FRANK TURNER

Foto© by Jasmin Lauinger

Proud to be an entertainer

Frank Turner veröffentlicht mit „Undefeated“ sein zehntes Album. Er feiert dies, indem er innerhalb von 24 Stunden 15 Shows in 15 verschiedenen Städten spielt – ein Weltrekord! Insgesamt steuert er auf seine 3.000. Show zu. Im Interview erklärt er, was ihn antreibt, wo er seine Inspiration hernimmt und wieso er stolz darauf ist, sich Entertainer zu nennen.

Wie wählst du aus, welche Geschichten du in deinen Songs erzählen willst?

Eine Geschichte muss mich fesseln, sie muss etwas in mir auslösen und mich bewegen, damit ich sie erzählen möchte. Und das nicht nur einmal, sondern so sehr, dass wenn der Song gut wird, ich ihn immer wieder, jeden Tag und für viele Jahre, singen will. Im Prinzip ist es keine schwere Entscheidung, denn in gewisser Weise kommen die Geschichten zu mir, ich muss das gar nicht forcieren. Es sind die Dinge, die mich am meisten beschäftigen, über die ich Songs schreibe.

„Show people“ hat mich an einen älteren Song von dir erinnert, „Balthazar, impresario“. Es wirkt, als wäre er eine Art Fortsetzung.
Ich würde sagen die beiden Songs sind Cousins. „Balthazar, impresario“ handelt von einem Musiker und Entertainer in England. Nachdem er sein ganzes Leben auf der Bühne gestanden ist, hat er eine Abschiedsrede gehalten bei seinem letzten Auftritt, und als ich sie gelesen habe, musste ich weinen. „Show people“ ist thematisch etwas weiter gefasst und handelt nicht nur von einer Person. Es geht nicht nur um die Personen auf der Bühne, sondern auch um die daneben und dahinter. Ich kann mich an einen Moment vor ein paar Jahren erinnern, ich stand wieder einmal in irgendeiner Schlange an irgendeinem Flughafen. Vor mir war ein Typ mit schwarzen Converse, schwarzer Jeans, schwarzem Hoodie. Er hatte ein Karabiner mit einem laminierten Tourpass an seinem Gürtel, Kopfhörer, die fast auseinandergefallen sind, und einen Peli Case dabei. Ich dachte mir, wow, der ist super cool. Oder wenn du backstage bei einem Festival bist, diese Community von Menschen, die da ist, die definieren sich nicht darüber, wo sie herkommen, sondern dadurch, was sie tun. Ich liebe das, das ist meine Art von Identität. Ich sehe mich selbst nicht so sehr als englische, sondern viel mehr als tourende Person. „Show people“ soll diese Community feiern, er richtet sich aber auch an junge Menschen. Der Song soll vermitteln, dass man seine Träume verwirklichen kann. Als Kiddie habe ich das Buch „Get in the Van“ von Henry Rollins gelesen, da geht es um seine Zeit bei BLACK FLAG und das Touren in den Achtzigern. Ich habe das Buch hunderte Male gelesen, das war meine Bibel. Alles, was ich als Kind wollte, war raus auf die Straße und auf Tour gehen, und das habe ich geschafft. Und auch das feiert dieser Song.

Geht es in dem Song auch gar nicht nur um die Musikbranche, sondern um das Showgeschäft und Entertainment im Allgemeinen?
Das Wort Entertainer klingt für viele Menschen negativ. Es gibt Bands, die würden sich beleidigt und verkannt fühlen, wenn du die als Entertainer bezeichnest. Ich finde das ist verrückt. Ich bin so stolz darauf, Entertainer zu sein. Was für ein unglaublicher Job, sich abends auf eine Bühne stellen zu dürfen, für Menschen, die richtige Jobs haben, die vielleicht eine beschissene Woche hatten. Das ist mein Beruf, das ist unglaublich großartig und ein Privileg für mich. Und das gilt genauso für Theater, Zirkus, Musicals.

Das Album handelt auch davon, erwachsen zu werden und erwachsen zu sein, gleichzeitig gibt es einen Song, in dem du, als Mann in den Vierzigern, darüber singst, dass du dich in das Mädchen aus dem Plattenladen verliebt hast. Wie passt das zusammen?
Der Song ist eine Geschichte, die mir passiert ist, als ich 14 war. Das Lustige ist, diese Konversation hatte ich auch mit meiner Frau, als ich den Song geschrieben habe. Sie fragte mich, über wen zur Hölle ich da singe, und ich musste mich etwas verteidigen. Es ist kein besonders ernster Song, aber in gewisser Weise ist es eine wahre Geschichte. Ich kann mich erinnern, als 14-Jähriger in Plattenläden zu gehen, und ich kann mich erinnern, dort ein Mädchen in einem BIKINI KILL-Shirt gesehen zu haben, und natürlich habe ich sie damals nie angesprochen. Und nicht zuletzt feiert der Song auch die Kultur von Plattenläden ab.

Der Sound von „Undefeated“ ist, wie schon beim Vorgänger „FTHC“, sehr punkig, woher kommt diese neue Liebe zur E-Gitarre?
Es macht einfach verdammt viel Spaß, E-Gitarre zu spielen. Ich habe lange nicht mehr E-Gitarre auf der Bühne gespielt, und als ich wieder damit begonnen hatte, dachte ich, wow, ist das cool. Im Sommer 2019 bin ich zufällig auf zahlreichen Punk-Festivals aufgetreten, zum Beispiel beim Bay Fest in Italien und beim Punk Rock Holiday in Slowenien, das fühlte sich an wie nach Hause kommen. Tief in meinem Herzen werde ich immer ein Punk-Fan bleiben und wollte Musik machen, die etwas besser in dieses Umfeld passt.

Wie nimmst du die Reaktionen auf „Undefeated“ wahr? Gibt es auch Stimmen, denen du widersprichst, oder Songs, bei denen du dich missverstanden fühlst?
Um das zu beantworten, ist es noch zu früh, das Album kommt gerade erst heraus. Aber im Allgemeinen ist das eine lustige Sache. Ich habe natürlich meine Meinungen zu meinen Songs und eine Intention, was ich mit meinen Texten sagen will, dennoch bin ich überzeugt davon, dass die Interpretation am Ende immer recht hat. Es gibt Menschen, die lassen Lieder von mir bei ihrer Hochzeit laufen, die ich als Trennungssong geschrieben habe. Für die ist das ihr Liebeslied und ich denke mir nur: What the fuck? Aber wenn für sie der Song von Liebe und nicht, wie für mich, vom Ende einer Liebe handelt, dann haben sie auch recht damit. Es ist nicht an mir, anderen Menschen vorzuschreiben, wie sie meine Musik zu verstehen haben.