THRICE

Foto© by Vincent Grundke

Folge deinem Herzen

Schaffenspausen können heilende Wirkung haben – oder aber sie sind nur die Vorboten des endgültigen Scheiterns. Im Falle der Kalifornier ist die Sache letztlich für alle Seiten gut ausgegangen. So legt das Quartett nun die zweite Platte nach einer dreijährigen Auszeit und das insgesamt zehnte Studioalbum vor. Warum „Palms“ das Resultat eines langen Lernprozesses ist, erfahren wir von Frontmann Dustin Kensrue und Gitarrist Teppei Teranishi.

Es war schwer. Aber es war richtig. Denn es hat uns gesund gemacht.“ Wenn Dustin Kensrue über die Zeit zwischen 2012 und 2015 spricht, ist etwas Nachdenkliches in seiner Stimme. Gleichzeitig schwingt aber noch etwas anderes mit: Entschlossenheit. „Wenn wir die Dinge damals rechtzeitig und besser strukturiert hätten, beispielsweise kürzere Touren gespielt und einen besseren Plan gehabt hätten, wer weiß. Vielleicht hätten wir die Pause dann gar nicht gebraucht“, sagt der 37-Jährige. Vor sieben Jahren hatte der Frontmann verkündet, dass sich seine Band THRICE bis auf Weiteres eine Auszeit nehmen würde. Es folgten einige Abschiedsshows, danach widmete sich Kensrue seiner Tätigkeit als Musikpastor in Seattle – und vor allem seinen drei kleinen Töchtern. Musik machte er weiterhin, allerdings vorwiegend im stillen Kämmerlein.

Mittlerweile lebt Kensrue wieder in Kalifornien. Die Kirche in Seattle hat er im Jahr 2014 verlassen, als Vorwürfe über veruntreute Gelder und Missbrauch die Runde machten. Und auch THRICE sind längst wieder zurück – viel eher, als von den meisten erwartet und erhofft. „Natürlich habe ich es vermisst, mit den Jungs zu spielen. Aber wir haben es auch nicht erzwungen, es ist eben passiert“, berichtet der Sänger und Gitarrist. Vor zwei Jahren folgte mit „To Be Everywhere Is To Be Nowhere“ schließlich das überzeugende Comeback-Album. Aber wie konnte das alles nur so schnell gehen?
„Das hat zwei wesentliche Gründe“, erklärt Kensrue. „Wenn du eine Pause einlegst, kannst du einerseits alles in Ruhe betrachten und analysieren. Und irgendwann weißt du dann, was künftig besser laufen muss.“ Gleichzeitig sei auch aus geschäftlicher Sicht der Wiedereinstieg überraschend reibungslos verlaufen. „Da hatten wir schon Bedenken, weil in der Musikindustrie die Leute gefühlt jeden Tag den Job wechseln. Aber unser ehemaliger Manager war immer noch im Geschäft – und er war froh, dass er uns wiederbekommen konnte“, berichtet der 37-Jährige mit einem Schmunzeln. „Letztendlich war es dann doch sehr einfach, alles wieder anzukurbeln. Wir hatten laut Vertrag auch noch die Option auf eine Platte bei unserem alten Label. Und na ja, die haben wir dann eben geschrieben“, erinnert sich Kensrue an „To Be Everywhere Is To Be Nowhere“.

Die Abläufe sind heute, im zwanzigsten Bandjahr, freilich andere. „Es macht natürlich einen Unterschied, ob du Anfang zwanzig oder Ende dreißig bist“, sagt Gitarrist Teppei Teranishi. „Aber heute funktionieren wir besser als Einheit. Jeder weiß mittlerweile genau, wie der andere tickt. Dadurch sind wir effizienter geworden, vor allem was Entscheidungsfindung angeht“, erklärt der 38-Jährige. Zudem achtet die Band heute darauf, sich nicht wieder zu übernehmen. „Wenn wir so touren würden wie damals, würden wir alten Säcke das nicht lange überleben“, scherzt Teranishi. „Wir haben daher alles in kleinere Häppchen aufgeteilt, die besser zu managen sind“, ergänzt Kensrue. „Du gehst nicht sieben, sondern drei Wochen auf Tour. Auf diese Weise kannst du es auch genießen. Und dann kommst du heim zu deiner Familie und kannst wieder abschalten.“

