WIRE

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What is it supposed to be?

WIRE sind so etwas wie die ewige Konstante des britischen (Post-)Punk. Waren 1976 in London dabei, aber damals schon eher die interessierten Danebensteher und Beobachter als Szenestandards entsprechende zentrale Mitmischer. Über die Jahre blieben sie fast durchweg aktiv, dabei musikalisch variabel, ohne dem klassischen Rocksong je wirklich untreu zu werden. WIRE sind ein Solitär, eigensinnig und eigenwillig, bis auf den „neuen“ Gitarristen Matthew Simms (ersetzte 2010 Bruce Gilbert) mittlerweile alle jenseits der sechzig und dennoch von erstaunlich eigener innovativer Kreativität. Ich sprach anlässlich des neuen Albums „Mind Hive“ mit Sänger und Gitarrist Colin Newman (ein Originalmitglied, wie Drummer Robert Grey und Bassist Graham Lewis), der auch das bandeigene Pink Flag-Label betreibt, über WIRE damals und heute.

Colin, ich hatte eben das Poster des Ox-Festivals 2012 im Blick, als ihr hier in Solingen spieltet und wir zusammen bei uns im Esszimmer saßen am Abend zuvor. Erinnerst du dich?


Oh ja ... das Festival, wo ich nach Hause kam und mich erbrechen musste ... Ein paar Leute hatten sich den Norovirus eingefangen, erinnerst du doch?

Oh ja ... und Danke fürs Erinnern!

Nein, ihr konntet ja nichts dafür, das passiert einfach. Wenn man etwas anfasst, das einer mit dem Virus berührt hat, hat man es schon. Und wenn du es nicht bekommst, bist du irgendwie resistent, sagte mir damals mein Doktor.

Reden wir über Erfreulicheres. Euer neues Album etwa. Dazu möchte ich dich fragen, wie ihr das Musikmachen für euch immer wieder neu und interessant gestaltet, um nicht in eine Zeitschleife zu verfallen wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“.

Nun, das ganze Leben besteht ja irgendwie aus Wiederholungen, aber genau gleich ist es ja dann doch nicht. Wenn du ein paar Jahre zurückblickst, siehst du ja, dass sich die Dinge ja doch verändert haben, aber eben nicht so wie vielleicht erwartet, und auch nicht so schnell. Nichts entwickelt sich doch je so wie erwartet. Die Jahre vergehen und du machst dann etwas Ähnliches, aber nicht das Gleiche. Aufstehen, Frühstücken, Zähneputzen ... aber dann ist doch jeder Tag anders, auch wenn du dich an alle Details erinnerst. Und so ist es eben auch mit Kreativität. WIRE haben einige Platte gemacht, aber nie dieselbe noch mal, sondern es gibt kleine Veränderungen.

Nutzt ihr irgendwelche Kreativitätstechniken, um Wiederholungen zu verhindern und Neues zu erleichtern?

