Wir schreiben das Jahr 1995: Im hohen Norden Deutschlands, genauer gesagt in Kiel, gründet sich eine Band namens SMOKE. Die Mitglieder, alle in ihren Zwanzigern und alte Schulfreunde, fühlen sich dazu berufen, der Nation – oder wenigstens einem kleinen Teil davon – ihren Südstaaten-Rock um die Ohren zu hauen. Zwei Demos werden aufgenommen, Clubs in Schutt und Asche gelegt und neben den Exzessen nimmt auch die Musik ganz neue Dimensionen an: man wird härter und kompromissloser, aus SMOKE wird 1997 schließlich SMOKE BLOW. 2012, 15 Jahre nach ihrer Gründung, beschließen SMOKE BLOW, sich zur Ruhe zu setzen – so halb zumindest. Auf der einen oder anderen Bühne Deutschlands wird man die Band wohl noch sehen können, Alben werden aber nicht mehr veröffentlicht. An dieser Stelle lassen wir deshalb zusammen mit Sänger MC Straßenköter die Bandgeschichte Revue passieren.
Die Anfänge
SMOKE BLOW sind ebenso motiviert wie planlos, als sie sich daran machen, ihr erstes Album „Smoke’s A-Blowin’ Black As Coal“ aufzunehmen. Mit ein bisschen Know-how und einer Menge Improvisationskunst wird der „Demolition Room“, das bandeigene Studio, zusammengebastelt. Die Instrumente werden malträtiert bis aufs Letzte, das Ergebnis ist ebenso unberechenbar wie die Band selbst: irgendwie Punk, irgendwie Stoner, irgendwie Psychedelic. Das Album wird 1999 vom kleinen Hannoveraner Label Loudsprecher herausgebracht. Zu dieser Zeit stoßen auch J.R. und Greif Hellhammer als Gitarrist und Bassist zur Band – SMOKE BLOW sind fürs Erste komplett. Nur ein Jahr später schließt sich der Kieler Fünfer schon wieder ins Studio ein, um mit „777 Bloodrock“ den Wahnsinn in Form von zwölf Songs zu vertonen, und diesen auch auf der Bühne hemmungslos auszuleben. Doom, Punk und Noiserock rotzen sich dabei gegenseitig ins Gesicht.
Punkadelic – The Godfather Of Soul
Mit Vollgas von einem Absturz zum nächsten zu rasen, dabei den Mittelfinger aus dem Fenster zu halten und nebenbei Songs rauszukotzen, die direkt aus der Hölle kommen könnten, geht auch an den härtesten Nordmännern nicht spurlos vorbei. Das 2001er Album „Punkadelic – The Godfather Of Soul“ ist zwar immer noch rauh und brutal, zeigt sich aber im Gegensatz zu seinen Vorgängern deutlich melodischer. Die Tour mit den MELVINS soll im Erscheinungsjahr nicht das prägendste Ereignis für SMOKE BLOW bleiben: während der letzten Show der Punkadelic-Tour in ihrer Label-Heimat Hannover gibt Sänger Jack Lettens Stimme endgültig den Geist auf. Kurzerhand wird der Mercher und alte Bekannte mit dem lieblichen Namen „Straßenköter“ als Ersatz auf die Bühne geholt, vertritt Letten dort würdig und ist seitdem aus dem Line-up der Band nicht mehr wegzudenken. MC Straßenköter erinnert sich: „Als ich die Band zum ersten Mal live sah, dachte ich nur: ‚Meine Güte ... Das ist ja eine völlig eigene Art von Punk und Zerstörung.‘ Es ist ziemlich lange her, aber ich war sehr beeindruckt.“
German Angst
Mit dem vierten Album von SMOKE BLOW erfolgt der Wechsel zum Berliner Label Nois-O-Lution. Straßenköter ist das erste Mal mit im Studio, Vorerfahrung hat er noch keine: „Es war spannend, es war komplett neu und fordernd. Wie auch beim ersten Konzert, das ich gespielt habe, als ich noch Mercher war, musste ich gleich ins kalte Wasser und einfach ran.