Sehnsucht nach den Anfangstagen herrscht bei den Kaliforniern derweil nicht. „Nein, ich vermisse die Zeit nicht, auch wenn sie unglaublich schön war und uns alle geprägt hat“, sagt Teranishi. „Damals, am Anfang, hattest du noch dieses rohe, jugendliche Euphorie. Das hat dich angetrieben. Alles war neu, alles war spannend“, meint der Gitarrist lachend. „Aber wir waren eben auch ein bisschen blauäugig und unvernünftig“, ergänzt Teranishi, der anschließend ein wenig in Erinnerungen schwelgt. „Meine Güte, zwanzig Jahre ...“, sagt er. „Mathematisch komme ich zwar noch nicht ganz so recht dahinter, wie wir es geschafft haben, im Schnitt aller zwei Jahre eine Platte zu veröffentlichen. Aber hey, irgendwie haben wir es geschafft.“ Vor allem an eine Situation erinnert sich Teranishi: „Ich weiß noch, wie wir damals, das muss vor 16 Jahren gewesen sein, mit FACE TO FACE auf Tour gegangen sind. Die gab es damals schon zehn Jahre, aber für uns war es so, als wären die schon Ewigkeiten im Geschäft. Ich habe sie jeden Abend spielen sehen und hatte einen riesigen Respekt davor, dass die das schon so lange machen. Und heute, na ja, heute gibt es uns sogar zwanzig Jahre. Das ist doch echt total verrückt.“
Ihren Sound haben THRICE seitdem stetig verändert und weiterentwickelt. Ein Prozess, der auch vor dem neuen und zehnten Werk der Bandgeschichte nicht haltgemacht hat. So ist das neue Material spürbar weniger progressiv ausgefallen – und das war auch beabsichtigt. „Wir haben diesbezüglich schon seit Längerem versucht, uns ein wenig zurückzuhalten. Nicht jeder muss zur selben Zeit irgendwas Verkorkstes spielen“, erläutert Kensrue. „Du musst den Dingen den nötigen Raum lassen. Manchmal muss nicht viel passieren, und wenn dann viel passiert, musst du sicherstellen, dass es der Unterstützung dessen dient, was wichtig ist.“ Dass sich Bands und ihr Sound über die Jahre verändern, sehen THRICE als logisch und natürlich an. „Manche Musiker machen einfach permanent dasselbe. Das kann natürlich auch funktionieren und Spaß machen. Aber du knüpfst dich und deine Musik damit immer an einen bestimmten Zeitgeist. Wenn du dich als Band mit aktuellen Ereignissen auseinandersetzt, wenn dich die Gegenwart beeinflusst, dann ist es zwangsläufig, dass du dich weiterentwickeln musst“, sagt der Frontmann.

Die Kritik, sie würden nicht mehr so hart klingen wie THRICE in früheren Tagen, lässt die Kalifornier derweil kalt. „Was ist denn überhaupt hart?“, fragt Kensrue. „Fakt ist, wenn ich mir moderne Rock- und Metal-Sachen anhöre, dann klingt vieles einfach gleich. Alles ist bis zum Maximum komprimiert, die Drums sind gesamplet, die Produktion wirkt unglaublich steril. Das ist doch nicht mehr echt. Das hat keine Menschlichkeit mehr“, meint der Sänger und Musiker. „Und das soll dann heavy sein? Heavy finde ich vielmehr Musik, die Gewicht und Bedeutung hat. Und es ist doch so: Wenn du einen Singlecoil-Pickup benutzt und ihn mit nur wenig Distortion belegst, klingt das viel dynamischer und ausdrucksstärker.“ Auch Teranishi bestätigt: „Wenn wir im Laufe der Jahre etwas gelernt haben, dann ist es, mehr mit Dynamik zu arbeiten. Letztens habe ich eine Ausstellung eines japanischen Grafikers besucht. Ich fand seine Arbeiten großartig, die Formen und Farben, die er verwendet hat, aber auch die negativen Bereiche in seinen Bildern, die freien Flächen. Das ist in der Musik dasselbe. Wenn alles sehr dicht und hektisch ist, hast du diese negativen Bereiche nicht, die du aber als Kontrast brauchst, damit alles einen Sinn ergibt und in Balance bleibt.“ Eine Erkenntnis, die bei den Kaliforniern aber erst mit den Jahren gereift ist: „Klar, wir kommen alle ursprünglich aus dem Punk, Hardcore und Metal. Da ballert es meistens einfach nur drauf los. Dort sind wir gestartet, und auf dem Weg hierher haben wir vieles lernen müssen“, sagt Teranishi.