Also solche Fragen zu beantworten, ist immer sehr schwer. In gewisser Weise weiß ich das einfach nicht, ich habe keine Vorstellung, wie das funktioniert. Ich weiß aber, dass es witzlos ist, einfach noch mal das Gleiche zu machen, andererseits ergibt es keinen Sinn, das Kind mit dem Bade auszuschütten, wie man so schön sagt. Wenn du dich immer wieder von dem Vorherigen verabschiedest, dann bleibt auch nichts, dann gibt es keine Erfahrung, und aus Erfahrung kommt Weisheit. Auf deine Erfahrung, deine Weisheit, kannst du nur zurückgreifen, wenn du etwas wiederholst. Aus Sicht der Band gibt es genau einen Grund, wieso WIRE existieren: weil es eine künstlerische Unternehmung ist – der Versuch, eine Frage zu beantworten, auf die wir bislang keine Antwort gefunden haben. What is it supposed to be? Was soll das darstellen? Was soll sein? Das ist einerseits die dümmste Frage, die man stellen kann, aber eben auch die einzige. Und ja, es ist auch eine rhetorische Frage: Warum machst du das, warum hast du das gemacht? Ich zitiere an der Stelle mal Bruce Gilbert, der vor vielen Jahren sagte: „WIRE ist eine juckende Stelle, an der man sich nur so kratzen kann.“ Das sagt eine Menge, und außerdem ist Bruce ein sehr kluger Mensch. Und WIRE zu machen, heißt ja nicht, dass man sich nicht auch noch anderweitig künstlerisch betätigen kann, das ist vielmehr essenziell für uns alle bei WIRE. Würden wir uns alle nur auf WIRE konzentrieren, wäre das wirklich langweilig. Mein Ansatz ist zum Beispiel, dass ich keine Songs schreibe losgelöst von der Vorbereitung eines WIRE-Albums. Erst dann, wenn eines ansteht, mache ich mich an die Arbeit – einen Monat bevor wir ins Studio gehen. Und ich versuche, mein Songwriting einfach zu halten, ich will es nicht unnötig kompliziert machen. Einfache Ideen lassen sich leichter in viele verschiedene Richtungen entwickeln. Ich tauche da nicht auf, präsentiere einen Song und sage den anderen, was sie zu spielen haben. Dann würde es WIRE nicht geben, wenn ich so ankäme, würden die zu mir sagen „Fuck off!“ und gehen. Nein, so funktioniert die Band nicht. Nein, wir entwickeln die Songs gemeinsam, und mal bestimme ich die Richtung stärker, mal weniger. Die anderen bringen sich ein, auf einem soliden Fundament, von dem ich weiß, dass es funktioniert. Diese Arbeitsweise gilt bei mir aber nur für WIRE, bei anderen Projekten arbeite ich ganz anders.

Woher kommt diese spezielle WIRE-Klangfarbe?

Gute Frage ... und ich weiß nicht, ob ich darauf eine Antwort habe. Wir haben vor langer Zeit entdeckt, dass wir unserer Musik gewissermaßen jede beliebige Form geben können, wie Lehm auf dem Töpferrad. Und was immer wir machen, es klingt dann wie WIRE. Und das stellt niemand infrage, denn es ergibt ja keinen Sinn, das infrage zu stellen. Wie genau diese Formel aussieht, weiß auch keiner. Und genau deshalb funktioniert das – eben weil wir nicht wissen, wie wir das hinbekommen. Natürlich hängt es mit den beteiligten Personen zusammen, dieser Kombination. Tausche eine Person und es ist nicht mehr das Gleiche. Der Hauptgrund, dass Matt zum richtigen Mitglied wurde und nicht nur live mit uns spielt, war einfach, dass er zu uns passte. Bei WIRE funktioniert es nicht mit aufwendigen Erklärungen, es gibt keine Regeln, unsere Kommunikation über Musik spielt sich auf einer ganz grundlegenden Ebene ab. Nein, die Einzelteile haben jeweils ihre eigene Logik, und alles zusammen hat seine Logik. Und die Logik besteht darin, der Musik dahin zu folgen, wohin sie dich zieht. Nimm als Beispiel den Song „On the beach“ vom neuen Album: der fing beinahe an wie ein Punksong, die Gitarre, bish bash bosh, ziemlich rough gespielt. Ich fand, der klingt wie viele andere Songs, aber mir gefiel der Refrain, das war Pop! Aber Punk-Pop? Punk-Pop ist dumm. Und dann dachte ich mir, dass das Lied leichter werden muss, und je leichter es wurde, desto besser gefiel es mir.

Letztes Jahr habt ihr auf eurem Label die ersten drei Alben „Pink Flag“, „Chairs Missing“ und „154“ neu aufgelegt. Wie steht ihr zu eurem Erbe? Ich erinnere mich, dass in Solingen manche Leute enttäuscht waren, dass sie von euch nicht auch alte Songs in genau dem Sound der damaligen Alben zu hören bekamen.

