3. Teil: Im tiefen Tal Des Altherrenrocks
Im dritten und letzten Teil beschäftigen wir uns mit den Platten von 1993 bis heute, in denen sich ein immer traditionelleres Verständnis von Rockmusik bei Iggy durchsetzte. Das kann man bösartigerweise „musikalische Vergreisung“ nennen, oder bei einem heute fast 67-Jährigen durchaus für Prinzipientreue halten. Wobei er auch in diesem Alter dem einen oder anderen Experiment nicht abgeneigt ist, wie wir hier sehen werden.
American Caesar (Virgin, 1993)
Der Titel wurde zum Synonym für eine triumphale Rückkehr: Die Kritiker überschlugen sich (als Beispiel sei nur die Spex zu dieser Zeit genannt), als wäre dies eines der besten Iggy Pop-Alben aller Zeiten. Etwas, das ich, ehrlich gesagt, bis heute nicht nachvollziehen kann, denn die Platte hat mich nie richtig erreicht. Das mag an der knochentrockenen Produktion von Malcolm Burns liegen, die die Songs merkwürdig steril klingen lässt. Oder an dem Umstand, dass man bei manchen Stücken – wie etwa dem als Single veröffentlichten Opener, dem alternativ angehauchten Rocker „Wild America“ – das Gefühl hat, es hätte nichts geschadet, wenn man sie um eine halbe Minute gekürzt hätte, bevor sie gefühlt zehn Minuten vor sich hinplätschern. Dazu kommen textliche Preziosen wie „She laughed and said, ,Iggy, you have got a biggy‘“, deren Pennälerhumor kaum zu ertragen ist. Doch richtig schlecht ist die Platte allerdings nicht; sehr gitarrenlastig, aber anders als etwa „Instinct“ durchaus auf der Höhe der Zeit, und ruhigere Stücke wie „Mixin’ the colors“ (das auch auf „Brick By Brick“ nicht fehl am Platz gewesen wäre) oder „Fucking alone“ entwickeln sich zu ganz netten Ohrwürmern. Was mir allerdings das siebenminütige, avantgardistische „Caesar“ sagen will, in dem sich Iggy in der Rolle des Namensgebers in einer Art improvisiertem Hörspiel über Christen lustig macht und befiehlt, sie den Löwen vorzuwerfen, verstehe ich nicht. Zum einen klingt das Stück eher wie eine Verteidigung des Christentums („They say: turn the other cheek, hah hah hah“ spricht Iggy sarkasmustriefend und man bemerkt, dass dies den Sprecher in ein negatives Licht rücken soll), zum anderen war der gute Gaius Julius bei Christi Geburt bereits seit 44 Jahren mausetot. Ansonsten: unspektakulär, aber hörbar. (7)
Naughty Little Doggie (Virgin, 1996)
Diese Platte hingegen fiel bei der Kritik glatt durch, für mich genauso unerklärlich wie der Hype um „American Caesar“. Nun gut, die Platte hat keine richtigen Höhepunkte. Musikalisch ist sie teilweise recht biederes, aber solides Handwerk und wurde von Iggy selbst im Verbund mit Thom Wilson produziert. Zwar parkt sie musikgeografisch mit einer Mischung aus geriatrischem Hard- und mainstreamigem Collegerock verdächtig nah an Gegenden, wo langweilige alte Männer wohnen, die auf „ehrliche, handgemachte Musik“ stehen, aber richtig schlecht ist sie deswegen nicht. Sie läuft durch, ohne wehzutun, und man kann sie hören, wenn einem sonst nichts Besseres einfällt. Dummerweise fällt mir auch sonst zu der Platte nichts Besseres ein. Vielleicht noch der beste Song? „Keep on believing“, schätze ich mal. Aber eigentlich ist das auch egal. (6)
Avenue B (Virgin, 1999)
