IGGY POP

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Ein Wegweiser durch die Diskografie

1. Teil: Von den Dum Dum Boys bis Berlin

Der am 21.04.1947 in Muskegon, Michigan als James Osterberg geborene Iggy Pop gilt vielen als der „Godfather of Punk“. Dies kann man vor allem an seiner Band THE STOOGES festmachen, deren Debüt 1969 unter dem Eindruck des Vietnamkriegs entstand und mit dreckigem Rock und illusionslosen Texten das Ende der Hippieära einläutete, fast zeitgleich mit dem komplett aus den Fugen geratenen Altamont-Festival. Dazu kamen ein exzessives Bühnengebaren und die bandeigene Aura dieser selbstzerstörerischen Verlierer mit ihrer nihilistischen „Fuck You“-Attitüde. Mit Erscheinen des jüngsten Albums „Ready To Die“ kann Iggy Pop auf eine fast 35-jährige Karriere zurückblicken, sowie auf eine ordentliche Anzahl Alben, teilweise von recht durchwachsener Qualität, so dass es für Neueinsteiger schwierig ist, einen Überblick zu gewinnen – auch aufgrund einer unüberschaubaren Schwemme von Bootlegs und Compilations. Insofern war es Zeit für eine Werkschau. Da das Material aber zu umfangreich war, haben wir uns entschlossen, daraus drei Teile zu machen. Hier also Teil 1 mit der Frühphase aus der STOOGES-Zeit bis zu Iggys Aufenthalt im damals geteilten Berlin, wo er mit David Bowie zusammenarbeitete. Der Fokus soll dabei in erster Linie auf der Musik und weniger auf biografischen Details liegen, es sei denn, sie sind für das Verständnis einer Platte wichtig.

THE STOOGES „s/t“ (Elektra, 1969)


Natürlich ist das ein Meilenstein, zählt aber trotzdem nicht zu meinen Favoriten. Gründe dafür gibt es einige: die Produktion ist doch eher lau, auch wenn John Cale von VELVET UNDERGROUND dafür verantwortlich war; die Band klingt über weite Strecken dröge und das Material teilweise skizzenhaft. Was kein Wunder ist, wenn man bedenkt, dass „Not right“, „Real cool time“ und „Little doll“ erst eine Nacht vor den Aufnahmen entstanden, da der Plattenfirma das vorhandene Material nicht ausreichte. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich mit „1969“, dem unzählige Male gecoverten „I wanna be your dog“ und „No fun“ (Jahre später von Johnny Rotten zur Parole „No future“ abgeändert) drei ewige Klassiker und dem zehnminütigen „We will fall“ mit Beteiligung von John Cale einen hippiesken Ausreißer, den man entweder atmosphärisch dicht oder stinklangweilig finden kann. (7)

THE STOOGES „Fun House“ (Elektra, 1970)

Dieses Album beinhaltet einfach alles, was gute Rockmusik ausmacht: einen auch heute noch harten, aggressiven Sound, gespielt von einer Bande von Außenseitern, und dazu ein grandioses Artwork. Müsste ich einem gerade gelandeten Außerirdischen das Wort „Coolness“ erklären, würde ich ihm einfach das aufgeklappte Gatefold vors Gesicht halten. Der Sound, für den diesmal Don Gallucci verantwortlich war, ist deutlich druckvoller, und auch die STOOGES selbst agieren in ihren Songs deutlich zielgerichteter und treibender. Dazu kommt Iggys erweiterte Vokalakrobatik, die diesmal auch spitze Schreie und hysterisches Gekreische umfasst. Allein für die drei Eröffnungssongs „Down on the street“, „Loose“ und „T.V. eye“ würden heutige Garagenbands noch töten. Dazu kommen „Dirt“, ein langsamer Song mit einem selbstquälerischen Text, „1970“, quasi die thematische Fortsetzung des Debütopeners „1969“ und das unfassbar gute Titelstück mit Dave Mackay am Saxophon. Ihm zufolge waren bei den Aufnahmen hierzu alle dermaßen auf Heroin, dass er seinen Part auf dem Boden liegend einspielte, was man den fiebrigen, manischen acht Minuten auch anhört ... Mit dem kakophonischen Lärmklumpen „L.A. blues“ endet das Album. Wenn ich ein absolutes Lieblingsalbum nennen muss, ist es dieses hier. Die Platte für die einsame Insel. (10)

