ROGERS

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Steineschmeißen ist out

Egal, was kommt – in Düsseldorf sprießen die Punkbands einfach immer weiter wie Pilze aus dem Boden. Nach den TOTEN HOSEN war vor den BROILERS war vor 4 PROMILLE – um nur einige zu nennen. Und jetzt ist es eben Zeit für ROGERS. Sänger Chri, Bassist Artur, Gitarrist Nico und Schlagzeuger Simon waren schon als NOTAUFNAHME und JOLLY ROGER unterwegs und überzeugten vor Jahresfrist bereits mit ihrer EP „Faust hoch!“. Jetzt aber haben sie endlich ihr erstes Album am Start, das vom renommierten People Like You-Label veröffentlicht wurde.

Früher hattet ihr mal den Namen JOLLY ROGER, jetzt heißt ihr nur noch ROGERS. Wieso?

Artur: Es gibt Namen wie JOLLY ROGER einfach im Überfluss und wir wollten damit möglichen rechtlichen Streitereien aus dem Weg gehen. Das haben uns die Leute bei unserem neuen Label People Like You geraten. Außerdem befreit uns der Name ROGERS jetzt auch von diesem Piraten-Image – der Jolly Roger ist ja der Totenschädel auf der Piratenflagge.

Hattet ihr je ein Piraten-Image?

Nico: Ja, wir wollten ursprünglich sogar mal so ein Stadtpiraten-Image aufziehen. Aber das hat sich dann glücklicherweise doch schnell überholt.

Chri: Es gab tatsächlich Auftritte, bei denen die Veranstalter sagten: „Machen wir aus dem Konzert doch mal so einen schönen Punkpiratenabend!“ Und das stört irgendwann gewaltig.

Für die, die ROGERS noch nicht kennen: Wie seid ihr zusammengekommen?

Chri: Wir drei waren schon zu Schulzeiten befreundet, Nico und Artur sind zusammen auf das Goethe-Gymnasium in Düsseldorf gegangen. In unserem Bekanntenkreis gab es damals so eine kleine Punk-Base. Das waren so zwanzig Leute, zu denen auch wir gehörten. Als wir uns zusammentaten, hießen wir erst NOTAUFNAHME. Irgendwann kam Simon am Schlagzeug dazu – und von dem Moment an haben wir uns entschlossen, die Sache ernst zu nehmen, eben zunächst als JOLLY ROGER. Wir wollten als Band hier im Proberaum nicht nur ein bisschen zocken und Spaß haben. Wir wollten mehr. Musik als Lebensgefühl sozusagen. Ein Lebensgefühl, dem man treu bleibt.

Nico: Wenn man erst mal ein paar Konzerte gespielt hat, reicht es nicht mehr, sich nur im Proberaum zu verschanzen. Wir wollten nicht mehr länger rumschimmeln, sondern Gas geben.

An welchem Punkt habt ihr gemerkt, dass es ernst wird?

Nico: Das war 2010, als wir erstmals eine EP rausgebracht haben. Das war der Punkt, an dem wir auch mal weiter aus der Gegend raus wollten und auf Tour gegangen sind. Und als wir danach wieder nach Hause kamen, wussten wir gar nichts mit uns anzufangen. Und genau das ist ein Zeichen dafür, dass man die Sache sehr ernst nimmt.

Chri: Dann kam noch diese Reise nach Kanada zu dem Festival, bei dem auch RISE AGAINST und FLOGGING MOLLY aufgetreten sind. Die hat uns unglaublich zusammengeschweißt.

Artur: Stimmt alles. Aber da gibt es noch etwas, das uns sehr geholfen hat: Ich denke nämlich, wir hatten bislang das Glück, dass unsere Songs immer gut angekommen sind. Es gab noch nie ein Konzert, das wirklich schlecht war.

Das spricht für eine gewisse musikalische Qualität, die für jeden sofort offensichtlich sein müsste. Aber Hand aufs Herz: Wie viele Bewerbungen an Labels habt ihr vor dem Vertrag mit dem sehr renommierten People Like You so verschickt?

Nico: Na ja, das war schon ein gutes Dutzend.

Und, gab’s von allen eine Antwort?