Dieses ziemlich balladeske Album hat etwas von Midlife Crisis. Iggy wendet sich seinem Innenleben zu: gescheiterten Frauengeschichten, dem Gefühl der Einsamkeit und dem Älterwerden, manchmal bis an die Grenze zum Selbstmitleid. Das klingt als Einleitung erschreckend, ich weiß. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Platte in Iggys Spätwerk einen absoluten Höhepunkt darstellt. Nicht nur sind die getragenen, reduzierten Stücke wie „Nazi girlfriend“ (ähm ...) oder „Miss Argentina“ durchaus anheimelnd in ihrer Akustikgitarrenlastigkeit, während im Hintergrund Hammondorgel und Keyboard einen angenehmen Soundteppich verlegen, auch ist auf der Platte Raum für Experimente und verhaltene Rock-Stücke, die ebenfalls ausnahmslos funktionieren, auch wenn hier alles spartanisch instrumentiert und somit reguliert wirkt. „Corruption“ hat eine Siebziger-Rock-Kante, während „I felt the luxury“ eine Art „Talkin’ Jazz“ ist, was wiederum vage an Künstler wie Steven J. Bernstein erinnert. Dazu gibt es eine fiebrige, spooky Version von Johnny Kidds „Shakin’ all over“. Produziert wurde das Ganze wieder von Don Was, dessen weicher Sound zu dieser ruhigen Platte auf jeden Fall besser passt als zu „Brick By Brick“. (9)
Nuggets (SPV, 1999)
Keine reguläre Veröffentlichung, darum läuft diese Doppel-CD hier außer Konkurrenz mit. Die Soundqualität ist zwar relativ bescheiden, wofür sich im Booklet auch pflichtbewusst entschuldigt wird, aber dafür ist „Nuggets“ auch zu einem fairen Preis zu haben; ich erinnere mich, dafür einst neun oder zehn Euro bezahlt zu haben. Für den Preis ist auch einiges geboten; neben den beiden nicht auf LP erhältlichen STOOGES-Klassikern „I got a right“ und „Gimme some skin“ gibt es noch Demoversionen dreier unveröffentlichter Tracks von „Blah Blah Blah“ („Fire engine“, „Warrior tribe“ und „Old mule skinner“) und diverse Live-Aufnahmen, von denen wiederum die meisten Coverversionen sind, darunter eine schöne Version von „Family affair“, im Original von SLY AND THE FAMILY STONE. Ein anderes Highlight ist ein Ausflug Iggys ins Croonerfach, als er versucht, vor einem offensichtlich recht unwilligen Publikum „One for my baby“ von Johnny Mercer zum Besten zu geben ... und das auch bravourös tut, nachdem er den Song dreimal abgebrochen und sich mit dem Publikum verbal beharkt hat. Natürlich ist das in erster Linie für Komplettisten interessant, trotzdem kann man mit 25 Tracks (von denen lediglich vier oder fünf halbwegs verzichtbar sind) zu diesem Preis allgemein nicht viel verkehrt machen – wenn man nicht gerade audiophile Aufnahmen sucht. (7)
Beat ’Em Up (Virgin, 2001)
Ein NuMetal-Album. Iggy Pop kommt auf keine bescheuertere Idee, als 2001 noch auf diesen Zug aufspringen zu wollen. Dazu gründete er seine neue Band THE TROLLS, die von Anfang an jegliches Ungemach auf sich zog: Kurz vor Veröffentlichung wurde der von den unsäglichen BODY COUNT rekrutierte Lloyd „Mooseman“ Roberts Zufallsopfer eines Drive-by-Shootings, 2011 starb dann Drummer Alex Kirst bei einem Unfall mit Fahrerflucht. Leider macht alles Mitleid die Platte trotzdem nicht besser, denn schon im Veröffentlichungsjahr hing dem größten Teil der Menschheit diese Art von Musik, die ihr Mindesthaltbarkeitsdatum deutlich überschritten hatte, längst zu allen Körperöffnungen heraus. Man kann zwar die von Iggy im Alleingang besorgte druckvolle Produktion loben sowie den einen oder anderen gelungenen Track („Go for the throat“, beispielsweise), andererseits muss ich aber auch die Feststellung machen, dass ich diese verspätete Anbiederung an den Massengeschmack reichlich peinlich finde und mir das Album auch nicht am Stück anhören kann, da mir diese KORN-LIMP BIZKIT-Kacke spätestens nach der Hälfte komplett auf den Sack geht. Dazu hat der nahezu unterirdische Titeltrack die zweifelhafte Ehre, bei mir als einer der schlechtesten Iggy-Songs aller Zeiten abgespeichert zu sein, und das will bei Gurken vom Kaliber eines „Happy Man“ schon was heißen. (5)
Skull Ring (Virgin, 2003)