IGGY AND THE STOOGES „Raw Power“ (Columbia, 1973)

Die Namensänderung ergab sich daraus, dass Bassist Dave Alexander seiner zunehmenden Alkohol- und Drogensucht Tribut zollen musste, sich deshalb laut Iggy keinen Song mehr merken konnte und demzufolge aus der Band geworfen wurde. Alexander starb bereits 1975 und seine Urne kann man im STOOGES-Museum in Detroit bestaunen, wenn man eine Runde Andacht halten möchte. Für ihn wechselte Ron Asheton an den Bass und mit James Williamson erschien ein neuer Gitarrist auf der Bildfläche. Das Album ist musikalisch unfassbar großartig. Auf Wunsch der Plattenfirma musste zwar immer ein langsamer Song auf einen schnellen folgen, aber es gibt dennoch keinen Ausfall auf der Platte. „Search and destroy“ dürfte allgemein bekannt sein. Dass der Track Henry Rollins zu seiner Rückentätowierung animierte, erscheint wie ein unwichtiges Detail, dem aber im Verlauf der Geschichte noch immense Wichtigkeit zukommt. Aber auch die langsamen Stücke wie das bluesige „I need somebody“ langweilen keine Sekunde. Und man könnte jeden einzelnen Song würdigen– den kaputten Titeltrack mit seinem Boogie-Klavier, das zynische „Hard to beat“, das ursprünglich „Your pretty face is goin’ to hell“ hieß, das hart groovende „Shake appeal“ – und sich vor einem wahren Meisterwerk verneigen, gäbe es nicht ein Manko: den Sound. Zahm, zahnlos und flachbrüstig treibt er einem angesichts verpasster Möglichkeiten fast die Tränen in die Augen und lässt das Album klingen, als würde man es auf einem Radiowecker hören. Den schwarzen Peter für diese Verhunzung bekam David Bowie zugeschoben, der seinerzeit für die Endabmischung verantwortlich war. Jahrelang versuchten ambitionierte Liebhaber der Platte, diesen Fehler auszubügeln. So veröffentlichte Bomp! Records 1995 die Originalmixe unter dem Titel „Rough Power“, was aber wohl auch keine Offenbarung war, bis schließlich Henry Rollins (siehe oben) Iggy überredete, „Raw Power“ endlich vernünftig zu remixen. Man kann davon halten, was man will; der Angesprochene war wohl auch nicht überzeugt davon, an Aufnahmen aus der Vergangenheit herumzupfuschen, dennoch überspielte er die Songs noch einmal (laut Linernotes „alle Regler auf rot gedreht“). Das Ergebnis erschien 1997 zusammen mit einem dicken Booklet (mit Linernotes und unveröffentlichten Fotos) als CD in der „Columbia Legacy“-Edition. Natürlich wurde das Ergebnis kontrovers aufgenommen, aber ich möchte hier nicht den ganzen Disput aufwärmen, sondern nur meine Meinung kundtun: das Ergebnis ist Bombe! Exakt die gnadenlos laute, verzerrte Walze, die dieses Album schon immer sein sollte. Keine Leichenfledderei, sondern eine Wiedergeburt. Punkt. (Original: 6/Remix: 10)

IGGY AND THE STOOGES „Metallic 2xKO“ (Skydog, 1976)

