FRANK TURNER

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Hör mir auf mit Fußball

Frank Turner hat es längst geschafft: Mit seinem neunten Album schoss der britische Singer/Songwriter bis an die Spitze der UK-Charts. Nun ist Album Nummer zehn raus, es trägt den Namen „Undefeated“. Im Interview spricht er über den Erwartungsdruck, den das mit sich bringt, über neu entfachte Wut, ausgeschlagene Zähne – und (nicht) über Fußball.

Bevor wir über dein neues Album sprechen, blicken wir noch einmal kurz auf den Vorgänger zurück. „FTHC“ war dein erstes Album, dass es auf Platz eins der UK-Charts schaffte. Wie hat sich das angefühlt?

Größtenteils großartig. Die vorigen Alben hatten ja alle an dieser Spitzenposition gekratzt, landeten auf Platz zwei oder drei. Sie haben sie aber nie erreicht. Und da denkst du dir: Come the fuck on, man! Mit „FTHC“ ist es endlich gelungen, das macht mich stolz – und damit kann ich da auch einen Haken dran machen. Um ganz ehrlich zu sein, fällt es mir manchmal sogar schwer, diesen Erfolg anzunehmen und mich über diese Platzierung zu freuen.

Warum?
Na ja, als 15-jähriger wütender Punk habe ich mich quasi darüber definiert, dass ich ausschließlich Musik höre, die nicht in den Charts ist. Deshalb war da ein kleiner Teil in mir, der rebelliert hat und damit nicht glücklich war. Aber seien wir mal ehrlich: Das ist natürlich Quatsch. Der Erfolg ermöglicht es mir schließlich, von meiner Musik zu leben. Außerdem hat meine Mutter endlich mal das Gefühl, dass ich einen richtigen Job habe.

Und wie lautet das Ziel für dein neues Album „Undefeated“?
Das ist kein Muss. Außerdem veröffentlicht Taylor Swift fast zeitgleich mit mir ihr neues Album., da habe ich eh keine Chance. Haha!

Wie lautet dann das Ziel?
Da gibt es viele verschiedene Ebenen. Natürlich möchte ich erfolgreich sein mit dem, was ich tue. Ich möchte Menschen berühren und über meine Musik kommunizieren. Am wichtigsten ist mir aber immer wieder aufs Neue, das beste Album aufzunehmen, das ich in diesem Moment machen konnte.

Ist dir das gelungen?
Ich bin absolut der Meinung, ja. Das ist mir am Ende auch deutlich wichtiger als kommerzieller Erfolg.

Meistens deckt sich das ja nicht miteinander ...
Wenn ich zurückblicke, dann sind meine erfolgreichsten Lieder definitiv nicht die Songs, die mir persönlich am meisten bedeuten oder die mich als Singer/Songwriter definieren.

Und wie ordnest du „Undefeated“ da ein?
Es hat ganz klar zwei gereckte Mittelfinger. Ja, auch „FTHC“ hatte Power, aber es war sehr introspektiv. „Undefeated“ ist deutlich extrovertierter geworden. Jetzt, wo ich in meinen Vierzigern bin, bin ich überraschenderweise wieder ein wütender Mann geworden. Das findet sich auf dem Album wieder. Es ist protziger geworden. Ich bin mittlerweile der Meinung, nein, ich bin der Überzeugung, dass man nicht mehr alles akzeptieren muss.

Wie meinst du das?
Früher habe ich alles immer doppelt und dreifach durchdacht. Ich bin auch heute noch der Ansicht, dass man die Gegenseite anhören muss. Aber eben nicht mehr bei allen Dingen und Themen. Manchmal muss man einfach sagen: Fuck off, das ist der falsche Weg, den du da propagierst, da mache ich nicht mit.