Vermeintlich große Dinge warfen ihren Schatten voraus: Nach ersten Live-Reunion-Auftritten waren hier zum ersten Mal drei neue Studio-Songs mit den Gebrüdern Asheton unter dem Namen STOOGES am Start, nämlich „Electric chair“ (das mit seinen prägnanten Handclaps am ehesten an alte Zeiten erinnert), „Skull ring“ und „Dead rock star“, allesamt recht solide. Sowieso ist dieses Album, das mit einer recht prominenten Gästeliste aufwartet, meiner Meinung nach besser als sein Ruf, denn die Kritiken waren wieder einmal relativ vernichtend. Dabei bietet es einige Abwechslung: „Private hell“ klingt tatsächlich wie ein guter GREEN DAY-Song in der Art von „When I come around“, während SUM 41 „Little know it all“ ebenso ihren prägenden Stempel aufdrücken. Der Song war die erste Single des Albums und ist ein recht netter Pop-Punk-Ohrwurm, während die beiden Elektropunk-Stücke mit Peaches („Rock show“ und „Motor Inn“) mit ihren peitschenden Beats und der hysterischen Stimmung für mich die Highlights der Platte sind. „Skull Ring“ kommt ohne größere Ausfälle über die Runden, da selbst die schwächeren Songs nach mehreren Durchläufen im Gedächtnis hängenbleiben und nicht weiter stören. Definitiv Iggy Pops punkigstes Album in dieser Runde, auch wegen der ständigen Abrechnung mit der Unterhaltungsindustrie, obwohl er schon längst ein fester Bestandteil davon war (egal, ob es seine mittlerweile ständige Werbepräsenz oder die Entscheidung für das Virgin-Label war, das dem Album auch flugs einen Kopierschutz verpasste). (8)
THE STOOGES „The Weirdness“ (Virgin, 2007)
Ein neues STOOGES-Album also, noch dazu produziert von Steve Albini, einem weiteren musikalischen Helden. Selten in den letzten zehn Jahren hatte ich ein Album dermaßen gespannt erwartet. 2006 war ich allein nach Bonn gefahren, um die Band live zu sehen. Lustigerweise war ich nicht wegen Iggy, sondern in erster Linie wegen Ron Asheton hingefahren, bis zum heutigen Tag mein liebster Stooge. War es eine Vorahnung? Auf jeden Fall wäre ich sogar hingelaufen, um die Jungs noch mal zu sehen, denn bei diesem Lebensstil war es ein Wunder, dass sie überhaupt so alt geworden waren ... und als ich am Neujahrstag 2009 im Internet die Nachricht von Ron Ashetons Tod las, hätte ich im Fall, ich wäre religiös, einer Gottheit am liebsten täglich ein Huhn geopfert, um ihr dafür zu danken, dass ich dieses Konzert noch erleben durfte. Aber so weit sind wir noch nicht. 2007 war Ron noch quicklebendig an der Gitarre zugange, während Mike Watt (ex-MINUTEMEN) den Platz des nach wie vor toten Dave Alexander eingenommen hatte. Es zeigte sich leider, dass ein mäßiges Iggy Pop-Album unter dem Etikett STOOGES leider nicht besser wurde, eher im Gegenteil. Was die Band in den Siebzigern ausgemacht hatte, waren ihr Nihilismus und ihre Selbstzerstörung. Das hier klang wie ein Haufen beschwingter Rentner, die es noch mal wissen wollten, ohne aber inhaltlich ihre frühere Intensität auch nur annähernd zu erreichen (wie auch?). Stattdessen gab es stumpfen, eintönigen Altherrenhardrock mit Texten, bei denen man vor Fremdscham schreien wollte („My dick is turning into a tree“ im Opener „Trollin“ etwa), der niemandem wehtat, von dem man aber genau das erwartet hatte. Das Einzige, was den Hörer letztendlich vor der kompletten Langeweile rettete, waren die letzten drei Songs: „Mexican guy“, dessen Rhythmus etwas aus diesem Stampfrahmen fiel, sowie „Passing cloud“ und „I’m fried“, bei denen Dave Mackay mit seinem Saxophon markante Akzente setzen durfte. Der Rest rauscht weitgehend durch. (6)
Préliminaires (Astralweeks/Virgin, 2009)
