Mit „The Age Of Unreason“ hat sich jüngst ein Urgestein der kalifornischen Punk-Szene beeindruckend zurückgemeldet: BAD RELIGION, gegründet 1980 in Los Angeles, Urheber der grandiosen Alben „Suffer“ und „No Control“ (1988/89), der Ausgangspunkt von Epitaph Records und mit Brett Gurewitz sowie Greg Graffin angeführt von zwei prägenden Figuren des US-Punkrock. Ich sprach mit dem promovierten Wissenschaftshistoriker Greg Graffin über Evolution, Bildung und Punkrock.
Greg, deine Stimme klingt heiser. Krank oder überanstrengt?
Wir haben am Wochenende in Kalifornien gespielt, jetzt bin ich zurück in New York und übe für die anstehende Toursaison, darunter hat meine Stimme wohl etwas gelitten.
Wie viel eines Jahres geht bei dir für die Band drauf, was bleibt für Forschung, Schreiben und Lehre?
In die Band investiere ich sicher fünf oder sechs Monate. Für den akademischen Teil meines Lebens benötige ich ungefähr drei oder vier Monate. Und unglaublich, aber so ist es: ungefähr drei Monate kann ich einfach nur so zu Hause sein. Einfach normales Familienleben führen, denn ich habe ja einen fünfjährigen Sohn.
Euer neues Album ist meiner Meinung nach ein Volltreffer, musikalisch wie textlich. Ich schrieb im letzten Heft, dass es guttut, in Zeiten wie diesen, in einer oft schrecklichen Welt in Form deiner Texte die Stimme der Vernunft zu hören.
Danke für das Lob, schön zu hören. Ich widerspreche dir nur, was die „schreckliche Welt“ betrifft – ich finde die nicht schrecklich. Punk ganz allgemein hat etwas Mutmachendes an sich, auch wenn im Punk immer wieder negative Aspekte unserer Gesellschaft angesprochen werden. Im Grunde bin ich aber ein hoffnungsvoller Mensch, und ich hoffe, das kommt bei der Musik durch.
Euer Album hat den programmatischen Titel „Age Of Unreason“ und dieser ist eine Anspielung auf das „Age of Reason“, das Zeitalter der Aufklärung von ca. 1650 bis 1800, mit dem Ideale wie Freiheit, Fortschritt, Toleranz, Brüderlichkeit, eine auf Verfassungsgrundsätzen basierende Regierung und die Trennung von Kirche und Staat verbunden werden. All das ist die Antithese zu dem, wohin sich die USA unter Trump entwickeln.
Das ist eine gute Zusammenfassung dafür, weshalb wir diesen Titel gewählt haben. Man darf aber auch nicht vergessen, dass Musik eine Kunstform ist. BAD RELIGION haben sich in all den Jahren immer bestimmte Themen ausgesucht, und der aktuelle Albumtitel fasst gut zusammen, worüber wir in fast vierzig Jahren Bandgeschichte gesungen haben. Und nun durchleben wir gerade eine Zeit, in der diese Werte unter Beschuss geraten sind. Die Menschen haben anscheinend diese von dir genannten Ideale der Aufklärung aus dem Blick verloren. Durch unsere Kunst schaffen wir es vielleicht, dass sich Menschen wieder mit diesen Idealen beschäftigen und feststellen, dass die damals eingeführt wurden, aber seitdem vielfach in Vergessenheit geraten sind. In Bezug auf Politik haben die Menschen oft eine nicht weit zurückreichende Erinnerung und so geriet in Vergessenheit, welch großen Fortschritt die Menschheit seinerzeit machte. Ganz abgesehen davon gefällt mir aus künstlerischen Gründen die Symmetrie zwischen Albumtitel und Begriff. Und ich denke, das Album beweist, dass wir immer noch etwas Wichtiges mitzuteilen haben – würden wir nicht so empfinden, hätten wir die Platte nicht gemacht. In ihr kulminiert, was wir in all den Jahren schon immer zum Ausdruck gebracht haben.
