MASSENDEFEKT

Foto© by Thorsten Schmidtkord

Sollen die Hunde noch warten

Egal, wie schlimm 2023 für manch einen auch gewesen sein mag – MASSENDEFEKT aus Düsseldorf sagen mit ihrem neuen Album „Lass die Hunde warten“ der Panik und dem Jammern den Kampf an. Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. Und alles wird gut. Im besten Falle vergleichsweise so gut, wie Sänger und Gitarrist Sebastian Sebi Beyer die neue Platte seiner Band findet. Im Gespräch erzählt er von ihrem Entstehungsprozess und sinniert, ob es abseits der Musik-Bubble noch eine normale Welt geben kann.

Sebi, mein 2023 war großer Mist. Wie sieht es bei dir aus?

Mein Jahr war auch eher durchwachsen. Aber es sieht mittlerweile so aus, als ob es wieder etwas besser wird.

Ist es in solchen Situationen von Vorteil, Musiker zu sein – weil einen die Band in schlechten Zeiten auch mal beflügelt und man die Möglichkeit hat, das Songwriting als Ausgleich und Katalysator zu nutzen?
Nein, eigentlich nicht. Denn wenn irgendetwas passiert, dann passiert ja meist alles auf einmal. So wie das 2023 der Fall war, ohne das jetzt näher zu erläutern. Ich habe es aber lieber, wenn ich mich auf eine Sache konzentrieren kann. Dass ich etwa sagen kann: Jetzt konzentriere ich mich erst mal auf meine berufliche Laufbahn. Danach konzentriere ich mich auf die Familie. Und dann endlich mal komplett auf die Band. Das wäre geil gewesen. So war es aber nicht. Wobei, irgendwie hat am Ende trotzdem alles irgendwie hingehauen. Und ich möchte auch gar nicht jammern.

Kann ich verstehen. Wobei ich finde, jeder Mensch hat das Recht zu jammern, wenn es ihm nicht gut geht. Dass es anderen mitunter viel, viel schlimmer geht, ist doch klar. Aber man darf auch mal rein subjektiv sein.
Das haben mir auch viele gesagt. Aber ich bin eigentlich nicht so der Typ dafür.

Ihr habt jetzt immerhin genau die richtige Platte zur Hand. Ihr Titel lautet „Lass die Hunde warten“. Das impliziert, es ist noch nicht alles verloren, oder?
Genau. Der Name kam wirklich mit dem letzten Song, den wir aufgenommen haben: „Halt die Welt an“. In dem gibt es ja die Textstelle „Lass die Hunde warten“. Vorher hatten wir andere, irgendwie typische Plattentitel wie „Tage am Meer“ oder „Zugvögel“ im Kopf – was ich auch nicht schlecht gefunden hätte. Aber jetzt passt es. „Lass die Hunde warten“ soll tatsächlich aussagen: Lass die Hunde mal warten. Das wird schon alles gut. So weit ist es noch nicht, dass wir jetzt untergehen. Es ist positiv gemeint. Das Album hat eine positive Grundeinstellung. Es ist zwar nicht alles rosig momentan. Aber wir sind der Meinung, wir sind – trotz der ganzen Scheiße, die da gerade läuft – auf einem guten Weg, das alles wieder hinzukriegen. Sowohl persönlich als auch gesellschaftlich.

Was gibt dir Hoffnung?
Klar, es ist draußen gerade in den letzten paar Jahren richtig viel Kacke passiert. Seien es die Kriege seit Corona, sei es diese ganze rechtspopulistische Scheiße. Das ist alles großer Mist. Aber ich sehe immer noch genug Leute, die dagegen angehen. Und das sind meine Lichtblicke.

Hast du eine Strategie, um positiv zu denken und den Kopf freizubekommen? Yoga? Einen Hund, mit dem du rausgehen kannst?
Ja, einen Hund. Das ist wirklich eine gute Sache. Wenn ich mit ihm unterwegs bin, dann bläst mir das den Kopf wirklich frei und ich kann alles ein bisschen mehr genießen. Ich bin entsprechend froh, dass ich den Fiffi habe. Zudem haben meine Frau und ich uns im vergangenen Jahr einen Camper gekauft. Einen Kastenwagen. Und das ist auch richtig geil! Sobald du da drinsitzt, fühlst du dich frei. Wir waren jetzt zum Beispiel zum Urlaub in Frankreich. Und dort zu sehen, wie die Menschen in den Dörfchen im Süden leben, was da auf den Straßen abgeht, wie sie sich verhalten – das vermittelt einem genau dieses Gefühl von Freiheit. Von Leichtigkeit.

Apropos Urlaub: Beim bislang letzten Album „Zurück ins Licht“ seid ihr ins Exil gegangen, um an den Songs zu arbeiten und sie aufzunehmen. Wie war es dieses Mal?
Dieses Mal haben wir alles daheim in unserem Proberaum gemacht.