Unsere grundsätzliche Einstellung ist, dass wir auf alles stolz sind, was wir gemacht haben, und auch alles gleich behandeln. Manche Platten verkaufen sich besser als andere, aber sie haben alle ihre Verdienste. Jedes WIRE-Album hat seine Daseinsberechtigung, aber wir halten uns nie zu lange mit einer Platte auf. Was nun die Rereleases als solche betrifft, so haben wir einfach Glück gehabt: Wir konnten die Rechte an diesen Alben erwerben, also können wir sie selbst nachpressen und das damit verdiente Geld fließt in unsere Taschen. Und welche Band aus unserer Generation kann schon von sich sagen, dass sie die Rechte an ihren Klassiker-Veröffentlichungen besitzt? Wir wollten, dass diese Alben in Formaten neu aufgelegt werden, in denen sie zuvor nie veröffentlicht wurden, etwa als 7“-Box. Es sollten Releases werden, bei denen auch Menschen noch mal Lust bekommen, die zu kaufen, die das Album schon haben. Wir haben uns also überlegt, was den Leuten gefallen könnte. Was nicht unser Ziel war: Aus diesem Anlass noch mal „Pink Flag“ oder „Chairs Missing“ zu spielen. So waren wir noch nie drauf. Im Musikbusiness herrscht heute doch eine deutliche Trennung zwischen neuen, jungen Bands und alten Bands, von denen man erwartet, dass sie nur ihre alten Sachen spielen. Unser Problem, zu letzterer Kategorie gerechnet zu werden, besteht darin, dass bei solchen Bands eigentlich niemand an den neuen Sachen interessiert ist, nur an den alten. Das finde ich deprimierend. Nur ist es bei uns so, dass wir die letzten rund 15 Jahre über konstant neue Alben veröffentlicht haben, die auch gut ankamen, sich verkauft haben. Wir können uns also mit einer gewissen Berechtigung hinstellen und sagen, dass bei uns die alten wie die neue Sachen gut sind. Und live spielen wir von alten Sachen bis hin zu letzte Woche entstandenen Songs alles. WIRE, die nur alte Songs spielen, wird es nie geben. Das würde sich wie der Tod anfühlen. Nein, diese Band würde das niemals tun.

Also kein Rebellion Festival für WIRE?

Ich finde, das basiert schon etwas zu sehr auf Nostalgie für uns. Wir wurden auch noch nie gefragt, um ehrlich zu sein. Mit John Robb hatten wir mal überlegt, ob er uns als Kurator einer Bühne vorschlagen sollte, und wir würden das dann nutzen, um als so eine Art trojanisches Pferd Bands einzuschmuggeln, die da niemals gespielt hätten. Ich denke nicht, dass es „schlecht“ ist, dort zu spielen, wenn die Leute daran Spaß haben, sollen sie es machen. Aber Punk-Nostalgie unterscheidet sich eben nicht von normaler Nostalgie.

Nostalgie ist ein süßes Gift.

Ich bin ein riesiger BEATLES-Fan. Und bei denen ist etwas passiert, was ich sehr kritisch sehe: die wurden von ihren extrem besessenen Fans fast erwürgt wegen deren Bestehen auf unbedingte Originalität. Die erlaubten nicht, dass die Band für andere geöffnet wird. Zum Glück gelang das diesen Fans nicht, und durch die Remixe, die in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, wurde die Musik der BEATLES der Welt wieder zugänglich gemacht. Jetzt kann man alles bekommen und ist nicht mehr auf irgendwelche Bootlegs angewiesen und man kann ihre Alben in einem Sound hören, der den heutigen Hörgewohnheiten entspricht – und nicht nur denen in den Sechzigern. So kann man Nostalgie überwinden, dann geht es wieder um das Werk und die Kunst. Ich habe freilich den Verdacht, dass es beim Rebellion wohl eher um Nostalgie geht. Aber ich war noch nie da, also sollte ich nicht zu kritisch urteilen. Und sowieso ist das Konzept von Punkrock, was es ist und was nicht, ständigen Wechseln unterworfen. Meine Erfahrung: Es hängt alles sehr vom Kontext ab. Nur dass man in der Art, wie die Bands, die auf dem Rebellion spielen, das repräsentieren, so rebelliert man in den heutigen westlichen Gesellschaften eben nicht mehr. Aber ich habe mal was gehört von einem Punk-Festival in Afghanistan, es gibt wohl Punkbands im Iran, und ich fände es faszinierend, sollte es eine Punkband in Nordkorea geben. Die Musik ist nicht mehr das Maßgebliche, es geht um die Attitüde, darum, in einer bedeutungsvollen Art „Fuck you!“ zu sagen. Denn es gibt ja genug, wovon man angepisst sein kann. Und leider hat ja auch viel von dem, wie die Rechte heute agiert, seine Wurzeln im Punk.