Nun leben wir in seltsamen Zeiten, in denen Medien im Kreuzfeuer stehen, in denen gewisse Akteure versuchen zu bestimmen, was „News“ und was „Fake News“ sind, und man kann da schon pessimistisch werden und zur Einschätzung gelangen, dass wir auf einer abschüssigen, glatten Straße gerade ins Rutschen geraten sind.
Alles ist in Bewegung, immer, und ich glaube nicht, dass unsere Welt unter dem Einfluss einer US-Regierung zerbrechen wird. Die Verschwörungstheoretiker verbreiten ihre Botschaften ja in einem Setting, in dem Menschen davon ausgehen, dass alles ganz schlimm ist und immer schlimmer wird: „Das Ende ist nah!“ So was verursacht Angst, und indem man Angst schürt, bringt man Tyrannen an die Macht. Tyrannische Regime agieren immer auf der Basis von Angst, indem sie versprechen, die Gründe für diese Angst zu beseitigen: „Vertraut uns.“ Dabei ist Angst eine natürliche Reaktion. Wenn dein Haus brennt, rennst du hinaus. Aber es gibt auch eine andere Art von Angst, und die basiert auf einem Mangel an Bildung. Wenn jemand nichts von den Gefahren einer Flut weiß, baut er sein Haus direkt an einem Fluss. Und dann kommt einer an und fragt, warum man das Haus so nah am Fluss gebaut habe, in den nächsten zehn Jahren komme sicher eine Flut und dann sei alles weg. Und dann verkaufen sie demjenigen eine Versicherung. Diese Art von Angst kann man also durch bessere Bildung bekämpfen, etwa, um bei diesem Beispiel zu bleiben, indem man Menschen beibringt, nicht zu nah an einem Fluss zu bauen. Für die Bildung von Menschen zu sorgen ist eine Aufgabe, um die man sich kontinuierlich kümmern muss, aber die politische Rechte hat schon von jeher stark gegen Bildung interveniert und stattdessen auf Indoktrination gesetzt. Sie wollen die Menschen indoktrinieren, dazu bringen, in einer bestimmten Weise zu denken, in engen Grenzen. Die wollen kein eigenständiges Denken und offene Bildung. Wer weniger gebildet ist, dem kann man eher Angst machen.
Du sagst demnach, wir – also wir Linken, wir in der Punk-Szene – sollten uns nicht einschüchtern lassen. Das fällt bisweilen schwer, etwa wenn in bestimmten Ländern unsere Art zu leben durch rechte und konservative Politiker bedroht wird.
Ich bin Künstler, kein Politiker, und deshalb mache ich keine Versprechungen. Ich kann aber durch meine Kunst solche Themen ansprechen und Leute zum Nachdenken bringen. Und solange wir denkende Menschen haben, die willens sind, in einen offenen Dialog einzutreten, die sich ihrer Fehler bewusst sind und bereit sind, alle Arten von Argumenten zu diskutieren, so lange besteht Hoffnung. Wenn man den Dialog abbricht, dann beendet man alle Debatten und macht es letztlich illegal sich auszutauschen. Ohne aussagekräftige Diskussionen ist die Welt ein ganzes Stück düsterer. Wir müssen also immer bereit sein, die Kommunikationskanäle offen zu halten, damit der Dialog weitergeht.
Ich erwähnte, dass das neue Album bei mir den Eindruck erweckt, musikalisch „back to the roots“ zu sein. Seht ihr das auch so, „passiert“ so etwas einfach, oder habt ihr das geplant?
Da hat man es mit den Gesetzen einer Albumproduktion zu tun. Du willst doch, dass das Album so aktuell, so frisch wie möglich klingt, gleichzeitig aber auch die Zuhörer daran erinnert, was sie an deiner Band mögen. Da kommt dann Produktionstechnik ins Spiel und stilistische Aspekte der Spielweise der Musiker sowie des Gesangs. Mein Art zu singen ist über die ganzen Jahre konstant geblieben, jedoch bin ich älter geworden, habe dazugelernt, und so finde ich, dass ich heute so gut bin wie immer, wenn nicht sogar besser. Wir haben nicht bewusst die Entscheidung getroffen, ein Album aus der Vergangenheit nachzuahmen, das wäre töricht. Klar, als Fan wird man auf Vertrautes stoßen, aber eben auch merken, dass das Album nicht einfach eine Variante des Bekannten ist.
