Nein, dass mich LOS FASTIDIOS in 26. Jahr ihres Bestehens noch mal so von der Couch reißen, hätte ich nicht ansatzweise gedacht. Fan und Follower bin ich seit „Contiamo Su Di Voi!“ (1998), aber bis es mich wieder so richtig gepackt hat, mussten fast zwei Dekaden vergehen. Mit „The Sound Of Revolution“ zaubern die Italiener nun locker-lässig ihr bisher bestes Album aus dem Ärmel. Die Band ist gereift, ohne zu altern, und dabei frischer als je zuvor. Allein das Geheimnis um die neue Frische bei den „alten Herren“ um Frontmann, KOB Records-Labelchef und Szeneoriginal Enrico ist Grund genug für dieses Interview, aber auch dass LOS FASTIDIOS schon immer weit mehr als Musik sind, weder klare Kante noch sensible Themen scheuen. Und kaum eine Genreband trägt das Label „Vegan“ selbstbewusster auf der Brust respektive auf den Armen ...
Für mich ist das neue Album eine rundum positive Überraschung voller guter Energie und mit einigen eurer bisher besten Songs. Auch handwerklich habt ihr nochmal zugelegt. Das war nach über 25 Jahren so nicht zu erwarten ... Was treibt dich an, welchen Einfluss haben die wechselnde1n Bandbesetzungen?
Danke für die Blumen! Die Jahre gehen vorüber, aber der Spirit wächst. Es geht immer weiter, Jahr für Jahr, und nein, nichts Entscheidendes ändert sich. Band und Szene sind pure Leidenschaft für mich, wie ein inneres Feuer, das niemals aufhört zu lodern. Ein Feuer, das seine Energie aus dem Enthusiasmus der Leute zieht, die meiner Band schon seit einer gefühlten Ewigkeit folgen. Ich denke, all diese Leute waren und sind die wahre Stärke der Band. Das betrifft sowohl mich als auch alle, die jemals in der Band gespielt haben, und das waren nicht wenige, haha. Es ist eine permanente Übertragung, ein Geben und Nehmen von motivierender Energie. Solange das anhält, solange wird auch die Band aktiv und kreativ bleiben. Versprochen!
Die Zeiten sind rauh, und sie werden nicht nur gefühlt täglich rauher. Aber trotz allem gibt es allerhand Gutes und hoffnungsvolle Entwicklungen, wenn man bereit ist, sie zu sehen. Wo ist Hoffnung, wo Drama? In Welcher Rolle siehst du dabei die Band?
Die Welt driftet seit geraumer Zeit in eine wirklich üble Richtung. Erschütternd! Wir leben in einer Welt, in der es keinen Respekt für Menschen gibt, von Tieren ganz zu schweigen. Das komplette neue Album dreht sich um die positive Kraft von Musik, ich bin schließlich Sänger und Musiker. Und vor allem in den schlechten Momenten meines Lebens habe ich mich an Musik geklammert, um mich daran aufzurichten. Musik gibt den Leuten bessere Vorstellungen von Gefühlen und kann die Perspektive auf Zustände verändern. Musik kann sogar Leben retten! Meines zum Beispiel. Musik verbindet, sie hilft dir, einen Freund in Gedanken festzuhalten, gegen das System aufzubegehren, Messages zu transportieren, gegen Ungerechtigkeit anzuschreien, und sie hilft dir, dich selbst zu unterhalten. Ich habe in der Vergangenheit gelernt, immer optimistisch und positiv zu denken. Die Welt ist schlecht, aber ein guter Sound hilft jedem und ist das perfekte Medium, um Probleme und Missstände anzuprangern und Gefühle auszudrücken. Wir sind zwar nur Musiker, aber Musik ist unsere Waffe, unsere Texte sind unsere Geschosse. Das ist, was wir als unseren, globalen „Sound of Revolution“ verstehen.
Welcher Song ist dein persönlicher Liebling vom neuen Album?
Jeder Song vom Album ist wichtig, wirklich jeder! Ich habe keine Favoriten, ich kann nur sagen, dass es mein absolutes Lieblingsalbum der Band ist und jeder Song für sich steht. Daher wollen wir auch alle Songs davon live spielen, obwohl einige alte Hits von der Setlist fliegen. Egal, die neuen Stücke sind es wert.
