AGAINST ME!

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No kind of monster

Neuer Drummer, neue Platte, neuer Lebensabschnitt. Seit dem Erscheinen von „New Wave“ vor drei Jahren ist allerhand passiert im Hause AGAINST ME!, und nachdem es lange Zeit schien, als ob jeder Hansel meinte seinen Senf zu jedem noch so kleinen Schritt des Quartetts aus Gainesville, Florida abgeben zu müssen, macht es wohl am meisten Sinn, die Band selbst zu den Ereignissen der letzten Zeit zu Wort kommen zu lassen. Im Rahmen eines Hamburger Pressetermins zur Veröffentlichung des neuen Albums „White Crosses“, einschließlich Akustik-Show der ganzen Band, nahm sich ein entspannter Tom Gabel, Sänger, Gitarrist und Songwriter, Zeit für ein Gespräch.

Tom, ganz hier in der Nähe befindet sich ein kleiner Club, der Störtebeker heißt. Dort habt ihr während der ersten Europatour eure erste Hamburger Show gespielt. Damals waren etwas weniger Leute als heute nachmittag bei der Show. Ich schätze so um die 50.

Ich erinnere mich noch gut daran, da ich während der Show Probleme mit meiner Gitarre hatte. So etwas vergisst man als Musiker nicht. Vor allem, wenn man keine Ersatzgitarre hatte! Das ist heute zum Glück etwas anders und würde demnach auch so nicht mehr vorkommen. Es bleibt eine Tour-Anekdote und eine schöne Erinnerung. Die Erlebnisse der ersten Tour in einem fremden Land sind immer die, die am nachhaltigsten in Erinnerung bleiben. So etwas wie diese Akustik-Show heute ist aber immer noch etwas ganz Besonderes, da vieles spontan geschieht. Ich habe eben schon zu den anderen Bandmitgliedern gesagt, dass wir so was viel öfter machen müssten. Die ganzen alten Songs des allerersten Demos zum Beispiel hatten wir seit Jahren nicht gespielt und siehe da, wir kriegten vorhin auch die hin!

Morgen fahrt ihr weiter nach Berlin. Dort gibt es eine Gedenkstätte für die an der Mauer gefallenen Flüchtlinge, die „White Crosses“ heißt.

Das ist Zufall, das wusste ich nicht! Der Titel „White Crosses“ des neuen Albums hat damit jedenfalls nichts zu tun. Es bezieht sich auf einen Friedhof in St. Augustine, Florida, wo ich während der Vorproduktion zu dem Album mit meiner Frau Heather lebte. Der Ort liegt 75 Meilen entfernt von unserem Heimatort Gainesville. Meine Frau war damals schwanger und wir wollten am Ende dieser Studiotage einfach unsere Ruhe haben, weswegen wir uns diese Kleinstadt als vorübergehende Behausung suchten. Auf der Fahrt nach Hause kam ich jeden Tag an einem Friedhof vorbei, dem „Cemetery of the Innocents“, mit unzähligen weißen Kreuzen. Als ich sie mir eines Tages genauer ansah, stellte ich fest, dass es symbolische Kreuze für abgetriebene Kinder waren, die die Kirche als eine Art Protest hatte aufstellen lassen.

Heißt das, der Song ist als eine Art Pro-Choice-Song zu verstehen?

Genau. Bei der Entscheidung, ob und wann jemand ein Kind auf diese Welt bringt, sollte keine Religion der Welt mitbestimmen dürfen. Es gibt unzählige Länder, in denen Abtreibung immer noch verboten ist oder gar ein Verbrechen darstellt. Viele junge Frauen fahren dann über die nächsten Grenze, um den Eingriff unter schlechten medizinischen Bedingungen vornehmen zu lassen, wobei sie sich womöglich selbst in Gefahr bringen. Vor allem, wenn sie kein Geld haben und ihre Familie von dem Ganzen nichts wissen darf. In den USA ist Abtreibung an sich nicht strafbar, jeder Staat hat jedoch seine eigenen Bestimmungen und somit herrscht ein heilloses Durcheinander hinsichtlich der rechtlichen Fragen. Als ich den Song schrieb, wusste ich übrigens noch nicht, dass ich selber Vater werden sollte. Mit der Geburt meiner Tochter Evelyn hat „White Crosses“ demnach nicht direkt etwas zu tun.