Aufgenommen wurde die neue Platte unter der Regie von Eric Palmquist sowohl in dessen Heimstudio in Los Angeles als auch in zwei weiteren Studios in Santa Ana und Hollywood. „Das wirkt auf den ersten Blick übertrieben professionell, aber das war es nicht“, erklärt Teranishi lachend.“ Es hatte vor allem praktische Gründe.“ Teranishi selbst leitete die Gitarren- und Bassaufnahmen. Im Studio in Santa Ana, das einem Freund der Band gehört, konnte die Band ohne zeitlichen und finanziellen Druck arbeiten. „Wir haben viel herumexperimentiert mit Sounds und verschiedenen Klängen“, berichtet auch Kensrue. „Für die Gesangsaufnahmen sind wir zu Eric nach Los Angeles gefahren, einfach weil er einer der Besten ist, was das angeht. Und für die Drums wiederum wollten wir einen großen, organisch klingenden Raum. Den wiederum gab es in Hollywood“, erklärt der Frontmann. Den Mix übernahm derweil Tausendsassa John Congleton, der in der Vergangenheit bereits bei Platten von Lana Del Rey, THIS WILL DESTROY YOU oder BARONESS erfolgreich Hand angelegt hat. „Er ist nicht auf ein Genre festgelegt, sondern macht unglaublich viele verschiedene Sachen“, erklärt Kensrue. Und Teranishi ergänzt: „Er hat teilweise Dinge gehört und angemerkt, die wir gar nicht als das Wichtigste in einem Part oder Song empfunden haben. Das war unglaublich interessant und hat uns sehr geholfen. Er hat es geschafft, dass der Kern der Songs zum Tragen kommt, dass das Wesentliche im Vordergrund steht.“ Natürlich sei es nie einfach für eine Band, Verantwortung abzugeben und eine zweite Meinung zu akzeptieren. „Klar haben wir auch oft gesagt: Nein, nein, das ist uns wichtig, das muss so sein“, erinnert sich Teranishi. „Aber viele seiner Anregungen und Vorschlägen waren am Ende für uns total einleuchtend“, beschreibt es der Gitarrist.

Die Band wird derweil nicht wie in der Vergangenheit einen Teil der Einnahmen durch die Albumverkäufe an eine wohltätige Organisation spenden, will sich aber weiterhin bei einzelnen Shows oder Projekten sozial engagieren. „Das setzt zum einen natürlich voraus, dass dein Label offen dafür sein muss. In erster Linie haben wir aber damit aufgehört, weil es in der Presse irgendwann nur noch um uns und diese Charity-Sache ging. Und nicht mehr um unsere Musik oder das, was wir damit ausdrücken wollen“, so Kensrue, der selbstverständlich wie seine Bandkollegen die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen verfolgt – und diese auch zum Gegenstand seiner Songs macht: „Diese Platte ist sehr eng mit den Ereignissen der vergangenen Jahre verbunden. Wir versuchen dabei, die Probleme hinter den Problemen zu benennen.“ Anhand der seit Jahren weltweit präsenten Fluchtdebatte veranschaulicht der Musiker sein Anliegen: „Das eine ist doch das, was konkret an den Grenzen passiert. Sei das in Nordamerika, Europa oder woanders auf der Welt. Hier werden Menschen aufgenommen, anderswo werden sie abgewiesen. Aber wenn man einen Schritt weitergeht, dann wird man erkennen, dass das Problem ein viel ernsteres und schwerwiegenderes ist. Denn was da passiert, ist Folgendes: Menschen werden gegeneinander aufgewogen. Der eine ist mehr, der andere ist weniger wert. Das ist doch das eigentlich Schreckliche daran“, erklärt Kensrue.

Um auf diese Missstände hinzuweisen, hat der Familienvater für „Palms“ erneut sehr persönliche, tiefgründige Texte verfasst, welche Verzweiflung, aber auch Hoffnung transportieren. „Ich schreibe viel in der Ich-Perspektive. Nicht mit jedem Ich ist dabei zwangsläufig mein eigenes gemeint. Aber auf diese Weise mache ich dem Hörer die Texte erlebbar, schaffe eine Verbindung. Und auch ich selbst als Verfasser muss mich so viel intensiver damit auseinandersetzen“, sagt Kensrue, der jedoch nicht findet, dass Musik prinzipiell immer mit einer Meinung verbunden sein muss. „Künstler zu sein, ist eine sehr individuelle und persönliche Angelegenheit. Ich denke, die Welt wäre wesentlich einfältiger, wenn jede Kunst immer mit einer Lehre oder einer Meinung verbunden wäre. Klar, Punk beispielsweise ist immer automatisch irgendwie politisch. Aber das ist eben der Spirit des Punk. Doch es gibt keine Verpflichtung. Wenn du Kunst machst, die aus deinem Herzen kommt, dann ist es manchmal wohl besser, sie so zu belassen.“ Und während Kensrue erzählt, ist es wieder zu spüren. Das Nachdenkliche in seiner Stimme. Und das Entschlossene.