Woher kommt diese neue Wut auf dem Album?
Unser neuer Drummer Callum Green hat eine ganz eigene Energie und frische Eindrücke mitgebracht, die mit eingeflossen sind. Das Aufnehmen im eigenen Studio, das ich zu Corona-Zeiten zu Hause eingerichtet hatte, hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass der Sound roher und unverfälschter geworden ist. Und ganz ehrlich: Auch meine Ehe hat ihren Anteil daran, dass „Undefeated“ so geworden ist, wie es ist.

Deine Ehe hat dich wütend gemacht?
In gewisser Weise schon, ja. Denn seit ich mit meiner Frau verheiratet bin, kann ich noch mehr der sein, der ich sein möchte. Wir sind wirklich ein tolles Team. Deshalb kann ich auch keine Songs mehr übers Schluss machen schreiben, das passt einfach nicht mehr zu mir. Meine Puste brauche ich jetzt für andere Themen.

Zum Beispiel?
Auf dem vorigen Album habe ich viel über meine Kindheit und Jugend geschrieben, dafür war vorher nie Platz. Seit ich verheiratet bin, habe ich den Freiraum, mir über genau solche Dinge Gedanken zu machen. Und das fühlt sich fantastisch an. So ist es auch wieder auf dem neuen Album. Ich finde, dass sich die Bandbreite der Themen unglaublich erweitert hat, seit ich mich nicht mehr mit Herzschmerz und Co. rumschlagen muss.

Okay, dann reden wir jetzt nicht über softe Liebeslieder, sondern über die harte Realität. Du hast europäische Geschichte studiert. Wie blickst du auf die derzeitige Lage in Europa?
Ach, grundsätzlich denke ich, dass Musiker bei solchen Themen einfach die Klappe halten sollten.

Das funktioniert ja aber bei dir nicht wirklich, oder?
Warum?

Deine eigentlich geplante Platte„No Man’s Land“ hast du einst kurzfristig nach hinten verschoben, um ein politisches Album zu veröffentlichen: „Be More Kind“. Darin hast du den US-Wahlkampf zwischen Joe Biden und Donald Trump 2016 thematisiert.
Stimmt.

Da tun sich ja einige Parallelen zum aktuellen Jahr auf. Auch 2024 treten Trump und Biden wieder gegeneinander an. Ist in Kürze ein weiteres politisches Album von dir zu erwarten?
Puh, eher nicht. Es sind wirklich schwierige und deprimierende Zeiten, das gebe ich zu. Ich liebe die USA, und ich liebe die Menschen dort. Es ist mittlerweile aber ein sehr zerrissenes Land, und das bricht mir das Herz. Es fühlt sich tatsächlich wie ein Déjà-vu an, nur weiß man nicht, wie es diesmal ausgehen wird. Ich habe Angst davor, was im November passiert.

Juckt es da nicht in den Fingern?
Ja und nein. Ich lasse das immer auf mich zukommen. Ich kann nicht einfach entscheiden, dass ich jetzt ein Album über dieses oder jenes Thema mache, das kommt zu mir. Und bislang ist das in dieser Angelegenheit noch nicht der Fall.

Okay. Und sprechen wir jetzt noch über die Lage in Europa?
Definitiv. Als der Krieg in der Ukraine begann, kurz nach der schlimmen Phase der Pandemie, da war das schrecklich, ganz offensichtlich. Rückblickend muss ich feststellen: Wir haben unsere Jugend in einer erstaunlich ruhigen Zeit verbracht – quasi zwischen den Stürmen der Geschichte nach dem Ende des Kalten Kriegs und vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Jetzt habe ich das erste Mal das Gefühl, dass Geschichte unmittelbar passiert, dass sie uns einfach widerfährt, während wir leben, und dass wir dem ausgesetzt sind, ohne etwas daran ändern zu können.

Als ich ein Kind war, hätte ich mir nie träumen lassen, dass der Krieg tatsächlich noch mal nach Europa kommen würde ...
Genauso ist es. Und das ist doch beängstigend. Niemand weiß, wohin das führen wird. Andererseits habe ich viele Freunde in Lettland, für die die russischen Aggressionen nichts Neues sind. Aber ich muss auch ganz ehrlich sagen: Nur weil ich in der Uni einige Bücher darüber gelesen habe, befähigt mich das nicht, etwas Qualifiziertes dazu zu sagen.