Wie meinst du das?

Schau dir dieses ganze Brexit-Ding an und die populistische Rechte – ich spreche nicht von den Nazis: In diesen Bewegungen steckt eine Menge von dieser „Fuck the establishment“-Attitüde. Und das geht ja letztlich auf Punkrock zurück.

Interessant, dass du das erwähnst, denn genau diese Meinung habe ich auch in Bezug auf manche Anhänger der AfD hier in Deutschland: diese trotzige, unkonstruktive „Gegen die da oben“-Attitüde, die von den etablierten Politikern so wenig verstanden wurde wie einst die als ziellos empfundene Randale-Wut von Punks. Jeder wusste, dass es nichts bringt, mit Bierflaschen nach der Polizei zu werfen, gemacht hat man es trotzdem.

Ja. Aber man kann Punk nicht dafür verantwortlich machen, das ist Quatsch. Ich zitiere da noch mal Bruce Gilbert: „Kontext ist alles.“ In vielen Situationen ist eine Punk-Attitüde nicht das Schlechteste, es kommt darauf, wer sie hat und was damit zum Ausdruck gebracht werden soll. Wenn jeder ein Rebell ist, wer ist dann noch ein Nicht-Rebell?

Die chinesische Regierung zum Beispiel, wenn wir mal nach Hongkong schauen.

Ich bin extrem stolz auf diese Kids! Die riskieren ganz massiv was.

Sprechen wir über euren Film, die Doku „People in a Film“, die Ende 2020 veröffentlicht werden soll.

Also in gewisser Weise ist das „unser“ Film, aber auch nicht. Wir sind keine Filmemacher, es gibt einen Produzenten und einen Regisseur und die machen diesen Film nach ihren Regeln. Wenn die sagen, der ist fertig, dann ist er fertig. Mal sehen, ob die wie geplant damit fertig werden, es gibt da noch ein paar Dinge zu diskutieren. Wir geben die grundsätzliche Richtung vor, aber wir kontrollieren nicht die Details. Es soll eine Dokumentation über die Band werden, aber keine in der Art eines Werbefilms. Es soll da eher darum gehen zu ergründen, was die vier Mitglieder dieser Band gemeinsam haben. Oder die Frage, wie die das überhaupt hinbekommen. Die wird der Film beantworten oder auch nicht. Oder die Diskrepanz zwischen der Vorstellung der Leute davon, wie es ist, ein Mitglied von WIRE zu sein, und der Realität. Wie so oft ist alles ganz anders, als man denkt. Oder aus was für obskuren Gründen etwas geschehen ist und die man sich beim besten Willen nicht vorstellen kann. Oder wie alle Beteiligten völlig verschiedene Versionen von einer Sache erzählen. Ich glaube, das wird faszinierend. Das ganze Projekt ist verrückt und ich bin gespannt, wie das Ergebnis aussehen wird.

Wer hatte denn die Idee dazu?

Als Mark E Smith von THE FALL starb, lief in der BBC die Doku „The Wonderful and Frightening World of Mark E Smith“, da dachte ich mir, wenn einer von uns stirbt, dann gibt es nichts, was man dazu senden könnte, falls die BBC denn an WIRE interessiert sein sollte. WIRE waren einfach immer schon smarter, als es der Band guttat. Mark E Smith mochte die BBC, weil er so ein Großmaul war, so ein nordenglischer Arbeiterklassentyp, über den man die Nase gerümpft hat. In den Medien mögen die solche Typen, die halten sie für „echt“, womit ich aber nichts für oder gegen Mark E Smith gesagt haben will. Er wusste selbst, dass man sich mit so einer Attitüde sehr gut verkaufen kann. Die WIRE-Herangehensweise ist ganz anders, einerseits intellektueller, aber auch ausweichender und weniger offensichtlich. Es ist ja nicht mal für uns selbst offensichtlich, was WIRE ist. Das Offensichtliche ist nicht unser Geschäftsfeld. Um also unsere Geschichte in einem Film zu erzählen, braucht es erst mal jemand, der die Band versteht. Also wird der Film von zwei sehr großen WIRE-Fans gemacht, von Graham Duff als Regisseur und Malcolm Boyle als Produzent. Die beiden arbeiten schon seit Jahren zusammen und Graham ist ein sehr alter Freund von mir, der in der gleichen Stadt lebt wie ich. Er brachte Malcolm ins Spiel, weil der schon andere Dokus gemacht hat und einfach weiß, wie man so was macht. Graham wiederum hat viel Erfahrung als Drehbuchautor fürs Fernsehen. Die wissen, wie man so ein Projekt angeht in der Filmwelt, im Gegensatz zu uns. Ich bin echt gespannt, wie der Film wird, denn es gibt dieser Tage ja eine Menge Musikdokus, und manche sind gut, andere richtig schlecht. Ein Teil unserer Vorbereitung war, uns auch durch die schlechten zu kämpfen und dann zu entscheiden, was wir auf keinen Fall wollen.