Das Abschiedsdokument einer mittlerweile durch Alkohol, Drogen und Egotrips zermürbten Band. Als „semilegales Bootleg“ gelistet, konserviert diese Doppel-LP die letzte STOOGES-Show am 9. Februar 1974 im Michigan Palace in Detroit und galt jahrelang als eines der härtesten und unhörbarsten Live-Dokumente überhaupt: der Sound ist komplett Lo-Fi und teilweise übersteuert, die Band ist jenseits von Gut und Böse und ein entfesseltes Publikum bombardiert die STOOGES mit Wurfgeschossen (laut Linernotes „die einzige Platte, auf der man Bierflaschen an der Gitarre zerbrechen hört“). Heutzutage und mit durch Garage-Rock und LoFi veränderten Hörgewohnheiten erscheint einem das weniger schockierend als vielmehr mit zunehmender Spieldauer ermüdend und mit einigen Längen – wobei es natürlich auch Höhepunkte gibt wie „Cock in my pocket“. Kann man natürlich haben (als Komplettist sowieso), aber zum Einstieg ist die Scheibe denkbar ungeeignet. Am 11. Oktober 1974 kam es übrigens in Rodney Bingenheimers English Disco in L.A. zum wohl bizarrsten Iggy-Auftritt aller Zeiten: Unter dem Motto „The Death Murder of a Virgin“ ließ er sich bei seinem ersten offiziellen Soloauftritt, bei dem er improvisiertes Material darbot, von einem in eine SA-Uniform samt Hakenkreuzarmbinde gewandeten Ron Asheton (der sich widerwillig dazu bereiterklärt hatte) verprügeln, würgen und auspeitschen. Anschließend verletzte er sich noch selbst mit einem rostigen Messer und verließ die Bühne blutüberströmt. (6)

Iggy Pop „The Idiot“ (RCA, 1977)

Zum eigentlichen Start von Iggys Solokarriere tat er sich erneut mit David Bowie und Tony Visconti zusammen und verbrachte einige Zeit in West-Berlin, wie viele Künstler damals, auf die die geteilte Stadt mit ihrer Mauer und den Wachtürmen eine morbide Faszination ausübte. Diesmal war die Zusammenarbeit mit Bowie für Iggy fruchtbarer, da er sich vom nihilistischen Rock der STOOGES ausgerechnet in diesem Jahr mehr in Richtung Mainstream öffnete, ohne jedoch richtig massenkompatibel zu sein. Seine Meriten als „Godfather of Punk“ hatte er da sowieso bereits eingefahren. Auch hier versammeln sich wieder einige großartige Stücke, die später als Coverversionen erfolgreich waren: „Nightclubbing“ (Grace Jones), „Funtime“ (Boy George ...) und natürlich „China girl“, das 1983 in der Version von David Bowie zum Welthit wurde und bis heute fälschlich diesem zugeschrieben wird. Zu Bowies Ehrenrettung sei erwähnt, dass er in den folgenden Jahren immer mal wieder Iggy-Songs coverte, um seinen damals darbenden Freund mit Tantiemen über Wasser zu halten. Der erste Teil der Aufnahmen entstand allerdings bereits 1976 im französischen Hérouville. „China girl“, das Iggy der bereits liierten Vietnamesin Kuelan Nguyen widmete, mit der er während des Aufenthaltes eine seltsame Affäre hatte (seltsam, da sie ungefähr so gut Englisch sprach wie Iggy Französisch oder gar Vietnamesisch), ist auch einer der Höhepunkte der Platte. Der Sound ist noch sehr monoton-gepresst, und so wirkt „The Idiot“ (übrigens eine Anspielung auf Dostojewski) über weite Strecken sehr urban-steril und New-Wave-artig. Musikalisch ist das ziemlich am damaligen Bowie-Sound orientiert, und wer Gitarrenrock sucht, wird mit dieser Platte wahrscheinlich nicht sonderlich glücklich – auch wenn mit „Dum dum boys“ eine Hommage an die STOOGES enthalten ist. (8)

Iggy Pop „Lust For Life“ (RCA, 1977)