War die Geburt dieser magische Moment, von dem Eltern gerne berichten?

Ich kann alle Klischees, die man sich so über das Kinderkriegen erzählt, nur bestätigen. Während der Studiozeit in Los Angeles mieteten meine Frau Heather und ich uns extra ein Haus. Wir wollten nicht die Musikereltern sein, die es womöglich nicht mehr bis zum Krankenhaus schaffen und ihr Kind in der Hotellobby zur Welt bringen müssen! Die Geburt an sich war, ehrlich gesagt, beängstigend. Es dauerte Stunden, bis es los ging; dann noch mal genau so lange, bis das Baby schließlich da war, und während der ganzen Zeit liegt da der Mensch, der dir am liebsten ist auf dieser Welt und quält sich. Es ging aber alles gut und alle sind wohlauf.

Welche Folgen hat das jetzt für dich als Musiker?

Auf der einen Seite macht es dir sehr deutlich bewusst, auf was du deinen Fokus die nächste Zeit richten musst und was unwichtig ist. Andrew, unser Bassist, und seine Frau erwarten übrigens ebenso ein Kind. Keine Angst, das heißt jetzt nicht, dass wir weniger unterwegs sein werden und weniger Shows spielen werden. Ich bin Musiker und das mit vollem Herzen. Mit Konzerten verdiene ich meine Brötchen, das kann ich jetzt nicht einfach so sein lassen. Ich kann es im Gegenteil kaum erwarten, meiner Tochter dieses Leben näher zu bringen, um ihr zeigen zu können, was es mir bedeutet. Das Ganze muss natürlich ganz behutsam erfolgen.

Seid ihr eigentlich mittlerweile ein Trio? Nach dem Ausstieg von Drummer Warren Oaks bin ich mir da gar nicht so sicher.

Ein Trio? Nein, wir sind wieder beziehungsweise immer noch zu viert unterwegs. George Rebelo von HOT WATER MUSIC hat Warrens Platz übernommen.

Aber HWM spielt diesen Sommer Shows in Europa. Wie passt das zusammen?

George ist mittlerweile volles Mitglied bei AGAINST ME! und Drummer von HWM, die es ja offiziell eigentlich nicht mehr gibt. Hier und da treten sie noch zusammen auf. Während der HWM-Europatour diesen Sommer sitzt aber definitiv jemand anderes an ihrem Schlagzeug.

Wie seid ihr auf George gekommen?

Wir kennen uns seit Jahren, waren sowohl mit HWM als auch mit THE DRAFT gemeinsam auf Tour. Seitdem stehen wir uns persönlich sehr nah und kennen uns einfach gut genug, um zu wissen, dass wir zusammenpassen und einen ähnlichen Arbeitsethos haben. Dazu kommt, dass George ohne Zweifel Gainesvilles bester Drummer ist, ja vielleicht sogar der beste Drummer von ganz Florida.

Wie kam es zu dem Bruch mit Warren?

Richtig zum Thema wurden seine Ambitionen letztes Jahr auf Tour im April. Es wurde deutlich, dass Warren ein anderes Leben führen wollte. Er wollte nicht mehr ständig unterwegs sein, er wollte etwas ganz Normales machen. Mittlerweile weiß wahrscheinlich jeder, dass er in Gainesville mit ein paar Freunden ein mexikanisches Restaurant mit dem Namen „Boca Fiesta“ aufgemacht hat. Und so wie es aussieht, ist das für ihn genau die richtige Entscheidung gewesen. George hingegen hat sein Leben voll und ganz der Musik verschrieben und plant kein weiteres Standbein neben der Musik. Für uns war es sehr wichtig, dass er diese Einstellung zur Musik und zum Touren hat, da wir ganz genauso denken. Egal, was kommt, wir werden immer irgendwie Musik machen. Mit einer Band ist es ein bisschen wie mit einer Beziehung: es geht mal auf und mal ab. Und manchmal ist es eben das Beste, wenn man getrennte Wege geht.

