AGAINST ME!

Transgender Dysphoria Blues

Einem Album wie „Transgender Dysphoria Blues“ kann man sich nicht primär aus der musikalischen Perspektive nähern. Einschätzungen wie „gute Musik“ oder „tolle Songs“ reichen nicht aus, um den Nachfolger von „White Crosses“ (2010) zu bewerten.

Dazu ist „Transgender Dysphoria Blues“ einfach zu persönlich und eng verknüpft mit dem, was Laura Jane Grace in den vergangenen Jahren erlebte, als sie von Frontmann Tom Gabel zu Frontfrau Laura Jane Grace wurde.

Beinahe jeder Song erzählt diese Geschichte. Und kein einziger hört sich auch nur ansatzweise versöhnlich an – was gut für den Hörer ist und schrecklich für Gabel/Grace gewesen sein dürfte.

„Transgender Dysphoria Blues“ ist Wut. Reine Verzweiflung. Es ist die schonungslose Abrechnung mit einem Leben, das es nicht mehr gibt und das Laura Jane Grace so unfassbar tief gehasst haben muss, dass man sich fragt, wie sie es damals geschafft hat zu überleben.

Wie sie es geschafft hat, sich nicht umzubringen. „Transgender Dysphoria Blues“ ist das Dokument eines Martyriums in mehreren Kapiteln. Im Titelstück stellt sich die Protagonistin im falschen, im männlichen Körper die Frage, warum denn verdammt nochmal niemand erkennt, was und wer sie eigentlich ist.

„You want them to notice the ragged ends of your summer dress. You want them to see you like they see any other girl“, singt Laura zum trotzigen Stakkato-Marsch des Schlagzeugs. In „True trans soul rebel“, der ersten Single, läuft sie – verzweifelt nach Gleichgesinnten und Akzeptanz suchend – durch die Nacht.

Dabei fragt sie sich ebenso flehend wie religiöse Dogmen bitter verlachend, ob Gott sich wohl ihrer erbarmen könnte, obwohl sie doch mit der Transsexualität die pure Sünde verkörpert. Noch erschreckender ist „Drinking with the jocks“: Es gewährt einen Blick in die Gedanken einer Frau, die im Körper eines Mannes steckt und sich aus Angst und Scham an den derben Witzen ihrer „Kumpels“ über Schwule und Transsexuelle beteiligt.

Sie verachtet sich dafür selbst. In „Paralytic state of dependency“ wiederum ritzt sich ein junges Mädchen die Arme auf, schaut dabei in den Spiegel – und sieht bis zum letzten Atemzug doch nichts anderes als „her mother’s son“.

Und ganz am Ende dann, in „Black me out“, wünscht sich Laura nichts mehr, als all jenen, die sie verlachen, die Pest an den Hals. Auch wenn sich einige Songs mit der nach wie vor aktuellen Flüchtlings- und Kriegsproblematik („Osama bin Laden as the crucified christ“) oder der Trauer um verstorbene Freunde beschäftigen („Dead friend“) – was am Ende bleibt, ist doch nichts anderes als Bestürzung über diesen „Transgender Dysphoria Blues“, den es übrigens als pathologischen Befund in der Psychologie tatsächlich gibt.

Genau diese Bestürzung macht das Album zu einer großartigen, und nicht nur zu einer guten Platte. Der Punkrock allein, der von solide („Black me out“, „Unconditional love“) bis hervorragend klingt („True trans soul rebel“, „Drinking with the jocks“) schafft das nicht.

Der kann nur stellenweise mithalten mit dem, was das Album über Riffs hinaus zu einem intensiven Erlebnis werden lässt. Ergo: Musik (6) plus Konzept (10) geteilt durch zwei ergibt: (8)