“ Nicht nur bei der Besetzung hat sich etwas getan, auch musikalisch schlägt man neue Wege ein: statt Doom und Stoner gibt es nun Hardcore-Punk, wie man ihn in Deutschland nur selten findet – jeder Song eine Hymne, die mitten ins Schwarze trifft. Das Album ist für die Band ein großer Schritt nach vorne. Man muss nicht mehr auf Fußböden schlafen und bekommt manchmal sogar Geld. Doch so richtig gewöhnen will sich das Publikum an den zweiten Typen mit dem Mikro in der Hand noch nicht: „Das hat schon gedauert, bis die Leute gecheckt haben, was wir uns dabei gedacht haben. Am Anfang war das total deprimierend, aber der Wille war da und jetzt hab ich es letztendlich auch fast zwölf Jahre durchgezogen. Und es klappte ja auch. Wir hatten dann doch wieder Recht am Ende des Tages“, erzählt Straßenköter. Mittlerweile haben sich SMOKE BLOW auch als Band einen Namen gemacht, die sich gerne mal mit ihren Fans anlegt. „Wenn keine Reaktion kommt oder eine, bei der wir denken: ‚Das ist uns jetzt echt zu wenig, wir wollen mehr. Ihr bezahlt, wir stehen hier, da muss irgendwas passieren‘, dann muss man eben mal ein bisschen da kitzeln, wo es wehtut, und dann kommt auch was zurück. Auch eine negative Reaktion ist eine Reaktion.“
Dark Angel
Kurz vor Erscheinen von „Dark Angel“ geht die Band mit den MISFITS auf Tour. Man darf nicht nur mit Ikonen des Punkrock auf der Bühne stehen, sondern hat auch das erste und so ziemlich letzte Mal den Luxus, in einem Nightliner zu übernachten – ein komplett neues Gefühl für die sechs Kieler, die zu Beginn ihrer Karriere wohl nicht selten in Schweiß, Blut oder anderen Körperflüssigkeiten von sich und anderen genächtigt haben dürften. Was nach der Tour bleibt, ist allerdings die Ernüchterung über die einstigen Idole: „Es war traurig mitanzusehen, dass eine Band sich ihren Namen so runterspielt. Das sollte man tunlichst vermeiden. Darum lösen wir uns ja auch fast auf!“, so Straßenköter. Dennoch hat „Dark Angel“ einen gewissen MISFITS-Charakter und enthält Songs im düsteren Punk-Stil mit viel Melancholie und fast schon comicartigen Texten. Einige Fans denken immer noch, sie könnten SMOKE BLOW in eine Schublade stecken, und bekommen von der Band einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Entsprechend verhalten ist auch die Resonanz auf das melodische Album. Straßenköter erinnert sich: „Die Platte wurde am Anfang recht zwiespältig aufgenommen, wie fast alle unsere Platten. Aber im Endeffekt ist sie immer weiter gewachsen bei den Leuten und irgendwie fanden sie die ja dann doch ganz gut. Es dauert immer ein bisschen, bis die Leute kapieren, was wir wollen.“
Colossus
2008, im Erscheinungsjahr von „Colossus“ spielen SMOKE BLOW als Vorband von DIE TOTEN HOSEN. Da das typische Hosen-Publikum mittlerweile eher aus bierbäuchigen Mittvierzigern besteht, dürfte wohl kaum jemand dort von den provokanten Norddeutschen und ihren berühmt-berüchtigten Shows gehört haben. Straßenköter sieht diese Auftritte trotzdem als positive Erfahrung: „Vor Leuten zu spielen, bei denen du von vornherein weißt, dass du denen scheißegal bist als Band, ist auf jeden Fall eine Herausforderung und riesige Erfahrung. Klar gefällt das von 10.000 Leuten gerade mal 300, wenn du Glück hast, aber auch da muss man durch.“ Mit „Colossus“ wird der poppig-punkige Kurs weiter beibehalten, die Songs sind weniger düster und fast schon der richtige Soundtrack, um im Sonnenschein am Ostseestrand gemütlich mit Oma, Onkel und Schwester ein Eis essen zu gehen. Meckerer sind da natürlich vorprogrammiert, aber SMOKE BLOW wären nicht SMOKE BLOW, wenn sie das auch nur ansatzweise interessieren würde. „Wenn jede Platte geklungen hätte wie ‚Blood Rock‘ oder ‚The Record‘, dann wäre es für alle Beteiligten öde geworden. Glücklicherweise haben die Fans irgendwann gecheckt, dass wir uns nicht ständig wiederholen wollen. Wenn die Leute mal ehrlich zu sich selbst sind, wollen sie auch nicht zehnmal dieselbe Platte hören.