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COR

Leitkultur

Wer „Leitkultur“ hört, der muss sich unbedingt noch einmal diese alten Zeilen ins Gedächtnis rufen: „Wir stehen auf, haben die Schnauze voll / Es ist Krieg und ihr, ihr habt es so gewollt / Krieg. Kopf hoch und auf die Barrikaden / Krieg und wir sind voller Hass geladen / Wir steh’n zusammen gegen Gott und eure Welt / Es ist Krieg, bis für euch der letzte Vorhang fällt / Friede den Hütten Krieg den Palästen! / Lasst uns die zerstör’n, die sich an uns mästen!“ Frontmann Friedemann Hinz sang das 2006, also vor gerade einmal elf Jahren, auf dem Album „Freistil, Kampfstil, Lebensstil“ in „Krieg vs.

Krieg“. COR hörten sich verdammt martialisch und, ja, gewaltbereit an. Alles andere an dieser Band passte ja auch perfekt dazu: volltätowierte Typen, Hardcore, wüste Attitüde. Das ganze Paket.

So weit, so gut, so bekannt. Und dann nimmt man „Leitkultur“ zur Hand. Hört zu. Und entdeckt plötzlich das: „Ich halt das nicht mehr aus. Ich drücke jetzt auf ,Stopp‘. Und geb mich meinen Träumen vom Menschsein einfach hin.“ Das könnte, ein wenig überspitzt und ganz und gar nicht despektierlich gegenüber Hinz und Co.

gemeint, auch eine Helene Fischer singen. Oder irgendein anderes dieser Schlagersternchen, die uns eine Welt aus Liebe stricken wollen. Aber es sind eben COR, die das tun. Und die damit einen bemerkenswerten Weg beschreiten: den der Menschlichkeit um jeden Preis.

Nur: Sie stricken nicht uninspiriert an einer besseren Welt. Sie fordern diese bessere Welt mit jeder Faser ihrer Musikerkörper. Sie fordern den unbedingten Willen, die konsequente Hingabe an den Gedanken, dass in diesem verkorksten Lebewesen namens Mensch trotz aller Bosheit auch Gutes und Gütiges steckt.

Man muss es nur wecken. Friedemann Hinz weist darauf ja auch im Interview hin, das er uns gab und das weiter vorne im Heft zu finden ist: Er und seine Bandkollegen haben einfach keinen Bock mehr darauf, Hass-Parolen zu verbreiten und Gewalt mit Gegengewalt zu begegnen.

Sie wollen der anderen Seite, der bösen Seite die Hand reichen und sie dann mit Argumenten langsam rüberziehen über die Trennlinie von Hass und Verbohrtheit. Mit einer „Leitkultur“ des Friedens eben.

Dass es ihnen damit ernst ist und sie alles andere als spaßen, wenn sie dergleichen fordern, das unterstreichen COR mit ihrer weiterhin knüppelharten Musik. Hier knallt und dröhnt es an allen Ecken und Enden.

Hier wird der „Rügencore“ der Männer von der gleichnamigen Insel benutzt als Mittel zum Zweck: Als Mittel, um Liebe, Anstand und Respekt in die Köpfe der Menschen zu hämmern. „Gras“, „Gift“, „Das schöne Leben“, „Vollkontakt“ – das sind beste COR-Songs, die live für Energiefreisetzung und Adrenalinschübe sorgen werden.

Ganz sicher. Ein menschlicheres Album hinter ultraharter Fassade gab es selten. Und darum ist „Leitkultur“ so bemerkenswert.