Ich habe in letzter Zeit viel über das Thema diskutiert, ob und wie relevant Punk heute noch für Jugendliche ist, ob nicht schon längst andere Genres wie Rap da weit bedeutsamer sind. Beschäftigt euch so was?
Gute Musik geht weit über eine Subkultur hinaus, ob das nun HipHop, Reggae oder Punk ist. Ein guter Song, der einen anspricht, den erkennt und schätzt man, egal aus welchem Genre er kommt. Und heutzutage kann man so was durch die ganzen Streamingdienste viel leichter finden als je zuvor. Unser Ziel ist es, einfach gute Musik zu machen. Natürlich haben wir eine Historie in der Punk-Szene, die sich ständig weiterentwickelt, aber Punk war eben nie Mainstream, auch wenn Bands wie BLINK-182 oder GREEN DAY sehr bekannt geworden sind. Punk hat sich immer auch an Leute gerichtet, die aus den Bereichen der „X-Games“ kommen, also Skateboarding, Surfing, Snowboarding, und da stößt man bis heute auf junge Menschen, die einen Hang zu aggressiver Musik haben. Andererseits hat BAD RELIGION auch schon immer Fans unter jenen gehabt, die sich für Philosophie, Wissenschaft und Bücher interessieren. Ständig beginnen sich junge Leute dafür zu begeistern und die sind offen für BAD RELIGION, ob sie nun Punks sind oder nicht. Die Punk-Szene als solche hat sich auch weiterentwickelt und ist heute in vielen Kulturbereichen vertreten. Für mich ging es damals bei Punk in erster Linie um die Musik, und seither ist mir bewusst, dass Musik ein wundervoller Begleiter durchs Leben sein kann. Wenn du jemand bist, für den das Protestieren Teil der Persönlichkeit ist, dann hast du eine Menge mehr im Leben zu erledigen als nur Musiker zu sein, dann willst du deine Ideen teilen, verbreiten, und das auf möglichst vielen Kanälen, von denen es heute mehr gibt als je zuvor. Protest gibt es heute eine Menge, aber der ist eben nicht so offensichtlich mit der Punk-Szene verbunden.
Was unterrichtest du derzeit an der Uni?
Aktuell gar nicht, wegen eines Todesfalls in meiner Familie habe ich mir eine Auszeit genommen. Grundsätzlich lehre ich Evolution, und das ist ein Bereich, mit dem sich jeder, der Biologe werden will, beschäftigen muss. Ich halte es für fundamentales Wissen für jeden Mediziner, Genetiker und alle, die sich mit Biotechnologie beschäftigen.
Immer wieder mal schaffen es Meldungen in die deutschen Medien über ländliche Schulbezirke in den USA, in denen die Evolutionstheorie zugunsten der Bibel aus dem Schulunterricht verbannt wird. Sind das aufgebauschte Meldungen oder ist das etwas, was jemanden wie dich, der sich beruflich mit Evolutionstheorie beschäftigt, ernsthaft beunruhigt?
Im Bereich der universitären Ausbildung gibt es in den ganzen USA niemanden, der irgendwelche Probleme damit hat, Evolutionstheorie zu unterrichten. Nicht mal an von religiösen Organisationen getragenen Universitäten wird das in Frage gestellt, auch dort gibt es also Vorlesungen zum Thema Evolution. Das Problem sind die Schulen, da gibt es welche, in deren Lehrplan das Thema fehlt. Wir haben in diesem Land ein ernsthaftes Problem mit dem Bildungssystem, vom Kindergarten bis hoch zur 12. Klasse, und da ist Evolution als Unterrichtsinhalt nur ein kleines Randproblem. Viel schlimmer ist, dass die Standards da ständig sinken. Wer in Deutschland die 12. Klasse absolviert hat, ist einem US-Schüler, der die Schule ebenfalls nach der 12. Klasse beendet hat, weit voraus. Wir müssen endlich wieder zu globalen Standards aufschließen, statt die Bildungspolitik den Politikern in den Landkreisen zu überlassen.