Vor eineinhalb Jahren wäret ihr als Band beinahe getrennte Wege gegangen. Was war da los?

Das Tourleben ist zum Teil sehr intensiv und bringt dich eben manchmal auch an deine Grenzen. In gewisser Hinsicht ist es wahrscheinlich mit dem Leben auf einem U-Boot vergleichbar. Viele Menschen leben auf sehr engem Raum konstant zusammen und können sich dabei nicht unbedingt kreativ ausleben, weil dazu meist einfach keine Zeit bleibt. Da ist es nicht verwunderlich, dass man nach einer langen gemeinsamen Phase ausbrennt, so wie es uns am Ende der „New Wave“-Tour ergangen ist. Man ist wegen jeder Kleinigkeit gereizt oder reagiert über, wenn irgendetwas nicht so funktioniert, wie man sich das vorstellt. Eines abends eskalierte es dann zwischen uns. Ich sagte zu einigen Bandmitgliedern im Affekt Dinge, die ich kurz darauf von ganzem Herzen bereute. Und ja, wenn ich damals nicht wieder in unser Hotel zurückgekehrt wäre und die Sache richtig gestellt hätte, wäre es wohl das Ende der Band gewesen. Als wir im Anschluss noch einen Unfall mit dem Tourbus hatten, war das Maß voll. Wir brauchten eine Auszeit und cancelten die bereits geplanten Frankreich-Shows. Jeder ging seines Weges, um Abstand zu gewinnen und einen klaren Kopf zu bekommen. Das war die Zeit, als ich anfing, meine Sologeschichte zu verfolgen und ab und an für ein Magazin Plattenreviews zu schreiben. Beides habe ich sehr gern gemacht. Leider waren die meisten Reviews viel zu lang und erschienen nie. Meine Besprechung des letzten GUNS N’ROSES-Albums „Chinese Democracy“ landete zum Beispiel auf meiner eigener Homepage, weil sie sie nicht drucken wollten. Aber auch die anderen Jungs waren irgendwie kreativ. James Bowman, unser Gitarrist, knüpfte zum Beispiel Kontakt zu Rocky Votolato. Ein Treffen, das mit einem gemeinsamen Song für Rockys neues Album „True Devotion“ endete. Erst Ende des Jahres sahen wir uns als Band wieder und machten uns sofort daran, Ideen für ein neues Album zusammenzustellen. Wir wussten sofort, dass es das ist, was wir machen wollen, auch wenn man sich eben manchmal auf die Nerven geht. Die Sache mit Warren tut dem Spaß, den wir haben, keinen Abbruch.

Den Spaß scheint ihr wirklich gehabt zu haben, wenn man mal von den Bildern und Videos ausgeht, die ihr in den letzten Monaten teilweise täglich aus dem Studio gepostet habt.

Nachdem wir uns als Band erneut fanden, wollten wir den Leuten unser wiedergewonnenes Lebensgefühl auch irgendwie vermitteln und hielten alles irgendwie fest. Gleich neben dem Studio war zum Beispiel ein Basketballfeld, auf dem wir täglich ein paar Körbe warfen und natürlich kläglich versagten. Plötzlich hatten wir die skurrilsten Ideen und wollten sie auch umsetzen. Mit Wade MacNeil, Sänger und Gitarrist bei ALEXISONFIRE, haben James, Andrew und ich zum Beispiel gerade die MISFITS-Coverband HORROR BUSINESS gegründet. Die Idee ist, an den wenigen freien Tagen während der anstehenden gemeinsamen Kanadatour mit BILLY TALENT als ALEXISONFIREs Vorband aufzutreten. Wir können zwar erst eine Handvoll Songs, ein paar Tage haben wir aber noch Zeit. Bei allem, was passiert ist, hätte es, wie gesagt, wesentlich schlimmer für uns ausgehen können.

