THRICE

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Between christian rock and a smart place

Mit „The Alchemy Index“ schufen THRICE einen Meilenstein des progressiven Hardcore, indem sie vier EPs veröffentlichten, die thematisch wie musikalisch von den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft beeinflusst waren. Nach „The Alchemy Index“ stellte sich aber die Frage, wie THRICE weitermachen würden, welche Art Album auf diese vier EPs folgen würde und ob Selbiges mit der Größe seiner Vorgänger-EPs mithalten könne oder in ihrem Schatten stehen würde? Nun, die Antwort ist simpel: „Beggars“, das im Sommer 2009 erschienene neue Album, hält mit seinem Vorgänger ziemlich gut mit. Das liegt vor allem daran, dass THRICE die songwriterische Finesse von „The Alchemy Index“ weiter verfeinern und auf „Beggars“ die verschiedenen Einflüsse und Stimmungen der vier Voränger-EPs zu einem neuen Album verdichten. Was dabei herausgekommen ist, lässt sich mitunter schwer beschreiben. Grob gesagt ist „Beggars“ ein vielschichtiges Rock-Album zwischen RADIOHEAD und MUSE. Die musikalische Erfahrung von „Beggars“ sollte aber jeder selbst machen, da man die Atmosphären, Tiefen und Schönheiten der Platte nur schwerlich in Worte fassen kann. Da kommt es einem entgegen, dass THRICE neben ihrer Musik auch jede Menge interessante andere Anhaltspunkte für ein Gespräch bieten. So landete „Beggars“ zum Beispiel unerwartet früh im Netz. Die Band reagierte aber innovativ und veröffentlichte das Album postwendend auf iTunes – eine Strategie, die laut Sänger Dustin Kensrue durchaus auch in der Zukunft bei der Veröffentlichung weiterer THRICE-Alben umgesetzt werden könnte. Zudem ist Kensrue bekennender Christ, lebt aber eine sehr distinkte und auf seine Art und Weise intelligente Definition von Glauben, die ein Gespräch mit ihm interessant macht. Auch deswegen war es erfreulich, dass Kensrue zusagte, dem Ox das nun vierte THRICE-Interview zu geben.

Dustin, der Leak bei „Beggars“ kam extrem früh – das Album war zwei Monate vor dem ursprünglich geplanten Release als illegaler Download verfügbar und ihr hattet zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal selbst eine CD des Albums erhalten. Was waren deine ersten Gedanken, als du davon hörtest?

Ich war extrem überrascht. Wie du sagtest, hatten wir noch nicht einmal eine Masterkopie des Albums, denn wir waren gerade erst aus dem Studio raus, das Album war im Presswerk und wir warteten darauf, eine CD von „Beggars“ zu bekommen. Bevor wir sie erhielten, stand das Album aber schon im Netz – schneller hätte es kaum gehen können.

Und ihr habt umgehend auf den Leak reagiert ...

Nach dem Leak hatten wir zwei Optionen: Entweder wir bringen „Beggars“ wie geplant im Oktober raus und begnügen uns damit, dass wohl jeder Fan das Album bis dahin illegal heruntergeladen hat und es ohnehin kennen würde, sodass wir ihm mit dem Album sowieso nichts Spannendes mehr bieten könnten. Oder wir werden aktiv und versuchen „Beggars“ so schnell es geht legal verfügbar zu machen und durch die Bonustracks auf der CD-Version das Album durch ein paar Goodies aufzuwerten. Komischerweise hat es sich bei den meisten Bands etabliert, dass sie nach dem Leak eines Albums alles machen wie geplant und die Zeit bis zum Release damit verbringen, die Downloader und die Internet-Technologie zu verteufeln. So etwas wollten wir nicht tun, weil wir an dem Leak ja nichts mehr ändern konnten.

Welche Konsequenzen habt ihr aus den Erfahrungen des „Beggars“-Leaks gezogen?

Die wichtigste Lektion ist, dass man darüber nachdenken sollte, Musik so schnell es geht legal online zu veröffentlichen. Ich bin zum Beispiel offen für die Idee, gar kein Release-Date mehr für ein Album anzusetzen, sondern das Album einfach nach Fertigstellung an iTunes zur digitalen Veröffentlichung zu übergeben und dann den Digital-Release zu bewerben. Danach würde man das Album dann ins Presswerk geben und baldmöglichst die richtige CD nachschieben. Auf diese Weise könnte man zumindest versuchen, allzu schnelle Leaks einzugrenzen. Was das angeht, ist aber noch nichts in Stein gemeißelt. Es ist nur einer der Gedanken dazu, wie wir unsere Veröffentlichungspolitik in Zukunft organisieren werden. Denn es ist klar, dass nach einem so frühzeitigen Leak etwas passieren muss.

Du bist bekennender Christ, auch wenn sich THRICE nicht als christliche Band verstehen. Was bedeutet Glauben für dich?

