AGAINST ME!

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Wieder Herr im eigenen Hause

Im Winter 2010 wurde die Europatour zum Album „White Crosses“ zusammen mit CRAZY ARM und FUCKED UP komplett gecancelt. Kurze Zeit später war es dann klar: AGAINST ME! und ihr Label Sire aus der Warner Group gehen nach zwei Alben wieder getrennte Wege. Obendrein kündigte auch noch ihr gerade erst angeheuerter Drummer George Rebelo an, sich wieder voll und ganz HOT WATER MUSIC widmen zu wollen. Es war demnach spannend, was Sänger und Gitarrist Tom Gabel im Rahmen der nachgeholten Tourtermine zu den aktuellen Entwicklungen seiner Band zu sagen hatte.

Tom, warum der Labelwechsel?

Warner/Sire ist international aufgestellt, hat also in jedem Land andere Leute, die für dich als Künstler verantwortlich sind. Vor gut einem Jahr stellte sich heraus, dass in den USA all diejenigen, die sich um uns gekümmert hatten, von heute auf morgen gefeuert worden waren. Alles Leute, mit denen wir jahrelang eng zusammengearbeitet hatten und die somit nicht mehr für uns als Ansprechpartner zur Verfügung standen. Wir wussten nicht mehr, woran wir waren, wie es weitergehen sollte, und baten demnach ganz offiziell darum, den Vertrag aufzulösen – gerade sechs Monate nach der Veröffentlichung von „White Crosses“.

Das Album ist gerade erneut erschienen. War es schwierig, die Rechte dafür mitzunehmen?

Erfreulicherweise überhaupt nicht, wir waren selbst total überrascht, wie einfach das über die Bühne ging. Gleich beim ersten Gespräch sagten wir, dass wir das Album samt aller Songs am liebsten mitnehmen würden. Wir hatten keine Ahnung, wie Warner reagieren würde und rechneten schon damit, „White Crosses“ komplett abschreiben zu müssen. Aber siehe da, sie überließen es uns ohne jeglichen Widerstand! Ich kann es eigentlich immer noch nicht glauben, da so ein Bruch oft mit jahrelangen Rechtsstreits verbunden ist.

Ihr seid demnach wieder euer eigener Herr?

Genau genommen sind wir es zum ersten Mal, da wir vorher ja immer mit anderen Labels gearbeitet haben. Vor kurzem haben wir dann unser eigenes Label gegründet: Total Treble. Zumindest in den USA haben wir damit jetzt alles selbst in der Hand. In Europa arbeiten wir mit Xtra Mile zusammen, einem kleineren englischen Label, das bisher Musik von CRAZY ARM oder dem ehemaligen FAR-Sänger Jonah Matranga veröffentlich hat, und das uns von Frank Turner empfohlen wurde, der ebenfalls dort zu Hause ist.

Was ist an der Neuauflage des Albums anders?

Nun, das Album ist jetzt endlich so erschienen, wie wir es eigentlich geplant hatten, inklusive aller Songs und dem kompletten Artwork des Künstlers Steak MTN. Das war dem Label damals zu teuer in der Produktion, so dass sie lediglich die Texte abdruckten. Warum sie die CD trotzdem für mehr Geld verkauften als wir jetzt die zweite Version, bleibt ihr Geheimnis. Genauso wie der Grund, warum sie damals das Artwork ohne Blumen abdruckten – schaut euch die beiden Cover bitte genau an: Nicht etwa die überdimensionalen Brüste der Dame in der Bildmitte, sondern die Blumen rechts von ihr passten ihnen nicht! Musikalisch haben wir nie Kompromisse machen müssen. Wie das fertige Produkt dann aussieht, wenn es in den Laden kommt, darauf hatten wir leider nur bedingt Einfluss. Die neue Version von „White Crosses“ ist eine Doppel-CD mit insgesamt 28 statt der ursprünglich zehn Songs. Neben vier weiteren Stücken, die wir in der gleichen Zeiten aufnahmen, sind auf der zweiten „Black Crosses“-CD akustische Versionen und Outtakes von der Pre-Recording-Session im Goldentone Studio in Gainesville zu hören. Dort hatten wir schon „Reinventing Axl Rose“ aufgenommen und es dient seither immer als erste Anlaufstelle, bevor es an die eigentlichen Aufnehmen geht.

Neben dem Labelwechsel musstet ihr auch den Abgang von Schlagzeuger George Rebelo verkraften. Der neue ist Jay Weinberg, der Sohn des Drummers von Bruce Springsteens E STREET BAND. Woher kennt ihr ihn?