Ein Schritt zurück also? Warum?
Das war damals situationsbedingt. „Zurück ins Licht“ war die erste Platte, an der Claus Pütz, unser früherer Gitarrist, nicht mitgeschrieben hat und Nico Jansen dafür bei uns eingestiegen ist. Das war somit eine Findungsphase für uns, in der wir uns gefragt hatten: Wie gehen wir jetzt ans Songwriting heran? Wir waren damals in den Niederlanden, in Ouddorp, in einem Häuschen. Eine Woche lang. Und das war auch total schön. Das war eine gute Sache. Im Nachhinein betrachtet hätten wir meiner Meinung nach aber noch etwas damit warten können. Denn wir waren in der neuen Konstellation noch nicht so bereit dafür. Es war alles noch so ein bisschen offen und unsicher. Jetzt ist die Lage anders. Wir haben seitdem viele Konzerte miteinander absolviert. Wir sind eingespielt. Und wir hatten automatisch viel mehr Ideen. Und vor diesem Hintergrund haben wir uns nun wieder in unseren eigenen vier Wänden am wohlsten gefühlt. Back to the roots. Wir haben im Proberaum ja unser eigenes kleines Studio aufgebaut. Insofern können wir dort auch gleich an den Songs arbeiten und sie zusammen einspielen. Jeder hat seine eigenen Ideen eingebracht. Das war sehr spannend. Alles in allem denke ich, bei „Zurück ins Licht“ waren wir noch nicht so weit gewesen.

Du hast den Besetzungszeit schon angesprochen. Ist das jetzt die beste Band-Konstellation seit der Gründung 2001?
Absolut. Gerade live – und wir sind ja eine Live-Band in erster Linie – funktioniert das hervorragend. Wir sind perfekt aufeinander abgestimmt.

Und abseits der Bühne?
Abseits der Bühne ist es wie in jeder Beziehung: Mal klappt es gut, mal eher schlechter. Es gibt Reibereien, es gibt Liebe, es gibt Streit. Und das ist normal. Am Ende darf man aber auch nicht vergessen, MASSENDEFEKT haben in jeder Phase als Band, in jeder Besetzung funktioniert. Es gibt entsprechend auch keinen Menschen, der mal in der Band war und ausgetreten ist, mit dem wir ein schlechtes Verhältnis haben. Der Utti, unser erster Schlagzeuger, ist mittlerweile in Portugal, schreibt Kinderbücher und surft – und wir haben neulich noch telefoniert. Und mit meinem Vorgänger Ole bin ich zuletzt noch zum Konzert gefahren.

Im Song „Pferdekotzen“ geht es um das Auseinanderbrechen einer Freundschaft ...
Genau. Es geht um eine Freundschaft, bei der sich die Wege irgendwann einfach trennen. Das passiert.

Passiert einem das als Musiker, der sich mit wachsendem Erfolg immer mehr in der Bubble des Geschäfts und der Szene bewegt und im Jahr häufiger als andere Menschen unterwegs ist, sogar besonders häufig?
Ich kann nur von mir sprechen. Und bei mir ist es nicht so. Ich habe meinen festen Freundeskreis außerhalb der Musikszene immer noch. Ich habe noch mit Freunden meinen Doppelkopf-Abend und spiele dann Karten und spreche kein Wort über die Musik. Klar, ich bin gerne in der Musikszene unterwegs. Das ist schön. Aber ich gehe eben auch ganz normal mit meinem Hund über die Straße, treffe andere Hundebesitzer, die die Band gar nicht kennen. Die mit Musik gar nichts zu tun haben. Ich mag die Musik-Bubble, weil sich auch da viele neue Freundschaften entwickeln und ich tolle Leute kennen gelernt habe. Aber diese intensiven Freundschaften außerhalb der Musik sind eben noch viel länger da.

Wenn du nun zurückblickst: Wie sehr haben sich MASSENEFEKT deiner Meinung nach weiterentwickelt seit den Anfangsjahren?
Wir hatten ja nach dem Ausstieg von Ole – der wirklich einschneidend war, weil ich plötzlich zum Sänger wurde – eine Findungsphase und haben quasi zwei Jahre lang nur von unserem damals veröffentlichten Song „Wellenreiter“ gelebt, den wir noch in Oles Zeit aufgenommen und anfangs eigentlich scheiße gefunden hatten. Dann kam „Tangodiesel“ als Platte raus und die hat funktioniert. Die haben die Leute angenommen. Auch jene, die vorher skeptisch gewesen waren. „Tangodiesel“ war so dieses erste wirklich rauhe MASSENDEFEKT-Album, vor dessen Veröffentlichung ich überhaupt nicht gewusst hatte, ob ich die ganze Sache, den Wechsel ans Mikro, den Gesang, überhaupt packen würde ... Und „Pazifik“ danach war das Album, bei dem wir eigentlich erstmals so richtig gut zueinander gefunden hatten. Im Anschluss daran ging Claus – und das ganze Spiel ging wieder von vorne los. „Zurück ins Licht“ wurde, wie gesagt, zum Findungsalbum. Und nun ist da „Lass die Hunde warten“. Und bei diesem Album spürt man die Homogenität in der Band, diese rauhe Ehrlichkeit und diesen Oldschool-Charakter. Es ist rundum gelungen. Unser bestes Album bislang – wobei das ja jede Band zu jedem neuen Album sagt, haha.