Zuerst möchte ich sagen, dass mein Glauben in erster Linie meine Sache ist. Manche Bands gehen zwar sehr offensiv mit ihrem christlichen Glauben um, das lehne ich für mich und für THRICE aber ab, weil ich denke, dass es falsch ist, Menschen irgendeinen Glauben aufzuzwingen oder ihn als Bandmitglied allzu offensiv vorzuleben. Damit bezweckst du nur, dass die Leute dir blind und unreflektiert folgen, ohne wirklich zu verstehen, was Glauben eigentlich bedeutet. Glauben hat in meinen Augen nämlich eine sehr spezifische und tiefgründige Bedeutung, die sich sehr stark von den populären Konzepten von Glauben und Gott unterscheidet. Es ist ja verbreitet, Glauben als das Gegenteil eines guten Arguments aufzufassen. Sprich: wenn jemand gute Argumente zum Beispiel gegen einen Krieg hat, werden der Glauben und Gott als nicht quantifizierbare Größen genannt, um einen Krieg zu rechtfertigen. Das halte ich für völlig falsch, denn ich verstehe Glauben und gute Argumente gewissermaßen als gegenseitige Ergänzungen. Ich kann dieses Verständnis am besten mit den Ereignissen erklären, die dazu führten, dass ich Christ wurde. Zur Zeit von „The Artist In The Ambulance“ steckte ich in einer tiefen persönlichen Krise. Trotz des damaligen Erfolges von THRICE ging es mir richtig dreckig und ich suchte nach Argumenten, um meinen Zustand zu erklären und nach mehr oder weniger rational herleitbaren Wegen aus meiner Lage. Zugegeben, recht viel ließ sich mit guten Argumenten erklären und ein fundiertes Reflektieren über die Lage hat mir immens weiter geholfen. Trotzdem führte gerade dieses Reflektieren zu der Erkenntnis, dass wir Menschen sehr viele zentrale Fragen unserer Existenz und unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht allein mit guten Argumenten erklären können. Beziehungsweise dass jede Argumentationskette Folgefragen aufwirft, die dich auf neue Fragen stoßen lassen, die du mit rein logisch begründeten Argumenten nicht mehr beantworten kannst. Für mich selbst habe ich die Antwort auf einige dieser Fragen im Glauben gefunden. Das heißt aber nur, dass das ein Weg ist, den ich für gut halte. Ob andere diese Meinung teilen, das ist ihre Sache und ich verteufele niemanden, dem der Glauben als Antwort auf manche Fragen nicht ausreicht. Hierin zeigt sich dann auch mein Verständnis von Glauben und guten, fundierten Argumenten: Glauben liefert mir an der Stelle ein Verständnis von der Welt, wo mir gute, fundierte Argumente zur Klärung von Fragen ausgehen. Also suche ich immer zuerst nach guten, nachweisbaren und greifbaren Argumenten, um mein Denken und Handeln zu erklären und zu rechtfertigen.

Gleichzeitig habt ihr eineindeutige Hardcore-Wurzeln. Wie passen Glauben und Hardcore deiner Meinung nach zusammen?

Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, dass wir nicht nur Hardcore-Wurzeln haben. Hardcore hat auf einer grundsätzlichen Ebene auch heute noch große Bedeutung für THRICE, auch wenn wir musikalisch wohl ziemlich gen Progrock abgedriftet sind, nämlich als kritische Denkweise und offene Einstellung gegenüber anderem. Beides haben wir uns bis heute erhalten und deswegen war es überhaupt möglich, dass wir eine solche musikalische Transformation durchlaufen konnten. Außerdem ist dieses Verständnis von Hardcore der Ansatz, eine Brücke zu schlagen zwischen Hardcore und dem Glauben, wie ich ihn verstehe. Das bedeutet auch, dass ich als Christ die guten Argumente anderer anhöre und versuche, sie zu verstehen und sie gegebenenfalls sogar teile, wenn ich erkenne, dass gute Gründe anderer meine Sichtweise aushebeln. Das heißt, dass es für mich sehr wichtig ist, einen konstruktiven Dialog mit anderen zu führen, um dazuzulernen und meinen eigenen Horizont zu erweitern. Solche konstruktiven Dialoge und diese Sichtweise sind genau das, was ich beim Hardcore als kritisches Denken und Offenheit gegenüber anderem kennen gelernt habe. Insofern sehe ich gar keinen Widerspruch zwischen Glauben und Hardcore.

Kannst du verstehen, wenn man die Verbindung von Hardcore und christlichem Glauben ablehnt?

Klar, ich kann das niemandem verübeln. Es ist nun mal Tatsache, dass im Namen des Glaubens unfassbar schreckliche Dinge getan wurden und werden. Die Kreuzzüge sind nur eines der vielen Beispiele dafür. Für mich ist klar, dass diese Ereignisse nicht mit meinem Verständnis von Glauben vereinbar sind. Gleichzeitig kann ich es sehr gut verstehen, wenn jemand diese Ereignisse sehr stark mit den Worten „Gott“ und „Glauben“ verbindet und diese Dinge deswegen nicht mit seiner Definition von Hardcore vereinen kann. Ich kann das auch nicht – meine Definition von Glauben ist ja aber auch eine andere.

Wie erklärst du dir, dass es Regierungen und Institutionen gelang und gelingt, ein „Machtstreben“, wie du sagst, mit Glauben zu rechtfertigen?

Das ist eine sehr vielschichtige Frage. Auf der einen Seite hast du Regierungen und Kirchen, die vermeintlichen Glauben einsetzen, um ihre Macht zu stärken. Sie tun das, weil ihre Führungsriegen über die letzen zwei Jahrtausende gierig geworden sind und erkannt haben, dass man mit dem Argument, man handele im Namen Gottes, seinen Reichtum sehr schnell vermehren kann. Auf der anderen Seite hast du aber auch die Menschen, die Regierungen und Kirchen nicht kritisch genug hinterfragen. Das liegt meines Erachtens daran, dass viele Menschen, die zwar sagen, dass sie glauben, viel zu faul sind, um sich ernsthaft mit Glauben zu beschäftigen. Wenn du den Glauben ernst nimmst, bedeutet das erst einmal, dass du viel lesen musst, um das Christentum zu verstehen. Wenn du einmal soweit bist, dann verstehst du auch die grundlegenden Aussagen und Nachrichten des Glaubens und erkennst, dass das populäre Glaubensverständnis im Grunde wertlos ist, weil es genutzt wird, um Dinge zu tun, die gegen den ursprünglichen Gedanken des Glaubens sind.