Ihr habt wieder mit Butch Vig aufgenommen.

Ja, er ist schon fast das fünfte Mitglied von AGAINST ME! und im Studio der Typ, der dir an der richtigen Stelle die richtigen Fragen stellt und dich und den Song damit weiterbringt, ohne dir zu sagen, wie du es genau zu machen hast. Das Ganze beruht auf einer guten Portion an Vertrauen, ohne das man in so einer Situation nicht weiterkommen würde. Vor „New Wave“ hatten wir eine ganze Liste mit Produzenten, auf der auch sein Name stand. Wir trafen uns zum Essen und mittlerweile würde ich so weit gehen zu sagen, dass ich ihm blind vertraue. Dazu kommt seine große Erfahrung. Was kann man als Band mehr von einem Produzenten wollen?

„White Crosses“ ist abwechslungsreich ausgefallen, bietet neben typischen AGAINST ME!-Smashern auch Indierock und sogar Streetpunk-angehauchte Stücke.

Wenn man als Band ins Studio geht, weiß man eigentlich nie, was am Ende dabei rauskommt. Wir hatten ungefähr 25 Songs, die stilistisch alle irgendwie in die eine oder andere Richtung gingen. Welcher Track es dann auf die Platte schafft, stellt sich erst im Laufe der Zeit heraus, indem man sich die vermeintlich Besten eben herauspickt. Wir wollten aber nicht nur einen Typ Song auf dem Album haben, sondern, wenn möglich, verschiedene. Bei „Ache with me“ wird es eher melancholisch, bei „Rapid decompression“ dann eben eher aggressiv, um so einen gewissen Kontrast zu schaffen.

Letztes Jahr im Juli erschien über Fat Wreck „The Original Cowboy“ mit den ersten Aufnahmen der Songs, die ihr später für „As The Eternal Cowboy“ erneut eingespielt habt. Wie wichtig war euch dieses Release?

Die Aufnahmen waren damals so eine Art Versuch, um zu sehen, wie die Songs wirklich wirkten. Das Einspielen und Mixen hat nicht mehr als ein paar Stunden gedauert, was man den Aufnahmen natürlich auch anhört. Ich wollte erst nicht, dass sie erscheinen. Mit etwas Abstand finde ich sie aber heute so, wie wir sie damals haben wollten: rauh und ungestüm. Nur wenige wussten überhaupt, dass sie existierten. Aber die, die sie kannten, sprachen uns immer wieder darauf an, sie doch endlich zu veröffentlichen. Vor allem Fat Mike. Ich habe mich mittlerweile schon so manches Mal gefragt, warum wir überhaupt noch einmal ins Studio gegangen sind, um die Songs neu einzuspielen. Aber klar, die späteren Aufnahmen, aus denen dann „As The Eternal Cowboy“ wurde, sind auch nicht schlecht geworden. Die Veröffentlichung dieser Tapes ist nur ein Projekt von vielen, das irgendwo in der Pipeline steckte, aus Mangel an Zeit, aber immer hintenan gestellt wurde. Seit Jahren wollen wir zum Beispiel schon die Aufnahmen des ersten AGAINST ME!-Demotapes neu auflegen. Kurz vor dieser Reise nach Europa waren wir noch im Studio, um die ersten Demos von „Searching For A Former Clarity“ zu remixen. Uns allen ist wichtig, die Songs, auf denen Warren seinen Teil beiträgt, auch in irgendeiner Form zur Verfügung zu stellen, um zu zeigen, dass er stets großen Anteil an der Band hatte. Das sind wir ihm alle schuldig. Außer mir wohnen alle noch in Gainesville, demnach sehen sich die Jungs regelmäßig, wenn sie vor Ort sind. Und mal schauen, wenn wir uns das nächste Mal sehen, hat es eventuell schon mit einem weiteren Release geklappt.