bezahlt bekommen haben, aber keiner redet darüber, wie viel die aber von Biafra bekommen haben – das sollten die Herren mal auf den Tisch legen. Ich traue dem Gerichtssystem nach diesem Prozess noch viel weniger, so wie die Biafra fertig gemacht haben. Und kaum jemand stand bei der ganzen Sache hinter Biafra, hinter dem Mann, der in den Achtzigern die ganze Scheiße durchgemacht hat mit der versuchten Zensur des ‚Frankenchrist‘-Albums. Wenn Biafra damals verloren hätte, könnte man heute in den ganzen USA keine einzige Platte mehr kaufen, an der irgendwas irgendwie anstößig wäre. Ich frage mich, ob die Musikindustrie jemals verstanden hat, welch massive Auswirkungen das auf sie gehabt hätte. Biafra hat für alle Musiker in den USA gekämpft damals, nur dankt ihm das heute keiner. Und er hat heute fast alles verloren, es ist ein ekelhaftes Spiel.

Du stehst in der Angelegenheit also klar auf seiner Seite.

Seit ich Biafra getroffen habe, weiß ich, wie absurd dieser Vorwurf ist. Der hat noch nie was gemacht, um jemand anderen zu verletzten. Er ist einer der wenigen in dieser Szene, der wirklich das tut, was er sagt. Er hat sich nie verkauft, schon gar nicht an Levi’s. Er hat sich zwanzig Jahre lang geweigert, seine Musik an ein Majorlabel zu verkaufen. Dann verklagen ihn seine Ex-Bandkollegen und machen genau das – das ist einfach verrückt. Und glaube mir, die haben all die Jahre nicht schlecht Geld bekommen, hunderttausende Dollar! Ehrlich, das war jedes Jahr mehr Geld, als ich jemals mit meiner Musik verdient habe. Und die haben all die Jahre nichts gemacht – das ist ein so ekelhafte Geschichte, das hat Jello einfach nicht verdient.

Joachim Hiller, Thomas Kerpen

Fotos: Achim Friederich