Wir kennen Jay seit seinem 13. Lebensjahr, also einer halben Ewigkeit. Er kam damals zu einer Show, die wir in New Jersey mit BOUNCING SOULS spielten. Seitdem tauchte er immer wieder mal auf, wenn wir in der Gegend waren. Wir verstanden uns damals auf Anhieb und wussten, dass er ziemlich gut Schlagzeug spielt. So kam es, dass er öfter mal beim letzten Song des Konzerts für Warren die Drums übernahm. Im Dezember letzten Jahres wurde es dann akut, denn HWM hatten eine Australientour gebucht und wir brauchten kurzfristig für drei Shows eine Vertretung für George, der ja zu der Zeit auch bei uns aktiv war. Wir gaben Jay also eine Liste mit 20 Liedern, für die er 14 Tage Zeit hatte. Nach zwei Wochen kam der Kerl dann und hatte mehr als 50 im Repertoire! Er bringt die richtige Einstellung mit und ist ein exzellenter Drummer, sonst hätte Bruce Springsteen ihn nicht 2009 als Ersatz für seinen Vater während seiner US-Tour angeheuert.

Ihr wart auch schon zusammen im Studio, oder?

Im Februar letzten Jahres hatten wir zwischen zwei Touren ein kurzes Zeitfenster von einer Woche, in dem wir die Single „Russian Spies“ aufnahmen, die bei Sabot Productions erschienen ist. Da wir wenig Zeit hatten, wurden nur zwei Songs eingespielt, neben „Russian spies“ noch „Occult enemies“. Wir wollten nach einer Durststrecke endlich wieder kreativ sein und uns austoben, und ich glaube, dass man den Aufnahmen diese frische Note auch anhört, was nicht zuletzt auch an Jays Unbekümmertheit liegt, der Junge ist schließlich erst 22 Jahre alt.

Ein ganz neues Kapitel hast du soeben als Produzent mit eigenem Studio begonnen.

Ich habe mir in Bezug auf unsere Aufnahmen unter den Bandmitgliedern in den letzten Jahren den Status als totaler Kontrollfreak erarbeitet, habe also demnach einige Erfahrung, die ich gerne auch an andere Künstler weitergeben möchte. Im Februar 2011 waren wir auf Tour mit CHEAP GIRLS, einer jungen Band, die bisher eine Handvoll Singles und zwei Alben herausgebracht hat. Wir verstanden uns sofort gut und im Laufe der Tour fragten sie mich, ob ich nicht ihre nächste Platte produzieren wollte, was dann im Oktober auch passiert ist. Das Studio, ein altes Posthäuschen in Florida, habe ich im September mit meinem Vater und meinem Bruder zwischen zwei AM!-Touren zusammengebaut. Wir hatten genau vier Wochen dafür Zeit, den Boden zu legen, die Wände hochzuziehen und das Equipment aufzubauen. Mike Zirkel, der Toningenieur, hat mir bisher drei verschiedene Versionen geschickt und alle hörten sich fantastisch an. Die Platte erscheint nächstes Jahr bei Rise Records, einem Label aus Portland, Oregon, das unter anderem auch die neuen Alben von HOT WATER MUSIC, SHARKS und MAKE DO AND MEND herausbringt.

Anlässlich unserer 100. Ausgabe: Was denkst du über Fanzines im Allgemeinen?

Fanzines spielten eine bedeutende Rolle für mich, als ich in die Punk Szene kam. Ich bin in Südflorida aufgewachsen, wo es nicht wirklich bereits eine bestehende Punk-Szene gab, an der man sich hätte orientieren können, also waren Fanzines meine Verbindung zur Außenwelt.

Hast du selbst schon bei einem Fanzine oder einem Magazin gearbeitet?

Mit 15 hatte ich ein Cut&Paste-Fanzine, das hieß Misantrophe. Ich war auch eine Weile bei einer anarchistischen Zeitung namens Onward, da war ich ungefähr 19.

Warum denkst du, ist die Fanzine-Kultur wichtig?

Es geht nicht nur um die Kommunikation, sondern auch die D.I.Y.-Ästhetik. Eine Aussage wie „anyone can do it“ wird erst dann wahr, wenn es wirklich darum geht, ein Fanzine zu machen. Du brauchst ja bloß paar gute Ideen, die du zu Papier bringst, und einen Ort, wo du alles umsonst kopieren kannst.