Artur: Nein. Seltsamerweise kamen die Antworten immer von den größeren Labels. Die kleinen haben nichts von sich hören lassen.

Nico: People Like You haben wir eigentlich auch nur aus Spaß mit reingenommen. Wir sagten uns: „Die sind eine ordentliche Hausnummer, probieren wir das mal.“ Aber wir hätten nie gedacht, dass das wirklich klappt.

Habt ihr alle neben der Band noch Jobs?

Chri: Ja. Aber es sind schon Jobs, die an die Bedürfnisse der Band ausgerichtet sind. Der Einzige, der fest angestellt ist, ist unser Schlagzeuger Simon. Er arbeitet in der Jugendpsychiatrie.

Kommt das dem Bandleben auch mal nicht entgegen?

Nico: Er hat am meisten von uns zu kämpfen, wenn es darum geht, Auftritte zu vereinbaren oder Touren zu planen. Es ist ja auch der Älteste von uns und hat eine abgeschlossene Ausbildung. Ich beispielsweise wollte auch mal studieren. Aber irgendwann habe ich mir gesagt: „Ich will alles in die Band stecken.“ Da kellnere ich eben nebenher. Und wenn die Kohle mal knapp wird, kellnere ich eben zwei Abende hintereinander. Wir stellen unser Privatleben schon ziemlich zurück. Aber das ist uns bewusst. Wir wissen nämlich: Irgendwann zahlt sich das aus.

Artur: Eigentlich hat sich der eingeschlagene Weg in Sachen Lebensstil doch schon lange ausgezahlt: Wir erleben tolle Dinge und sammeln viele Kontakte. Sollte das von heute auf morgen wegfallen, würde mich das schon sehr treffen.

Nico: Und selbst Simon versucht jetzt, in eine Tagesklinik zu wechseln, damit der Schichtdienst wegfällt und er an den Wochenenden frei hat. Momentan müssen wir eben absagen, wenn eine kurzfristige Konzertanfrage kommt. Und Simon fühlt sich dabei selber schlecht, obwohl wir ihm das niemals ankreiden würden.

Wer ist bei ROGERS für die Texte zuständig?

Nico: Das ist zu 99% Chri. Die Musik entsteht im Proberaum oder daheim im Kopf. Da trägt jeder zu bei. Chri ist es aber, der die fertigen Texte mitbringt.

Chri: So ein Song ist ja auch schneller geschrieben, als man denkt. Ich schreibe auch schon mal drei Songs in einer Nacht, wenn mir die Wörter in den Kopf kommen.

Das Zufallsprinzip?

Chri: Ja. Ich kann mich nicht hinsetzen und mir sagen: So, jetzt schreibe ich mal ein Stück. Das funktioniert nicht.

In euren Songs geht es auffallend häufig um das Wegrennen, um Orientierungslosigkeit, um Isolation ...

Chri: Es ist so, dass bei mir viele Songs autobiografisch sind. Außerdem ist die Band, mit der ich punkrockmäßig aufgewachsen bin, RASTAKNAST – und die kommen ja auch eher aus der melancholischen Ecke. Ich finde bis heute: Ein trauriger Song ist immer ehrlicher als ein fröhlicher.

Jetzt frage ich mal ein wenig provokant: In welche Schublade würdet ihr eure Musik stecken – Deutschpunk oder Deutschrock?

Chri: Na, Deutschrock schon mal nicht!

Artur: Dieser Begriff ist ja nun ziemlich vorbelastet und wird auch bandintern hart diskutiert.

Tatsächlich?

Nico: Na ja, da kommt man ja nicht drumherum.

Chri: Das Problem erlebt man ja häufiger auf Konzerten – gerade wenn es um deutschsprachige Bands geht. Auch wir kennen das. Es gab schon Leute, mit denen ich mich nach Auftritten unterhalten und nach fünf Minuten gesagt habe: „Pass auf, auf so Typen wie dich kann ich echt verzichten!“

Artur: Diesem Thema ist man ja leider ausgesetzt. Da braucht doch nur einer auf Facebook deine Seite als „gefällt mir“ anzuklicken, der eine NSDAP-Flagge als Foto hat. Oder einer mit dem Shirt deiner Band bei einer Nazi-Demo rumzulaufen – schon ist es passiert.