Ein Problem solcher Musikdokus ist ja oft, dass kaum oder gar keine Musik der Band zu hören ist, um die es in dem Film geht, weil die Freigabe der Musikrechte so enorm aufwendig und die Kosten dafür so hoch sind.

Ja, und deshalb ist dieser Film auch nur möglich, weil wir jetzt die Rechte von sehr viel unserer eigenen Musik besitzen. Deshalb kostet uns das nichts. Diese Lizenzkosten sind immer das Problem. Bei den BEATLES, um auf meine Aussage von vorhin zurückzukommen, war diese Neuabmischung ja auch nur möglich, weil die die Rechte an ihrer Musik selbst verwalten. Neulich sah ich eine Doku über Stevie Wonder, ich mag den, und in der ganzen Doku gab es keine Musik zu hören, die bestand nur aus „talking heads“, aus Menschen, die beim Gespräch über Stevie gefilmt wurden, sowie aus Live-Ausschnitten. Aber man will doch welche von den Songs hören! Eine WIRE-Doku, in der man nicht „Practice makes perfect“ zu hören bekommt? Keine gute Doku! Und nein, nicht nur zehn Sekunden, sondern der ganze Song! Darum geht es, wobei ich nicht mal weiß, ob die den Song verwenden.

Habt ihr euch auch wegen des Films so bemüht, wieder die Kontrolle über eure alten Lieder zu erlangen?

Das machte diesen Film erst möglich. Wobei die Musik seit 2000 ja ohnehin unter der Kontrolle von Pink Flag ist. Die Siebziger haben wir auch, an den Achtzigern arbeiten wir noch. Ein weiterer Grund, den Film selbst zu machen, ist natürlich auch, dass ja sowieso niemand Millionen rausrückt, damit jemand einen Film über uns macht. Nein, wir müssen das mit unserem Budget machen und deshalb gibt es einen Produzenten, denn so jemand weiß, wie man Filme finanziert. Ich weiß alles darüber, wie man ein Label führt, was das Pressen von LPs und CDs kostet oder eine Band auf Tour zu schicken. Aber das Filmemachen? Keine Ahnung, in dem Bereich habe ich nie gearbeitet. Ich lerne jetzt etwas darüber, weiß aber auch, dass ich damit nicht meine Zeit verbringen will. Wichtig ist mir aber, dass der Film nicht peinlich oder eine Enttäuschung für unsere Fans wird. Und vielleicht finden sie auf dem Wege Dinge über unsere Band heraus, die sie nicht wussten. Hoffentlich können sie auch lachen, womöglich über uns, und sie wissen hinterher, wer diese Leute hinter der Band sind.

Wann wird man das herausfinden können?

Ich denke mal Ende 2020.

Können wir noch mal über das sprechen, was in der Musikbranche als „Katalog“ bezeichnet wird, also das ganze Geschäft rund um die alten, frühen Platten von Bands und deren, wie es dazu gerne heißt, „Ausbeutung“? Immer wieder stößt man auf zwei Effekte: zum einen, dass Bands wie ihr sich selbst darum kümmern, zum anderen, dass irgendwelche Labels Neuauflagen und Nachpressungen veröffentlichen, bei denen die Band keinerlei Mitspracherecht hat. Wie schwer ist es, diese Rechte wieder selbst zu verwalten, und wie habt ihr das geschafft?