„Kids are ready“, okay, klasse Song. Aber, ist es nur an den „Kids“ aufzustehen und für Grundrechte, Frieden etc. zu kämpfen? Für eine „echte“ Revolution brauchen wir Alt und Jung. Klar, die „Alten“ benötigen mehr als einen Arschtritt, um in die Puschen zu kommen, aber ohne sie wird’s nix. Bist du enttäuscht über die Trägheit deiner Generation? Die heutigen „Kids“ sind auch nicht gerade die großen Revoluzzer ...
Die Energie und Power der „Kids“ muss auch der Treibstoff für die „Oldies“ sein. Diese wiederum müssen den „Kids“ ein Vorbild sein. Es ist heutzutage, eigentlich schon immer, extrem wichtig, einen guten Dialog zwischen den Generationen zu haben. Die Alten müssen die Jungen respektieren, denn nur zusammen können wir etwas bewegen. Du hast also recht, haha! Die Alten können ohne die Jungen nicht überleben, die Jungen würden ohne die Alten erst gar nicht existieren. Im Song „A postcard from the 90’s“ thematisieren wir das. Es ist die Geschichte eines älteren Herren, der nach langer Zeit zurück in seine Straße kommt – und noch die gleiche Attitüde wir vor zwanzig Jahren spürt. Der gleiche Stil, die gleiche Wut ... Sich seine rebellische Haltung und seine Träume über die Jahre zu erhalten gibt mir Hoffnung. Ich werde niemals aufhören, meinen Träumen zu folgen.
Du bist, was du isst. Oder eben auch nicht. Das Label „Vegan“ trägst du offensiv und selbstbewusst zur Schau. Ich denke da an diverse Tattoos, das „Vegan“-Shirt, und auch textlich legst du den Finger buchstäblich in die Wunde. Wie reagiert dein persönliches Umfeld darauf, wie die Szenewelt und siehst du positive Veränderungen durch die Band?
Den Kampf um Tierrechte kämpfe ich seit jeher. Und das tat ich schon, noch bevor wir die Band gründeten! Ich denke, heute kann jeder ein sehr gutes Leben ohne die Ausbeutung von Menschen und Tieren leben. „The same war“ vom neuen Album fasst das alles in drei Minuten zusammen. Menschenrechte, Tierrechte, alles hängt zusammen, also kämpfen wir für beide! Und nein, ich möchte niemanden bekehren, nur aufrütteln! In meinen Songs bringe ich meine Standpunkte zum Ausdruck. Ich gebe nur ein wenig Gedankenfutter, und es wirkt erstaunlich gut. Eine ganze Menge Leute, auch aus meinem privatem Umfeld, berichten mir, dass sie durch unsere Songs anders auf diese Themen schauen, und teilweise sogar ihr Leben komplett umgekrempelt haben. Das bedeutet, ich habe etwas Gutes vollbracht, yeah! Darauf bin ich wirklich stolz. Ich bin ein Träumer. Ich träume von einer Welt ohne Gier. Wir sind nur der Anfang einer echten Revolution, denn wir wissen, eine andere Welt ist möglich, und arbeiten so gut es geht daran. Es ist jedenfalls toll zu sehen, dass überall auf der Welt die vegane Bewegung wächst. Einige sagen, es wäre nur ein Hype oder eine Mode. Meine Antwort: Diese Art von Mode ist doch besser als jede andere, also keep calm and keep on!
Jemals daran gedacht, die selbstauferlegten „Essensregeln“ zu brechen?
Nein! Regeln sind gemacht, um sie zu brechen, aber mein Leben ist keine Regel und folgt keinem Gesetz. Meine Art zu leben ist eine freie und natürliche Entscheidung, und diese ist mitnichten auferlegt. Ich bevorzuge es, ohne Reue und schlechtes Gewissen zu leben. Es ist so einfach, im Frieden mit mir selber und der Welt zu leben, warum sollte ich daran etwas ändern? Ich würde euch allen empfehlen, so zu leben.
Zurück zur Musik, und die ist in eurem Fall ganz klar Punkrock. Ist die Musik, die du selber spielst, auch die, die du den ganzen Tag zu Hause hören magst, oder kommen da andere Genres auf den Plattenteller?
