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Foto© by Christian Thiele

Leitkultur des Friedens

Die Band von der Insel Rügen ist bekannt für Hardcore – und für ihren unermüdliche Einsatz für die gute Sache in Tat und Text. Das spiegelt sich ganz besonders auf dem neuen Album „Leitkultur“ wider, auf dem knallige Parolen gänzlich ausbleiben und im Mantel der harten Musik das propagiert wird, was schön ist an diesem Leben: das Miteinander. Sänger Friedemann Hinz bezieht im Gespräch offen und ehrlich Stellung und plädiert für konsequentes Aufeinanderzugehen – und holt zu einem kleinen Rundumschlag gegen die verbohrte Szene aus.

Friedemann, in eurem neuen Song „Vollkontakt“ singst du: „Vollkontakt. Ich und mein Wort. Ein Versteck, das brauche ich nicht.“ Wie mächtig ist deiner Meinung nach das gesprochene Wort?

Ein Wort ist mächtig, wenn man dazu steht. Heute verstecken sich viele Menschen ja in der Anonymität des Internets und stehen nicht mehr zu dem, was sie sagen. Das kotzt mich tierisch an. Gerade in der brisanten Zeit, in der wir leben, ist es wichtig, auch mal klare Kante zu zeigen: Hier stehe ich. Ich stehe für dieses und jenes. Und ich wurde vielleicht mal angepöbelt und bedroht, das kommt vor. Aber ich wurde nicht erschossen. Und das ist mein Weg. Der mag nicht immer richtig sein. Aber ich stehe wenigstens dazu.

Du sprichst hier die sozialen Netzwerke an, die für viele auch die „asozialen Netzwerke“ sind. Sind Facebook und Co. demnach kein gangbarer Weg für dich?

Doch, es kommt aber immer darauf an, wie ich eine Sache nutze. Weißt du, ich bin ein relativ einfacher Typ. Ich habe keine EC-Karte, sondern bin Bargeld-Junkie. Und in dem Dorf, wo ich lebe, da wird sowieso mehr getauscht, als mit Geld bezahlt. Das klappt wunderbar. Eine Hand wäscht die andere. Und ich kenne mich letztendlich auch nicht groß mit Computern aus. Aber ich kann mit Facebook auf einen Schlag viele Menschen erreichen. Das ist toll. Das war früher nicht möglich. Sicher, privat nutze ich Facebook nicht. Aber würde ich es auch nicht für meine Musik nutzen, dann könnte ich den Laden zumachen. Zudem kann ich Leute durch Social Media mitziehen. Ich will ja die Gesellschaft, die Menschen erreichen mit dem, was ich mache. Und das Internet wird nun mal von den meisten genutzt. Also nutze ich es auch.

Du sprachst eben vom Dorf ... Hattest du – gerade als Sänger einer Hardcore-Band, die wohl auch politisch ganz anders denkt als viele Menschen draußen auf dem Land – nie das Bedürfnis wegzuziehen?

Nein. Ich habe das ja, wie die anderen in der Band, bewusst so gewählt. Natürlich hätten wir alle in die Stadt gehen können. Aber ich bin hier geboren. Ich gehöre hierher. Und auch wenn ich als Jugendlicher mitunter richtig einen draufgekriegt habe und Stress hatte mit Rechten und Hansa-Rostock-Hools, war mir immer klar: Wenn wir hier wegziehen, so wie viele andere auch, dann wird das hier das nächste Niemandsland. Darum bin ich geblieben. Hier auf dem Land herrschen mitunter zwar andere Ansichten und politische Überzeugungen vor. Doch wenn ich eine Gesellschaft, mit der ich nicht zufrieden bin, verändern möchte, dann muss ich in ihr leben. Dann darf ich nicht weggehen. Nur so kann ich mit den Leuten ins Gespräch kommen. Daher kann ich auch vieles nicht akzeptieren, was da aus der Punk- oder generell der linken Szene kommt.

Und zwar?

Viele von den Leuten in der Szene sprechen immer davon, dass sie die Welt und die Menschen verändern wollen. Aber einen Schritt auf die andere Seite zugehen, das wollen sie dann auch nicht. Dabei verändere ich die Welt und die Menschen doch nur dadurch, wenn ich mit Andersdenkenden rede. Dann setze ich mich eben mit einem Nachbarn hin, trinke gemeinsam mit ihm ein Bier und versuche ihn davon zu überzeugen, nicht die AfD zu wählen. Das ist der einzig richtige Weg.

Die meisten würden beispielsweise angesichts der PEGIDA-Mitmarschierer sagen: Mit denen spreche ich aus Prinzip nicht.

Aber das macht ja keinen Sinn! Wenn das Wort tot ist, wenn wir nicht mehr miteinander reden – dann kommt die Eskalation. Dann kommt die Gewalt. Um eine Gesellschaft zu verändern, muss man die Herzen der anderen gewinnen. Um noch ein Beispiel zu nennen: Wenn ich bei unseren Konzerten Leute sehe mit FREI.WILD- oder BÖHSE ONKELZ-Shirts, dann schmeiße ich die nicht raus! Darüber hatte ich mit Monchi von FEINE SAHNE FISCHFILET schon heftige Diskussionen.