Chri: Wir versuchen da sofort gegenzulenken – gerade jetzt, seit wir etwas bekannter werden. Wir können noch beim Konzert von der Bühne runterspringen und dem entsprechenden Typen aufs Maul hauen. DIE TOTEN HOSEN haben es da nicht mehr so leicht. Insgesamt, finde ich, distanzieren sich letztlich noch viel zu wenige deutschsprachige Rockbands von diesem ganzen Mist. So eine Gruppe wie zum Beispiel BETONTOD sieht vielleicht nur noch die großen Gagen auf entsprechenden Festivals – und da ist es dann plötzlich ganz egal, wer da sonst noch so auftritt ...

Wo du gerade von Festivals und TOTEN HOSEN sprichst: Vor zwei Jahren hat mir Trini Trimpop, der ehemalige Drummer der TOTEN HOSEN, von euch vorgeschwärmt und gesagt: „Das ist meine Band!“ Wie eng ist diese Beziehung zwischen euch und ihm?

Nico: Er hat uns am Anfang ein bisschen unter die Arme gegriffen – zuletzt auch, als die Sache mit People Like You anstand. Er hat uns ein wenig gecoacht und uns Tips gegeben.

Chri: Wie ein Mentor. Und: Er hat uns sehr viel über die Anfänge des Punkrocks in Düsseldorf erzählt. Und das war für uns natürlich sehr wichtig.

Nico: Das stimmt. Das ist wichtig. Wir hatten gar nicht so den Bezug zu dieser Punk-Szene. Aber es ist doch so: Wenn du diese Art von Musik gerade in einer Stadt wie Düsseldorf machst, wo Punk ja groß geworden ist, dann musst du auch die Geschichte und die Vergangenheit dazu kennen. Schließlich sollte ja auch jeder, der in Deutschland lebt, wissen, wie die Geschichte dieses Landes aussieht. Das sind einfach wichtige Voraussetzungen. Und ich für meinen Teil habe in diese alte Düsseldorfer Szene eben nicht jenen Einblick gehabt, den uns Trini dann vermitteln konnte.

Und was können junge Punks wie ihr den alten Punks noch beibringen?

Artur: Stillstand ist der Tod! Viele bleiben hängen in früheren Zeiten. Aber ich denke, es bringt heute nichts mehr, Steine zu schmeißen. Punkrock hat sich verändert. Punkrock war 1980 und 1990 etwas anderes als heute. Wir sind eben Punkrock 2013 und das verstehen viele der Alteingesessenen nicht. Da könnten einige etwas aufgeschlossener unserer Generation gegenüber sein. Sie könnten erkennen, dass unser Punk eben kein SEX PISTOLS-Punk mehr ist.

Chri: Und dass es nicht mehr um Zerstörung, sondern eher um Neuaufbau geht.

Nico: Die Grundaussage ist ja gleich geblieben. Aber es geht darum, zu akzeptieren, dass es auch andere Wege gibt zu dem, was Punk ausmacht, also selbstbestimmt zu sein. Anders zu sein. Kritisch zu sein.

Chri: Punk ist nicht mehr dieses von SLIME bekannte „Brüllen, zertrümmern und weg“. Das sagt doch deren Sänger Dirk Jora selbst, das habe ich neulich erst in einer Doku über den FC St. Pauli gesehen: Da betonte er, dass er auf diesen ganzen, von ihm selbst mit aufgezogenen Totenkopf-Merchandise mittlerweile keinen Bock mehr habe – aber dass er eben auch keinen Bock mehr habe, wie früher in der vierten Liga zu kicken. Diese Worte gerade von ihm zu hören, fand ich schon krass. Aber er hat doch Recht! Ich meine, bei den TOTEN HOSEN ist das doch genauso. Und wer weiß: Vielleicht gibt’s die ROGERS-Faust ja demnächst auch auf jedem Mist zu sehen, haha. Ich glaube es zwar nicht, aber genau das ist es ja: Man kann sich auch etwas aufbauen und versuchen, eine breite Masse zu erreichen, anstatt alles in Schutt und Asche zu legen.