Ich bin verdammt glücklich, denn ich arbeite zusammen mit meiner Freundin in unserem gemütlichen KOB Records-Büro, wo ich den ganzen Tag lang Musik hören kann. Darüber hinaus läuft auf Tour ständig Musik. Musik gibt mir Freude und pusht mich. Ich höre ganz verschiedene Stile. Klassischen Rock’n’Roll, Ska, Reggae, Soul, Beat, Pop, Punkrock ... Ich bin gegen Musikdiskriminierung! Ich bin der Auffassung, jeder Moment des Tages hat seine Musik. Wenn du mich richtig glücklich machen willst, wenn wir etwa in deiner Lieblingskneipe ein Bier zusammen trinken, dann bestück die Jukebox am besten damit: THE SMITHS, Morrissey, HOUSEMARTINS, BEAUTIFUL SOUTH, THE SPECIALS ... und schon bestelle ich dir noch ein Bier, haha! In der jüngeren Vergangenheit habe ich etwa THE TALKS, BETWEEN OWLS und SKASSAPUNKA zu schätzen gelernt. Junge, frische Bands mit Pfeffer und guter Energie – vom ersten Takt an!
Kommen wir zum aktuellen Album zurück und damit direkt zum nächsten. Denkst du, du kannst die Frequenz und die Qualität der Outputs auf diesem hohen Niveau halten? Ist ein komplettes Album alle zwei, drei Jahre oder eine EP alle paar Monate besser, um den Leuten im Ohr zu bleiben?
Ich arbeite natürlich schon wieder an neuen Songs, es kann also alles passieren. Es ist für eine Band nicht so entscheidend, ständig mit einem neuen Album, einer EP oder nur einem einzelnen Song um die Ecke zu kommen. Es kommt vielmehr darauf an, dass man nicht zu sehr in der eigenen Vergangenheit hängt, also sich nicht nur um alte Releases und Hits dreht. Eine Band braucht ständig neuen Input, neue Inspiration und muss innerlich brennen. Ich sage immer, unser jeweils letztes Album ist mein liebstes, oder noch viel besser: das beste wird das nächste Album. Und genau daran arbeite ich bereits mit voller Hingabe.
Seit Bestehen sieht sich die Band teils heftigem Gegenwind ausgesetzt. Leider betrifft das nicht nur schlechte Reviews, sondern auch gewaltbereite Faschisten und Co. Da denkt man sicher auch mal ans Hinschmeißen, oder?
Ach, die paar Line-up-Wechsel und auch physische oder mediale Attacken bringen mich noch lange nicht zum Aufgeben. Schlechte Reviews ärgern mich aber schon, haha. Die Band ist ein megawichtiger Teil meines Lebens. Wenn ich so zurückschaue, dann habe ich mehr als die Hälfte meines bisherigen Lebens mit der Band verbracht. Ein Musikerleben voller intensiver Erfahrungen, gute und schlechte Zeiten, gewonnene und verlorene Freunde, Kämpfe, Fun ... Solange ich was zu sagen und das Gefühl habe, daraus lässt sich ein cooler Song machen, solange wird es die Band geben. Vielleicht mit neuen Musikern, aber immer mit demselben Enthusiasmus und mit meiner Attitüde. Rude boy for life! An dem Tag, an dem ich erkenne, dass mir Energie und Inspiration ausgegangen sind, ich nichts mehr zu sagen haben, dann wird meine Mission ihr Ende finden. Aber keinesfalls eher, oder aus irgendwelchen „äußeren Gründen“!
Wie hältst du dich fit? Allein das permanente Touren ist sehr anstrengend und, nun ja, man wird immer älter ...
Ah, willst du etwa meine Bestattungsfeier organisieren? Ja, das alles strengt an, aber es gibt mir unglaublich viel zurück. Wie eine Vitaminspritze. Ich fühle mich fit und bin mir hundertprozentig sicher, dass unsere Musik noch lange in den Ohren unserer Feinde herumsurren wird.
Deine Message für alle LeserInnen?
Musik ist besser als ein Freund. Sie lässt dich nie allein und sie wird dich nie betrügen. Musik kann deinen Blick auf die Welt verändern. Folgt euren Herzen, folgt dem „Sound Of The Revolution“. Wir sehen uns on the road.
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