Aber warum machen sich religiöse Fundamentalisten, ob nun in den USA oder in der Türkei, bevorzugt an das Thema Evolution heran? Wofür steht die Evolutionstheorie, dass sie so ein rotes Tuch ist?
Evolution bedeutet den kompletten Umsturz religiösen Denkens. Deshalb haben diese Leute Angst davor. Ich sprach ja vorhin schon von Angst als Waffe, und deshalb wird von Menschen, die die Evolutionstheorie ablehnen, mit der Angst gespielt: Wenn du die Evolutionstheorie akzeptierst, fährst du zur Hölle. So machen sie den Menschen Angst. Und wie willst du eine auf Religion basierende Gesellschaft aufrechterhalten, wenn man eine solche „atheistische Doktrin“ akzeptiert? Ihre Kontrolle über die Menschen erfolgt über das Schüren von Angst, doch wenn die Menschen keine Angst vor der Hölle mehr haben, hat man keine Kontrolle mehr über sie. Und dann würde ja die ganze bisherige Gesellschaftsordnung zusammenbrechen. Die Gültigkeit der Evolutionstheorie zu akzeptieren ist für sie also die Autobahn in Richtung Atheismus. Weshalb die religiös dominierten Regionen in den USA und religiös motivierte Politiker in Europa und sonst wo so ein großes Interesse daran haben, Evolutionstheorie als Unterrichtsinhalt zu verhindern.
Ich erinnere mich an einen Besuch im American Museum of Natural History in New York und fand es faszinierend, diese ganzen Ausstellungsstücke von vor Millionen Jahren ausgestorbenen Lebewesen zu sehen und erklärt zu bekommen, wie sich das alles ins Entstehen der Arten einfügt. Was ist dein Tipp, um sich mit dem Thema Evolution zu beschäftigen?
Museen sind eine sehr gute Idee, genau wegen des von dir beschriebenen Effekts. Schon kleine Kinder können verstehen, dass diese fossilen Tiere einst auf der Erde lebten und heute nicht mehr. So ein Museumsbesuch kann sehr gut verdeutlichen, wie vorübergehend unsere Existenz auf dem Planeten ist. Und dass das Leben etwas Spezielles ist, um das wir uns kümmern müssen. Sowie dass wir als Menschen eine Geschichte haben, die aber auch ein Ende hat. Da lernt man dann schnell, dass das ein deutlicher Unterschied zur religiösen Lehre ist, die uns weismachen will, wir würden ewig leben. Das führt nicht notwendigerweise zu einer Erkenntnis, aber es öffnet zumindest die Tür dahin, dass wir uns um die Erde kümmern müssen. Wohingegen Religion den Leuten einredet, ihr ewiges Heim sei im Himmel. Solche Einsichten gewinnt man aber nur, wenn man sich mit Naturwissenschaft beschäftigt. Abgesehen davon kann ich nur jedem empfehlen, viel mehr rauszugehen in die Natur. Geht wandern, nehmt ein Fernglas mit, beobachtet Vögel! Geht an den Strand, geht schnorcheln, entdeckt, wie vielfältig das Leben ist. Und erkennt, dass wir nur eine Spezies unter unzähligen anderen sind, auch wenn wir mehr Kontrolle über diesen Planeten haben. Was uns aber in die Position bringt, Verantwortung zu übernehmen, für andere Lebewesen und für uns selbst. Und dafür muss man noch nicht mal studieren.
Zum Schluss: Worauf freust du dich im Hinblick auf die anstehenden Konzerte in den nächsten Wochen?
Am meisten genieße ich die Reaktionen des Publikums, etwa wenn alle mitsingen. Wir spielen diese Lieder schon so lange, und die Leute haben solchen Spaß, sie mit uns zu singen, sie sind Teil ihres Lebens geworden. Jeden Abend ist es aufs Neue schön, dabei zu sein. Eines der größten Privilegien in meinem Leben ist es, immer noch mit dieser Band auf der Bühne zu stehen.
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