Das ist eine ziemlich lange Geschichte. Als EMI damals unterging, wurde deren Geschäft von Warner übernommen. Warner musste dann aber etwas tun, um EU-Maßnahmen wegen Monopolbildung zu entgehen, also haben sie freiwillig angeboten, einen Teil ihres Katalogs zu verkaufen – dass es dazu kam, dafür muss man der EU wirklich dankbar sein. Und Teil dieses Deals war, dass diese Rechte von Independentlabels gekauft werden konnten. Wir haben das damals versucht, aber es klappte nicht, die Regeln waren sehr kompliziert und ich habe eine Weile gebraucht, bis ich sie verstanden hatte: Ein Independentlabel konnte diese Rechte kaufen, nicht aber eine Band. Warum? Weil die die ganz großen Bands im Sinn hatten. Um ein hypothetisches Beispiel zu bringen: PINK FLOYD sollten nicht selbst ihre Rechte kaufen und dann an Sony weiterverkaufen können. Das wäre nicht im Sinne des Gesetzes gewesen. Wir mussten also nachweisen, dass wir ein Independentlabel sind und nicht die Absicht haben, die Rechte weiterzuverkaufen. Um als Band also so was machen zu können, muss man erst mal sein eigenes Label haben und dann auch noch das Wissen haben, wie man das alles umsetzt. Und eine Menge Geld war auch im Spiel. Aber wir waren sicher, das Geld bald wieder einspielen zu können. Und so kam es auch. Pink Flag, unser Label, hatte immer nur den einen Zweck, WIRE-Platten zu veröffentlichen, und ich finde, alle WIRE-Platten sollten auf Pink Flag sein. Daran arbeiten wir jetzt in Bezug auf die Platten aus den Achtzigern.

Klingt nach einer Menge Arbeit mit Verträgen, Anwälten und so weiter.

Das ist ein fortlaufender Prozess. Wenn du mal angefangen hast, dein eigenes Label zu führen, entwickelt das seine eigene Dynamik. Und man macht das ja auch für sich selbst. Ich will nicht in die Situation kommen, in der andere Musiker sind: Irgendwann bist du über siebzig und nicht mehr ganz so fit und deine einzige Möglichkeit, weiterhin Geld zu verdienen, ist auf Tour zu gehen. So weit soll es mit WIRE nie kommen. Wir haben viel im Katalog, und alles verkauft sich noch. In der digitalen Welt gibt es keine endlichen Lagerbestände mehr, die man erst nachpressen muss, wenn sie ausverkauft sind. Die Sachen verkaufen sich ewig weiter. Interessant war auch die Feststellung für mich, dass die Neuveröffentlichung der alten Platten das Interesse an den neueren Releases verstärkt hat, so nach dem Motto: „Ach, die gibt es noch? Ach, die sind ja sogar noch ziemlich gut!“ Klar, die Leute, die alles, was nach 1977 im Punk kam, für Scheiße halten, die erreichst du damit nicht, aber was soll’s.

Wann können wir euch mal wieder live erleben?

Im Mai wird es ein paar Shows in Deutschland geben.

 


Diskografie

„Pink Flag“ (LP, Harvest, 1977) • „Chairs Missing“ (LP, Harvest, 1978) • „154“ (LP, Harvest, 1979) • „The Ideal Copy“ (CD/LP, Mute, 1987) • „A Bell Is A Cup“ (CD/LP, Mute, 1988) • „IBTABA“ (CD/LP, Enigma, 1989) • „Manscape“ (CD/LP, Mute, 1990) • „The Drill“ (CD/LP, Mute, 1991) • „The First Letter“ (CD/LP, Mute, 1991) • „Send“ (CD/LP, Pinkflag, 2003) • „Object 47“ (CD/LP, Pinkflag, 2008) • „Red Barked Tree“ (CD/LP, Pinkflag, 2010) • „Change Becomes Us“ (CD/LP, Pinkflag, 2013) • „s/t“ (CD/LP, Pinkflag, 2015) • „Nocturnal Koreans“ (CD/LP, Pinkflag, 2016) • „Silver/Lead“ (CD/LP, Pinkflag, 2017) • „Mind Hive“ (CD/LP, Pinkflag, 2020)