“ Man hat sich mit „Zombie auf’m Klapprad“ und „Am Strand“ auch an zwei deutschen Songs versucht, doch fühlen sie sich als Band amerikanischer Prägung mit englischen Texten wohler. Neben den ersten Titelstorys erinnert sich der Sänger vor allem an eins: „Dieses Gehabe um das Cover, dieser Robotermann, wo alle immer dachten, wir sind größenwahnsinnig. Was soll der Roboterschwanz? Ich hab den viel später erst entdeckt, das war für mich gar nicht so im Mittelpunkt des Bildes. Viele haben sich aufgeregt, dass der Roboter auch einen Penis hat, weil das total prollig und machomäßig wäre, aber das war gar nicht unsere Intention.“
The Record
Auch die härtesten Kerle haben schwache Momente, und so ist nach der Colossus-Tour kurz die Auflösung der Band im Gespräch. „Wir haben da relativ viel gespielt und waren ein bisschen müde von all den Dingen. Dann saßen wir im Proberaum und es war tierisch warm draußen und dann hat einer gesagt: ‚Ey, wollen wir grillen und uns auflösen?‘“, erinnert sich Straßenköter. Eine halbe Stunde später versammelt sich die Band jedoch bereits, um an den ersten zwei Songs für „The Record“ zu arbeiten. Mit ihrem letzten Album kehren SMOKE BLOW wieder zum Hardcore zurück. Es ist hart, es ist schnell, wenn man genau hinhört, aber auch melodisch. Außerdem ist mit „Lost son of the ark“ auch der erste Song enthalten, den Straßenköter komplett alleine geschrieben hat. Für ihn ist „The Record“ der perfekte Abschluss einer Karriere: „Wir dachten, noch schneller und härter werden, bringt nichts, und wieder zurückgehen, bringt auch nichts, wir waren da schon überall.“
Ein Blick nach vorne
Trotz aktueller Reunion- und Comeback-Trends betont die Band, dass unter dem Namen SMOKE BLOW keine Alben mehr erscheinen werden. Und wer die Kieler kennt, weiß, dass sie zu ihrem Wort stehen. „Viele Bands bringen sich nur ins Spiel, indem sie sich auflösen und wiedervereinigen. Die wollen sich einfach nur im Gespräch halten und das ist halt nicht unser Ding. Wir haben alles gesagt zum Thema SMOKE BLOW und darum gehen wir da auch erhobenen Hauptes raus“, erklärt MC Straßenköter. Dennoch wird die musikalische Reise für die einzelnen Mitglieder weitergehen. Bassist Greif ist zum Beispiel immer noch als Produzent tätig, Jack Letten arbeitet bereits an einem Soloalbum und auch Straßenköter hat einige Pläne: „Ich hab ganz viele Konzepte, nur keine Ideen. Es gibt bereits zwei imaginäre Elektro- und Black-Metal-Bands. Ich habe so ein Faible für Bandnamen, die ich ganz lustig finde, und es gibt auch Leute, die das gerne mit realisieren würden, bloß die Zeit ist noch nicht da gewesen.“
Ein Blick zurück
Nach 15 Jahren schauen SMOKE BLOW zurück auf sieben Alben, die unterschiedlicher nicht sein könnten, hunderte von Shows, die nicht selten ausarteten, und eine dennoch stetig wachsende Fangemeinde. Wenn das Prädikat „Kult“ auf eine deutsche Band passt, dann auf SMOKE BLOW. MC Straßenköter resümiert: „Es war eine Menge Durchhaltevermögen, viel Wille und Überzeugung dahinter. Wir machen ja Musik, die wir selber hören würden, wenn es sie geben würde. Aber die gibt es eben nicht so in der Form, deswegen haben wir sie selbst gemacht. Insofern haben wir uns als Fans was Gutes getan.“ Danke dafür.
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