Das zweite Album aus Iggys Berlin-Phase – wieder in Kollaboration mit Bowie – kommt um einiges lebendiger daher als der etwas zähe Vorgänger. Der Sound ist manchmal seltsam blechern, vor allem was die Backgroundchöre und die Drums angeht, und wirkt um einiges ungestümer und entschlackter, was die Platte sehr dynamisch erscheinen lässt und auch für „Rock-Fans“ wieder interessant macht. Neben dem jüngeren Semestern aus dem Soundtrack von „Trainspotting“ bekannten Titelstück, räudigen Rockern wie „Sweet sixteen“ und einem verzweifelten Neo-Blues („Turn blue“) enthält sie mit dem textlich wie musikalisch formidablen „The passenger“ noch dazu mein ewiges Lieblingslied, das auch Tausende auf der Tanzfläche „La la la“ blökende Vollpfosten niemals kaputtkriegen werden. Unterschätzt ist in diesem Kontext gerne das ebenfalls von Bowie gecoverte „Neighborhood threat“ mit seiner unwiderstehlichen Hookline, aber eigentlich kann man jeden der Songs empfehlen. Eine Platte ohne Ausfall und somit in dieser Auflistung hier bereits die dritte Platte für die einsame Insel. (10)

Iggy Pop/James Williamson „Kill City“ (Bomp!, 1977)

„Kill City“ wurde schon 1975 nach dem Ende der STOOGES veröffentlicht und diente eigentlich als Demo, um es als Bewerbung für einen neuen Vertrag an Plattenlabels zu schicken. Zu dieser Zeit befand sich Iggy in einer psychiatrischen Anstalt, um seine Heroinsucht in den Griff zu bekommen. Im Zuge des Erfolgs seiner Soloalben entschloss sich Bomp!, diese Demoaufnahmen in überarbeiteter Form doch noch zu veröffentlichen. Erstaunlicherweise handelt sich hier jedoch nicht um Ausschussware, sondern um ein phasenweise großartiges Album, dessen Überarbeitung sich soundtechnisch an „The Idiot“ orientiert. Will heißen: sehr steril, ein gehäuftes Auftreten unkitschiger Saxophonklänge und eine Gesamtatmosphäre, die man mit stark befahrenen nächtlichen Großstadtstraßen und U-Bahnstationen assoziiert. Inhaltlich rechnet Iggy im Titelstück mit seiner Junkie-Vergangenheit ab, und auch die anderen Stücke verströmen noch eine ziemliche Outlaw-Atmosphäre. Mein Favorit auf der Platte ist das saxophonlastige „Beyond the law“ mit den Textzeilen „Some people say we’re negative / They say we take and never give / They say our lives are a mistake / But the truth is in the sound we make“. Das Album ist recht schwer erhältlich, neuerdings gibt es das auch als eine Remixversion auf CD, die aber im Gegensatz zu „Raw Power“ wirklich keiner braucht. Also besser mal auf dem Flohmarkt die Augen offenhalten ... Noch ein Release auf Bomp! Records aus diesem Jahr war übrigens die „I’m Sick Of You“-EP, die auch eher unter „semilegal“ läuft. Lohnend ist die Anschaffung wegen der nicht auf anderen Alben enthaltenen Songs „I’m sick of you“ und „Scene of the crime“, der Rest ist eher verzichtbar, da entweder auf „Kill City“ enthalten oder wie das großartige „I got a right“ sinnlos ausgefadet. Für Sammler unverzichtbar, für den Rest der Menschheit nicht. (8)

Man sieht also, bis zum Ende dieser Phase hatte Iggy Pop noch keine richtig schlechte Platte veröffentlicht. Doch ich nehme nicht zuviel vorweg, wenn ich sage, dass das leider nicht so blieb. Doch mehr dazu in Teil 2 im kommenden Ox, wo es um seine Platten bis zu den Neunzigern gehen wird.