Vielleicht aber zu singen.
Vielleicht.

Dann wieder zur soften Seite des Lebens. Im Sommer steht in Deutschland die Fußball-EM an ...
Hör mir auf mit Fußball.

Kein Fan?
Nein, absolut nicht. Vielleicht liegt das daran, dass ich als Kind mal ziemlich vermöbelt wurde. Siehst du diese Lücke? Da war mal ein Zahn, haha.

Was war passiert?
Na ja, daran war ich natürlich auch ein bisschen selbst schuld. Bei uns war es so: Es gab THE CLASH und es gab Fußball.

Das muss sich ja nicht zwangsläufig ausschließen.
Das stimmt, bei uns war es aber so. Und ich konnte dazu noch recht gut provozieren, haha. Ich bin da also rumgerannt und habe überall gebrüllt: „Fuck Football!“ Irgendwann hat es den Fußballern dann gereicht, und der kleine Punk hatte einen Schuh in der Fresse und einen Zahn weniger. Heute bin ich da deutlich entspannter. Ich freue mich, wenn sich Menschen dafür begeistern. Aber es interessiert mich nicht. Und wenn du mich jetzt fragen würdest, zu wem ich bei einem Fußballspiele halte ...

... dann würdest du antworten?
Zum Schiedsrichter, haha. Wenn am Ende jeder Spaß hatte und beide Mannschaften gewinnen, dann bin ich auch glücklich.

Das geht aber nicht.
Das weiß ich auch.

Und wie kriegen wir jetzt die Kurve?
Wir reden über die Tour.

Okay. Gleich zwei Meilensteine zeichnen sich am Horizont ab: Dein zwanzigjähriges Bühnenjubiläum und das 3.000. Konzert als Singer/Songwriter. Welche Pläne hast du dafür?
Zunächst bin ich verdammt dankbar, dass ich das überhaupt erleben darf. Wenn du mir vor zwanzig Jahren gesagt hättest, dass ich heute immer noch auf Tour gehe und sogar ein Nummer-eins-Album veröffentlicht habe, dann hätte ich das nicht für möglich gehalten. Für das zwanzigjährige Bühnenjubiläum haben wir aber trotzdem nichts Besonderes geplant. Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, war seinerzeit zu beschäftigt, um seine Autobiografie zu beenden. Das zeichnet doch ein gut gelebtes Leben aus. Wir werden also einfach auf Tour sein – und genau darum geht’s doch. Keine Zeit für solche Sperenzien.

Und die 3.000?
Es ist echt verrückt, aber das beschäftigt die Leute tatsächlich. Als wir die 1.000 geknackt hatten, hat es noch niemanden interessiert, da haben wir selbst etwas organisiert. Seitdem zähle ich auf der Bühne ja immer mit. Und als wir bei der 2.000. Show angelangt waren, haben wir das natürlich zelebriert. Von dem Konzert im Club Rock City in Nottingham gibt es eine DVD, das war ein ganz besonderer Abend. Das erste Mal, dass ich nach den Plänen für die 3.000. Show gefragt wurde, war auf einem Konzert circa eine Woche nach der 2.000. Show, echt verrückt.

Und was hast du geantwortet?
Ich habe ihn gefragt, ob er wahnsinnig ist, und gesagt, dass ich keine Ahnung habe, ob es überhaupt so weit kommt.

Zum Glück tut es das. Also, was ist geplant?
Wir haben einige Ideen, es sind aber noch circa 150 Auftritte bis dahin. Wir werden definitiv etwas machen. In der Zwischenzeit genießen wir aber erst mal die große Tour, die uns ja auch in einige deutsche Städte führen wird, unter anderem nach Berlin, Hamburg, Köln, München und Oberhausen. Und dann sind die 3.000 ja schon fast voll.