Und er schaffte es dann doch noch mal, mich zu überraschen: mit einem – laut eigener Aussage – von Michel Houellebecq und seinem Roman „Die Möglichkeit einer Insel“ beeinflussten Album, auf dem alles nach Kunst roch. Angefangen bei der Auswahl der Coverversionen (dem französischen Jazzstandard „Les feuilles mortes“ etwa, ungeachtet Iggys grauenhafter Aussprache auch mit gesungenem Originaltext) über die literarischen Bezüge und die Covergestaltung durch Marjane Satrapi („Persepolis“). Verkauft wurde die Platte unter der Genrebezeichnung „Chansons/Jazz Fusion“, und erstaunlicherweise funktioniert das prächtig. Zaghafte elektronische Beats treffen auf Streicher, die ein Isaac Hayes-Sample sein könnten („Spanish coast“), „King of the dogs“ klingt mit seinem New Orleans-Gebläse verdächtig nach Tom Waits, und auch dass Iggy die besten Ideen aus dem famosen Duett mit Lucie Aimé („Je sais que tu sais“) gleich mehrfach verwurstet (das Gitarrenlick in „He’s dead/She’s alive“ und den Beat in „She’s a business“), lässt man ihm durchgehen. Ein wunderbar entspanntes Album für kalte Wintertage, nicht so intensiv wie „Avenue B“, aber musikalisch ausgefallener und eine ähnliche Stimmung verbreitend. (8)
Après (Virgin, 2012)
... und so sollte es auch weitergehen, nämlich mit einer ähnlichen Platte voller Coverversionen von Serge Gainsbourg, Edith Piaf, Joe Dassin, klassischen Croonern wie Frank Sinatra und Rockstandards wie von den BEATLES. Nun muss ich mich outen: Es ist die einzige Iggy-Platte, die ich mir nach einem Probehören beim Onlinehändler bis heute nicht gekauft habe. Ein Iggy Pop-Lied auf Französisch mag noch funktionieren, mehrere davon treiben jemandem wie mir, der dieser Sprache halbwegs mächtig ist, die Tränen in die Augen. So mag es klingen, wenn Jacques Dutronc auf seine alten Tage beschließt, mit einer lebenden Wühlmaus im Mund aufzutreten, und es ist genauso grauenhaft wie der Rest käsig. Aber: man soll niemals „nie“ sagen. Oder so. (-)
IGGY AND THE STOOGES
„Ready To Die“ (Fat Possum, 2013)
Mehr noch als die Wahl des Labels überraschte die Mitteilung, dass James Williamson den Platz des verstorbenen Ron Asheton einnehmen sollte. Der Gitarrist hatte noch in Paul Trynkas Iggy Pop-Biografie 2009, in dem seine damalige Existenz als erfolgreicher Geschäftsmann geschildert wurde, eine Rückkehr auf die Bühne kategorisch ausgeschlossen. Zudem waren ungeklärte Rechte wohl auch der Grund dafür, dass Songs aus der „Raw Power“-Phase beim Comeback nicht live gespielt wurden und sich das dargebotene Material auf die ersten beiden Alben erstreckte. Was auch immer der Grund für den Sinneswandel gewesen sein mochte: Da war er wieder, und konsequenterweise wurde die Band wieder wie 1973 in IGGY AND the STOOGES umbenannt. Leider ist das Ergebnis auch nicht spektakulärer ausgefallen als „The Weirdness“: Altherrenrock mit tendenziell langweiligem Gitarrengegniedel, dem jegliche Frische abgeht. Da klingt das „I wanna be your dog“-Zitat im letzten Song der Platte, „The departed“, fast schon wie ein Grabgesang. Nicht dass das Album richtig schlecht wäre, aber als Fan erwartet man einfach mehr als ein paar alte Herren, die es noch mal richtig krachen lassen ... und sich leider auch anhören wie alte Herren, die der Meinung sind, sie ließen es noch mal richtig krachen. Zudem man mittlerweile recht dankbar wäre, wenn Iggy künftig sein Hemd anließe. Klingt das unbeabsichtigt sarkastisch? Mag sein, aber auch guter Wille rettet diese öde Rockscheibe kaum noch. (5)
Das war nun der dritte und letzte Teil. Man kann gespannt sein, was da noch kommen mag, und ehrlich gesagt, hält sich die Aufregung sogar bei mir mittlerweile in Grenzen. Aber trotzdem bin und bleibe ich Fan und hoffe, den einen oder anderen meiner Leser auf die besseren Platten neugierig gemacht zu haben.
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