Und was hast du ihm gesagt?

Ich habe ihm gesagt: Monchi, ihr wollt doch die Leute überzeugen! Also stelle ich mich doch hin und rufe solchen Menschen zu: Ihr denkt so und so. Aber jetzt mache ich euch mal unser Angebot. Und ihr hört zu. Das ist doch viel klüger als zu sagen: Ihr seid alle Nazis. Ihr seid alle Schweine. Wir schmeißen euch raus. Und dann verändern wir die Welt! Mit wem willst du denn die Welt verändern, wenn du kategorisch 50, 60% ausschließt? Man muss versuchen, die Gedanken der Menschen zu verstehen – und sie dann irgendwie abholen.

Viele Punkbands bringen in derlei Situationen lieber martialische Sprüche und sprechen von Kampf und der Legitimität, Rechten gegenüber Gewalt anzuwenden. Das ist völlig konträr zum Titelsong eures neuen Albums, „Leitkultur“: „Ihr wollt eine Leitkultur. Wie bieten euch unsere an. Frieden ist gerecht. Alle sind ihm Untertan.“

Ja. Ich höre ständig: „Alles muss brennen und in Schutt und Asche gelegt werden.“ Aber was soll denn da brennen? Die Leute, die das fordern, kommen doch selber aus der Mitte der Gesellschaft. Wollen die jetzt Unis abfackeln? Oder ihre Arbeitsplätze? Oder die Straßen, auf denen wir fahren? Was ändert das denn? Das wird so nicht funktionieren. Krieg will keiner. Ich denke, dass viele von den Leuten aus der Szene, die das propagieren, damit einfach nur etwas verkaufen wollen. Gerade die größeren Bands. Ich habe einen Bekannten in einer solchen Band, die ich hier nicht nennen möchte, die Shirts mit genau solchen Parolen im Angebot haben. Und der sagte zu mir einmal: „Das verkauft sich eben gut.“ Ich habe ihm entgegnet: „Schön. Aber was willst du deinen Fans denn mitgeben? Alles kaputtmachen und draufhauen?“ Das ist mir zu hohl und zu einfach. Das soll dann die Revolution sein, die viele auf der Bühne ausrufen, ehe sie sich nach dem Konzert mit dem Veranstalter um die Gage streiten? Andere spielen mit Konfetti und Pyrotechnik. Ist das Gegenkultur? Nein. Das ist Pop-Mainstream. Weißt du: Ich habe viele Freunde in Bautzen, wo es wirklich hart ist – und die machen da was in der Stadt! Die setzen sich im Jugendclub mit Nazi-Kids und syrischen Jugendlichen hin und versuchen so, etwas zu erreichen. Das ginge doch nicht, wenn die von vornherein sagen würden: „Haut ab. Mit euch wollen wir nichts zu tun haben.“ Es ist einfach, sich hinzustellen und zu rufen: „Nazis raus!“ Ich will Nazis lieber ohne Gewalt aus meinem Leben rauskriegen.

Aber ist es nicht anstrengend, immer nur überzeugen zu wollen?

Natürlich. Ich bin Maurer. Und auf dem Bau geht es mitunter ganz schön heftig zu. Ich habe da beispielsweise einen Kumpel, mit dem ich lange über die Flüchtlingskrise geredet habe. Er sagte zu mir: „Die ganzen Negerkinder, die da auf den Booten umkommen, die tun mir auch leid. Aber ganz ehrlich: Ich habe hier gerade ganz andere Probleme. Die interessieren mich nicht.“ Das ist hart. Aber das zeigt auch: Er hat zumindest ein bisschen Einsicht. Er sieht, dass da was falsch läuft. Und darauf lässt sich aufbauen. Da kann ich ihm doch nicht sagen: „Verpiss dich!“ Wenn irgendwo Nazis prügeln und auf einen losgehen, dann müssen wir uns wehren. Na klar. Aber ansonsten müssen wir aufeinander zugehen. Wir haben immer eine Wahl.

Dieses Versöhnliche in deinen Aussagen spiegelt sich sehr schön in den Songs auf „Leitkultur“ wieder. Die Texte sind mitunter, und das ist nicht despektierlich gemeint, schlageresk. Soll heißen: Sie haben einen positiven, einen versöhnlichen Ansatz.

Genau. Und das war auch der Anspruch. Ich habe den Jungs vor dieser Platte gesagt: „Ich will keine Parolen mehr. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Ich will nicht mehr die einfache Lösung.“ Mir war es wichtig, eine Platte zu machen, die ein Ja zum Leben ist, die Kraft und Hoffnung vermittelt und Dinge benennt. „Leitkultur“ soll zwar vom Wort her provozieren. Aber es soll zum Nachdenken anregen über die Gesellschaft, in der wir leben und von der wir – ob wir wollen oder nicht – ein Teil sind. Auch wenn wir sie vielleicht nicht lieben.